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Römische Literatur der Augusteische Zeit: Eine Aufsatzsammlung PDF

76 Pages·1961·19.125 MB·German
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DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN SCHRIFTEN DER SEKTION FÜR ALTE RTUM S WI S S E N SCHAFT 22 RÖMISCHE LITERATUR DER AUGUSTEISCHEN ZEIT EINE AUFSATZSAMMLUNG BESORGT VON JOHANNES IRMSCHER UND KAZIMIERZ KUMANIECKI AKADEMIE-VERLAG - BERLIN 1960 Johannes Irmscher ist Mitglied der Sektion für Altertumswissenschaft Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Redaktor dieses Bandes: Kurt Treu Alle Rechte vorbehalten insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen Copyright 1959 by Akademie -Verlag GmbH, Berlin Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 1, Leipziger Str. 3 — 4 Lizenz-Nr. 202. 100/76/60 Satz, Druck und Einband: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnummer: 2067/22 Printed in Germany ES 7 M Vorwort Im Dezember 1958 trat das Komitee zur Förderung der klassischen Studien in den sozialistischen Staaten mit einer in der alten Huma- nistenstadt Erfurt durchgeführten wissenschaftlichen Tagung zum ersten Male vor die weitere Öffentlichkeit. Eines der Leitthemen der Konferenz behandelte Probleme der römischen Literatur in der Augusteischen Periode. Die neun Vorträge, welche zu diesem Thema von Fachvertretern aus Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und der Deutschen Demokratischen Republik gehalten wurden, erfaßt das vorliegende Protokoll zu einem Teil im vollen Wortlaut, zum anderen Teil — soweit für die Veröffentlichung von vornherein ein anderer Ort ins Auge gefaßt war — in ausführlichem Resümee. Um die sprach- liche Glättung sowie um die redaktionelle Bearbeitung ist Dr. Kurt Treu in bewährter Weise bemüht gewesen. 22. 5.1959 Die Herausgeber Inhalt Ladislav Varel, Praha Horatiana 1 Boiivoj Borecky, Praha Some Occupations in the Poetry of Horace (The Influence of the Craftsman's Manual Work on the Imagination of Horace) 9 Kazimierz Kumaniecki, Warszawa Martiis caelebs quid agam Kalendis (Zu Horaz Od. III 8) 15 Wiktor Steifen, Poznan Kritische Bemerkungen zu Suetons Vita Horati 18 Lidia Winniczuk, Warszawa Cornelius Gallus und Ovid 26 Werner Krenkel, Rostock Zu Vergil, Ecl. 3,104—105, und seinem Erklärer Asconius Pedianus . . 36 Samuel Szadeczky-Kardoss, Szeged Zur Frage der griechischen Vorbilder der römischen Elegie 39 Franz Dornseiff, Leipzig Die sibyllinischen Orakel in der Augusteischen Dichtung 43 Helmut Wilsdorf, Freiberg/Sa. Der Bergbau als literarisches Motiv bei den römischen Dichtern . . .. 52 Horatiana LADISLAV VABCL, Praha Da ich in diesem Beitrage nicht allzuweit ausholen darf, muß ich mich damit begnügen, daß ich ein Problem der Horazforschung lediglich andeute, das mir wichtig scheint, wenngleich nicht ohne den Versuch, eine Lösung, wenn auch tastend, vorzubringen. Als Ausgangspunkt wähle ich die Be- hauptungen über die Poetik Horazens, mit welchen einer ihrer besten Kenner, nämlich Friedrich KLINGNER, vor einem Viertel jähr hundert hervortrat. Es ist ein wenig mein eigenes, persönliches Problem. Als ich nämlich vor etwa einem Jahrzehnt meine Vorlesungen über die römische Literatur des Augusteischen Zeitalters vorbereitete, mußte ich mich selbstverständlich auch mit den Artikeln über die Horazische Dicht- kunst bekanntmachen, die KLINGNEB in der „Antike"1) abgedruckt hatte. Diese Artikel haben auf mich — ich gestehe es ganz offen — einen großen Eindruck gemacht. Seitdem quäle ich mich mit den darin enthaltenen Ideen ab, ringe mit ihrem Autor sozusagen wie Jakob mit dem Engel. Worum handelt es sich bei diesem Ringen? Ich ziele dabei nicht so sehr darauf hin, die Thesen KLINGNERS einfach zu widerlegen. Nein, ich möchte vielmehr seine Ausführungen, das Wertvolle in ihnen, mit dem Begriffssystem des historischen Materialismus womöglich in Einklang bringen. Es ist keines- wegs eine vergebliche Mühe, wie es jemandem vielleicht scheinen dürfte. Aber, urteilen Sie selbst! Wir können mit einer Frage beginnen: Woraus ergab sich die Stärke des Einwirkens von KLINGNERS Thesen? Die Ant- wort auf diese Frage könnte lauten: Aus dem gelehrten Nachdruck, mit welchem dem seit langem gebräuchlichen Urteile, daß Horazens Gedichte in zwei verschieden zu bewertende Hälften zu trennen sind, (um mit KLINGNER ZU sprechen) „die Einheit in allem Wandel des horazischen Lebenswerkes entgegengehalten wurde"2) — schon dieser Hang zu Monis- mus (monistischem Begreifen der Gedichte) kann jedem marxistischen Gedanken über Horaz, Die Antike 5, 1929, 23—44. — Horazische und moderne Lyrik, Die Antike 6, 1930, 65—84. — Horaz, Die Antike 12,1936, 65—83. 2) Die Antike 6, 1930, 65. 1 Köm. Lit. 2 LADISLAV VABCL Forscher munden! Sie ergab sich aber auch aus der Art und Weise, wie diese These von KLINGNER begründet wurde (wenn auch diese Begründung nicht theoretisch gehalten war). Wir wissen ja, daß wir uns vor jedem solchen Vorgehen hüten müssen, welches als „Vignettenankleben" bezeichnet werden könnte, d. h. vor einem formalistisch klassifizierenden Dogmatismus im Beurteilen fremder An- schauungen. Wir fühlen uns jedoch berechtigt, jede wissenschaftliche Methode nach ihrem Ausgangspunkt und der Art, wie der Autor sie hand- habt, zu bewerten. KLINGNERS Argumentation können wir nun im ganzen mit gutem Ge- wissen als eine recht materialistische bezeichnen — wenn man auch am passendsten von einem elementaren Materialismus sprechen würde. Ich be- zeichne die Argumentation KXJNGNERS deshalb als materialistisch, weil er sowohl den anfänglichen Antrieb zum Dichten bei Horaz als auch die Faktoren, welche sich in weiterem Fortentwickeln Horazischer Dichtung geltend machten, aus realen, konkreten historischen Bedingungen herleitet. Gestatten Sie mir, bitte, an dieser Stelle ein wenig abzuschweifen, um einem üblichen Einwand zu begegnen. Fast alle wissenschaftlichen Arbeiter, die in ihrem Forschen ähnlich wie KLINGNER verfahren, nehmen am Ter- minus .materialistisch' Anstoß. Sie meinen, es wäre angemessener, anstatt .materialistisch' z. B. .realistisch' zu sagen oder schreiben. Diesem Ein- wand pflegen die Marxisten folgendermaßen zu entgegnen: Es scheint viel- leicht, daß es sich in diesem terminologischen Streite nur um geringfügige Feinheiten handelt. In der Tat aber verfallen die Gegner des Terminus .materialistisch' in einen weitverbreiteten Irrtum. Sie legen nämlich jedem Materialismus die Züge bei, welche nur von einem groben, vulgären Mate- rialismus gelten können; sie stellen sich einfach den Materialismus zu stoff- lich vor. Da aber .Materie' im philosophischen Sinne für die Marxisten nur ,objektive Realität' bedeutet, ist es augenscheinlich nicht notwendig, als Gegensatz zum Terminus ,idealistisch' einen anderen Terminus zu suchen (z. B. eben .realistisch'). Im Gegenteil: es bedeutete, den wahren Sach- verhalt zu verschleiern, daß es nämlich in der Frage vom Verhältnis des Seins und des Bewußtseins nur zwei Möglichkeiten gibt, entweder die .materialistische' (Sein primär, Bewußtsein sekundär, vom Sein bedingt) oder die ,idealistische' (Bewußtsein primär, Sein sekundär, vom Bewußt- sein bedingt; oder aber es kann diese Alternative ,kryptoidealistisch' auf- treten: Sein und Bewußtsein zugleich primär). Somit können wir die Frage nach dem materialistischen Charakter der Argumentation KLINGNERS als gelöst ansehen. Denn man kann nach KLINGNERS Meinung die Anfänge des Dichtens bei Horaz nur dann richtig begreifen, wenn man sein Anlehnen an Archilochos und Lucilius als einen Protest gegen die gleichzeitige gesellschaftliche Situation nimmt, und zwar Horatiana 3 gegen ihren Ausdruck in der neoterischen, damals modernen Dichtkunst. Das bedeutet aber zugleich eine negative Beurteilung der moralischen Haltung der Neoteriker seitens des Horaz, weil sie in seinen Augen mit ihrem Dichten den zeitgenössischen moralischen Verfall der römischen Ge- sellschaft eher zu vertiefen als zu hemmen verhalfen. Damit polemisiert KLINGNER sichtlich, wenn auch nicht ausdrücklich, gegen mechanisches Hinnehmen des Horazischen Selbstzeugnisses (Epist. II 2, 51 f.: paupertas impulit audax, ut versus facerem). Ausdrücklich dagegen protestiert KLINGNER gegen die (ich möchte hinzu- fügen: mechanistische) Auslegung des Beweggrundes, der den Dichter dazu brachte, später eine andere Form des Ausdrucks seiner Gedanken zu wählen. Es ist die Frage seines Weges von Archilochos zu Alkaios (und der archaischen Lyrik überhaupt). KLINGNER gibt zwar zu, daß Horaz manches Gedicht unter der Einwirkung seiner literarischen Vorbilder schrieb, weist aber jene Annahme als unannehmbar ab, daß die epodische Form durch die lyrischen Formen der Oden bei Horaz infolge einer inneren Logik der literarischen Entwicklung abgelöst wurde. Es darf also nicht als natürlich („logisch") gelten, daß die archaische griechische Lyrik als Muster für die Horazische Poesie dem Archilochos folgte — daß sozusagen in Horazens Ontogenese als Dichter die Phylogenese der Lyrik wiederholt wurde. Nach RLINGNERS Meinung ist dieser Übergang von einem Stadium der Horazischen Dichtkunst zum anderen auf eine ganz andere Weise zu moti- vieren und zu erklären; er wurde eben durch die Änderungen in den mate- riellen Verhältnissen des Dichters, aber auch in denjenigen der damaligen politischen Situation bedingt. So konnten wir also materialistische Elemente, eine echt materialistische Erklärungsweise bei KXINGNER feststellen. Dies sei unterdessen genug. Jetzt wollen wir uns dem Probleme von einer anderen Seite nähern. Man darf sagen, und zwar ganz mit Recht sagen, daß Horaz in KLINGNER einen kongenialen Interpreten gefunden hat. KXINGNER hat nämlich die subjek- tiven Antriebe moralischer Ordnung klar erfaßt und ausgedrückt, welche den spezifischen Charakter der Horazischen Dichtkunst in allen ihren Wand- lungen ausmachen. Kongenial! Was verstehen wir unter diesem Ausdruck, der sehr leicht eine idealistische Erklärung zuläßt, ja sogar sozusagen zu erheischen scheint? Kongenialität ist sicherlich nicht eine Realität (Entität) bloß psychischen — oder sogar geistigen — Ranges, die durch nichts bedingt wäre; von einer Geistesverwandtschaft dürfen wir nur in dem Sinne reden, wenn zwei Künstler (oder der Künstler und sein Interpret) unter analogen geschicht- lichen Bedingungen zu demselben oder doch sehr ähnlichem Bewerten der auf sie einwirkenden Dinge gelangen. 1* 4 LADISLAV VABCL Prüfen wir von diesem Gesichtspunkte aus das Verhältnis zwischen Horaz und KLINGNER, ihre Geistesähnlichkeit, so kommen wir zu folgendem Er- gebnis : Es ist kein Wunder, daß gerade am Ende der zwanziger und am An- fang der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts und gerade in Deutschland die Horazischen Gedichte solch eine durchdringende Beleuchtung erreichten — daß man in die Versuchung gerät, von einer Röntgendurchleuchtung zu sprechen. Denn dies war eine Zeit, in der KLINGNERS Vaterland unter den Wirkungen der Niederlage im ersten Weltkriege und der darauf folgenden Krise nicht nur materiell, sondern auch moralisch litt. Dieses von ihm be- obachtete Leiden hat KLINGNERS geistige Sehkraft geschärft und ihm er- laubt, alle die Töne abzulauschen, die in die Gedichte Horazens von seiner Verzweiflung und seinen schüchtern aufwachenden Hoffnungen ein- gezaubert worden sind. Denn — das dürfen wir sagen — KLINGNERS Horaz ist in mancher Hinsicht niemand anderer als KLINGNER selbst, mit all seinen bangen Fragen und seiner Angst um die Zukunft Deutschlands, mit seinen Ratschlägen, wie dem hart geprüften Vaterland zu helfen, wie es zu retten sei. Denn nicht nur der Poet selbst, sondern auch sein Interpret (d. h. ihr Be- wußtsein) ist zeitbedingt. Das bedeutet aber, daß dasselbe, was KLINGNERS Stärke vorstellt, auch eine Begrenztheit seiner Sicht mit sich bringt. Die psychologische Vertiefung von KLINGNERS Interpretation führt zu ein- seitigem, übertriebenem Bewerten der subjektiven Faktoren nicht nur im Horazischen dichterischen Schaffen, sondern auch im historischen Verlauf der Anfänge der augusteischen Zeit. Zuviel Gewicht ist auf die Willensakte als Beweggründe gelegt, welche den römischen Dichter bei seiner Ent- scheidung leiteten. Es steckt darin ein gewisser Hang zum Voluntarismus, der bei einem Mitgliede der um die Revue „Die Antike" gesammelten Gruppe der Gelehrten nicht überrascht. Bei allem anerkennenswerten Idealismus ihrer humanistischen Bestrebungen darf man nicht die Augen vor der Beschränktheit ihres Gesichtskreises schließen, welche ihnen ver- wehrte, in materiellen Bedingungen nicht nur (im besten Falle) gleichwertige, sondern gerade die entscheidenden Ursachen des historischen Prozesses zu sehen, der sowohl das objektive (ökonomische, politische) als auch das subjektive (psychische, kulturelle) Geschehen einbezieht. Es ist bekannt, daß die Konzentration der Intellektuellen auf das Erforschen der subjektiven Seiten des geschichtlichen Werdens daran Schuld trägt, denn das führt dazu, daß die Intellektuellen gerne dem Subjektiven autonome Entwick- lung(-sgesetze) zuschreiben. Was ebenso von KLINGNER wie von Horaz gilt. Wir können also KLINGNER einer Inkonsequenz zeihen, da er auf eine im Grunde materialistische Argumentation einige subjektivistische (idealistische) Elemente einpfropfte. Das wurde eben durch die unrichtige Bewertung des Verhältnisses der subjektiven und objektiven Elemente bewirkt.

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