Klaus-Peter Hufer / Ilse Unger Zwischen Abhangigkeit und Selbstbestimmung Schriften zur politischen Bildung in Nordrhein-Westfalen Band 4 Herausgegeben von der Landeszentrale flir politische Bildung Nordrhein-Westfalen Klaus-Peter Hufer Ilse Unger Zwischen Abhangigkeit und Selbstbestimmung Institutionalisierte und selbstorganisierte politische Erwachsenenbildung seit den siebziger lahren Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH ISBN 978-3-8100-0832-9 ISBN 978-3-322-97221-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-97221-7 ISSB: 0933-5048 Lizenzausgabe rur die Landeszentrale rur politische Bildung Nordrhein-Westfalen © Springer Fachmedien Wiesbaden Originally published by Leske Verlag + Budrich GmbH, Opladen in 1989 Inhalt O. Einleitung. . . .. . .. . . . . .. . . ... . . . . . .. . . . .. ... .. . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . 7 1. Politische Erwachsenenbildung zwischen Bildung und Poli- tik, padagogischen Zielen und politischen Anspriichen ...... 13 1.1. Politische Erwachsenenbildung im Wandel ........................ 13 1.2. Die kontroversen Punkte ...................................... ... ..... 15 1.3. Das Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen ............... 18 104. Die "subjektive Wende" und die politische Bildung ......... .... 21 1.5. Die "instrumentelle Wende" und die politische Bildung ..... ... 29 2. Politische Erwachsenenbildung: Trager und Tragervieifalt, Institutionen und Initiativen ....................................... 39 2.1. Weiterbildung im Wandel: die traditionellen und neuen Trager 39 2.2. Politische Bildung im Riickgang? - Zahlen und Tendenzen ... 44 2.3. Politische Erwachsenenbildung in der Sicht der Organisationen und Verbande ........................................................... 51 2.3.1. Politische Bildungsarbeit bei den 6ffentlichen Tragern .......... 51 2.3.2. Politische Bildungsarbeit bei den freien Tragern .............. ... 58 a) Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit und Leben - DGB/VHS NW e.V. .............................................................. 60 b) Deutscher Gewerkschaftsbund ................................... 60 c) Deutsche Angestellten-Gewerkschaft ......... ................... 62 d) Bildungswerk der Wirtschaft ..................................... 63 e) Katholische Erwachsenenbildung . .................... ........... 64 f) Evangelische Erwachsenenbildung ............................... 65 g) Bildungswerk des Landessportbundes ........................... 66 h) Arbeitskreis deutscher Bildungsstatten .......................... 67 2.3.3. Politische Erwachsenenbildung als selbstorganisiertes Lernen- die "andere" Weiterbildung .......................................... 69 3. Die Rahmenbedingungen und das "Innenleben" der politi- schen Erwachsenenbildung ......................................... 79 3.1 Die Bedingungen institutionalisierter politischer Erwachsenen- bildung ................................................................... 80 5 3.1.1. Die Grundsatzfrage: Wer bestimmt die Ziele der Arbeit? ...... 80 3.1.2. Vom Wunschbild weit entfemt: der Alltag des politischen Er- wachsenenbildners in den Institutionen ............................ 88 3.2. Die Bedingungen selbstorganisierter politischer Erwachsenen- bildung ................................................................... 97 4. Politische Erwachsenenbildung - eine vorHiufige Bestands- aufnahme ............................................................... 105 4.1. Die institutionellen Bedingungen der politischen Erwachsenen- bildung ................................................................... 105 4.2. Die Handlungsorientierung als Prinzip politischer Bildung ..... 108 4.3. Institutionalisierte und selbstorganisierte politische Erwachse- nenbildung - ein Vergleich .......................................... 111 4.4. Zur Situation der politischen Erwachsenenbildner ....... ........ 113 4.5. Anregungen zur Aus- und Weiterbildung .......................... 113 5. Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Autoren ............................................................................ 128 6 0. Einleitung Urn die politische Bildung ist es in den letzten Jahren ruhig geworden. Vor bei sind die Zeiten, in denen sie leidenschaftlich gefiihrte 6ffentliche Diskus sionen hervorrief. In Politik und Politikwissenschaft stehen Hingst andere The men im Vordergrund. Den Ton geben die Finanz-und nicht die Bildungspoliti ker an, und in der Politikwissenschaft hat man sich anderen Fragen zugewandt als denen nach Zielen und Inhalten politi scher Bildungsarbeit. Die Literaturberge der ausgehenden sechziger und beginnenden siebziger Jahre, als die politische Bildung Konjunktur hatte, fristen mittlerweile in den Bibliotheken ein Schattendasein. Die Namen der bekannten Matadore und Meinungsfiihrer dieser Zeit sind vielfach Legenden geworden. Niemand ist in Sicht, der / die so wie friiher Erregendes oder AnstoBendes formulieren k6nnte. Die Diskussion - wenn sie noch stattfindet - ist leidenschaftslos ge worden, sie verliiuft im Stile niichterner Bilanzen. Dabei gibt es, den sozialen, 6konomischen, technologischen sowie 6kologi schen Problemen der Staaten und der Welt, den vielen Gegenwarts- und Zu kunftsfragen entsprechend, eine fast unersch6pfliche Themenfiille, die gera dezu nach politischer Bildung rufen miiBte. Doch eigenartigerweise steht die 6ffentliche Abstinenz der politischen Bil dung in einem reziproken Verhiiltnis zu dieser driingenden und dringenden Si tuation. Zwar, so mag eingewandt werden, ist die politische Bildung an den allge meinbildenden Schulen als Unterrichtsfach etabliert, doch wie steht es urn den zweiten, nicht minder bedeutenden Zweig - wie steht es urn die auBerschuli sche politische Bildungsarbeit? Wir wollen diese Frage eingrenzen auf die politische Erwachsenenbildung. Wenn von ihr geredet oder geschrieben wird, dann wird ihr Zustand entweder als "Krise" (Siebert, 1987, S. 15; Nuissl, 1987, S. 29) oder eher besch6nigend als "Orientierungslosigkeit" (Beer, 1987, S. 44) bzw. "Suchbewegung" (Lan desinstitut, 1986, S. 83) gekennzeichnet. Dabei wird - bei aller Korrektheit der Begriffsfindungen - verkannt, daB im Gegensatz zum Lemen in den Schulen die auBerschulische politische Bil dung in den Fachdiskussionen immer "bloB am Rande" behandelt wurde. 7 Dies hat schon der erste Bundeskongre6 der Deutschen Vereinigung fur Politi sche Bildung 1982 beklagt. ("Aus der Sieht ... ': 1982, S. 85) Gegenwiirtig ist die Randstiindigkeit der politischen Erwachsenenbildung auch noch in einer weiteren Hinsicht zu registrieren. Ein Beispiel: 1m Ver gleich zu den anderen Stoffgebieten im Angebot der Volkshochschulen hat der Bereich "Gesellschaftl Geschichtel Politik" in der neuesten bundesweiten Statistik des Deutschen Volkshochschul-Verbandes den gro6ten Riickgang (ge messen an den Unterrichtsstunden) gegeniiber dem Vorjahr aufzuweisen. ("Statistisehe Mitteilungen ... ': 1987, S. 9) Dieser Abbau kommt nicht iiberraschend, sondern ist Teil eines seit den letzten Jahren kontinuierlichen Prozesses. Sicherlich mogen so1che Entwicklungen die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag sowie einzelne Abgeordnete von CD U I CSU und FDP bewogen ha ben, in Antriigen yom Dezember 1987 bzw. Januar 1988 einen - bisher noch nicht vorliegenden - Bericht der Bundesregierung iiber den Zustand der poli tischen Weiterbildung zu fordern. Doch damit ist wohl kaum Bewegung in die verhaltene Beschiiftigung mit der politischen Bildung gekommen. So blieben beispielsweise beim Kongre6 der Deutschen Vereinigung fur Politische Wissenschaft, der im September 1988 in Darmstadt stattfand, die Mitglieder der Sektion "Politische Wissen schaft und Politische Bildung" fast ausnahmslos unter sich, als es in einem Werkstattgespriich darum ging, das Verhiiltnis von Politikwissenschaft und politi scher Bildung zu diskutieren. Daher fand die dort wiederholte Forderung des bekannten Didaktikers Wolfgang Hilligen, die Politikwissenschaft miisse, gerade angesichts ihrer im mer gro6er werdenden Ausdifferenzierung, das "Mitteilungsnotwendige" fur die politische Bildung beachten, kaum einen der eigentlichen Adressaten (Werkstattgespraeh, 1988). Denn jiingere Politikwissenschafter fehlten fast durchweg. Dieses Desinteresse an der politischen Bildung spiegelt sich in den Publika tionen wider: Umfassende Darstellungen, Monographien und Analysen sucht man vergebens in den Verlagskatalogen. Allenfalls werden Einzelaspekte be handelt, jedoch fast ausschlie61ich in zahlreichen Aufsiitzen oder in grauer Li teratur. Dort werden dann hiiufig entweder lediglich einzelne "erfolgreiche" Bildungsveranstaltungen beschrieben oder nur Bildungsziele proklamiert, ohne diese auf die Praxis zu beziehen. Mit dieser schwierigen Materiallage sa hen sich auch die Verfasser bei ihrem Bemiihen, die Veriinderungen der politi schen Erwachsenenbildung in den ausgehenden siebziger und den achtziger Jahren zu beschreiben, konfrontiert. Die weit verstreute Literatur wurde ge sichtet; daneben wurden eigene Recherchen, Interviews und Auswertungen vorgenommen, urn die Liicken zu schlie6en. Die uns zugiinglichen Weiterbil dungsprogramme bildeten, ohne daB wir sie in der Arbeit besonders auswei sen, eine wesentliche Grundlage fur unsere Einschiitzungen. 8 Dabei bleibt nach wie vor vieles offen; wesentliche Aspekte der politischen Erwachsenenbildung finden in unserer Darstellung keine Beriicksichtigung. So fehlt beispielsweise die wichtige Frage nach den Teilnehmern und Adressa ten der politischen Erwachsenenbildung, ihren Lernvoraussetzungen, -mo tivationen, -rezeptionen und deren Auswirkungen auf die weiteren biographi schen Verliiufe. Auch eine Bewertung des curricularen Standes der politis chen Erwachse nenbildung, der beispielsweise durch Programmanalysen festzustellen wiire, wurde ebenso ausgeklammert wie die Frage nach der Intensitat der Zielgrup penarbeit sowie der Bildungsangebote rur in jiingster Zeit starker in den Mit telpunkt getretene Adressatenkreise wie zum Beispiel die Frauen. Dieses war nicht unser Anliegen. Zwar werden auch methodische und di daktische Fragen thematisiert, doch nur unter dem Gesichtspunkt globaler Tendenzen, nicht aber als Beschiiftigung mit den Binnenproblemen politi scher Erwachsenenbildungsarbeit selbst. Die vorliegende Untersuchung versteht sich - gerade angesichts des Ent fremdungsprozesses zwischen politischer Bildung und Politikwissenschaft - dezidiert als ein politikwissenschaftlich orientierter Beitrag zur politischen Bildung. Es wird der Versuch unternommen, in knapper Form und mit dem beschriebenen Mut zur Liicke, allen, die sich hauptberuflich oder ehrenamt lich mit der politischen Erwachsenenbildung beschiiftigen oder als Teilneh mer / -innen bzw. politisch Interessierte direkt oder indirekt von ihr betroffen sind, eine iiberschaubare Analyse ihrer jiingsten Entwicklung und ihres der zeitigen Zustandes anzubieten. Dabei haben wir uns in wesentlichen Bereichen unserer Betrachtung auf das Land Nordrhein-Westfalen konzentriert. Dies geschah nicht zuletzt deshalb, weil wir selbst dort hauptberuflich in der Praxis bzw. Lehre der politischen Erwachsenenbildung arbeiten. Zum anderen hat dieses groJ3e Bundesland die am besten ausgebaute Infrastruktur im Weiterbildungsbereich der Bundesre publik aufzuweisen. Wir gehen davon aus, daB die Situation hier sicherlich ohne weiteres einen verallgemeinerungsfahigen Aussagewert hat. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen sich in Nordrhein-Westfalen die politische Erwachsenenbildung in einer beachtlichen Vielfalt von Triigern und Einrichtungen entwickeln konnte, bildeten eine giinstige empirische Basis. Sie nutzend, war es ein Schwerpunkt unseres Interesses, die RahmengroJ3en und -bedingungen der politischen Weiterbildung - die gesetzlichen, institu tionellen und soziookonomischen - zu untersuchen. Dabei gilt ein besonde res Augenmerk der inneren Organisationsstruktur, denn genau dieser politik wissenschaftliche Ansatz wurde in der Literatur bisher weitgehend ausge klammert oder vernachliissigt: Welche Auswirkungen haben institutionelle Regelungen und organisatorische Muster auf Anspruch, Selbstanspruch und Praxis der Bildungsarbeit? Diese Frage muJ3 auch die hinter den Institutionen 9 stehenden Trager und ihre Interessen mitberiicksichtigen. AIle diese Faktoren - die gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, die politi schen Anspriiche der Trager sowie die Strukturen der Bildungsinstitutionen und die von ihnen vermittelte politische Bildungsarbeit - bedingen einander, und zwar durchaus wechselseitig. Diese Hypothese wird im Verlauf der Untersuchung zu belegen und zu be griinden sein. Fiir die politische Erwachsenenbildung war der von uns untersuchte Zei traum von groBter Bedeutung. Denn es differenzierten sich neben den etablier ten und fest institutionalisierten Weiterbildungseinrichtungen - den offentli chen und freien - nun auch alternative Formen der politischen Weiterbildung heraus, die ihre eigenen Einrichtungen hervorbrachten. Dem Vergleich der je weiligen politischen Bildungsarbeit in den offentlich getragenen Volkshoch schulen, den weltanschaulich gebundenen Einrichtungen von Kirchen, Ver banden und GroBorganisationen mit den neuen Stiitten der "anderen" Weiter bildung gilt unser besonderes Interesse. Dabei haben wir eine Betrachtung der sozialen Initiativen und die Bewer tung der auch in und mit ihnen ablaufenden politischen Bildungsprozesse aus geklammert. Dies hatte Fragen nach den Auswahlkriterien aufgeworfen und einen anderen methodischen Zugang, niimlich den der ProzeBbeobachtung, erfordert. Und dies wiederum hatte zur Folge gehabt, zum Vergleich auch die Entwicklung und die Interaktion von Lerngruppen der Weiterbildungseinrich tungen zu betrachten. Damit waren wir auf eine methodische Ebene - und auch auf eine dezi dierte Begriindung derselben - gekommen, die den Rahmen unseres Arbeits vorhabens weit iiberschritten hatte. Daher haben wir uns auf die mehr oder weniger "organisierte" politische Weiterbildung, und zwar in ihrer "etablierten" als auch "alternativen" Form, konzentriert. Allerdings geht dabei der Aspekt des politischen Lernens in den Initiativen nicht ganz verloren, denn zwischen ihnen und den alternativen Weiterbildung seinrichtungen gibt es intensive Wechselbeziehungen. In dem Spannungsverhaltnis, in dem die traditionelle und die alternative Wei terbildung zueinander stehen, gewinnt auch die in der politischen Bildung nach wie vor zentrale Kategorie der Handlungsorientierung eine veranderte Bedeu tung - nicht zuletzt, weil sie vielfach iibergegangen ist in Formen der "neuen Subjektivitiit", die in beiden Weiterbildungsbereichen Eingang gefunden hat. Mit dem von der politischen Weiterbildung entdeckten "subjektiven Fak tor" werden wir uns ebenso beschaftigen wie mit seiner Gegentendenz: der "instrumentellen Wende". Diese beiden Pole, zwischen denen die politische Weiterbildung derzeit steht, sollen kritisch betrachtet werden. Besonders interessant erschien uns eine Beschaftigung mit den Mitarbeitern in der politis chen Weiterbildung, ihren Arbeitsbedingungen und personlichen 10