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für ostwissenschaftliche *-
und internationale Studien
Perceptions of the Soviet System
Astrid von Borcke
Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FUR
OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN
herausgegebenen VerölTentlichungen geäußert werden, geben
ausschließlich die Auffassung des Autoren wieder.
<© 1984b y Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und
internationale Studien, Köln.
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nur mit vorheriger Zuslimmung des Bundesinsitut sowie mit Angabe
des Verfassers und der Quelle gestattet.
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C o n t e n ts
Pa9e
Kurzfassung I
Differing Perceptions of the Soviet System 1
The One-Party-Regime: A New Kind of Political 2
System
The "Nature" of the System: Toward a Macro- 6
Perspective
Conclusion: Why a Macro-Perspective is 11
Necessary
Summary 15
June 1984
r
Astrid von Borcke
Perceptions of the Soviet System
Bericht des BlOst No. 22/1984
Kurzfassung
Dieser "Bericht" entstand als Referat für das zweite Bun
destag-US Congress-Treffen unter der Ägide des German
Marshall Fund, "German and American Perspectives toward
the Soviet Union", das vom 26. bis 28. Mai 1984 in Salz
burg stattfand.
Ergebnisse;
1. Man kann schwerlich von spezifisch deutschen im Gegensatz
zu spezifisch amerikanischen Sichtweisen des Sowjet
systems, dessen "Natur" bzw. Struktur und Dynamik sprechen.
In der Tat gibt es kaum eine Art systematischer "Makro
theorie" (oder auch nur Typologie) des postrevolutionären
Einparteiregimes - eine ernstliche heuristische Lücke in
der Sowjetunion-Forschung.
Denn bei der Deutung dieses Systems, seiner Politik und vor
allem seiner wahrscheinlichen Entwicklung hat es erhebliche
Differenzen gegeben - und gibt es diese in gewissem Maße
bis heute. Letztlich aber beruhen alle Urteile über die
sowjetische Politik und Entwicklung doch auf einer Art
"Makrotheorie" (bzw. Kryptotheorie).
2. Was also bewirkt, daß das Sowjetsystem in vielen Hinsichten
sui generis ist? Und wo teilt es Züge und Interessen mit
westlichen, liberal-demokratischen politischen Systemen?
- II -
3. Die Herrschaft der einen Partei hat ihre eigentümliche
innere Logik: Anspruch der Partei auf ein politisches Mono
pol, das Bedürfnis nach einer ideologischen, "überempirischen",
scheindemokratischen Legitimierung, dadurch bedingt: die
Notwendigkeit der Informationskontrolle, eine besondere Kon
zeption von "Ordnung" und "Sicherheit", besondere Voraus
setzung der Stabilität, kurz, besondere Stärken, aber auch
besondere Probleme des Systems.
4. Bezeichnenderweise haben die Grundstrukturen dieses politi
schen Regimes erstaunliche Stabilität gezeigt, auch wenn
es in seinem modus operandi, in seinen Funktionsweisen, er
hebliche Schwankungen gegeben hat.
5. Inzwischen hat sich der stalinistische Totalitarismus zu
einer Form von konservativem Autoritarismus gewandelt.
Doch immer wieder auflebende Hoffnung auf eine Liberali
sierung haben sich nicht wirklich erfüllt, mag auch der
früher behauptete "Monolithismus" des Regimes immer hohler
geworden sein, denn sowohl bürokratische als auch gesell
schaftliche Kräfte haben zunehmend an Eigendynamik gewon
nen.
6. Auch in der Außenpolitik mußte das Regime sehr schnell
Konzessionen an die Realitäten und das heißt vor allem an
die raison d'etat machen, und das ganz besonders im Atom
zeitalter. Andererseits hat es auch hier bis heute keine
Rücken'twicklung zu einem bloß "traditionellen" Staat gegeben.
Auch in diesem Bereich haben die Besonderheiten bzw. "das
Wesen" des sich ideologisch legitimierenden Parteistaats
ihre Auswirkungen gehabt - auf die Interessen, Perzeptionen, For
mulierung und Implementierung der Politik.
7. Dieses Regime ist heute weder totalitär noch pluralistisch;
weder eine persönliche Diktatur noch eine "klassische" Büro
kratie; weder eine "Sache" oder eine "bewaffnete Ideologie"
noch ein traditioneller Staat; weder rein defensiv noch ein
"wissenschaftlicher Expansionismus" nach Meisterplan.
8. Man mag sich noch über Art und Funktion seiner Grundstrukturen
einigen, es wird schwerlich perfekten Konsens über das Aus
maß der sowjetischen Herausforderung geben, über die wahr
scheinliche künftige Entwicklung des Sowjetsystems, ja
nicht einmal über alle Stoßrichtungen seiner laufenden
Politik.
9. Was die Sowjetunionforschung und Politikwissenschaft vor
allem leisten können, ist die Prämissen der verschiedenen Ur
teile und Theorien über das Sowjetsystem abzuklären. Eine
solche Abklärung ist doppelt bedeutsam, nicht nur theoretisch-
- Ill -
akademisch, sondern auch praktisch-politisch. Sie wird zur
Schaffung (bzw. Bestätiqunq) eines wahrscheinlich soqar
recht weitreichenden Minimalkonsenses über das "Wesen" bzw.
die Struktur und Dynamik des sowjetischen Systems beitraqen.
Das aber dient auch der Schaffunq bzw. Wahrunq des nötiqen
"Ballasts" in der öffentlichen Diskussion über die sowjeti
sche Politik und hilft, die öffentliche Meinunq vor allzu
qroßen Pendelausschläqen zu bewahren(wie diese für die ameri
kanischen Diskussionen seit den Taqen von Nixon und Ford
typisch qewesen sind). Zuqleich aber sollte eine derartiqe
"Makro-Perspektive" auch einen präziseren Bezugsrahmen schaf
fen, der Wandel und neue Entwicklungen verdeutlichen
hilft: So ist die Sowjetunion unter Breshnew und Tschernenko
natürlich nicht mehr dieselbe wie die zu Stalins Tagen.
Eine fundierte Makro-Perspektive ist also eine unerläßliche
Hilfskonstruktion" (es wird sich natürlich nie um Theorie
im strengen Sinne eines Systems nomologischer Hypothesen
handeln, was allein exakte Prognosen erlauben würde).
Makro-"Theorie" ist die beste Versicherung gegen "Ethno-
zentrismus" und "Ideologie", also gegen die bloße Projektion
der eigenen (womöglich gar nicht sonderlich relevanten) Lebens
erfahrungen, Hoffnungen und Ängste ,und gegen die Abschottung
der Urteilsbildung und Information, kurz gegen Vorurteile.
Differing Perceptions of the Soviet System
Henry Kissinger once rejected the notion that Western
foreign policy had to start out with some well-founded
conception of the Soviet political system: instead of
being guided by its own purposes and interests, under
this condition, he felt, it might degenerate into squabbles
among sociologists. However, in order to manage the super
power relationship, a realistic assessment of the "other
side" is necessary, too, as every good strategist knows.
All judgments about Soviet policies and politics do procede
from some basic assumptions, some "theory" about this
system. Is the regime "totalitarian" and expansionist or
is it defensive, conservative, merely authoritarian? Can it
be influenced from the outside, and to what extent? What is
the respective weight of potential political and economic
levers at the disposal of the West? Is the Soviet system
capable of "learning" at all? Or is it an ossified bureau
cratic structure, that has reached its historical limits
(as the Italian Communist party feels), basically incapable
of major innovation? How stable is it? Can such a system
last "a thousand years," as Aleksandr Zinov'ev wrote in his
great parody, Yawning Heights, or is it on the verge of
great transformations, possibly even of de-stabilization
and collapse, a "bizarre chapter in human history," as
Reagan called it? Do leaders make a difference? Or are they
just the puppets of the "system," the apparatuses, the
nomenklatura, its new "ruling class?" Behind questions and
judgments of this kind there are basic assumptions as to the
"nature" of the system, in modern parlance, its structure
and dynamics. However, one can hardly speak of specifically
German vs. specifically American perspectives on this matter.
- 2 -
In fact, since the breakdown of the Cold War consensus
about the Soviet system, embodied in the notion of
"totalitarianism," questions of political "macro-theory"
have no longer been particularly en vogue. To positivists
they smack of ontology, metaphysics, value judgment and
sheer subjectivism. No generally agreed upon paradigm has
taken the place of the conception (or typology) of
totalitarianism, especially none with regard to the post-
Stalin Soviet Union. Such a conception is important,
however, in order to assess the extent of continuity and
discontinuity in the evolution of the Soviet regime. Lack
of macro-theoretical discussion,dealing with the "identity"
of the whole political system, is a serious gap in Soviet
studies, since both, "academic" studies and political
science, on the one hand, as well as "practical" politics,
on the other, do need some such basic conception, some
perspective of the whole, or in fact they will use crypto-
theories, their own hopes and fears instead. Incidentally,
communist functionaries and theoreticians are only too
aware that theirs is a different system, the very conception
of "system" implying some inner logic, after all (in contrast,
for example ,to a mere agglomeration).
The One-Party-Regime; a New Kind of Political System
Indeed, the one-party-regime, founded by Lenin, can be
considered a historically new political phenomenon. The
"vanguard" party of professional revolutionaries was Lenin's
special contribution to twentieth century politics. However,
Lenin did not yet have a convincing and viable conception
of the future political order: the "dictatorship of the