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Das blaue Juwel PDF

294 Pages·2010·1.85 MB·German
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Auf die Möwe, die von ihren wolkigen Höhen aus hinabsieht, wirkt die Galeone vielleicht zunächst wie eine rote, klaffende Wunde im Meer, als wäre das gekräuselte Wasser eine Haut, die von den Klauen eines Räubers aufgerissen worden ist. Doch aus der Nähe betrachtet scheint eher das Schiff selbst der Räuber zu sein, mit seinen schönen dreieckigen Segeln und seinen Rudern, die wie die zahllosen Beine eines Tausendfüßlers wirken. Was anderes kann es sein als ein Monster wie der Mandru, das glitzernd aus den Tiefen des Ozeans emporsteigt, es sei denn, es wäre eines dieser schrecklichen Wesen der Lüfte, das jeden Augenblick seine Flügel spreizt. Eine kluge Möwe würde jetzt zweifellos scharf abdrehen, von Furcht geschüttelt und mit hämmerndem Herzen. Aber wenn sie trotzdem weiter hinabfliegt, was dann? Teilen wir einen Moment den Blick der gewölbten Augen des Tieres, während es die geschwungenen Oberdecks ü­ berfliegt, über braunhäutige Burschen hinwegsegelt, die in Lendenschurzen, mit Turbanen und glitzernden Ohrringen in den Wanten herumklettern und die Segel straff ziehen, auf denen ein Muster in den Umrissen von lodernden Flammen prangt. Schwere Kanonen zerren an ihren Leinen, und Taue gleiten wie Schlangen über das Deck. Unter dem drachen­ förmigen Bug sprüht die Gischt empor, kräuselt sich und schäumt in dem langen Kielwasser hinter dem Heck der Galeone. Es ist die Todesflamme, der Stolz der Flotte des See- Ouabin. Und da steht er selbst: in einem hohen, mit Zinnen be­ wehrten Aufbau des Bugs, der mit Gold und roten Edelstei­ nen verziert ist. Der große Korsar steht dort mit stählernem Blick, ohne zu schwanken, und seine weißen Roben und die langen Enden seines Kopfschmucks flattern wie die knat­ ternden Wimpel und Segel im Wind. Er scheint nur auf die ungeheure Geschwindigkeit zu achten und empfindet offen­ sichtlich nichts als puren Stolz. Doch blicken wir hinter diesen Furcht einflößenden Stolz, hinter die Herrlichkeit, unter die Masten des Oberdecks. Dort unten, in den fürchterlichen Kolonnaden, sind Männer und Jungen in langen Reihen an Ruder gefesselt, die so dick sind wie Baumstämme. Sie sind es, die dem Schiff diese unglaubliche Geschwindigkeit verleihen. Wie viele Ruder es gibt? Dreißig oder sogar mehr! Fünf Ruderer sitzen auf einer Bank, sowohl an Backbord als auch an Steuerbord. Diese unerträgliche Hitze, der Gestank und der entwürdigende Anblick scheinen dem Reich des Nicht-Seins entsprungen zu sein. Die Gesichter sind ein wahres Kaleidoskop des Schmerzes, der Schweiß fließt in Bächen über die geschun­ dene Haut, die Männer stöhnen entsetzlich, sie schluchzen und jammern, als herrschten hier die Qualen der Verdamm­ ten. Schlag! Schlag!, treibt sie der Schrei des Sklavenführers an und übertönt die Laute der Qual. Und bei jedem Schrei knallt seine Peitsche. Unablässig patrouillieren die Wachen des See-Ouabin auf und ab und schlagen immer wieder zu. Schneller, du Hund!, schreien sie oder: Streng dich an, Ab­ schaum! Aber am brutalsten von allen und am schnellsten mit sei­ ner Peitsche ist ein fürchterlich verunstalteter Zwerg… Krät­ zer. Wie ein Verrückter springt er zwischen den Bänken herum, klettert über sie hinweg, verflucht diesen und jenen Sklaven ohne jeden ersichtlichen Grund und schlägt wahllos mit seiner Peitsche um sich. Gischt sprüht durch die Kolon­ naden, aber der Zwerg jubelt und tobt weiter, seine Augen treten hervor, und er hat vor Erregung Schaum vor dem Mund. So ist das Leben auf hoher See! So ist das Leben eines Korsaren! Krätzer dreht sich um und runzelt die Stirn. Dann springt er wütend vor, als ein Sklave plötzlich über dem Ruder zu­ sammenbricht. Der große, bärtige Kerl scheint vollkommen gefühllos, wie er mit dem Schlag des Ruders vor und zurück schwingt, Schlag um Schlag, und sich nicht einmal rührt, als Krätzer seinen Rücken mit der Peitsche innerhalb von Se­ kunden in eine blutige Masse verwandelt. Die Banknachbarn des Burschen beißen die Zähne zu­ sammen. Das Ruder ist jetzt viel schwerer geworden, nach­ dem ihr Gefährte seine Last abgelegt hat. Wie sie sich mü­ hen, wie sie sich anstrengen! Da, dieser rotgesichtige Kerl, hier der Wilde mit Knochen durch Nase und Lippen. Dort ein grauhaariger alter Mann mit einem zerfetzten Turban, ei­ nem zottigen Bart und runzligen Armen. Und dann dieser junge Mann, mit heller Haut und stroh­ blondem Haar. Er kann nicht mehr. Aber Jem macht trotzdem weiter. Wieder schlägt Krätzer auf den großen Mann ein. »Rude­ re, verdammt noch mal!« »Er ist tot, du Narr! Willst du einen Leichnam verprü­ geln?« Ein Wächter tritt vor und wischt den Buckligen ein­ fach zur Seite. Krätzer stürzt auf das Deck. »Du schlägst mich? Du schlägst mich?« »Ich kann dir auch einen Tritt versetzen, wenn du nicht das Maul hältst!« Der Wächter ruft einen seiner Kameraden. »Toter Mann an Bord!« Das ist der Schrei, wenn ein Galee­ rensklave auf hoher See stirbt. »Ich werde dem Herrn sagen, was du getan hast!« Krät­ zer dreht sich beleidigt zu dem zweiten Seemann um, der auf den Ruf reagiert. »Hast du gesehen, was er getan hat? Hast du das gesehen?« Aber der Wächter ignoriert ihn einfach, als er sich zwi­ schen den Bänken hindurchzwängt und dem Toten die Handschellen abnimmt. Mühsam zerren sie den schweren Leichnam hoch. Der Sklave trägt nur einen Lendenschurz, und als die Wachen ihn hochziehen, zerreißt der dünne Stoff und entlädt eine Ladung Exkremente über die Köpfe der Sklaven, die immer noch angekettet sind. Das begeistert Krätzer, und er klatscht in die Hände, als ein Wächter, der auf dem feuchten Lendenschurz aus­ rutscht, den Toten fallen lässt. Der schlägt mit dem Kopf gegen einen Mast, und mit einem schrecklichen Knacken bricht ihm das Genick. Der Kopf des Bärtigen biegt sich in einem merkwürdigen Winkel zurück, und Blut strömt aus dem schlaffen Kiefer, als wollte es sich schleunigst von dem Leichnam trennen. Die Wachen werfen den Toten fluchend über die Seite des Schiffs, zwischen zwei mächtige Ruder. Der Aufprall lässt die Gischt bis zu ihnen hochspritzen und durchnässt sie. Krätzer lacht erneut, wirbelt dann boshaft herum und lässt Peitschenhiebe auf die Gefährten des Sklaven herab­ prasseln. Nur für den Fall, dass sie etwa mit dem Gedanken spielen, ebenfalls zu sterben! Unter Wasser zerschmettern die Ruder den Toten und zerfetzen seine Haut. Einige Augenblicke färbt sich das Kielwasser der Galeere rot. »Eine Lady auf einem Schiff… eine Lady… auf einem Schiff!« »Ich dachte, es wären zwei, Käpt’n.« »Zwei? Eine? Eine Lady ist eine Lady, Junge.« Der Schiffsjunge goss noch mehr Rum in den Becher des Kapi­ täns. »Ihr meint, sie sind gleich? Ich glaube nicht, dass sie sich sehr ähneln, Käpt’n. Wenn Ihr wisst, was ich meine.« Die Augen des Kapitäns glänzten im Kerzenlicht. »Hast dir die Ladys angesehen, was, Bursche?« »Aber nein, Käpt’n! Ich meine, na ja, ich habe sie kurz angesehen, das hab ich.« Der schwere, angelaufene Zinnkrug zitterte in der som­ mersprossigen Hand des Jungen. Der Kapitän packte sein Handgelenk. Rum spritzte auf den Tisch. »Bursche, hast du denn schon mal von… Goody Hand und ihren fünf Töchtern gehört?« Flicken bekam Angst, ohne genau zu wissen, wovor. »Wa… Was meint Ihr, Käpt’n?« »Ich habe dein Gesicht gesehen, Flicken, und ich glaube, ich weiß, wann ein Bursche an Goody Hand und ihre fünf Töchter denkt. Sie ist eine ordentliche Frau, die Goody Hand, aber ich warne dich, mein Junge: Sorg dafür, dass sie die Einzige ist, die du im Kopf hast. Es gibt für deinesglei­ chen keine andere Frau, jedenfalls nicht hier auf dem Schiff, verstanden?« Flicken verstand gar nichts. Wovon redete der alte Mann? Der Kapitän stampfte mit seinem Holzbein auf den Bo­ den. »Weißt du nicht mehr, wie ich das arme Linke hier ver­ loren habe? Denk dran, Junge, eine Lady ist ein Fluch für ein Schiff, ein Fluch, und nichts anderes.« Flicken hätte darauf hinweisen können, dass es schließ­ lich der Kapitän war, der sich bereit erklärt hatte, die Dame zum Felsen von Ambora zu bringen. Der Schiffsjunge wäre nur zu froh gewesen, ohne sie loszusegeln und den schmie­ rigen Glond samt seinem höchst zweifelhaften Angebot ver­ gessen zu können. Aber Flicken hütete sich, diese Gedanken auszusprechen. Der Kapitän rutschte auf seinem wurmstichigen Stuhl hin und her. »Aber komm, Junge, setz dich neben mich. Hier, nimm mir Bubi ab, sie wird mir zu schwer.« Flickens Miene hellte sich auf. »Soll ich Euch Eure Zieh­ harmonika holen, Käpt’n?« »Aye, Bursche, das kannst du tun.« »Kann ich ein bisschen Rotgut haben, Käpt’n? Nur die Neige, natürlich.« »Aye, Junge, du kriegst ein bisschen Rotgut.« Flicken war glücklich. Einen Augenblick tätschelte er Bubi und sah sich dann in dem Licht der Kerze um. Trotz der Renovierungen auf der Catayane hatte sich in der Kapitänskabine wenig geändert. Sicher, Glonds Leute hatten angeboten, den klapprigen Tisch, den verschlissenen Teppich und das flohverseuchte Bettzeug auszuwechseln. Ein besonders vorwitziger Bursche hatte sogar den ganzen Müll hinauswerfen wollen… Müll nannte er den Tigerkopf, die rivanische Flagge, die Muskete und all die anderen kostba­ ren Erinnerungsstücke des Kapitäns. Während er mit den Händen herumfuchtelte, sprach der Mann davon, die Wände in Zart-Bleu und die Decke in Fuchsia-Rouge zu streichen und die Vorhänge vor der Koje und dem Fenster dazu pas­ send zu gestalten, Aubergine wäre fein, vielleicht mit silber­ durchwirkten Paspeln. Der erste Versuch war vom Kapitän mit Flüchen und Verwünschungen abgeschmettert worden, und seiner zwei­ ten Weigerung hätte er gewiss handfester Nachdruck verlie­ hen, wäre Flicken nicht gerade noch rechtzeitig eingeschrit­ ten. Das alte Schiff stöhnte unter den Wellen. »Wollen wir ein bisschen Ziehharmonika spielen, Käpt’n?« Der Kapitän schien jedoch in seine Gedanken versunken zu sein. Seine Quetschkommode fiel zu Boden und keuchte jämmerlich. »Vorsichtig, Kapitän! Wartet, ich hebe sie für Euch auf.« Die Stimme des Kapitäns klang abweisend. »Das ist das Ende, Flicken… Der Anfang vom Ende. Das hat der alte Bee­ zer mir gesagt… Beim ersten Mal, beim ersten Mal, als wir eine Lady an Bord hatten.« »Ihr meint dieses Mädchen?«, fragte Flicken verwundert. »Diese Cattyyane? Aber Beezer kann doch gar nichts über sie gesagt haben, Käpt’n. Beezer ist schon tot, seit Ihr… ach, seit Ihr ein Junge wart.« Das kam Flicken wie ein ganzes Lebensalter vor. Was es auch war. Erneut stampfte der Kapitän mit seinem Holzbein auf den Böden. Diesmal jedoch klang es wie ein Trommelwirbel des Untergangs. »Das war der Anfang… Dann muss das hier das Ende sein.« Hört mit diesem Stampfen auf, hört um Himmels wil­ len mit diesem Stampfen auf! »Das Ende wovon? Käpt’n, was meint Ihr? Es ist einfach nur der Anfang!« Der Junge sah sich um und packte die Ziehharmonika. Ein schräger Akkord ertönte, und Bubi fegte wie verrückt die Wände entlang. »Wie geht das noch? Goldbarren mit einem Stempel versehen, Ach, wie sie glitzern, wenn ich meine Suche beendet ha­ be… Denkt an den Schatz, Käpt’n! Denkt an den Schatz!« Der Kapitän blinzelte. »Der Schatz… ja, der Schatz.« Flicken hätte noch weitergemacht, aber der Kapitän versetzte ihm einen Knuff und packte die Ziehharmonika. »Gib das her, Junge! Was willst du mit einem so schönen Musikinstru­ ment, sag mir das, wenn du deinen Verstand mit Goody Hand und ihren fünf Töchtern vernebelt hast?« In den Tropen brach die Dunkelheit sehr schnell herein. Sie senkte sich wie ein Schleier über die nebelverhangenen Berge, über geheimnisvolle Dschungel, über lärmende Hä­ fen und einsame Atolle, über Fregatten und Barken und Kutter und Ketschen und auch über flammensegelbestückte, drachenmaulgeschmückte Piratengaleeren. Die blauen Ge­ wässer Wenayas verfärbten sich silbern, dann grau, und nur der Horizont schimmerte noch. Auf der Todesflamme verlieh der Sonnenuntergang den schrecklichen Kolonnaden ein ganz neues Entsetzen. Die Sonnenstrahlen fielen durch die geschwungenen Säulen und tauchten die Qualen der Sklaven in lodernde Farben. Jem kniff gequält die Augen zusammen. Seine Handge­ lenke waren von den Fesseln blutig gescheuert, und was von seinem Wams noch übrig war, klebte an seinem bluti­ gen Rücken und riss bei jeder Bewegung des Ruders den Schorf immer wieder auf. Wann läutete die Glocke endlich die Niederwerfungen ein? Jem war sicher, dass die Muskeln an seinen Schultern schon bald zerreißen und seine Arme dann nur noch nutzlos herunterhängen würden. Endlich ertönte die Glocke. Ihr Klang drang deutlich über alle Decks. Die Sterne! Gott sei gelobt, es wurde die Nie­ derwerfung der Sterne eingeläutet! Sofort verstummten die Schreie des Sklaventreibers. Die Peitsche knallte nicht mehr, und selbst Krätzer hörte auf herumzuhüpfen und stürmte die Leiter zum Oberdeck hinauf. Der Bug der Galee­ re neigte sich langsam nach unten. Jem rang nach Luft, als das große Ruder seine Brust rammte und schließlich zur Ruhe kam. Atemlos ließ er sich gegen die Seite der Galeere sinken. Blicklos starrte er in die schäumenden Wogen. Jem wusste nicht, wie viel Zeit seit seiner Gefangennah­ me verstrichen war. Bestimmt viele Tage, möglicherweise auch schon eine Mondphase. Die Zeit hatte sich hier in die­ sen schrecklichen Kolonnaden in eine Ewigkeit aus Schmer­ zen verwandelt, die nur von diesen kurzen Phasen der Ruhe unterbrochen wurde. Jem dachte daran, wie er das erste Mal die Peitsche zu spüren bekommen hatte, erinnerte sich daran, wie sich die Handfesseln mit einem Klacken ge­ schlossen hatten, daran, wie ein Wächter ihn brutal nach Wertsachen durchsucht hatte, ihm den Beutel mit dem Kris­ tall des Theron beinahe verächtlich vom Hals gerissen und ihn in einen Sack mit Beute geworfen hatte. Von allem, was Jem erdulden musste, war dies das Schrecklichste gewesen. Angst machte sich in ihm breit. Was sollte er tun, wenn er den Kristall nicht wieder beschaffen konnte? Die Todesflamme rollte leicht in der Dünung. Jem hatte sich schon oft gefragt, warum die große Galeere ihre rasen­ de Fahrt fünfmal am Tag unterbrach. Während seines aben­ teuerlichen Aufenthalts in Unang Lia hatte er die Gebetszei­ ten der Unangesen kennen gelernt: die Katakomben, die Grünen, der Staub, die Welle und die Sterne. Aber warum sollte ein Ouabin anhalten, um zu beten? Die Ouabin hingen nicht dem unangesischen Glauben an, sondern waren im Gegenteil seine erbittertsten Feinde. Außerdem wirkte eine solche Frömmigkeit, wenn es denn Frömmigkeit war, bei einem so Furcht einflößenden Korsaren reichlich bizarr – vor allem, weil der Freibeuter in einer so gefährlichen Mission unterwegs war. Jem bog Kopf und Schultern zurück und versuchte, die starken Schmerzen zu lindern. Neben ihm war der Platz des Toten, wo nur noch die Handfesseln, eine angekettete Scha­ le und ein stinkender Lendenschurz davon kündeten, dass er überhaupt gelebt hatte. Der Mann hatte Verney gehei­ ßen, und einmal hatte dieser Verney grimmig gesagt, dass für den Ouabin von dieser Reise alles abhing. Jem hatte ihn gedrängt, fortzufahren, aber der stämmige Bursche konnte nur unter Schwierigkeiten sprechen, als wenn sein Gehirn nicht mehr richtig arbeitete. Aber während der Niederwer­ fungen hatte er sehnsüchtig vor sich hin gemurmelt, dass es nicht immer so gewesen wäre, dass es auch einmal anders gewesen war. Jem hatte niemals herausfinden können, wie lange Ver­ ney eigentlich auf der Galeere gedient hatte. Aber seinen Worten zufolge hatte es früher einmal eine Zeit gegeben, in der die Sklaven nicht ständig an den Rudern angekettet waren, sondern wo man sie hinunter in den Frachtraum ge­ schickt hatte, damit sie sich ausruhen konnten. Damals hat­ te man ihnen auch mehr zu essen gegeben als einmal am Tag eine Schale mit Brei, und wenn sie sich erleichtern mussten, konnten sie das über einem Loch im Heck tun, statt sich dort zu beschmutzen, wo sie saßen. Bei diesen Worten nickten seine Bankkameraden heftig, als erinnerten sie sich an ein verflossenes Paradies. Zwei Dinge waren jedenfalls klar: Der Ouabin litt unter einer dramatischen Knappheit an Männern, und seine Missi­ on war von allerhöchster Wichtigkeit. Das Einzige, was ihn interessierte, war Geschwindigkeit, bloße Geschwindigkeit, und es kümmerte den Ouabin nicht, wenn alle seine Skla­ ven bei dem Versuch starben, das größtmögliche Tempo aus dem Schiff herauszuholen. Groteskerweise schienen Jems Gefährten ihr Schicksal zu akzeptieren, als ob das e­ ben der Lauf der Dinge wäre. Aber das konnte Verney doch nicht wirklich geglaubt ha­ ben, als ihn die letzten Qualen peinigten? Der arme Verney! Jem versuchte, so etwas wie Mitgefühl für den Toten aufzu­ bringen, aber als er in sich hineinhorchte, stieß er nur auf die Schmerzen in seinem Rücken und den Armen und die fürchterliche Taubheit in seinen Beinen. Es kam ihm der Gedanke, dass er wieder ein Krüppel war. Im Würgegriff seiner Gefangenschaft hatte er kaum an den Kleinen, an Uchy, Rajal und Regenbogen gedacht, von Tagan ganz zu schweigen. Jem wusste nicht genau, was mit dem Eunuchen geschehen war. Sie waren sehr früh getrennt worden. Aber er vermutete, dass man Tagan an einen Sklavenhändler verkauft hatte. Schließlich erzielten Eunuchen hohe Preise. »Flicken?« »Käpt’n?« »Es sind diese Ladys. Ich mache mir Sorgen um sie, Jun­ ge.« »Aye, Käpt’n. Ein Fluch für das Schiff sind sie, habt Ihr gesagt!« Flicken senkte nachdenklich den Blick. »Vielleicht sollten wir… Vielleicht könnten wir sie ja über Bord werfen. Ich meine, wir könnten sie ja über die Planke schicken!« »Was, Bursche? Bist du verrückt geworden?« In Wahrheit mochte Flicken die Ladys. Diese Fa Ra oder wie sie hieß, hatte zwar etwas von einem Drachen an sich, aber die Hübsche, Miss Selinda, schien freundlich zu sein. Oder könnte es sein, wenn sie endlich aufhören würde, Trübsal zu blasen. Aber das Wichtigste war, den Kapitän bei Laune zu hal­ ten. Der Kapitän war aber nicht bei Laune. »Und was wird Glondy sagen, wenn er rausfindet, dass wir seine Braut er­ säuft haben? Beantworte mir das! Dummer Junge!« Flicken war beleidigt. »Aber Käpt’n, ich dachte…!« »Denken ist nicht deine Aufgabe, Flicken, sondern meine! Glaubst du nicht, dass der alte Faris Porlo weiß, was er mit den Damen anstellen kann?« Flicken grinste unsicher, und der Kapitän runzelte die Stirn. »Komm nur nicht auf solche Ideen, Flicken!« »Was für Ideen, Käpt’n?« »Ha! Glaubst du, ich wüsste nicht, welche fiebrigen Ge­ danken einem Jungen kommen, wenn er sich in ständiger Gesellschaft von Goody Hand und ihren fünf Töchtern befin­ det?« Der Kapitän stampfte nachdrücklich mit dem Holzbein auf. »Die Strafe der Lust, Bursche! Das arme Linke sollte dir eine Warnung sein, hm? Nein, ich sag dir, was es ist: Die

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