Table Of ContentDie chemische
Untersuchung und Beurtheilung
des Weines.
Unter Zugrundelegung der amtlichen,
vom Bundesrathe erlassenen
"Anweisung zur chemischen Untersuchung des Weiues"
bcarbeitet
von
.Dr. Karl Windisch,
Standigem Hiilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamte,
Privatdozenten an der Universitat Berlin.
Mit 33 in den Text gedruckten Figuren.
Berlin.
V e rIa g von J u 1 ius S p r i n g e r.
1896.
Vorwort.
Nur wenige Kapitel der Nahrungsmittel-Chemie haben sieh
bis in die Neuzeit einer so umfangreiehen und eingehenden
Bearbeitung zu erfreuen gehabt wie die Chemie des Weines;
iiberaus zahlreich sind die Abhandlungen, die sich mit der
Bestimmung oder dem Nachweise einzelner Weinbestandtheile
und mit der Beurtheilung der Untersuchungsergebnisse be
fassen. Verhaltnissmllssig friih brach sich die Ueberzeugung
Bahn, dass es nothwendig sei, beziiglich der bei der Unter
suchung des Weines anzuwendenden Verfahren gewisse Verein
barungen zu treffen. Es ergab sich namlich, dass zahlreiche
bei der Weinuntersuchung iibliche Verfahren nicht zu absolut
genauen Ergebnissen fiihrten, dass man aber zu relativ, ge
wissermassen konventionell richtigen Ergebnissen gelangte,
wenn man diese Verfahren stets peinlich genau in gleicher
Weise ausfiihrte. Ais bekanntestes Beispiel hierfiir kann die
Bestimmung des Extraktes in ausgegohrenen Weinen angefiihrt
werden. Aehnlich Hegen die Verhaltnisse auch bei anderen
Verfahren der Untersuchung, nicht allein des Weines, sondern
fast aIler iibrigen Nahrungsmitteln; in den Fallen, wo wirklieh
exakte Verfahren fehlen, muss man sich mit solchen behelfen,
die konventionell brauchbare Ergebnisse Hefern. Da gesetz
liehe Vorschrii'ten, die fiir die Untersuehung der Nahrungs
mittel u. s. w. massgebend waren, bis vor Kurzem nur fiir
einzelne Gegenstande (Untersuchung des Petroleums und Be
stimmung des Arsens in Farben) bestanden, konnten die Nah
rungsmittel-Chemiker die ihnen entgegenstehenden Schwierig
keiten nur auf dem Wege der freien Vereinbarung iiberwinden.
Dieser Weg wurde auch bei der Untersuchung des Weines
eingeschlagen. Hier sind die Vereinbarungen der bayerischen
1*
IV Vorwort.
Cbemiker vom Jabre 1885 zu nennen, die sieb eingebend mit
der Weinuntersuebung befassten. 1m folgenden Jabre (1886)
stellte eine gelegentlieh des III. osterreiehisehen Weinbau
kongresses in Bozen stattgehabte Versammlung osterreiehi
seber Oenochemiker und im Jabre 1887 der Verein schwei
zerischer analytiscber Ohemiker Grundsatze fiir die Unter
sucbung des Weines auf. Das gleiche Ziel batten die im J abre
1890 beim internationalen land- und forstwirtbschaftlichen
Kongresse in Wien gefassten Beschliisse. In einigen Landern
wurden durch Ministerialerlasse wenigstens fiir einzelne Unter
suchungsverfahren amtliche Vorscbriften erlassen, so z. B. in
Italien, Frankreich und Ungarn.
Fiir die deutscben VerhaItnisse am wicbtigsten und allein
massgebend wurden die Bescbliisse, die eine im Jahre 1884
von dem Kaiserlienen Gesundheitsamte einberufene Kommission
bervorragender deutscher Weinchemiker in Betreff der Unter
suchung und Beurtbeilung des Weines fasste. Die iibrigen
vorher erwabnten Vereinbarungen und amtlichen Vorschriften
stimmen mit den Bescbliissen der Kommission des Gesund
heitsamtes vom Jabre 1884 fast voIlkommen iiberein. Die
"Reicbsvereinbarungen" bedeuten den ersten wicbtigen Ab
schnitt in der Weinchemie. Die vor dem Jabre 1884 ausge
fiihrten Weinuntersuchungen sind fiir die Erkenntniss dieses
Kapitels der Nabrungsmittel-Obemie theilweise nur von ge
ringer Bedeutung, da die damals iiblicben Verfahren von den
heute angewandten vielfacb wesentlich verscbieden waren j
jeden Werth verlieren diese alteren Untersuchungen, wenn die
dabei angewandten Verfahren nicht angegeben sind. Seit
dem Jahre 1884 bedienten sich aIle deutschen Ohemiker der
von der Kommission des Gesundheitsamtes festgesetzten Ver
fahren und auch die auslandischen Ohemiker richteten sich
im Wesentlichen nach ihnen. Eine gesetzlich bindende Kraft
kam diesen Vereinbarungen indessen nieht zu.
Von einschneidender Bedeutung fiir die Weinchemie wurde
das Gesetz vom 20. April 1892, betreffend den Verkebr mit
Wein, weinhaltigen und weinahnlichen Getranken: es bildet
den zweiten bedeutsamen Abschnitt in der Weinchemie. Durch
das Weingesetz wurde die Beurtheilung der Weine, die vorher
in manchen Punkten auf einem sehwankenden, unsicheren
Boden stand, in bindender, massgebender Weise geregelt.
Durch das Gesetz wird klar und deutlich festgestellt, was als
erlaubte Behandlung des Weines und was als Verfalschung
Vorwort. v
desselben anzusehen ist. Diese Wirkung des Gesetzes ist all
seits mit Genugthuung anerkannt worden.
Aber auch fUr die Untersuchung des Weines ist das
Wein!;Lesetz yom 20. April 1892 von nicht zu unterschatzender
Bedeutung. Durch Ji. 12 dieses Gesetzes ist der Bundesrath
ermachtig:.t worden, Grundsatze aufzustellen, nach welchen die
zur AusfUhrung dieses Gesetzes, sowie des Gesetzes yom
14. Mai 1879, betrelIeIid den Verkehr mit Nahrungsmitteln,
Genussmitteln und G"ebrauchsgezenstanden, in BezuE auf Wein,
weinhaltige und wemannliche tietranke ert'orderlichen Unter
suchungen vorzunehmen sind, 1m Verfolg dieser· Ermach
tigung berief der Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamtes
eine Kommission von Vertretern der W einchemie, des Wein
baues und des Weinhandels, die bereits im Juni 1892 zu
sammentrat, urn die Verfahren der Weinuntersuchung festzu
stellen. Das Ergebniss dieser Berathung, das im Gesundheits
amte weiter verarbeitet wurde, bildet die Grundlage der am
11. Juni 1896 yom Bundesrathe festgestellten und unter dem
25. Juni 1896 vom Reichskanzler verofi'entlichten amtlichen
·"Anweisung zur chemlschen Untersuchung des "\yeines".
Die amtliche "Anweisung" unterscheidet sich von der
"Reichsvereinbarung" vom Jahre 1884 wesentlich dadurch,
dass die Untersuchungsverfahren genau bis in die kleinsten
Einzelheiten beschrieben worden sind. Dies muss als ein Vor
zug der neuen V orschriften bezeichnet werden. Die Verein
barungen yom Jahre 1884, auf die im Einzelnen hier nicht
eingegangen werden soIl, waren vielfach nur skizzenhaft, oft
auch nicht ganz korrekt und vollstandig, und lies sen den
Nahrungsmittel-Chemikern in vielen Punkten mehr freien Spiel
mum, als im Interesse der iiberall gleichmassigen Untersuchung
des Weines als wiinschenswerth erscheinen muss. Die neuen
Verschriften zeigen diesen Mangel nicht; aIle Verfahren sind
so genau beschrieben, dass ein Zweifel iiber die AusfUhrungs
weise nicht auftreten kann. Da die amtliche "Anweisung zur
chemischen Untersuchung des Weines" bindende Kraft hat
und die Nahrungsmittel-Chemiker jetzt verpflichtet sind, die
Weinuntersuchungen nach den vorgeschriebenen Verfahren
auszufiihren, bedarf die exakte Fassung der V orschriften kaum
del' Begriindung.
Dass bei del' Feststellung der einzelnen Untersuchungs
verfahren die Fortschritte der analytischen Weinchemie bis in
aie neueste Zeit in sorgfaltigster Weise Beriicksichtigung ge-
VI Vorwort.
funden haben, bedarf kaum del' Erwahnung; die in die "An
weisung" aufgenommenen Verfahren zur Bestimmung del' Ge
sammtsaure, del' Gesammtweinsteinsaure u. s. w., ferner del'
gesammten schwefligen Saure und del' aldehydschwefligen
Saure lehren, dass auch die neuesten Erl'ungenschaften del'
Weinchemie fiir die amtlichen Vorschriften nutzbar ge
macht worden sind. Es darf mit Recht behauptet werden,
dass nicht eines del' neueren Verfahren del' Weinanalyse bei
del' Ausarbeitung del' amtlichen "Anweisung" ausser Acht
gelassen worden ist; wenn trotzdem, wie z. B. bei del'
Glycerinbestimmung, von den neueren Verfahren Abstand
genommen wurde, so waren dafiir besondere Erwagungen
massgebend. Bei del' Aufnahme neuer Verfahren in amtliche
Untersuchungsvorschriften muss selbstverstandlich mit grosster
Vorsicht vorgegangen werden; nur solche Verfahren konnen
dabei ernstlich in Frage kommen, die wenigstens eine gewisse
Wahrscheinlichkeit fUr sich haben, dass sie sich bewahren
werden. Wo abel' noch eine so geringe Uebereinstimmung
unter den Fachgenossen herrscht und so geringe Erfahrungen
vorliegen, wie z. B. bei den neueren Verfahren del' Glycerin
bestimmung, ist es bessel' und fiir eine amtliche Anweisung
sogar durchaus nothwendig, an dem bisher iiblichen Verfahren
festzuhalten, bis sich die Ansichten iiber die neueren Verfahrell
geklart haben.
Riel' ist del' 'Ort, einen Einwand zu entkraften, welcher
del' Feststellung amtlicher Untersuchungsvorschriften iiberhaupt
gemacht werden konnte. Mancher Fachgenosse konllte die
Befiirchtung hegen, dass dadurch del' Fortschritt del' Wissen
schaft, soweit er sich auf die Weinchemie bezieht, gehemmt
werde, dass gewissermassen eine Erstarrung del' vorgeschrie
benen Verfahren eintreten werde. Diese Befiirchtung kann
als gegenstandslos und unbegriindet bezeichllet werden. Durch
die Festsetzung amtlicher Untersuchungsverfahren wird del'
weitel'en Entwickelung del' Weinchemie keineswegs Stillstand
geboten. 1m Gegentheil, gerade hierdurch werden die zahl
reichen Liicken, die sich in dem Gebaude del' Weinanalyse
in unliebsamer Weise fiihlbar machen, in ein besonders helles
Licht geriickt. Fiir zahlreiche Bestimmungen, die fiir die
Beurtheilung del' Weine mitunter von Bedeutung sind, konnten
amtliche Vorschriften nicht gegeben werden, weil es zur
Zeit an geeigneten, bewahrten Verfahl'en mangelt. Es ist
zu hofi'en, dass gerade die Liicken, die in del' "Anweisung'.'
Vorwort. VII
an vielen Stellen zu Tage treten, die Fachgenossen dazu an
spornen werden, den Versuch zu machen, sie durch Auffinden
geeigneter Untersuchungsverfahren auszufiillen. Man wird
daher in der Annahme nicht fehigehen, dass die Festsetzung
amtlicher Vorschriften der Weiterentwickelung der Weinchemie
nur forderlich sein wird.
Es braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden,
dass auch die in die "Anweisung" aufgenommenen Unter
suchungsverfahren keineswegs als einer Verbesserung nicht
mehr fithig anzusehen sind. W ohl muss fiir sie der Anspruch
erhoben werden, dass sie dem derzeitigen Stan de der chemi
schen Wissellschaft vollauf entsprechen, sie sollen aber durch
aus nicht iiber jede Kritik erhaben sein. Die Fachgenossen
sollen und werden sich nicht abhalten lassen, auch diese Ver
fahren zu priifen, weiter zu entwickeln oder auch an ihrer
Stelle neue, bessere auszuarbeiten. Die amtlichen Verfahren
stehen nicht fiir ewige Zeiten fest; sie werden vielmehr von
Zeit zu Zeit einer Revision unterzogen werden, so dass sie
voraussichtlich stets auf der Rohe der Wissenschaft stehen
werden. Auch hier ist die weitere Forschung nicht nur zu
lassig, sondern sogar in hohem Maasse erwiinscht.
Das vorliegende Biichiein schliesst sich eng an die amt
liche "Anweisung zur chemischen Untersuchung des Weines",
wie sie durch BekanntmachunK.. des Reichskanzlers Yom
25. Juni 1896 vorgeschrieben wurde, an. Den Untersuchungs
und Beurtheilungsverfahren wurde eine kurze Besprechung
der Darstellung, der Behandlung, der Krankheiten, der Zu
sammensetzung u. s. w. des Weines vorangeschickt. Diese
Verhaltnisse miissen Demjenigen, der einen Wein mit Ver
stand untersuchen und namentlich beurtheilen will, voll
standig bekannt und vertraut sein. Bei den zahireichen Ver
fahrungsweisen, die man unter dem Namen der " KeIler
behandlung" des Weines zusammenfasst, wurden vornehm
lich diejenigen besprochen, die eine Aenderung in der
Zusammensetzung des Weines zur I!'olge haben oder wenig
stens haben konnen. Dieser Gesichtspunkt ist bei der Be
arbeitung dieses ganzen Theiles massgebend gewesen. Der
Verfasser ist sich bewusst, dass er hier nichts Neues bringt
und auch nicht bringen konntej er glaubt aber das, was fiir
den Nahrungsmittel-Chemiker am wissenswerthesten ist, kurz
zusammengefasst zu haben. Wer das Bediirfniss hat, sich
liber einzeine Fragen eingehender zu belehren, findet alles
VIII Vorwort.
Wissenswerthe in den ausgezeichneten umfassenden Hand
buchern der Weinbereitung, an denen die Literatur keinen
Mangel hat. Die meisten Werke dieser Art hat der Verfasser
bei der Bearbeitung des erst en Theiles benutzt und wiederholt
in den Fussnoten angefuhrt.
Der zweite Theil des vorIiegenden Buchleins beschaftigt
sich mit den Verfahren zur Untersuchung des Weines und
zwar zunachst mit den amtlichen, yom Bundesrathe vorge
schriebenen Verfahren. Die offizielle "Anweisung zur chemi
schen Untersuchung des Weines" ist hier wortlich abgedruckt
und von dem Verfasser mit ausfUhrlichen Bemerkungen, die
in kleiner Schrift gedruckt sind, versehen worden. Manchem
Fachgenossen werden vielleicht die Erlauterungen zu umfang
reich und zu sehr in die Einzelheiten eingehend erscheinen.
Der Verfasser kann diese Ansicht nicht theilen. Kaum in
einem Zweige der Nahrungsmittel-Chemie giebt es so viele
Spezial-Sachverstandige als auf dem Gebiete der Weinchemie.
Es ist dem Verfasser nicht zweifelhaft, dass diesen Spezial
SachversUindigen aUes, was in den Bemerkungen erlautert
wird, bekannt istj fur diese ist aber das vorliegende Buchlein
nicht geschrieben, sie werden uberhaupt nieht viel Neues darin
finden. Erfahrungsgemass werden aber aueh zahlreiche Wein
analysen von solchen Chemikern ausgefUhrt, die, auf allen
Gebieten der Nahrungsmittel-Chemie berufsmassig thatig, mit
der Weinchemie nicht so vollstandig vertraut sind, dass sie
einer Anleitung entbehren konnten. Ferner ist jetzt, nachdem
die Prufung der N ahrungsmittel-Chemiker in allen Bundes
staaten des Reiches geregelt ist, auch auf die Chemiker Ruck
sicht zu nehmen, die sich als N ahrungsmittel-Chemiker aus
bilden und fUr die Priifung vorbereiten woUen. Fur diese
soIl das vorliegende Buchlein ein Leitfaden sein, der sie in
die Untersuchung des Weines einfiihrt und ihnen spater in
ihrer praktischen Thatigkeit als Rathgeber zur Seite steht.
Es liegt im Charakter der amtlichen Anweisungen, daBS den
vorgeschriebenen Verfahren eine Begrundung nicht beigegeben
istj es wird nur angegeben, wie die Bestimmungen auszu
fiihren sind, nicht aber, warum sie so und nicht anders aus
gefuhrt werden, und welchen Zweck die einzelnen Operation en
verfolgen. Der didaktische Werth der amtlichen Anweisung
kann hiernach nur gering sein. Urn ihnen einen solchen zu
geben, war es nothwendig, ihnen fiir den Anfanger und den
weniger Erfahrenen eine ausfUhrliche Begrundung und Er-
Vorwort. IX.
lauterung beizugeben. Einzelne Vorschriften, wie namentlich die
Verfahren zur Bestimmung del' Gesammtweinsteinsaure u. s. w.,
sind ohne Erlauterung gar nicht verstandlich. Auch die ziem
lich umfangreichen Bemerkungcn uber das optische Verhalten
del' Weine und die eingehcnde Besehreibung del' Polarisations
apparate diirften als gerechtfertigt anerkannt werden.
Die letzte Halfte des zweiten Theiles cnthalt die Unter
suchungsverfahren, fUr welehe del' Bundcsrath Vorschriften
nicht erlassen hat. Darunter befinden sich einzelne Stoffe,
deren Nachweis bezw. Bestimmung nach del' Bundesrathsver
ordnung entweder in del' Regel odeI' unter besonderen Um
standen auszufUhren ist, fUr die abel' entweder Verfahren
uberhaupt nicht angegeben (Nachweis fremder Farbstoffe in
Rothweinen und Bestimmung des Gerbstoffes) odeI' nur ange
deutet sind (Bestimmung des Kupfers). Die ubrigen Weinbe
standtheile, auf welche sich die bier mitgetheilten Verfahren
des Nachweises und del' Bestimmung beziehen, sind in del'
amtlichen "Anweisung" nicht erwahnt. Damit ist indessen nicht
ausgedruckt, dass del' Nachweis odeI' die Bestimmung dieser
Stoffe ohne Bedeutung fiir die Beurtheilung des Weines sei.
1m Gegentheil, unter den in diesem Theile aufgefiihrten Ver
fahren sind nieht wenige, welche von grosstem Werthe fUr
die Beurtheilung des Weines sein konnen. Sie sind abel' zum
Theil noeh so wenig ausgebildet, dass es nicht angangig er
sehien, sie in eine amtliche Anweisung aufzunehmen; die Be
stimmung del' wichtigeren Mineralbestandtheile konnte man
dagegen auch bei dem Anfanger in der N ahrungsmittel-Chemie
voraussetzen.
Die Wahl del' Untersuchungsverfahren, fUr welche del'
Bundesrath Vorschriften nicht erlassen hat, ist in das freie
Ermessen des Cnemikers gestellt: er ist aber nach Nr. 5 del'
VorbemerkunK.en verpfiichtet, d-as von ihm anKewandte Ver
fahren anzugeben. Del' Verfasser glaubt die Verfahren auf
genommen zu haben, die sich bisher am besten bewahrt haben;
wo mehrere Verfahren zur Bestimmung desselben Weinbestand
theiles vorlagen, die entweder sammtlich thatsachliche An
wendung finden oder die ungefahr gleichwerthig erschienen,
wurden sie neben einander aufgefiihrt. Die Form del' Dar
stellung schlie sst sich der der offiziellen Verfahren an; wenn
es nothwendig erschien, wurden die Berechnungen durch Bei
spiele erlautert. Als sehr zweckmassig durfen die Verfahren
zur Bestimmung der einzelnen Mineralbestandtheile empfohlen
x Vorwort.
werden, die sich im Kaiserlichen Gesundheitsamte gut be
wahrt haben.
Der dritte Theil des vorliegenden Buchleins beschiiftigt
sich mit der Beurtheilung des Weines, ohne Zweifel dem
schwierigsten Theile der Weinanalyse. Die Grundlagen fUr
die Beurtheilung des Weines bilden das Weingesetz yom
20. April 1892 und das Nahrungsmittelgesetz yom 17. Mai 1879.
Durch das Weingesetz ist genau festgestellt, was als Ver
falschung des Weines anzusehen ist. Eine Anzahl von Stoffen
(alle im § 1 des Weingesetzes aufgefUhrten) durfen Wein,
weinhaltigen und weinahnlichen Getranken uberhaupt nicht
zugesetzt werden; andere Stoffe und Mischungen, die im § 4
aufgefuhrt werden, durfen dem Weine zwar zugesetzt werden,
das damit versetzte Getrank darf aber nicht als "Wein"
schlechthin verkauft werden, sondern es muss eine Bezeichnung
tragen, aus der hervorgeht, dass man es mit einem versetzten
Weine zu thun hat.
Die Schwierigkeit der Beurtheilung des Weines liegt nun
darin, zu erkennen, ob der Wein einen der in den §§ 1 und 4
des Weingesetzes aufgezahlten Zusatze erhalten hat oder nicht.
Viele von dies en Zusatzen lassen sich leicht und sicher nach
weisen, andere aber nur schwierig und oft nicht mit Bestimmt
heit. Der Verfasser war bestrebt, aIle Gesichtspunkte nach
Moglichkeit darzustellen, die fUr die Erkennung der schwierig
nachweisbaren Zusatze massgebend sind oder dabei nutzlich
sein konnen. Andererseits legte er aber auch grossen Werth
darauf, in jedem FaIle zu prufen, ob die Verfahren zum Nach
weise solcher Zusatze immer zuverlassig sind und ob nicht
doeh FaIle vorkommen konnen, wo sie versagen. Wie auf
anderen Gebieten der angewandten Chemie ist man aueh bei
der Beurtheilung des Weines vielfach auf Grenzzahlen ange
wiesen. In dem vorliegenden Buehlein wurde als oberster
Leitsatz fUr die Beurtheilung aufgestellt, dass die Grenzzahlen
nur ein Nothbehelf sind, dass sie nieht schablonenhaft ange
wandt werden durfen, da man sonst vielfaeh zu ganz falsehen
Sehlussfolgerungen kommen kann. Leider sind wiederholt
FaIle vorgekommen, in den en auf Grund des Gutachtens von
Chemikern, welehe die Ergebnisse ihrer Untersuchungen un
riehtig auslegten, Unsehuldige der NahrungsmittelflUschung
bezichtigt wurden. Der Verfasser hielt sich aus diesem Grunde
fUr verpfiichtet, die Schwierigkeiten der Beurtheilung des
Weines immer wieder hervorzuheben und die Punkte, welehe
Vorwort. XI
zu irrthiimlichen Beanstandungen fiihren konnen, ganz be
sonders zu betonen. In den Fallen, wo der Chemiker zwar
den Verdacht aussprechen kann, dass eine Verfalschung des
Weines stattgefunden habe, wo er aber nicht in der Lage ist,
die Verfalschung durch die chemische Untersuchung zweifellos
festzustellen, wird der Richter noch oft im Stande sein, durch
den Indizienbeweis die Schuld des Falschers zu erweisen und
gebiihrend zu ahnden. Immerhin ist es besser, dass ein
Falscher und Betriiger einmal straffrei ausgeht, als dass ein
ehrlicher Mann durch ein unrichtiges Sachverstandigen-Urtheil
um Ehre und guten Ruf gebracht wird.
Moge das Biichlein sich bei den Fachgenossen Freunde
erwerben!
Berlin, im Juli 1896.
Der Verfasser.