Peter Loos Zwischen pragmatischer und moralischer Ordnung Der männliche Blick auf das Geschlechterverhältnis im Milieuvergleich Peter Loos Zwischen pragmatischer und moralischer Ordnung Peter Loos Zwischen pragmatischer und moralischer Ordnung Der männliche Blick auf das Geschlechterverhältnis im Milieuvergleich Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1999 Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. ISBN 978-3-8100-2272-1 ISBN 978-3-663-11930-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-11930-2 © 1999 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungenund die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Vorwort Bei dieser Studie handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner vom Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Bremen angenommenen Dissertation. Mein Dank gilt allen, die an ihrer Entstehung mitgewirkt haben. Zuallererst natürlich den Männem (und Frauen), die uns in den Interviews bereitwillig Einblicke in ihr Leben und Denken gegeben haben. Der kollegialen Leitung des zugrunde liegenden Forschungsprojektes durch Rüdiger Lautmann und Michael Meuser ist die kreative Atmosphäre zu verdanken, die nicht nur dieser Studie zugute kam. Ebenso waren die Diskussionen fruchtbar, die ich mit ihnen und meinen Kolleginnen Comelia Behnke und Rainer Hoffmann führen konnte. Eine wertvolle Hilfe bei der Datenerhebung und -auswertung waren die studentischen Hilfskräfte und Praktikantlnnen: Alexander Gattig, Andreas Henkenbehrens, Martin Herberg, Eva Munz, Susanne Peter, Jutta Reichelt, Katrin Stinner und Karola Zygmunt. Herzlich gedankt sei auch der Berliner Forschungsgruppe um Ralf Sohnsack für ihre Fernwirkung. Eine letzte, kritische Würdigung erfuhr das Manuskript durch Amd-Michael Nohl und Burkhard Schäffer. Für etwaige Unstimmigkeiten bin aber selbstverständ lich ich alleine verantwortlich. Berlin, Peter Loos im Dezember 1998 5 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2 Universalisierungstendenzen in der Geschlechterforschung und die Partikularität des Konstruktivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.1 Die Rezeption des ethnomethodologischen Ansatzes in der Geschlechterforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Der ethnomethodologische Ansatz Garfinkeis . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3 Angewandte Ethnomethodologie: Die Fallstudie ,Agnes' ..... 24 2.4 Fortführung .......... ·: ............................. 25 2.5 "Konjunktiver Erfahrungsraum" und die Wissensoziologie Karl Mannheims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.6 Die Kategorie Geschlecht als konjunktiver und als kommunikativer Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3 Methodologie und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3 .I Zur Methode des Gruppendiskussionsverfahrens . . . . . . . . . . . . 43 3.2 Komparative Analyse, Dimensionen des Vergleichs und Typenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.3 Auswahl und Zugang zu den Gruppen .................... 54 4 Fallbeschreibungen der Gruppen aus dem Arbeitermilieu . . . . . . . . . 57 4.1 Die Gruppe Kaffee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Kontaktaufnahme .............................. 57 Zur Situation der Gruppendiskussion . . . . . . . . . . . . . . 57 Angaben aus den Fragebögen und weitere Kontext informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Diskursbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.2 Die Gruppe Knick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Kontaktaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Zur Situation der Gruppendiskussion . . . . . . . . . . . . . . 82 Angaben aus den Fragebögen und weitere Kontext informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 7 Diskursbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.3 Die Gruppe Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Kontaktaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 03 Zur Situation der Gruppendiskussion . . . . . . . . . . . . . 103 Angaben aus den Fragebögen und weitere Kontext informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 04 Diskursbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.4 Analytische Abstraktion: Strikter Individualismus und die Abgrenzung von Geschlechtsstereotypen . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.5 Die Gruppe Hütte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Kontaktaufnahme............................. 127 Zur Situation der Gruppendiskussion . . . . . . . . . . . . . 128 Angaben aus den Fragebögen und weitere Kontext informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Diskursbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4.6 Analytische Abstraktion: Die Bedrohung der Familie als kollektives Schicksal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5 Fallbeschreibungen der Gruppen aus dem bürgerlichen Milieu . . . . 149 5.1 Die Gruppe Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Kontaktaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Zur Situation der Gruppendiskussion . . . . . . . . . . . . . 149 Angaben aus den Fragebögen und weitere Kontext informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !50 Diskursbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5.2 Die Gruppe Quadrat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Kontaktaufnahme, Angaben aus den Fragebögen und weitere Kontextinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Diskursbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5.3 Analytische Abstraktion: Schwierigkeiten der Perspektiven übernahme und das Problem der persönlichen Identität . . . . . . 193 5.4 Die Gruppe Junge Väter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Kontaktaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Zur Situation der Gruppendiskussion . . . . . . . . . . . . . 195 8 Angaben aus den Fragebögen und weitere Kontext- infonnationen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 196 Diskursbeschreibung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 196 505 Analytische Abstraktion: Die lnstitutionalisierung der Perspektiveninkongruenz 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 209 6 Zum Milieuvergleich 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 211 601 Autonomie, Individuierung und das Verhältnis von Partnerschaft und Gesellschaft 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 211 602 Habituelle Übereinstimmung und habituelles Verstehen 0 0 0 0 0 0 219 603 Separation und Integration 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 237 6.4 Geschlechtliche Identität, Perspektivenübernahme und die Relevanz der homosozialen Gruppe 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 245 605 Amoralische Haltung, Verantwortungsethik und die Einstellung zur Emanzipationsbewegung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 254 606 Sexualität und Schwangerschaft 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 263 7 Zu Elementen einer Entwicklungstypik 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 273 8 Zwischen pragmatischer und moralischer Ordnung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 289 801 Zum Verhältnis von Praxis und Moral 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 289 802 Empirischer Befund: Pragmatische und moralische Ordnung als Habitus 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 290 803 Institutionalisierte Geschlechterdifferenz: Geschlecht als gesellschaftliche Strukturvariable, Emanzipation und Ge- schlechterforschung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 293 Anhang: Richtlinien der Transkription 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 298 Literaturverzeichnis 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 299 9 1 Einleitung Gegenstand dieser Arbeit ist die Rekonstruktion kollektiver Deutungs- und Orientierungsmuster von Männern über und innerhalb des Geschlechterver hältnisses. Das den Rekonstruktionen zugrundeliegende empirische Material stammt aus einem Forschungsprojekt zu "Kollektiven Orientierungen von Männern im Wandel des Geschlechterverhältnisses", das an der Universität Bremen durchgeführt wurde (vgl. Lautmann 1992). Ziel dieses Projektes war es, zeitgenössische soziokulturelle Konstruktionen von Maskulinität nach zuzeichnen, die sich in und vor dem Hintergrund der aktuellen Umbruchsitua tion des Geschlechterverhältnisses ändern oder, gegebenfalls, persistent blei ben. Dazu wurde neben der Analyse von Männerverständigungsliteratur, 31 Diskussionen mit real vorfindbaren Gruppen von Männern durchgeführt. Es handelte sich dabei also um solche Gruppen, die auch jenseits der Erhebungs situation bestanden. Das Spektrum dieser Gruppen reichte vom ,Stammtisch' über Sportmannschaften bis hin zu Herrenclubs (Rotarier, Lionsclub u. ä.) und den sogenannten ,neuen' Männergruppen. Für diese Studie wurden aus dem gesamten Datenkorpus 7 Gruppen ausgewählt1• Die Interpretation der Gruppendiskussionen und die Herausarbeitung der Deutungsmuster von Maskulinität stellen den Kern dieser Arbeit dar. Dies geschieht zunächst in der Form von Fallbeschreibungen (Kap. 4 und 5). Ober ster Bezugspunkt ist hierbei die ,Gestalt' des Falles, die fallspezifische Dar stellung. Erst in den darauffolgenden Kapiteln wird die Ebene des Einzelfalles verlassen und im Zuge der Ausarbeitung einer Milieutypik (Kap. 6) und einer Entwicklungstypik (Kap. 7) werden die Gruppen miteinander verglichen. Dieser Teil der Arbeit stellt einen Beitrag zur Schließung einer empiri schen Forschungslücke dar. Denntrotz oder gerade wegen der Kritik an der androzentrischen Wissenschaft durch die Frauenforschung fehlt es an empi risch gesichertem Wissen über Deutungsmuster von Männern über Männlich- Für die Auswertung der Männerverständigungsliteratur und der übrigen Gruppen vgl. Behnke u. a. 1995, Behnke 1997 und Meuser 1998. 11 keiten und das Geschlechterverhältnis2. Geforscht wurde im Rahmen der Frauenforschung über die spezifischen Lebenswelten von Frauen, um deren Andersartigkeit gegenüber dem sich als "Allgemein-Menschlich" gebenden "Männlichen" (Simmel1985, S. 201) hervorzuheben. Das sich als "Allgemein Menschliches" gebende "Männliche" selbst systematisch als etwas Partikula res empirisch zu untersuchen, wurde bisher vernachlässigt. Es wurde vielmehr als Gegenhorizont zu den im Zentrum der Forschung stehenden weiblichen Lebenswelten einfach gesetzt. Frauenforschung und Geschlechterforschung gehen von unterschiedlichen Lebensweltenjeweils fl.ir Männerund Frauen aus. Diese These ist unhinterfragter Ausgangspunkt sowohl fl.ir die Geschlechterfor schung selbst, als auch fl.ir ihre gegenstandsbezogenen Theorien. Dieser Aus gangspunkt mag plausibel erscheinen, es ist aber mit dem zu rechnen, was Kieserling (1995. S. 108) als die "Unwahrscheinlichkeit der Geschlechterfor schung" bezeichnet hat. Er fragt (systemtheoretisch inspiriert, stellt also die Frage nach der Systemreferenz): " ... wie ist das möglich? Während vermutlich jede Gesellschaft die Unterscheidung von Frauen und Männem handhaben kann (wie auch immer das dann gemacht wird), versteht es sich weder im historischen Vergleich noch in sonst einer Hinsicht von selbst, daß es in der Gesellschaft auch noch einen Begriff gibt, der erkennen läßt, daß dies und wie dies geschieht." (ebd. S. 109). Gerade kulturanthropologische (vgl. bspw. Arbeitsgruppe Ethnologie 1989, Sherzer 1991) und historische Forschungen (vgl. bspw. WunderNanja Hrsg. 1993) haben gezeigt, daß sich das Bild von hierarchisch aufeinander bezogenen Lebenswelten von Männem und Frauen weder in der kulturellen 2 Dies gilt vor allem für den deutschsprachigen Raum, vgl. Lautmann 1992, S. 14ff. Mit der Studie von Metz-Göckel/Müller 1986 existiert zwar eine umfangreiche Erhebung, die allerdings auf der "Ebene isoliert erhobener individueller Einstel lungen und Meinungen" (Lautmann 1992, S. 17) liegt, Geschlecht also als indivi dualpsychologisches Phänomen faßt. In anderen Studien werden zwar Deutungs und Orientierungsmuster von Männern miterhoben, allerdings nicht explizit als solche über Maskulinität und Geschlechterverhältnis. Diese Studien stehen im Zusammenhang mit Forschungen bspw. über jugendliche Gewalt (Kersten 1993, 1995), Scheidung (Eckardt 1993) oder (männlicher) Armut (Friebel 1995), oder sie haben die Kommunikation und Interaktion innerhalb heterosexueller Partner schaften zum Gegenstand (Eckert u. a. 1989, Frerichs/Steinrücke 1994 u. 1995, Gather 1996). 12
Description: