Table Of ContentSkript: Lineare Algebra I
A. Kresch
Version vom 13. September 2019 mit Korrekturen von E. Seidenberg
Inhaltsverzeichnis
1 Grundlagen und algebraische Strukturen 1
1.1 Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.3 Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.4 Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.5 Euklidische Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.6 Restklassenkörper und Körpererweiterungen . . . . . . . . . . . . . . 22
2 Lineare Abbildung und Matrizen 25
2.1 Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.2 Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.3 Gauss’sches Eliminationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.4 Lineare Unabhängigkeit, Erzeugendensystem, Basis . . . . . . . . . . 37
2.5 Äquivalenz von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.6 Ähnlichkeit von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.7 Lineare Algebra über Ringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
3 Die Determinante 54
3.1 Symmetrische Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
3.2 Multilineare Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.3 Determinante als normierte alternierende Abbildung . . . . . . . . . 59
3.4 Weitere Eigenschaften der Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . 63
1
2 1. Grundlagen und algebraische Strukturen
3.5 Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4 Eigenwerte und Eigenvektoren 71
4.1 Definition und Diagonalisierbarkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . 72
4.2 Charakteristisches Polynom und Trigonalisierbarkeit . . . . . . . . . 73
4.3 Satz von Cayley-Hamilton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4.4 Fundamentalsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
A Faktorzerlegungen eines Polynoms 83
B Injektivitäts- und Surjektivitätskriterium 86
C Deutsch-Englisches Vokabular 88
1 Grundlagen und algebraische Strukturen
Das Interesse liegt hauptsächlich an zwei Sachen:
• Lösungen von Gleichungen.
• Aufbau von Strukturen.
Gleichungen treten überall in der Mathematik sowie in der Praxis auf und man will
sie lösen können. Der Grund für das Interesse an Strukturen ist zu Beginn nicht
so klar; tatsächlich wird es unsere Aufgabe erleichtern, wenn wir scheinbaren Par-
allelen mathematische Substanz geben können – z.B. wie die Primzahlen 2, 3, 5
usw. als Bausteine aller ganzen Zahlen fungieren (Primzahlzerlegung), so kann man
nicht nur ähnliche Bausteine der reellen (oder komplexen, oder ...) Polynome iden-
tifizieren, sondern auch eine Struktur nennen, die auf die ganzen Zahlen und auf
(reelle/komplexe/...) Polynome anwendbar ist.
1.1 Mengen
Man wird in der Schule früh mit reellen Zahlen vertraut aber lernt erst später die
rigoroseDefinition.AuchhistorischsindgrosseFortschritteübermehrereJahrzehnte
erwiesen, obwohl die reellen Zahlen erst im 19. Jahrhundert rigoros definiert wurden.
Als Grundlagen der Mathematik dient ZFC (Z=Zermelo, F=Fraenkel, C=Choice,
d.h. Auswahlaxiom), eine im 20. Jahrhundert eingeführte axiomatische Mengenleh-
re. Alles ist Menge in der ZFC-Mengenlehre: Die Elemente einer Menge sind auch
1.1. Mengen 3
Mengen! Aus Mengen baut man andere Mengen. Die Axiome gewährleisten, dass es
genug Mengen gibt, um Zahlen darzustellen.
In logischen Aussagen finden sich die Quantifikatoren ∀ (für alle) und ∃ (existiert),
Symbole ∧ (und), ∨ (oder), ⇒ (impliziert), ⇔ (äquivalent), ¬ (nicht) der Aussagen-
logik und Relationen = (gleich) und ∈ (Element von). Die Relation ⊂ (Teilmenge
von) ist durch A ⊂ B :⇔ (∀X: X ∈ A ⇒ X ∈ B) zu verstehen. Die ZFC-Axiome
sind:
1. Zwei Mengen sind genau dann gleich, wenn sie dieselben Elemente haben.
2. Es gibt ∅ (leere Menge, d.h. Menge ohne Elemente).
3. Für jedes Paar von Mengen A und B gibt es eine Menge {A,B}. (N.B. Falls
B = A ist das die Menge {A}.)
(cid:83)
4. Für jede Menge A gibt es eine Menge X, zu der genau diejenigen Ele-
X∈A
mente gehören, die zu mindestens einem der Elemente von A gehören.
5. Es gibt eine Menge A mit den Eigenschaften: (i) ∅ ∈ A, (ii) für alle X ∈ A
gilt X ∪{X} ∈ A.
6. Für jede Menge A gibt es die Potenzmenge P(A), wobei X ∈ P(A) genau
dann, wenn X ⊂ A.
7. Jede nichtleere Menge A enthält ein Element, das von A disjunkt ist.
8. Für jede Menge A und jedes einstellige Prädikat J gibt es die Menge {X ∈
A|J(X)} aller Elemente X aus A, die das Prädikat erfüllen.
9. Für jede Menge A und jedes zweistellige Prädikat F mit der Eigenschaft
∀B,C,D: (F(B,C) ∧ F(B,D) ⇒ C = D) gibt es die Menge {Y |∃X: X ∈
A∧F(X,Y)}. (Informell betrachtet man F als mindestens teilweise definierte
Funktion und {Y |∃X: X ∈ A∧F(X,Y)} als die Menge aller Werte, die die
Funktion an Elementen von A annimmt.)
10. FürjedeMengeAmitpaarweisedisjunkten,nichtleerenElementengibteseine
Menge, zu der für alle X ∈ A genau ein Element aus X gehört.
Das letzte Axiom heisst Auswahlaxiom, das C (Axiom of Choice) in ZFC; ohne das
Auswahlaxiom heisst es ZF-Mengenlehre. Es gibt die üblichen Mengenoperationen:
(cid:83)
• A∪B (als X),
X∈{A,B}
(cid:84) (cid:83)
• X (als {T ∈ X|∀Y : Y ∈ A ⇒ T ∈ Y}), deshalb auch A∩B,
X∈A X∈A
4 1. Grundlagen und algebraische Strukturen
• A×B: nach Kuratowski wird (X,Y) als {{X},{X,Y}} dargestellt, dann ist
A×B eine mittels Prädikat zu bestimmende Teilmenge von P(P(A∪B)).
Wie erwähnt sollte es genug Mengen geben, um Zahlen darstellen zu können. Ist
A wie im 5. Axiom, so kann man die Teilmenge von A betrachten, die aus den
Elementen besteht, die auch zu A(cid:48) gehören für alle Mengen A(cid:48) wie im 5. Axiom.
Diese Teilmenge, die mit N bezeichnet wird, kann als Durchschnitt aller Mengen mit
den im 5. Axiom erwähnten Eigenschaften beschrieben werden. Sie ist also eindeutig
bestimmt, denn es gilt:
T ∈ N ⇔ (∀A: (∅ ∈ A∧(∀X ∈ A: X ∪{X} ∈ A)) ⇒ T ∈ A).
Wir schreiben S(X) für X ∪{X} und nennen S(X) „Sukzessor von X“.
Proposition 1.1. (i) Es gilt ∅ ∈ N und S(X) ∈ N für alle X ∈ N.
(ii) Ist A eine Menge mit ∅ ∈ A und S(X) ∈ A für alle X ∈ A, so gilt N ⊂ A.
(iii) Ist M eine Menge mit ∅ ∈ M, S(X) ∈ M für alle X ∈ M und M ⊂ A für
alle Mengen A, die ∅ sowie die Sukzessoren aller Elemente aus A enthalten, so gilt
M = N.
Beweis. Ein beliebiges T gehört genau dann zu N, wenn T ∈ A für jede Menge A
mit ∅ ∈ A und S(X) ∈ A für alle X ∈ A. Also ist ∅ ∈ N und für jedes X ∈ N ist
S(X) ∈ N. Es folgt auch, dass N ⊂ A für jede Menge A mit ∅ ∈ A und S(X) ∈ A
für alle X ∈ A. Ist M wie in (iii), so gelten M ⊂ N nach (i) und N ⊂ M nach (ii),
also haben wir M = N.
Die Eigenschaft aus Proposition 1.1 (ii) wird oft als Prinzip der vollständigen Induk-
tion so formuliert:
Ist A eine Teilmenge von N mit ∅ ∈ A und S(X) ∈ A für alle X ∈ A, so gilt A = N.
Beispiel. Durch vollständige Induktion folgt:
• ∀X ∈ N: (X = ∅∨∃Y ∈ N: X = S(Y)), denn A := {X ∈ N: (X = ∅∨∃Y ∈
N: X = S(Y)) erfüllt ∅ ∈ A und Y ∈ A ⇒ Y ∈ N ⇒ S(Y) ∈ A.
• ∀X ∈ N: X ⊂ N; mit A := {X ∈ N: X ⊂ N} gilt ∅ ∈ A, X ∈ A ⇒ S(X) ∈ A.
Es folgt: (cid:83) X = N. (Proposition 1.1 (i) benutzen: A ∈ N ⇒ S(A) ∈ N.) Dann
X∈N
haben wir die folgende Variante der vollständigen Induktion: Ist A eine Teilmenge
von N mit X ∈ A für alle X ∈ N mit X ⊂ A, so gilt A = N. (∅ ⊂ A und für X ∈ N
mit X ⊂ A gilt S(X) ⊂ A, deshalb: Für alle X ∈ N gilt X ⊂ A.)
Beispiel. Durch diese Variante der vollständigen Induktion haben wir:
1.1. Mengen 5
• ∀X ∈ N: X ∈/ X (für A := {X ∈ N: X ∈/ X} gilt X ⊂ A ⇒ ∀T ∈ X: T (cid:54)= X).
DieElementevonNwerdenmitZahlen0,1,... bezeichnet(natürliche Zahlen),z.B.:
0 := ∅,
1 := S(0) = {∅} = {0},
2 := S(1) = {∅,{∅}} = {0,1},
3 := S(2) = {∅,{∅},{∅,{∅}}} = {0,1,2}.
Das offensichtliche Muster motiviert:
Definition. Für Elemente X, Y ∈ N wird die Relation X ∈ Y mit X < Y bezeich-
net.
Daher kann die Variante der vollständigen Induktion so formuliert werden:
Sei A ⊂ N. Angenommen, für X ∈ N folgt stets aus Y ∈ A für alle Y ∈ N mit
Y < X, dass X ∈ A gilt. Dann ist A = N.
AlsVergleichderzweiFormendervollständigenInduktiondientdiefolgendeTabelle,
wobei eine Aussage P(N) für alle N ∈ N zu beweisen ist.
Beweis durch Induktion nach N Induktion nach N (Variante)
IA (Induktionsanfang) : P(0) nur IS (Induktionsschritt) :
IS (Induktionsschritt) : P(N) ⇒ P(S(N)) (∀M < N: P(M)) ⇒ P(N)
Die Notation S(N) steht nur provisorisch für den Sukzessor von N und wird bald
mit N+1 ersetzt. Dann hat die Induktionsschritt links die Form P(N) ⇒ P(N+1).
Wie üblich schreiben wir X ≤ Y für „X < Y ∨X = Y“. Klar: X ≤ Y ⇔ X < S(Y).
Beispiel: 0 ≤ X für alle X ∈ N. (Induktion nach X: 0 ≤ X ⇔ 0 < S(X).)
Proposition 1.2. Sind X, Y, Z ∈ N, so gilt:
(i) X < Y, Y < Z ⇒ X < Z; ebenso X ≤ Y, Y ≤ Z ⇒ X ≤ Z.
(ii) X ≤ Y oder Y ≤ X gilt und beide gelten genau dann, wenn X = Y.
(iii) X < Y ⇔ S(X) < S(Y); ebenso X ≤ Y ⇔ S(X) ≤ S(Y).
Beweis. DieersteAussagevon(i)behandelnwirdurchInduktionnachZ,alsodurch
die Betrachtung der Aussage, dass X < Z gilt für alle X, Y ∈ N mit Y < Z und
X < Y, welche trivialerweise für Z = 0 stimmt (Induktionsanfang). Angenommen,
die Aussage gilt für einen bestimmten Wert von Z. Es folgt aus Y < S(Z), dass
Y < Z oder Y = Z. In beiden Fällen gilt X < Z für alle X < Y (mithilfe der
Induktionshypothese falls Y < Z). Deshalb gilt auch X < S(Z) (Induktionsschritt).
Die erste Aussage von (i) impliziert die zweite.
Als Nächstes behandeln wir die „⇒“-Implikationen von (iii) und zwar die erste Aus-
sage davon durch Induktion nach Y. Der Induktionsanfang ist trivial. Ist Y ∈ N
6 1. Grundlagen und algebraische Strukturen
derart, dass S(X) < S(Y) für alle X < Y, so folgt aus X < S(Y) – d.h., X < Y
oder X = Y –, dass S(X) < S(Y) bzw. S(X) = S(Y) gilt. Also folgt S(X) ≤ S(Y),
äquivalentS(X) < S(S(Y)).DieersteAussagevon(iii)(„⇒“-Implikation)impliziert
die zweite.
In (ii) erledigen wir rasch den Fall X = Y. Somit können wir annehmen, dass X
und Y verschieden sind. Mithilfe von (i) schliessen wir aus, dass X < Y und Y < X
beide gelten. Es ist noch zu zeigen, dass X < Y oder Y < X gilt, und das machen
wir durch Induktion nach Y. Aus 0 ≤ X ist der Induktionsanfang klar. Sei Y ∈ N
derart, dass aus X (cid:54)= Y stets X < Y oder Y < X folgt und sei X (cid:54)= S(Y). Nach der
Induktionshypothese gilt X = Y oder X < Y oder Y < X. Ist X = Y oder X < Y,
so gilt X < S(Y). Sonst ist Y < X und nach (iii) („⇒“) gilt S(Y) < S(X). Es folgt,
S(Y) < X.
Mithilfe von (ii) folgen die „⇐“-Implikationen von (iii) direkt aus den „⇒“.
Unter Ordnungsrelationen kennen wir (mindestens) zwei Sorten:
Sorte Anforderungen
Partialordnung X≤X, (X≤Y,Y≤X)⇒X=Y, (X≤Y,Y≤Z)⇒X≤Z
Totalordnung X≤X, (X≤Y,Y≤X)⇒X=Y, (X≤Y,Y≤Z)⇒X≤Z, X≤Y oderY≤X
Nach Proposition 1.2(i)–(ii) ist „≤“ auf N eine Totalordnung.
Korollar 1.3. Ist Y ∈ N(cid:114){0}, so gibt es ein eindeutiges X ∈ N mit S(X) = Y.
Beweis. Dass es ein solches X gibt, haben wir schon gesehen. Für die Eindeutigkeit,
seien X, X(cid:48) ∈ N mit X (cid:54)= X(cid:48). Nach Proposition 1.2 gilt X(cid:48) < X oder X < X(cid:48), und
deshalb S(X(cid:48)) < S(X) bzw. S(X) < S(X(cid:48)).
Als Anwendung der vollständigen Induktion gelten iterative Konstruktionen, wie
zum Beispiel die Iteration einer Abbildung.
Sind A und B Mengen, so wird eine Abbildung f: A → B verstanden als eine
Teilmenge Γ ⊂ A × B, so dass es für alle X ∈ A ein eindeutiges Y ∈ B gibt
f
mit (X,Y) ∈ Γ ; dann wird X auf Y abgebildet. Als Bild bezeichnet man die
f
Menge aller solcher Y, geschrieben: im(f) (englisch: image) oder f(A), wobei auch
mit f(A(cid:48)) für ein A(cid:48) ⊂ A das Bild der Einschränkung von f auf A(cid:48) verstanden
wird. Eine Abbildung f heisst injektiv, bzw. surjektiv, bzw. bijektiv, falls stets
f(X) = f(X(cid:48)) ⇒ X = X(cid:48) gilt, bzw. im(f) = B, bzw. f injektiv und surjektiv.
Proposition 1.4. Sei A eine Menge und f: A → A eine Abbildung. Dann gibt es
eine eindeutige Abbildung
I : A×N → A
f
mit
I (X,0) = X und I (X,S(N)) = f(I (X,N))
f f f
1.1. Mengen 7
für alle X ∈ A und N ∈ N.
Beweis. Wir zeigen zuerst die Eindeutigkeit, also seien I und J zwei solche Ab-
f f
bildungen. Wir zeigen, dass I (X,N) = J (X,N) für alle X ∈ A und N ∈ N
f f
durch Induktion nach N. Es gilt I (X,0) = X = J (X,0). Gilt für N ∈ N, dass
f f
I (X,N) = J (X,N) für alle X ∈ A, so haben wir
f f
I (X,S(N)) = f(I (X,N)) = f(J (X,N)) = J (X,S(N)).
f f f f
Die Existenz erfolgt in zwei Schritten. Erster Schritt, zu zeigen: (i) Für alle (cid:96) ∈ N es
gibt eine eindeutige Abbildung i : A×N → A mit i (X,0) = X, i (X,N) = X
f,(cid:96) f,(cid:96) f,(cid:96)
für (cid:96) < N und i (X,S(N)) = f(i (X,N)) für N < (cid:96); (ii) folgende Formel gilt:
f,(cid:96) f,(cid:96)
(cid:40)
i (X,N), falls N (cid:54)= S((cid:96)),
f,(cid:96)
i (X,N) =
f,S((cid:96))
f(i (X,(cid:96))), falls N = S((cid:96)).
f,(cid:96)
Eindeutigkeit in (i) kann gezeigt werden durch Induktion nach N mit Induktionsan-
fang und Induktionsschritt für N < (cid:96) genau wie oben, während i (X,S(N)) = X
f,(cid:96)
geltenmussfür(cid:96) ≤ N.Existenz,durchInduktionnach(cid:96).AlsInduktionsanfangdient
i (X,N) := X. Angenommen, i existiert. Dann definieren wir i durch die
f,0 f,(cid:96) f,S((cid:96))
Formel in (ii). Es gilt i (X,N) = X falls N = 0 oder S((cid:96)) < N, während
f,S((cid:96))
i (X,S(N)) = i (X,S(N)) = f(i (X,N)) = f(i (X,N))
f,S((cid:96)) f,(cid:96) f,(cid:96) f,S((cid:96))
gilt für N < (cid:96), sowie i (X,S((cid:96))) = f(i (X,(cid:96))) = f(i (X,(cid:96))).
f,S((cid:96)) f,(cid:96) f,S((cid:96))
Zweiter Schritt ist die Behauptung, dass I (X,(cid:96)) := i (X,(cid:96)) die gestellten Bedin-
f f,(cid:96)
gungenerfüllt.DieBedingungI (X,0) = X istklarerfülltundesgiltI (X,S(N)) =
f f
i (X,S(N)) = f(i (X,N)) = f(i (X,N)) = f(I (X,N)).
f,S(N) f,S(N) f,N f
Die Iteration von S liefert die Addition I : N×N → N, die wir so schreiben:
S
+: N×N → N.
Aus Proposition 1.4 bzw. durch Induktion folgen, z.B., dass für n ∈ N gilt:
• n+0 = n (aus Proposition 1.4: n+0 = I (n,0) = n).
S
• n+1 = S(n) (auch aus Proposition 1.4: I (n,1) = S(I (n,0))).
S S
• 0+n = n (Induktion: 0+n = n ⇒ 0+S(n) = S(0+n) = S(n)).
• 1+n = S(n) (ähnliche Induktion).
Weitere Eigenschaften benutzen die folgende Kompatibilität von Iteration mit +.
8 1. Grundlagen und algebraische Strukturen
Proposition 1.5. Mit der Notation A, f, I aus Proposition 1.4 und + wie oben
f
gilt I (X,m+n) = I (I (X,m),n) für alle X ∈ A und m, n ∈ N.
f f f
Beweis. Induktion nach n. Aus m + 0 = m und I (X,0) = X haben wir den In-
f
duktionsanfang. Ist n ∈ N derart, dass I (X,m+n) = I (I (X,m),n) gilt für alle
f f f
X ∈ A und m ∈ N, so folgt:
I (X,m+S(n)) = I (X,S(m+n)) = f(I (X,m+n)) = f(I (I (X,m),n)).
f f f f f
Letzteres ist I (I (X,m),S(n)), wie gewünscht.
f f
Angewandt auf die Sukzessor-Funktion auf N liefert Proposition 1.5 die folgenden
Eigenschaften der Addition +: N×N → N, für (cid:96), m, n ∈ N:
• ((cid:96)+m)+n = (cid:96)+(m+n) (wird eindeutig so geschrieben: (cid:96)+m+n),
• m+n = n+m,
• (cid:96)+n = m+n ⇔ (cid:96) = m und das Gleiche, mit ≤ anstatt =,
wobei das Erste sich direkt aus Proposition 1.5 ergibt und die weiteren Aussagen
sich durch Induktion nach n beweisen lassen:
m+n = n+m ⇒
m+S(n) = S(m+n) = S(n+m) = n+S(m) = n+1+m = S(n)+m,
bzw. (so, und das Gleiche mit ≤ anstatt =)
((cid:96)+n = m+n ⇔ (cid:96) = m) ⇒ ((cid:96)+S(n) = m+S(n) ⇔ S((cid:96)) = S(m) ⇔ (cid:96) = m).
Wir hören auf, S(n) zu schreiben und schreiben stattdessen: n+1.
Proposition 1.6. Sind m, n ∈ N, so gilt m ≤ n genau dann, wenn es ein (cid:96) ∈ N
gibt, mit (cid:96)+m = n.
Beweis. Wir beweisen die „⇒“-Implikation durch Induktion nach n. Induktionsan-
fang, 0+0 = 0, denn aus m ≤ 0 folgt m = 0. Angenommen n ∈ N ist derart, dass
aus m ≤ n die Existenz eines (cid:96) ∈ N mit (cid:96)+m = n folgt. Ist m ≤ n+1, so hat schon
aus m ≤ n die Existenz eines (cid:96) ∈ N mit (cid:96)+m = n und deshalb ((cid:96)+1)+m = n+1
als Folge; übrig ist nur der Fall m = n+1, dann gilt 0+(n+1) = n+1.
Für die „⇐“-Implikation: sei (cid:96) ∈ N mit (cid:96)+m = n, dann haben wir 0 ≤ (cid:96) und es
folgt, m = 0+m ≤ (cid:96)+m = n.
1.1. Mengen 9
Wir unterscheiden zwischen endlichen und unendlichen Mengen. Als Basis gilt die
Tatsache, dass die Elemente aus N selbst Menge sind und zwar besteht n ∈ N genau
aus den Elementen von N, die kleiner als n sind.
Dieser Kniff aus der ZFC-Mengenlehre führt zu einer möglichen Verwirrung, wie im
folgenden Beispiel. Ist f: {0,1,2} → A eine Abbildung, mit A = {X,Y,Z} und
0 (cid:55)→ X, 1 (cid:55)→ Y, 2 (cid:55)→ Z, so hat f(2) zwei mögliche Bedeutungen, da 2 = {0,1} gilt.
Wir adoptieren die Konvention, N zu schreiben, wenn wir uns auf die Menge aller
<n
Elemente aus N, die kleiner als n sind, beziehen wollen. So gilt im obigen Beispiel:
f(N ) = {X,Y} sowie f(2) = Z.
<2
Definition. Eine Menge A heisst endlich, wenn es für ein n ∈ N eine bijektive
Abbildung N → A gibt, sonst heisst A unendlich. Ist A eine endliche Menge und
<n
N → A eine bijektive Abbildung, so sagen wir, die Kardinalität von A ist n; in
<n
Zeichen: |A| = n.
Proposition 1.7. Ist A eine endliche Menge, so ist das n ∈ N aus der Definition der
endlichen Menge (für welches eine bijektive Abbildung N → A existiert) eindeutig
<n
bestimmt.
Beweis. Es genügt, für m, n ∈ N mit m (cid:54)= n zu zeigen, dass es keine bijektive
Abbildung N → N gibt. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit können wir
<m <n
annehmen, m < n gilt. Dafür verwenden wir Induktion nach m. Es gibt für 0 < n
keinebijektiveAbbildung∅ → N ,dennN (cid:54)= ∅.Angenommenm ∈ Nistderart,
<n <n
dass es stets für n ∈ N mit m < n keine bijektive Abbildung N → N gibt. Sei
<m <n
n ∈ N mit m+1 < n und
f: N ∪{m} → N
<m <n
eine Abbildung. Wir müssen zeigen, dass f nicht bijektiv ist. Es genügt, dies zu
machen, unter der Annahme, dass f(m(cid:48)) (cid:54)= f(m) für alle m(cid:48) ∈ N , denn aus
<m
f(m(cid:48)) = f(m) mit m(cid:48) < m würde folgen, dass f nicht injektiv ist.
Sei p := f(m), mit f(m(cid:48)) (cid:54)= p für alle m(cid:48) ∈ N . Sei n(cid:48) ∈ N so, dass n = n(cid:48)+1. Also
<m
ist m < n(cid:48). Wir definieren g: N → N durch
<n <n
g((cid:96)) := (cid:96) für 0 < (cid:96) < p, g(p) := n(cid:48), g((cid:96)) := (cid:96) für p < (cid:96) < n(cid:48), g(n(cid:48)) := p.
Die Einschränkung von g ◦f auf N definiert eine Abbildung N → N und
<m <m <n(cid:48)
nachderInduktionshypotheseistdiesnichtbijektiv.Esfolgt,dassg◦f nichtbijektiv
ist. Aber g ist bijektiv, deshalb ist f nicht bijektiv.
Proposition 1.8. Für eine Menge A sind folgende Aussagen äquivalent:
(i) A ist unendlich.
(ii) Es gibt eine injektive Abbildung N → A.
10 1. Grundlagen und algebraische Strukturen
(iii) Es gibt eine injektive, nicht surjektive Abbildung A → A.
Beweis. (i) ⇒ (ii): Sei A eine unendliche Menge. Wir behaupten: für alle n ∈ N lässt
sichjedeinjektiveAbbildungN → AzueinerinjektivenAbbildungN ∪{n} → A
<n <n
erweitern. Eine injektive Abbildung f: N → A kann nicht surjektiv sein, weil A
<n
unendlich ist. Assoziiert zu f ist die nichtleere Menge M(f) := A(cid:114)im(f) und für
X ∈ M(f) haben wir folgende injektive Abbildung E : N ∪{n} → A:
n,f,X <n
(cid:40)
f(m), falls m ∈ N ,
<n
E (m) :=
n,f,X
X, falls m = n.
Nach dem Auswahlaxiom gibt es eine Abbildung
b: {Paare (n,f) mit n ∈ N und f: N → A injektiv} →
<n
{Paare (n,f) mit n ∈ N und f: N → A injektiv}
<n
mit b(n,f) ∈ {(n+1,E )|X ∈ M(f)} für alle n und f. Weil E eine Er-
n,f,X n,f,X
weiterung von f ist, bilden die durch b angegebenen sukzessiven Erweiterungen eine
injektive Abbildung N → A.
(ii) ⇒ (iii): Sei f: N → A eine injektive Abbildung und sei A := im(f). Dann
0
definiert f eine bijektive Abbildung f : N → A . Die Komposition
0 0
A −f0−→1 N −n(cid:55)→−−n+→1 N −f→0 A
0 0
ist injektiv aber nicht surjektiv. Die Erweiterung zu A → A durch X (cid:55)→ X für alle
X ∈ A(cid:114)A ist ebenso injektiv aber nicht surjektiv.
0
(iii) ⇒ (i): Es genügt zu zeigen: Ist A endlich, so sind alle injektiven Abbildungen
A → A auch surjektiv. Nach der Definition der endlichen Menge genügt es sogar zu
zeigen: Ist n ∈ N, so sind alle injektiven Abbildungen N → N auch surjektiv.
<n <n
Das machen wir durch Induktion nach n. Der Fall n = 0 ist trivial. Gegeben sei die
BehauptungüberAbbildungenN → N ,wirbetrachteneineinjektiveAbbildung
<n <n
f: N ∪{n} → N ∪{n}. Sei p := f(n). Wie im Beweis von Proposition 1.7 gibt
<n <n
es eine bijektive Abbildung g: N ∪{n} → N ∪{n} mit g(p) = n. Das bedeutet:
<n <n
(g◦f)(n) = n und (g◦f)(m) < n für alle m ∈ N . Nach der Induktionshypothese
<n
hat die Einschränkung von g ◦ f auf N ganz N als Bild. Es folgt, dass g ◦ f
<n <n
surjektiv ist, deshalb ist auch f surjektiv.
Definition. Eine Menge A heisst abzählbar unendlich, wenn es eine bijektive
Abbildung N → A gibt. Eine unendliche aber nicht abzählbar unendliche Menge
heisst überabzählbar.
Beispiel. Ist A eine Teilmenge von N, so ist A höchstens abzählbar, d.h., A ist
endlich oder abzählbar unendlich. Denn ≤ auf N ist eine Wohlordnung und falls A
unendlich ist, kann damit eine ordnungserhaltende (d.h., ≤-respektierende) bijektive
Abbildung N → A definiert werden.