ebook img

Das Hausboot am Nil PDF

172 Pages·2016·0.56 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Das Hausboot am Nil

Nagib Machfus Das Hausboot am Nil Roman Aus dem Arabischen von Nagi Naguib Nachwort von Stefan Weidner Suhrkamp Verlag Titel der 1966 erschienenen Originalausgabe: Tartara fauqa n-Nil Die deutsche Übersetzung erschien 1988. Das Nachwort wurde für die vorliegende Ausgabe geschrieben. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2004 Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Edition Orient © der deutschen Rechte Edition Orient, Stephan Trudewind Für das Nachwort von Stefan Weidner: © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2004 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Erste Auflage 2004 Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden ISBN 3-518-22382-8 Herr Anis wird zum Bürovorsteher zitiert. Die geforderte Aufstellung hat er zwar geschrieben. Nur war im Füller keine Tinte. Mit der Aufforderung, Haschischbude und Amt künftig zu unterscheiden, kommt er noch einmal davon. Nach Feierabend begibt er sich in sein eigentliches Reich, das Hausboot, Refugium einer Gruppe von Freunden. Hier am Ufer des Nils bei Kairo raucht man Haschisch, damit Vergeblichkeit und Unglück der Außenwelt sich verflüchtigen. Bei einer Wasserpfeife, mit Hilfe scherzender Unterhaltung und sehnsüchtiger Träumerei wird man wieder Mensch. Als eine junge Autorin in ihre Welt eindringt und ganz ohne Ironie nach dem richtigen Leben und öffentlichem Engagement fragt, sieht sich die Runde auf eine erste Probe gestellt. Die zweite folgt mit einem Ausflug an Land, der in eine nicht wegzuleugnende Katastrophe mündet. 1 April ist der Monat des Staubs und der Lüge. Das schmale, hohe Zimmer gleicht einem dumpfen Schuppen voller Zigarettenrauch. Auf den Regalen genießen die Akten ewige Ruhe. Welch eine Freude, zu sehen, wie tiefer Ernst sein Gesicht überzieht, während er Belangloses verrichtet. Das Registrieren in den Eingangsbüchern, das Ablegen in den Ordnern, der Ein- und Ausgang, die Ameisen, die Schaben, die Spinnen und der Geruch des Staubs, der durch die geschlossenen Fenster hindurchdringt. »Haben Sie die Aufstellung gemacht?« fragt der Abteilungsleiter. »Ja, und dem Amtsdirektor vorgelegt«, antwortet er mit schwerer Zunge. Der Abteilungsleiter bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, der durch die dicke Brille hindurch wie ein kristallener Strahl erschien. Hatte er ihn bei einem blöden, grundlosen Lächeln ertappt? Aber solche Albernheiten sollten im April, dem Monat des Staubs und der Lüge, erlaubt sein. Eine sonderbare Bewegung bemächtigte sich des Abteilungsleiters und erfaßte seine über den Schreibtisch hinausragenden Glieder. Eine langsame, wellenartige Bewegung, aber von entscheidender Wirkung. Er begann anzuschwellen, langsam, vom Brustkorb her über den Nacken und das Gesicht bis zum Schädel. Starr glotzte Anis Zaki seinen Chef an. Die an der Brust beginnende Aufblähung schwoll weiter an, verschlang Hals und Kopf, löschte alle Gesichtszüge und Konturen aus und machte am Ende aus dem Mann einen mächtigen Ballon aus Fleisch. Sein Gewicht schien auf unbegreifliche Weise leicht geworden zu sein, so daß der Ballon zuerst langsam, dann immer schneller wie ein Luftballon aufstieg, bis er an der Ecke hängenblieb und hin und her schwankte. »Warum starren Sie an die Decke, Herr Anis?« fragte der Abteilungsleiter. Ach! Nun hatte er ihn schon wieder ertappt. Die Augen der anderen sahen ihn mitleidig und spöttisch an. Die Köpfe wackelten teilnahmsvoll, begrüßten die Bemerkung des Chefs und stimmten ihr zu. Die Sterne mögen Zeuge sein. Sogar die Mücken und Frösche behandelten ihn freundlicher. Die Giftschlange hat der ägyptischen Königin einen einmaligen Dienst erwiesen. Sie, meine Kollegen, aber sind unnütz. Trost, wenn man Trost sucht, findet man in dem Satz des Freundes, der sagt: »Sie werden auf dem Hausboot wohnen, brauchen keine Miete zu zahlen und haben nur alles für uns vorzubereiten.« Mit plötzlicher Entschlossenheit begann er eine Reihe von Briefen zu registrieren. Sehr geehrter Herr, auf Ihr Schreiben Nr. 1911 vom 2. Februar 1964 sowie auf das dazugehörige Schreiben Nr. 2008 vom 28. März 1964 habe ich die Ehre mitzuteilen… Mit dem Staub, der durch das Fenster eindrang, erreichte ihn auch ein Lied aus einem Radio: »O Mutter, der Mond steht vor der Tür!« Er hielt inne und murmelte genüßlich: »Allah!« »Haben Sie’s gut mit Ihrer Sorglosigkeit«, sagte sein Kollege zur Rechten. Söhne der Beförderung nach Dienstalter! Beim Warten auf einen Traum, der sich nicht erfüllen wird, haben sie die Scharlatanerie zu ihrem Beruf gemacht. Unter ihnen bin ich ein Wunder, das den Weltraum ohne Rakete durcheilt. Der Bote trat ein. Ein Wunsch überkam ihn. »Schwarzen Kaffee!« verlangte er. Der Bote antwortete ihm und stellte sich vor ihm auf. »Sie werden ihn auf Ihrem Tisch finden, wenn Sie vom Herrn Direktor zurückkommen.« Anis verließ den Raum, eine große Gestalt mit kräftigen Knochen, doch ohne besondere Leibesfülle. Im Zimmer des Direktors stand er ehrerbietig. Der kahle Kopf des Direktors beugte sich prüfend über Papiere, in den Augen Anis’ der Anblick eines gekenterten Boots. Mit dem letzten Rest seines Willens verbannte er jeden Einfall, der sich seiner hätte bemächtigen und ihn in eine kritische, folgenschwere Situation hätte bringen können. Der Mann hob sein hageres, faltiges Gesicht und blickte ihn stechend an. Was für Irrtümer konnten sich in die Aufstellung eingeschlichen haben? Er hatte sie mit größter Sorgfalt gemacht! »Ich habe von Ihnen einen ausführlichen Bericht über die Eingänge des vorigen Monats verlangt.« »Ja, verehrter Herr, und den habe ich dem verehrten Herrn vorgelegt.« »Ist er das?« Er blickte auf die Akte und las auf dem Umschlag in seiner Hand: »Bericht über die Eingänge des Monats März, dem Herrn Archivar eingereicht«. »Das ist er, Herr.« »Sehen Sie hinein und lesen Sie!« Er sah klar geschriebene Zeilen, auf die weiße Stellen folgten. Erstaunt wendete er die Seiten hin und her, dann starrte er blöd in das Gesicht des Direktors. »Lesen Sie!« sagte der verärgert. »Herr Direktor… ich habe alles Wort für Wort aufgeschrieben…« »Dann erklären Sie mir, wie die Zeilen verschwunden sind!« »Wahrhaftig, das ist ein Rätsel, das ich nicht erklären kann…« »Aber hier sehen Sie die Spuren der Feder!« »Der Feder?« »Geben Sie mir Ihren Zauberfüllhalter!« Mit einer unwirschen Bewegung nahm er den Füllhalter entgegen und begann Striche auf den Umschlag zu kritzeln, aber der Füllhalter hinterließ keinen einzigen Strich. »Kein Tropfen Tinte ist darin!« Anis’ breites Gesicht spiegelte seine Sprachlosigkeit wider. Giftig fuhr ihn der Direktor an: »Sie haben diese Zeilen geschrieben, als die Tinte ausging, schrieben Sie weiter…« Anis wagte kein Wort der Erwiderung. »Sie haben nicht einmal gesehen, daß der Füllhalter nicht mehr schrieb…« Er machte eine ratlose Handbewegung. »Erklären Sie mir, Herr Anis, wie das möglich war.« Ja, wie war es möglich? Wie regte sich das Leben zum ersten Mal in den Algen tief in den felsigen Meereshöhlen? »Ich glaube, ich bin nicht blind, Herr Anis.« Er senkte resignierend den Kopf. »Ich werde für Sie antworten. Sie haben das Blatt nicht gesehen, weil Sie in Trance waren.« »Verehrter!« »Das ist die Wahrheit, eine allen bekannte Wahrheit, sogar den Boten und Hausdienern. Ich bin kein Prediger und auch nicht Ihr Vormund. Sie können mit sich tun, was Ihnen beliebt; aber es ist mein Recht, von Ihnen zu verlangen, daß Sie während der Arbeitszeit nüchtern bleiben.« »Glücklicher!« »Lassen wir das Glück und das Unglück! Sie sollen mir nur die bescheidene Bitte erfüllen, während der Arbeitszeit nichts zu nehmen…« »Allah sei mein Zeuge, daß ich krank bin!« »Sie sind der ewig Kranke.« »Glauben Sie mir nicht?« »Es genügt, in Ihre Augen zu sehen.« »Es ist die Krankheit und nichts anderes.« »Ich habe nie etwas anderes in Ihren Augen gesehen als Röte, tiefe Schatten und Trägheit.« »Hören Sie nicht auf das Gerede der Leute.« »Ihre Augen sehen nach innen und nicht nach außen, wie die der übrigen Geschöpfe Gottes.« Seine mit weißen Härchen übersäten Hände erhoben sich zu einer mahnenden Geste. »Die Geduld hat Grenzen«, sagte er scharf. »Geben Sie sich nicht dem grenzenlosen Verfall hin. Sie sind ein Mann in den Vierzigern. Das ist das Alter der Vernunft, hören Sie mit dem Unfug auf!« Als Anis zwei Schritte zurücktrat, um sich zu entfernen, fügte er noch hinzu: »Ich werde Ihnen nur den Lohn für zwei Tage abziehen, aber seien Sie vor der Wiederholung gewarnt!« Er hörte ihn, während er sich auf die Tür zubewegte, verächtlich sagen: »Wann werden Sie zwischen Amt und Haschischbude unterscheiden?« Als er in das Büro zurückkam, hoben sich ihm die Köpfe neugierig entgegen. Er übersah sie, setzte sich und starrte in die Kaffeetasse. Er fühlte, wie ein Kollege sich zu ihm herüberbeugte, um ihn etwas zu fragen. Er aber murmelte verdrießlich: »Laß mich in Ruhe!« Aus der Schublade holte er ein Tintenfaß und begann den Füllhalter zu füllen. Jetzt mußte er die Aufstellung erneut zusammenschreiben, den Verlauf der Eingänge. In Wirklichkeit gab es absolut keinen Verlauf, nur einen Kreislauf um einen toten Punkt, einen Kreislauf, der sich mit Unfug beschäftigte, einen Kreislauf, dessen sicheres Ende ein Schwindelzustand war. In diesem Strudel verschwanden alle Dinge von Wert, die Medizin, die Wissenschaft, das Recht, die vergessenen Angehörigen in dem verschlafenen Dorf, die Frau und das kleine Kind unter der Erde, die feurigen Worte, begraben unter Eisruinen. Auf dem Weg war kein Mensch zu sehen. Die Türen und Fenster waren zugeschlagen. Die Hufe der Pferde wirbelten Staub auf. Die Mamluken auf Jagdzug stießen Jubelschreie aus. Sobald sie in Margusch oder al- Gamaliya ein menschliches Wesen erblickten, machten sie es zur Zielscheibe ihrer Schießübungen. Die Opfer fielen mitten im irrsinnigen Jubelgeschrei. Die ihres Kindes beraubte Mutter schrie: »Erbarmt euch, ihr Mamluken!« Der Jäger an diesem Tage des Vergnügens stürmte auf sie zu. Der Kaffee war kalt, sein Geschmack war bitter geworden, und der Mamluk lachte weiter. Sie ließen die Barte wachsen und wirbelten Staub auf und freuten sich am Prunk und an der Qual. Eine fröhliche Geschäftigkeit regte sich in dem dumpfen Zimmer, das Zeichen des allgemeinen Aufbruchs.

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.