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Der Spiegel - 10 09 2020 PDF

177 Pages·2020·25.23 MB·English
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Nr. 42 / 10.10.2020 Deutschland € 5,50 BeNeLux € 6,60 Finnland € 8,50 Griechenland € 7,30 Norwegen NOK 89,– Polen (ISSN00387452) ZL 34,– Schweiz sfr 8,10 Slowakei € 7,– Spanien € 7,– Tschechien Kc 200,- Dänemark dkr 59,95 Frankreich € 7,– Italien € 7,50 Österreich € 6,20 Portugal (cont) € 6,90 Slowenien € 6,70 Spanien/Kanaren € 7,20 Ungarn Ft 2750,- Printed in Germany Lügen, bis der Arzt kommt: Wie Corona das System Trump zerstört Der Risiko-Präsident Kanzleramtschef Braun »Es muss Beschränkungen geben, vor allem bei Feiern« Herbst der Pandemie Das Ende der Nacht Was fehlt, wenn alle zu Hause bleiben AB 24. OKTOBER BEI IHREM BMW PARTNER. T H Wechsel ins Vodafone Kabel-Glasfasernetz. Highspeed-Internet jetzt dauerhaft günstig – ohne Wenn und Aber. 1 Maximal-Geschwindigkeit im Download. In vielen Städten und Regionen unserer Kabel-Ausbaugebiete und mit modernisiertem Hausnetz verfügbar. 2 Mindestlaufzeit 24 Monate. 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Gilt für alle Telekommunikationstarife mit Mindestlaufzeit und Mietentgelte für Geräte. $QELHWHU�LQ�15:��9RGDIRQH�15:�*PE+��LQ�+HVVHQ��9RGDIRQH�+HVVHQ�*PE+���&R��.*��LQ�%DGHQ�:¾UWWHPEHUJ��9RGDIRQH�%:�*PE+��DOOH�$DFKHQHU�6WUD¡H�����Ǿ������������.¸OQ��LQ�GHQ�¾EULJHQ�%XQGHV- O¦QGHUQ��9RGDIRQH�.DEHO�'HXWVFKODQG�*PE+��%HWDVWUD¡H���Ǿ����������8QWHUI¸KULQJ Bis zu 1000 Mbit/s 1 für Dein Zuhause 0DFKW�GHQ�8QWHUVFKLHG� Dauerhaft günstig ab 39 � 2 im Monat 5 DER SPIEGEL Nr. 42 / 10. 10. 2020 Viele Deutsche fürchten sich vor dem Herbst: Die Infektionszahlen steigen, Behörden und Politiker bereiten sich vor. Die Redakteure Christoph Hickmann und Martin Knobbe tra- fen deshalb Helge Braun, Chef des Bundes- kanzleramts und Angela Merkels Pandemie- manager, zu einem Gespräch: über eine zweite Corona-Welle, die gefährliche Verharmlosung des Virus und die Hoffnung auf einen Impfstoff im kommenden Jahr. Schon jetzt hat sich das Land ver ändert, auch in der Nacht. Zum ersten Mal seit 1949 gibt es in Berlin eine Sperrstun- de. Klubbesucher, Partygänger, Feiernde sind unter der Herrschaft des Virus verdächtig geworden, und der Staat wird tatsächlich zum Nachtwächter. Kulturredakteur Tobias Rapp hat sich in der Klubszene der Hauptstadt umgesehen, Dialika Neufeld besuchte die eingeschränkte Große Freiheit im Hamburger Stadtteil Sankt Pauli und sprach mit Dollhouse- Geschäftsführer Christian Fong, Reporter Alexander Smoltczyk befragte Soziolo ginnen und Experten für Night Studies. Smoltczyks Fazit: »Mit der Nacht würden wir mehr verlieren als nur eine Tageszeit.« Seiten 38, 62 Kalifornien stand immer für das bessere Amerika; es war ein Sehnsuchtsort, an den es viele zog. Die verheerenden Brände der vergangenen Wochen, die deprimierende Aus- sicht, dass es in den kommenden Jahren eher schlimmer werden dürfte, treibt nun aber Menschen fort, andere kämpfen um ihre Heimat. Die Redakteure Guido Mingels und Marc Pitzke sowie SPIEGEL-Mitarbeiter Daniel C. Schmidt sind durch den Bundesstaat gereist, haben mit Klimamigranten, Opfern, Brandbekämpfern gesprochen. Mingels ließ sich von Umweltwissenschaftler Ed Smith er- klären, wie man den Wald mit absichtlich gelegten Bränden schützen kann. »Mein wichtigstes Werkzeug ist der Flammenwerfer«, sagt Smith. Seite 88 Am Mittwoch beginnt die Frankfurter Buchmesse, wegen der Pandemie allerdings deutlich kleiner und vornehmlich virtuell. Der SPIEGEL berichtet deshalb ausführlicher als in früheren Jah - ren über die Branche, über das Schreiben, das Lesen von Büchern. Der Kulturteil im Heft hat einen Literaturschwerpunkt, unter ande - rem findet sich dort ein SPIEGEL-Gespräch zwischen dem US- Schriftsteller Richard Ford und seinem deutschen Übersetzer Frank Heibert, moderiert von der Redakteurin Claudia Voigt. In der Literaturbeilage SPIEGEL BESTSELLER, die in der Inlandsauflage zu finden ist, porträtiert Philipp Oehmke die schreibende Tennisspielerin Andrea Petković. Zusätzlich begleitet der SPIEGEL die Buchmesse auch online, eine Übersicht über das Programm lesen Sie auf Seite 118. »Dein SPIEGEL«, das Nachrichten-Magazin für Kinder, widmet sich ebenfalls dem Zauber des Lesens und stellt Bücher vor, die Jungen und Mädchen begeistern. In der neuen Ausgabe gibt es Buchtipps für jede Lebens lage: die besten Geschichten für Schüchterne, Aben- teuerlustige, Träumer und Lesemuffel. Bestsellerautorin Kirsten Boie erzählt im Interview, welche Bücher sie als Kind las und welche sie gern gelesen hätte. Außerdem im Heft: Pubertiere – auch Tiere kommen in die Pubertät. Die Ausgabe erscheint am Dienstag. Philipp Schmidt / DER SPIEGEL Neufeld, Fong Winni Wintermeyer / DER SPIEGEL Mingels, Smith Hausmitteilung Betr.: Infektionszahlen, Kalifornien, Buchmesse, »Dein SPIEGEL« Das deutsche Nachrichten-Magazin NANO & KULTURZEIT montags bis freitags 18.30 & 19.20 Uhr Inspiration und Information zur besten Sendezeit KULTUR TRIFFT WISSEN- SCHAFT © Shai Gabriely 6 DER SPIEGEL Nr. 42 / 10. 10. 2020 Titel USA Donald Trump schien gegen alles immun, dann versagte er beim Kampf gegen Corona – nun könnte seine Erkrankung ihn die Wahl kosten . . . . . . . . . 10 Deutschland Leitartikel Verkehrsminister Andreas Scheuer sollte zurücktreten . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Ausschluss von Verfassungsgeg- nern aus Parlamenten? / AfD- Propaganda aus der Schweiz / Mehr Steuergeld für Dienst - reisen / Die Gegendarstellung / So gesehen: Es ist Ihr Urlaub 20 Union In der CDU wird Jens Spahn mehr und mehr als Kandidat für den Parteivorsitz gehandelt . . . . . 26 Karrieren Markus Söder zeigt auf dem Tennisplatz seine Schmetterqualitäten . . . 32 Corona Kanzleramtschef Helge Braun warnt im SPIEGEL-Gespräch vor einem Kontrollverlust im Winter . . . 38 Diplomatie Oppositio nelle aus Russland und Belarus hoffen auf Unterstützung der Bundesregierung . . . . . . . . . . . 42 Essay Die Politik darf den Wutbürger nicht aus dem Diskurs ausschließen . . . . . . . 46 Parlamente Wie sich die AfD-Fraktionen in den Bundesländern zerlegen . . . . 48 Parteien AfD-Chef Jörg Meuthen will nicht in den Bundestag – und erntet Häme . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Biografien Die Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit hat ein ehemaliger FDJ-Funktionär mitorganisiert . . . . . . . . . . . . . . . 51 Schleswig-Holstein Wie eine Zeitung einen vermeintlichen Skandal aufbauschte, der drei Top-Polizisten den Job kostete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Kriminalität Ist der Deutsche Christian B. der Mörder von Maddie McCann? . . . . . . . . . . . 54 Brauchtum Der Kabarettist Jürgen Becker erklärt, warum die Karnevalsabsage richtig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Reporter Familienalbum / Haben wir zu viel Stress, um zu kochen? 60 Eine Meldung und ihre Geschichte Warum ein Jäger unter Mord- verdacht stand . . . . . . . . . . . . . . 61 Freizeit Wie Corona das Nacht- leben zerstört – und damit unsere Gesellschaft und unsere Städte verändert . . . . . . . . . . . . 62 Kolumne Leitkultur . . . . . . . . . 69 Wirtschaft Die Deutsche Bahn wehrt sich gegen Regierungspläne zur Frauenförderung / Was bringt Spahns Deckelung des Pflegeheim-Eigenanteils? . . . 70 Handel Die wirtschaftlichen Folgen eines harten Brexits werden immer deutlicher . . . 72 Weltwirtschaft Der Ökonom Gabriel Felbermayr gibt der EU eine Mitschuld am Brexit-Debakel . . . . . . . . . . . . . . 76 Medien Viel Lärm, wenig Sub- stanz – das Geschäfts modell von Gabor Steingart . . . . . . . . 78 Wirecard Ex-Minister und Lobbyist Guttenberg formulierte Redenotizen für eine Chinareise der Kanzlerin . . . 82 Inhalt 74. Jahrgang | Heft 42 | 10. Oktober 2020 Agency People Image USA Der Patient im Weißen Haus Donald Trump hat die Pandemie-Bekämpfung zur politischen Streitfrage gemacht. Nun kämpft er um seine Gesundheit – und um sein Amt. In Umfragen liegt sein Rivale Joe Biden weit vorn. Hat der US-Präsident noch eine Chance? Seite 10 Verzweifelt gesucht Die führungslose CDU denkt heimlich über ein Team Spahn/Söder nach. Dazu: SPIEGEL-Autor Marc Hujer hat den bayerischen Ministerpräsidenten zum Tennis getroffen und beschreibt, was der Spielstil über die Persönlichkeit verrät. Seiten 26, 32 Reto Klar / FUNKE Foto Services 7 Titelfoto: MANDEL NGAN/AFP via Getty Images Matthias Schrader / AP Eine Messe fürs Buch Die wichtigsten Bücher, die besten Autoren – ein Kulturteil fast nur über Literatur. Darin: ein Gespräch mit Schriftsteller Richard Ford, ein Besuch bei Kinderbuchautor Andreas Steinhöfel und ein Blick auf politische Romane. Seiten 118 bis 128 Im Corona-Herbst Kanzleramtschef Helge Braun warnt im SPIEGEL- Gespräch vor Reisen, Partys und zu viel Alkohol. Doch was bedeutet es, wenn niemand mehr ausgeht? Ein Streifzug durchs Nachtleben, wo Corona einen Lebensstil bedroht. Seiten 38, 62 Das Monster der Milchstraße Im SPIEGEL-Gespräch verrät der diesjährige Physiknobelpreisträger Reinhard Genzel, wie es ihm gelungen ist, das schwarze Loch im Zentrum der Galaxis zu finden, und warum er glaubt, dass er die Auszeichnung einer Frau verdankt. Seite 112 NASA / JPL-Caltech Bestseller . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 SPIEGEL-TV-Programm . . . . . . 129 Impressum, Leserservice . . . 132 Nachrufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Personalien . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Hohlspiegel / Rückspiegel . . . 138 Arbeitskampf Sollen Corona- Helden mehr Geld bekommen, trotz Krise? Ein Tarifstreit im Pandemie-Dilemma . . . . . . . . 84 Ausland Steigende Corona-Infektions- zahlen in Argentinien / Überläufer aus Nordkorea . . . 86 USA Kalifornien galt als Ort der Zukunft, doch inzwischen machen ihn Brände und Klimawandel zunehmend unbewohnbar . . . . . . . . . . . . . . . 88 Migration Der Politikberater Gerald Knaus will Europas Flüchtlingsproblem mit neuen Ansätzen lösen . . . . . . . . . . . . . . 94 Schweden Wie das Land die Alten dem Tod durch das Coronavirus überließ . . . . . . . 96 Analyse Welche Rolle spielt der türkische Präsident Erdoğan im neuen Krieg zwischen Arme- nien und Aserbaidschan? . . . 98 Sport Die Neulinge in der Fußball- Nationalmannschaft / Gut zu wissen: Was passiert beim Wasserball unter der Oberfläche? . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Missbrauch Das Beispiel der Judoka Marie Dinkel zeigt, wie einfach es der Sport Sexualtätern macht . . . 100 Forschung Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft fördert mit Steuer geldern Absurditäten . . . . . . . . . . . . . . 104 Wissen Abbiegespuren für Radfahrer erhöhen die Unfallgefahr / Die Bedeutung der Mathematik für die Demokratie / Analyse: Warum es eine Kapitulation vor dem Virus wäre, auf Herden - immunität zu hoffen . . . . . . . 106 Artenschutz Vom Tiergarten zur Arche Noah – wie Zoos helfen können, bedrohte Tiere zu retten . . . . . . . . . . . . . 108 Geschichte War der römische Kaiser Nero wirklich ein irrer Tyrann oder eher eine sensible Künstlerseele? . . . . 111 Kosmologie SPIEGEL-Gespräch mit Physiknobelpreisträger Reinhard Genzel über seine Entdeckung des schwarzen Lochs im Zentrum der Milch- straße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Expeditionen Was die Forscher der »Polarstern« auf ihrer ein Jahr langen Reise durch die Arktis erlebt haben . . . . 114 Kultur Ausstellung über die Erotik des Niedlichen / Literaturnobelpreis für Louise Glück . . . . . . . . . . . . 116 Literatur Die Zeiten sind politisch, die besten Romane auch . . . . . . . . . . . . . . 118 SPIEGEL-BESTSELLER- Buchwoche – die Programm-Highlights . . . . . . 120 Autoren Richard Ford trifft seinen deutschen Übersetzer Frank Heibert – ein SPIEGEL- Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Verlage Warum wir die Frankfurter Buchmesse weiterhin brauchen – ein Plädoyer des Verlegers Tom Kraushaar . . . . . . . . . . . . 126 Kinderbücher Andreas Stein höfels wunderbare Reihe um die Freunde Rico und Oskar wird fortgesetzt 128 Filmkritik Die Dokumentation »I Am Greta« . . . . . . . . . . . . . . 130 8 Einfach unwürdig Leitartikel Verkehrsminister Scheuer muss zurücktreten. Sein Parteichef sollte endlich handeln. I mmer wieder warnt Andreas Scheuer mit großer Lei- denschaft vor ökologischem Eifer. Der Verbrennungs- motor dürfe nicht verboten, die Diesel nicht von der Straße verdrängt werden. Seine Begründung: Er wolle der AfD und anderen Rechtspopulisten keinen Vorschub leisten. In Wahrheit trägt kaum ein Bundes politiker mehr zur Politikverdrossenheit bei als Scheuer. Sein Umgang mit der eigenen Mautaffäre fügt der politischen Kultur des Landes massiven Schaden zu. Mit seiner Weigerung, sich zu erinnern oder, besser noch, zurück zutreten, spielt er jenen Enttäuschten in die Hände, vor denen der Minister sonst gern warnt. Der Christsoziale klammert sich an sein Amt und verteidigt es mit jenen Tricks, derer die Bürger so überdrüssig sind. Scheuer wird – gut belegt – vorgeworfen, nicht nur das Haushalts- und Ver- gaberecht gebrochen zu haben, er soll auch vor dem Parlament die Unwahrheit gesagt haben. Früher wäre so mancher Politiker nach solchen Enthüllungen zurückgetre- ten, oder man hätte ihn freundlich, aber bestimmt dazu gedrängt. Ein derartiger Schritt wäre ein wichtiger Akt der Selbstreinigung. Aber solche Reflexe existieren nicht mehr, sie werden weggelä- chelt und ignoriert. Wenn Scheu- er damit durchkäme, wäre nicht nur das Verkehrsministerium beschädigt. Über eine Vorbild- funktion von Politikern müsste man dann nicht mehr reden. Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Pkw- Maut hatten die Vorstandschefs zweier Firmen, die das Mautsystem aufbauen sollten, Scheuer schwer belastet. Sie hätten dem Minister angeboten, mit einer Vertrags - unterzeichnung zu warten, bis das Projekt rechtlich ab - gesichert sei. Scheuer selbst aber habe auf einen raschen Abschluss gedrängt, erklärten sie den Abgeordneten. Zudem hätten sie sich vom Minister gedrängt gefühlt, öffentlich zu sagen, auch sie wollten schnell unterschreiben. Das grenzt an Nötigung. Warum aber sollten die beiden Vorstandschefs lügen, wenn sie dadurch riskierten, wegen Falschaussage strafrechtlich verfolgt zu werden? Scheuers Reaktion auf diesen Vorwurf war ebenso erbärmlich wie die seines damaligen Staatssekretärs, der inzwischen vom Minister auf den mit rund 400000 Euro Jahresgehalt dotierten Chefposten bei der staatseigenen Lkw-Maut-Firma Toll Collect gehoben wurde. Denn es ereilte beide eine sonderbare Amnesie. Ausgerechnet an das Angebot der Betreiber, die Mautverträge erst später zu unterschreiben (was dem Steuerzahler wohl viel Geld spa- ren würde), konnten sich beide leider partout nicht mehr erinnern. Sie sagten auch nicht, dass es ein solches Ange- bot nicht gegeben habe. Sie wussten es einfach nicht mehr. Juristisch spitzfindiger geht es nicht. Seit seiner Anhörung vor dem Ausschuss glaubt Scheuer offenbar, die Sache sei ausgestanden. Von ihm ist keine Einsicht mehr zu erwarten. Darum müssen andere diesen Minister aus dem Verkehr ziehen. Gefordert sind nun die Bundeskanzlerin und der bayeri- sche Ministerpräsident, der als CSU-Chef mit der Kanzlerin beraten kann, wer für seine Par- tei im Berliner Kabinett sitzt. Doch auch Markus Söder und Angela Merkel nähren bislang viele Ressentiments, die sich in der Bevölkerung gegen den Ber - liner Politikbetrieb festgesetzt haben. Sie taktieren aus egoisti- schen Motiven. Die Kanzlerin will auf den letzten Metern ihrer Amtszeit Koalitionszwist vermei- den. Und Söder traut sich offen- kundig nicht, weil eine Abberu- fung Scheuers als Eingeständnis eines Fehlers bewertet würde. Dabei ist das Festhalten an ihm der größere Fehler. Merkel und Söder wissen zudem, dass auch ihr Koalitions- partner sich nicht traut, offen den Rücktritt des Verkehrsminis- ters zu fordern. Die Zurückhal- tung der SPD könnte mit einem weiteren Untersuchungsausschuss zu tun haben, der sich in dieser Woche konstituiert hat. Er behandelt die Wirecard- Affäre, im Feuer steht SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Vieles deutet auf einen taktisch motivierten Nichtangriffs- pakt hin. Dieses unwürdige Schauspiel, das sich in den nächsten Wochen abzuspielen droht, beschädigt das politische System. Dabei ist auch in Deutschland ein Kampf um die demokratische Kultur, um Integrität und Wahrhaftigkeit entbrannt. Dieser Kampf ist aber nur zu gewinnen, wenn Eliten die anerkannten moralischen Maßstäbe nicht ver- wässern, sondern sie als Vorbilder vorleben. Verkehrs - minister Scheuer verrät diese Prinzipien mit seinem Verhal- ten und seinem Selbstverständnis von Politik. Es ist höchs- te Zeit, dass Söder und Merkel dem ein Ende bereiten. Gerald Traufetter HC PLAMBECK / DER SPIEGEL Das deutsche Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL Nr. 42 / 10. 10. 2020 Innovativ: Linola®sept Wundgel – kühlend und transparent zur besseren Beobachtung der Wundentwicklung. Jetzt in Ihrer Apotheke* Ob kleiner Kratzer, Schnitt oder Schürfwunde: Mit Linola sept Wundspray schützen Sie Ihre verletzte Haut schnell und einfach. 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Der Präsident inszeniert sich weiterhin als viriler Macher. Kann ihm das noch helfen? he Donald Trump verwundbar wurde, hat er ganze Länder als Dreckslöcher betitelt, die Mexikaner als Vergewaltiger abgestem- pelt, in seinen Twitter-Gewittern hat er wahllos Fernsehmoderatorinnen, Schau- spieler, Sportler, Funktionäre beschimpft. Er hat die Absetzung von Abgeordneten verlangt, Senatorinnen beleidigt, die Justiz attackiert, die Wissenschaft verspottet, er hat Menschen mit Behinderung nachgeäfft und das Andenken gefallener Soldaten be- schmutzt. Groß geschadet hat ihm das die längste Zeit nicht. Ehe Donald Trumps Macht zu bröckeln begann, untergrub er mit aggressiver Ener- gie das von der Verfassung besonders ge- schützte Grundrecht auf Presse- und Mei- nungsfreiheit, er säte Misstrauen gegen- über Fakten und ließ keine Gelegenheit zur Verbreitung spalterischer Propaganda aus. Er hat Neonazis in Charlottesville als »gute Leute« bezeichnet und im Fernseh- duell mit seinem demokratischen Heraus- forderer Joe Biden vor 70 Millionen Zu- schauern einen Gruß an die Rassistenbe- wegung der »Proud Boys« geschickt. Kri- tikern und Gegnern hat er damit gedroht, sie ins Gefängnis zu werfen, und in jüngs- ter Zeit schwadronierte er darüber, ohne Anlass oder Beleg, dass die Briefwahl dem Wahlbetrug Tür und Tor öffne. Es hat ihm alles nicht geschadet, all die Jahre. Ehe der Boden unter Donald Trump weich wurde, hat er Kinder von Migranten an der mexikanischen Grenze von ihren Eltern trennen und in Käfige sperren las- sen. Geschützte Gebiete in der Arktis hat er für Öl- und Gasbohrungen freigegeben, er hat das Pariser Klimaabkommen aufge- kündigt und die menschengemachte Erd - erwärmung geleugnet, selbst dann noch, als im Hinterland der amerikanischen Westküste wochenlang die Feuer wüteten. Nichts, so schien es bis vor Kurzem, konn- te ihm etwas anhaben. Er war immun. Inmitten einer Pandemie hat der US- Präsident die Zahlungen der USA an die Weltgesundheitsorganisation ausgesetzt, er hat Handelskonflikte gegen Verbündete in Europa und Nordamerika angezettelt, mit Diktatoren in Nah- und Fernost gekun- gelt. In den Gremien der Nato, der Verein- ten Nationen, im Uno-Sicherheitsrat hat er sein Land in die Isolation geführt. Er hat als Geschäftsmann Steuern in verblüf- fendem Ausmaß vermieden, Schulden an- gehäuft wie ein Hochstapler, er hat seine Privatgeschäfte, trotz aller Versprechen, nie von den Staatsangelegenheiten ge- trennt. Und doch hat die längste Zeit nichts da- von gereicht, um seine Hoffnung auf eine Wiederwahl am 3. November zu erschüt- tern. Es mussten erst die vergangenen 10, 14 Tage kommen, eine Kaskade von Er- eignissen, die Trumps Aussichten auf einen Sieg stark geschmälert, vielleicht sogar zer- stört haben. In diesen vergangenen 10, 14 Tagen ist selbst für die Verhältnisse der sich jagen- den »News Cycles« in den USA viel ge- schehen. Die »New York Times« hat vor zwei Wochen ihre Enthüllungen über die Steuerunterlagen Trumps öffentlich ge- macht, seine Legende vom erfolgreichen Topmanager zerstört und seine gefährliche Abhängigkeit von Geldgebern dokumen- tiert. Das erste TV-Duell am vorvergange- nen Dienstag verlief unsachlich, chaotisch, vonseiten Trumps fast hasserfüllt, und im Grunde fehlte zum vollendeten Eklat nur, dass sich der 74-jährige Trump im Stile eines Preis-Catchers auf den 77-jährigen Biden gestürzt hätte. Aber die »Times«-Enthüllung, das TV- Duell, sie wären Trump mutmaßlich nicht weiter gefährlich geworden, weil seine Wähler derlei Neuigkeiten in ihre Entschei- dung längst eingepreist haben. Nein, es brauchte einen dramatischen Zufall, um Trump zu gefährden, eine Wendung, wie sie nur den besten Drehbuchautoren ein- fällt: Trump, der große Verharmloser, musste sich selbst mit dem Coronavirus anstecken. Und so geschah es. Sehr wahrscheinlich vor 14 Tagen brach das Virus in den innersten Zirkel der Macht in den USA ein, in Trumps eigene vier Wände. Und vor neun Tagen war der Präsident der Vereinigten Staaten, einer der bestbehüteten Menschen der Welt, nachweislich mit Covid-19 infiziert, einer Krankheit, die er seit Monaten verharm- lost. Er musste tagelang ins Krankenhaus, musste mit einem Cocktail aus starken Me- dikamenten behandelt werden, alles we- gen einer Krankheit, die er immer wieder mit einer saisonalen Grippe verglich. Aber das Virus hat das Zeug, den Patienten Trump, selbst wenn er wieder ganz gesund wird, politisch zu erledigen. Weil er es als Gegner unterschätzt hat. Weil er doch nicht immun war. Scheitert Trump am Wahltag, und zu- mindest die aktuellen Umfragen gehen in eine deutliche Richtung, dann wird sein Management der Corona-Pandemie dafür ausschlaggebend gewesen sein. Scheitert er, dann daran, dass er das Virus nicht als Gefahr für Leib und Leben ernst nahm, sondern als Wahlkampfthema seiner Geg- ner mit aller präsidialen Macht unterdrü- cken wollte. Selbst seit seine eigene Er- krankung die Pandemie auf Platz eins der nationalen Agenda katapultiert hat, ver- sucht Trump immer noch, sie kleinzure- den. Amerikas First Patient macht seit sei- nem positiven Test eine miserable Figur im Umgang mit dieser neuen Lage. Mittlerweile fällt er in den wahlentschei- denden Swing States weit zurück. In Mi- 10 E DER SPIEGEL Nr. 42 / 10. 10. 2020 Titel Scheitert Trump am Wahltag, dann daran, dass er das Virus nicht ernst genug nahm.

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