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Gesetz Urbild und Mythos PDF

83 Pages·1951·10.466 MB·German
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GESETZ URBILD UND MYTHOS VON W.F.OTTO MCMLI J.B.METZLERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG STUTTGART ISBN 978-3-476-98833-1 ISBN 978-3-476-98832-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-98832-4 © 1951 Springer-Verlag GmbH Deutsch/and Ursprünglicherschienen bei ]. B. M etzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag G.m.b.H., Stuttgart VORBEMERKUNG «Das Gesetz., das Konig iiber al/es ist, Die Sterblichen und die Unsterblichen, Fiihrt rechtfertigend das Gewaltsamste Mit iiberlegenster Hand.» So las man in einem .uns verlorenen Gedicht Pindars (fr. 169). Wir iibersetzen das griechische Wort v6µo<; mit «Gesetz». Aber es bedeutet eigentlich die Ordnung. Eine iibergottliche Ordnung ist es, von der Pindar sagt, daB sie auch das, was uns gewalttatig und ungerecht erscheint, koniglich rechtfertigen konne. An eine Ordnung, der auch die Gotter unterworfen sind, ap pelliert Hekabe in derTragodie des Euripides (799). Die ungliick liche Konigin, die nach dem Fall Trojas zur Sklavin geworden ist, fleht den Sieger Agamemnon an um ihr Recht gegen den Thrakerfiirsten Polymestor, der aus Habgier ihr Kind ermordet hat: «Wtr sind nur Sklaven und sind ohne Macht, Doch macbtig sind die Gijtter und die Ordnung, Die sie beberrscbt; denn nacb der Ordnung glauben An Go"tter wir und leben unterscheidend, Was Recht und Unrecht ist. » Wie das menschliche Dasein, so hat auch die Natur ihre unver briichlichen Ordnungen oder Gesetze. Krankheit entsteht, sagt ) 5 ( Platon (Tim. 8 3 E), wenn dem Blut nicht die der Naturordnung entsprechenden Aufbaustoffe zugefohrt werden, sondern solche, die ihr widersprechen -rou<,; -rTj<,; rpuaero<,; v6µ.ou<,;).Als die Sophi sten die iiberkommene Sittenlehre als menschliche Satzung von einer in der Natur begriindeten Ordnung unterschieden, da hiefi es, dafi der Starkere immer im Recht sei, denn er handle nach dem Gesetz der Natur v6µ.ov -rov 'tij<,; rpuaero<,;), und dafor glaubte man sich sogar auf jenes Pindar-Wort berufen zu kon nen (Platon, Gorg. 48 3 E). Dafi eine unbedingte Notwendigkeit ( iivi£yx71) in allem Geschehen walte, kam bei den Griechen friih zum Ausdruck. Ananke selbst ist in der Orphik, bei Parmenides und Empedokles eine Gottin. Ihr sind, wie es in Aischylos' Pro metheus (5 14 ff.) heifit, auch die Gotter untertan. Sie ist es, die in dem beriihmten ] enseitsmythos am Schlufi des Platonischen «Staats» (617 D) dasWort des Schicksals for die noch ungebore nen Menschenseelen spricht. In Korinth hatte sie so gar ein Heilig tum zusammen mit der Gottin «Gewalt» (Blrx; Pausan. z, 4, 6). Die «Notwendigkeit der Natur» (iiviXyx.71 rpuaero<,;) wird einmal bei Euripides (Troad. 884 ff.) der gottlichen Allmacht gleichge setzt. Wieder ist es die ungliickliche Konigin Hekabe, deren Ge danken sich zu den Hohen der gottlichen Weltregierung erheben, diesmal triumphierend, dafi Helena, die Anstifterin alles Bosen, der verdienten Rache verfallen soll: «Du, der die Erde in den Tiefen halt Und auf ihr thront, wer du auch hist, schwer zu entratseln, Zeus, ob Naturnotwendigkeit, ob Menschengeist, Dich bet' ich an, denn al/es Sterbliche fiihrst du, Lautlosen Weges schreitend, in Gerechtigkeit. » Das bedeutet nicht, wie man leichtfertig sagt, dafi Zeus fur den aufg eklarten Menschen nun nichts anderes mehr sei als die Ge setzmafiigkeit der Natur, sondern umgekehrt, dafi die Naturnot wendigkeit nichts anderes ist als Zeus, das hochste Gottliche. ) 6 ( Es hat lange gedauert, bis man . sich im griechischen Rechts leben dazu verstand, schriftlich formulierte Satzungen, also eigentliche Gesetze, zugrunde zu legen. An ihrer Stelle stand ur spriinglich das Vorbild, das Herkommen, der Brauch, die ihre verpflichtende Heiligkeit in sich selbst trugen. Das Gesetz geht auf eine gesetzgeberische Person, eine Autoritat mit Strafgewalt zuriick. Eine solche Autoritat warder alleinherrschende Gott des Alten Testaments. So hat er denn auch zu den altheiligen Ord nungen, die die Ehre der Gottheit und der Eltern betreffen und allen alten Volkern gemeinsam sind, eine Reihe eigentlicher Ge setze hinzugefogt. Bei andern Volkern ging die Gesetzgebung In von machtigen Konigen aus. Griechenland lag sie zuerst in den Handen hochgeachteter Manner, denen man for eine gewisse Zeit die Macht iiberantwortete. Aber den Gesetzen haftete doch, eben weil sie Satzungen waren, immer etwas Zeitgebundenes, Willkurliches an, im Gegensatz zu den alten, als ewig empfunde nen Ordnungen, die die Griechen <mngeschriebene » (i:XyptXm:a) nannten, und die eigentlich auch nicht aufschreibbar waren. So glaubt die Sophokleische Antigone, dem Staatsgesetz, das mit dem Tode droht, die <mngeschriebenen und unerschiitterlichen Ordnungen der Gotter» entgegensetzen zu miissen: «Die nicht von heute nur und gestern, sondern immerdar Lebendig sind, und niemand weij von wannen her.» ( 456) In Griechenland ist der Unterschied langere Zeit auch im Namen festgehalten worden. Die alten Gesetzgeber nannten ihre Ge setze « Satzungen » (ll·EO"Jlol), und erst in der Gesetzgebung des Kleisthenes, also kurz vor den Perserkriegen, wurden die Staats gesetze mit dem altehrwiirdigen Namen for Ordnungen als v6JLOL bezeichnet. Das Umgekehrte ist geschehen, wenn man die Ordnungen des menschlichen Verhaltens iiberhaupt als Gesetze bezeichnete, wie wenn auch hinter ihnen ein Gesetzgeber stiinde. So sprach man ) 7 ( in Rom, wo das Wort lex von Anfang an das von staatlicher Auto ritat gegebene und geschriebene Gesetz bezeichnete, auch von Gesetzen (leges) der Rede, der Grammatik, der Verskunst, der Philosophie usw. Unter dem Einflu13 der Bibel wurde die sitt liche Haltung als Unterwerfung unter ein Gesetz aufgefa13t, nam lich unter das Gesetz Gottes. «Der innere Mensch», sagt Paulus (Rom. 7, 22), «erkennt das Gesetz Gottes gerne an; ich sehe aber ein anderes Gesetz in den Gliedern des Leibes, das dem Gesetz meines Geistes widerstreitet und mich gefangen gibt unter das Gesetz der Sunde in meinen Gliedern.» Und so konnte man end lich, auch ohne geradezu an einen gottlichen Gesetzgeber zu denken, von einem «Sittengesetz» sprechen. Aber je ernster und feierlicher das geschah, um so deutlicher bezeugte sich der Geist des alttestamentlichen Gottes, der seinem Volke die heiligen Ge setze for jegliches Tun und Lassen gegeben hatte. « Zwei Dinge », sagt Kant zum Beschlu13 der ,Praktischen Vernunft', «erfollen das Gemiit mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je ofter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschaftigt: der bestirnte Himmel iiber mir und das moralische Gesetz in mir.» Der bestirnte Himmel! Von der gottgewollten Ordnung, nach der die Sterne ihre Bahnen ziehen, haben schon die Alten gesprochen. «Die Sonne», sagt Heraklit, «wird ihre Ma13e nicht iiberschreiten, sonst werden die Erinyen, die Schergen der (gottlichen) Gerechtigkeit (Alx'Y)), ihr auf die Spur kommen. » Nun ist diese Ordnung ein Gesetz, und ein Gleichnis des dem Menschen Gegebenen, das auch gottlich ist, wenn auch Kant ihm diesen Namen nicht geben will, sondern es das Gesetz der Ver nunft nennt. In der sakularisierten Form ist dieser Gesetzesbe griff bekanntlich allgemein aufg enommen worden, indem man von Gesetzen der menschlichen Natur, des menschlichen Ver haltens, von psychischen und geistigen Gesetzen spricht. Damit kommen wir zu der Rolle, die der Gesetzesbegriff im naturwissenschaftlichen Denken der Neuzeit spielt. In allgemei- ) 8 ( ner Weise haben auch die Alten, wie wir sahen, vom Gesetz oder den Gesetzen der Natur gesprochen. So nennen auch unsere Dich ter die in der Natur begriindeten Ordnungen wegen ihrer Unver briichlichkeit Gesetze. In seinem Gedicht «Die Mu.Be» fohrt Hol derlin die furchtbaren Zerstorungen vor Augen, die «der ge heime Geist der Unruh», bewirkt: «der in der Brust der Erd' und der j\lfenschen Ziirnet und gart, der Unbezwungne, der alte Erobrer, Der die Stadte wie Lammer zerreijt, der einst den O!Jmpus Stiirmte, der in den Bergen sich regt und Flammen herauswirft, Der die Walder entwurzelt und durch den Ozean hinfahrt, Und die Schiffe zerschlagt, und doch in der ewigen Ordnung Niemals irre dich macht, auf der Tafel deiner Gesetze Keine Si/be verwischt, der auch dein Sohn, o Natur, ist, J1ilit dem Geiste der Ruh' aus Einem Schoje geboren.» Der alte Goethe schrieb einmal an Zelter: «]e alter ich werde, je mehr vertraue ich auf das Gesetz, wonach die Ros' und Lilie bliiht», und weist damit auf sein Gedicht in den «Chinesisch deutschen Jahres- und Tageszeiten» hin, das mit den Worten schlie.Bt: «Getrost! Das Unvergangliche, Es ist das ewige Gesetz, Wonach die Ros' und Lil ie bliiht. » Aber das Naturgesetz, so oft er auch davon spricht, gilt ihm als ein « geheimes », ein « heiliges Ratsel», wie er in der «Metamor phose der Pflanzen » sagt: «Alie Gestalten sind ahn!ich, und keine gleichet der andern; Und so deutet das Chor au/ ein geheimes Gesetz, Auf ein heiliges Ratsel. » ) 9 ( Welcher Begriff for ihn der hohere ist, zeigt die «Metamorphose der Tiere » an: <<Alie Glieder bi/den sich aus nach ew'gen Gesetzen, Und die seltenste Form bewahrt itn geheimen das Urbild. » Nicht von Gesetzen, sondern von «ldeen», also doch Urbildern, ist die Rede in dem Goetheschen Wort, das Riemer aufg ezeichnet hat: «In dem ungeheuren Leben der Welt, d. h. in der Wirklich werdung der Ideen Gottes (d enn das ist die wahre Wirklich keit) ... » Wenn nun in der Sprache der Wissenschaft jeder Vorgang in der Natur an ein spezifisches «Gesetz » gekniipft ist, und die Summe dieser Gesetze unser Wissen von der Natur ausmacht, wobei das Erkenntnisstreben darauf gerichtet ist, die Zahl der Gesetze durch Uber- und Unterordnung immer mehr zu redu zieren, so erhebt sich die Frage, was mit diesem Gesetzesbegriff eigentlich gemeint ist. Am scharfsten ist er in der neueren Zeit von Nietzsche im «Willen zur Macht» kritisiert worden: « Ich hiite mich, von chemischen ,Gesetzen' zu sprechen: das hat einen moralischen Beigeschmack» (630). «Das, was immer so und so geschieht, wird hier interpretiert, als ob ein Wesen infolge eines Gehorsams gegen ein Gesetz oder einen Gesetzgeber immer so und so handelte: wahrend es, abgesehen vom ,Gesetz', Freiheit hatte, anders zu handeln. Aber gerade jenes So-und-nicht-anders konnte aus dem Wesen selbst stammen, das nicht in Hinsicht auf ein Gesetz sich so und so verhielte, sondern als so und so be schaffen. Es heiBt nur: Etwas kann nicht auch etwas Anderes sein, kann nicht bald dies, bald anderes tun, ist weder frei noch unfrei, sondern eben so und so. Der Pehler steckt in der Hineindichtung eines Subjekts» (632.). Aber dabei ist nicht beachtet, daB gerade das Sosein eines Wesens es ist, das durch die sinnvolle Notwendigkeit seiner Ge- ) IO ( staltung den Gedanken an ein Gesetz nahelegt. So sprechen die « U rworte » Goethes van dem Gesetz des Wes ens : «Wle an dem Tag, der dich der Welt verliehen, Die Sonne stand zum Grujle der Planeten, Bist alsobald und fort und fort gediehen, Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. So mujlt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, So sagten schon Sibyl/en, so Propheten; Und keine Zeit und keine Macht zerstiickelt Gepragte Form, die lebend sich entJvickelt. » So wenig es cine bloBe Wiederholung im Sein gibt, so hat doch Ding seine Pragung for sich allein empfangen. Es hat sie gemeinsam mit unzahligen seinesgleichen, und auch diese Ge staltgruppe steht mit ihrer eigenen Pragung in unlOsbarem Zu sammenhang mit allen anderen. So hat der Gesetzesgedanke trotz der zweifellos problematischen «Hineindichtung eines Subjekts » seine Begriindung in der Wirklichkeit der Dinge selbst. Denn wenn er auch nichts anderes meinen sollte als eine feststehende Ordnung, so zwingt diese Ordnung selbst doch, iiber das Einzel wesen und sein Machtverhaltnis zu anderen hinauszudenken. So lange eine bestimmte Ordnung als solche ins Auge gefaBt wird, konnen wir nicht umhin, sie als eine irgendwie gesetzte, also als ein «Gesetz», zu denken, so wenig wir auch van einem Subjekt wissen mogen. Erst wenn wir von den Einzelordnungen zu hohe ren und hochsten aufsteigen, wird es immer fraglicher, ob der Gesetzesbegriff iiberhaupt noch einen Sinn hat. Da muB denn an seine Stelle ein anderer treten, den Goethe in den angefiihrten Versen iiber den Gesetzesbegriff stellte: das Urbild. Wenn also die Dinge so beschaffen sind, daB beide Begriffe, Gesetz und Urbild, jeder in seiner Weise recht haben, so fragen wir, wie sie sich denn zueinander verhalten und wie sie nebeneinander ) I I (

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