ZÜRICH Geschichte einer Stadt Herausgegeben von Robert Schneebeli Verlag Neue Zürcher Zeitung Dieses Buch entstand dank grosszügiger Unterstützung durch di Präsidialabteilung der Stadt Zürich und Zürcher Kantonalbank, Zürich. © 1986, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich Satz und Druck: Grafische Betriebe NZZ Fretz AG, Zürich Einband: Buchbinderei Burkhardt AG, Mönchaltorf ISBN: 3-85823-151-7 Printed in Switzerland Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort Die ersten Siedlern Die Jungsteinzeit Die Bronzezeit Die Eisenzeit Das Pfahlbauproblem Zürich in römischer Zeit Lokalgeschichte eines Ortes in römischer Kaiserzeit Die Eingliederung ins römische Reich Turicum in der römischen Kaiserzeit Die Zivilsiedlung Turicum Die Monumente Turicum in der Spätantike Zürich im Mittelalter Auflösung des Weströmischen Reiches: Landnahme der Alemannen, Kaiser und Könige Zürich die «vornehmste Stadt Schwabens» Die Reichsstadt: Adelige und Kaufleute Die territoriale Ausdehnung Zürichs Der Weg zur «Zwingli-Stadt» Die Reformation als Wende Zürich vor der Reformation Zürich und die Eidgenossenschaft Zwinglis Weg nach Zürich Der Durchbruch der Reformation Zwingli als kirchenpolitischer Denker Zwinglis Stellung in Zürich Der konfessionelle Konflikt in der Eidgenossenschaft Kirche der Bürger? Kirche der Obrigkeit? Kirche der Puritaner? Die Republik Zürich, Staat und Kultur im 18. Jahrhundert Von «Lustbarkeiten» und «Staatsveränderung» Staatsgewalt und Geisteskultur Recht und Würde des Menschen Diener am göttlichen Wort Schaffensdrang und Verständigung Monopole und Geldpolitik Zunftverfassung, Bauerngespräch Literatur, bildende Kunst Geselligkeit gegen Gesellschaft Schulen und Bildungsreformen Bild der Stadt um 1800 Das Liberale Zürich «Freystaat mit repräsentativer Verfassung» Kräfte einer ausserparlamentarischen Opposition Zürich im jungen Bundesstaat: Ära Escher Geist und Konjunktur Von der Wohlfahrt zur Stagnation Aufbruch des Volkes und der Landschaft Ausblick: Mehr Metropole als Industriestadt? Das grosse Zürich in der kleinen Schweiz Der Zeitgeist am Ende des 19.Jahrhunderts Demokraten und Freisinnige Glaube an Grösse und Fortschritt Zürich wird Grossstadt Wandel in der Bevölkerungsstruktur Die Zürcher Katholiken Bauliche Umgestaltung Vom Historismus zum Jugendstil Politischer Wandel Krawalle Der Kaiserbesuch von 1912 Kulturelle Aspekte Zürich im Ersten Weltkrieg Die zwanziger Jahre — ein Jahrzehnt der Widersprüche Neue Zuversicht Kulturell interessante Epoche Parteipolitische Wende Zweite Eingemeindung Wirtschaftskrise Politische Bedrohung Die Bandesausstellung von 1939 Mobilmachung Die ersten Nachkriegsjahre Kontakt mit der Welt Parteipolitische Wende von 1949/50 Die Jahre des kalten Krieges Wirtschaftliche Blüte Neue Unsicherheit Zeitpunkt der Wende Neue Freude an Konflikten Von der Wachstumseuphorie zur Wachstumsangst Architektur als Spiegel Zürich als kulturelles Zentrum Die Schweiz und Zürich Die Autoren Vorwort Es gibt vielerlei Art, Geschichte zu treiben. Zeugnisse der Vergangenheit sind in grosser Zahl vorhanden, teils absichtsvoll gesammelt und geordnet - während andere absichtsvoll vernichtet wurden —, teils zufällig übriggeblieben. Man kommt nur zu Rande, wenn man mit Fragen an sie herantritt, und wird ihnen nur gerecht, wenn man auch Auskunft an- und aufnimmt, die über diese Fragen hinausgeht. Die professionellen Historiker sind nie zufrieden mit dem, was sie zutage fördern und darstellen. Der Blick ist bald zu eng und bald zu weit, schweift hin über die Oberfläche und findet, dass oben nur Ergebnisse des Handelns sichtbar werden, dringt in die Tiefe und erkennt im engen Schacht nur was unmittelbar vor Augen liegt. Jeder packt es wieder anders an, jeder weiss, dass er Stückwerk treibt, und niemals bestätigt das heutige oder das künftige Geschehen das Ergebnis der Forschung, den Glanz oder die Resignation eines historischen Berichtes. Die Natur sei, schrieb Thomas Henry Huxley, überall zugänglich, aber immer unergründlich. Die Vergangenheit kommt allenthalben zum Vorschein, ist aber in ihrer Unveränderlichkeit ebenso unfassbar wie die Gegenwart in ihrem Wandel. Und doch können wir das Fragen nicht lassen: Wie war es? Was ist geschehen? Wie ist es geschehen? Wer hat es getan? Warum konnte es niemand verhindern? Wer ist schuld? Die Fragen stellen sich dem Einzelnen, sie stellen sich einem Gemeinwesen. Ohne Kenntnis der Geschichte sind die Eigentümlichkeiten der Staats- und Gemeinwesen, ist kein Menschenwerk erklärbar. Der Historiker geht seiner Beschäftigung nach, getrieben von Neugierde, von Ungenügen an dem, was man weiss, gereizt von einem Wort in einem Zeugnis, dessen Bedeutung ihm nicht klar ist, von einem Bericht, der ihm nicht plausibel erscheint, einem Typus oder einem Topos, dem er wieder und wieder begegnet. Oder er sucht nach der Verbindung zwischen verschiedenen Erscheinungen, sei es, dass diese gleichzeitig auftreten, sei es, dass sie einander folgen. Die Technik und Methode historischer Forschung hat sich wie alle Wissenschaft verfeinert, die Produktion historischen Schrifttums ist ins Unermessliche gestiegen. Wissenschaft ist Allgemeingut. Sie ist es aber nur insoweit, als sie veröffentlicht ist und als die Allgemeinheit daran partizipiert. Und diese kann nur an Wissenschaft teilnehmen, die allgemeinverständlich dargestellt ist. Alles übrige, dessen durchdringendes Verständnis und exakte Darstellung besondere, unalltägliche Formen erheischt, steht zwar offen, ist aber nur dem Adepten erreichbar, der sich ganz auf die Anforderungen der Sache ausrichtet. Für den Fortbestand unserer Zivilisation hängt einiges davon ab, ob die Spezialisten nicht nur mit ihresgleichen, sondern mit der Allgemeinheit über die Belange von Natur und Mensch sich verständigen oder, wie man heute gern sagt, kommunizieren können. Das gilt erst recht für die Geschichte. Menschliches Handeln richtet sich weder nur nach den Gegenständen, an welchen, und den Umständen, unter denen es sich vollzieht, noch allein nach den Hoffnungen und Zielen, auf die es sich hin bewegt. Es wird auch bestimmt von den Vorstellungen, die ein Einzelner oder eine Gemeinschaft von sich selbst hat. Wo einer ein Volk zum Handeln aufruft, da beschwört er dessen Geschichte. Und wo eine Gemeinde sich auf sich besinnt, zieht sie ihre Geschichte zu Rate. Man kann sich an derigenen Geschichte gross und gut machen. Es kann auch sein, dass man sich ihrer schämt. Geschichte wird gerne zu Mythos und Legende, wenn sie ausschliesslich oder vorwiegend an Feiertagen bemüht, nur gerade zum Ruhm oder auch zur - Schmähung der Gegenwart angerufen wird. Es macht etwas aus und es sagt etwas aus, wie in den Schulen eines Gemeinwesens die Jugend in Geschichte unterrichtet wird und ob sich Erwachsene mit dem begnügen, was sie damals an Geschichte mitbekommen haben. Der Sinn von Kindern und Heranwachsenden ist noch wenig vertraut mit den Wegen, welche die Welt geht, und erkennt darum in der Geschichte gern das Vordergründige, Laute, Bunte, das Grosse eher als das Gemeine. Der Erwachsene bleibt, wenn er sich nicht weiter mit Geschichte befasst, unversehens in den jugendlichen Anschauungen stecken. Statt dass er sich an der Geschichte bildet, macht er sich Geschichte nach einem Bild zurecht. Die Sorge um das richtige Verhältnis zur Vergangenheit gehört zum Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft, die Bemühung um das wahrhaftige Verständnis obliegt dem Leser und Zuhörer nicht weniger als dem Geschichtsschreiber. Die Erde kreist um ihre Bahn und kommt Jahr für Jahr an den Ort, an dem sie war, als ein bestimmtes Ereignis geschah. Menschliches Leben in Einzelheit oder in Gemeinschaft bewegt sich auf seiner Bahn vorwärts von seinem Anfang zu seinem Ende. Der Geburtstag wird jedes Jahr bedacht mit Rückschau und Vorschau, obwohl oder weil er jedes Jahr anders ist. Wohl dem, der sich an dem Jahrestag freut, dass er lebt. Wohl der Gemeinschaft, die sich einmal im Jahr ihres Bestehens freut und jene rühmt, die sie gegründet haben, die das Herz hat, «Evviva noi» zu sagen. Schade, dass in Zürich das Sechseläuten nicht ein Volksfest aller Kreise in allen Quartieren ist und dass am Ersten August in unserem Land etwas Halbsteifes haftet, weder recht feierlich noch recht fröhlich. Schade auch, dass der Eidgenössische Dank-, Buss und Bettag sich verdünnt und verflüchtigt hat. Seien wir an solchen Tagen gesammelt oder ausgelassen, wir treten vom Alltäglichen weg und merken, dieses Alltägliche habe und sei nicht das letzte Wort. Die Geschichte ist geeignet, uns vor Über- und Unterschätzungen unserer selbst zu bewahren. Sie macht Mut und dämpft Übermut. Zur Besinnung auf die Geschichte mag nicht nur das Fest, sondern kann auch eine konkrete politische Frage bewegen. Wir fangen nirgends von vorne an. Die Position, die Funktion, der Rang der Stadt Zürich im Kanton und — teils allein, teils mit dem Kanton zusammen - in der Eidgenossenschaft sind von neuem zu erkennen und zu umreissen, nicht einfach mit ein paar Worten der Deklaration, sondern mit Leistungen, die das städtische Gemeinwesen erbringt und als Pflicht anerkennt, Leistungen auch, die es von der Umgebung erwartet und empfangt, mit Aufgaben, die es wahrnimmt und erfüllt, wie mit Abgaben oder Beiträgen in Geld oder anderer Form, die es entgegennimmt. Die europäischen, besonders die schweizerischen Städte sind lange Zeit geschlossene, festgefügte Gemeinden gewesen, im Bild und im Leben bestimmt durch Mauer, Markt und Kirche. Sie gewannen ihre Besonderheit und das Bewusstsein davon allmählich, und allmählich ermattet dieses auch wieder. Wir unterhalten alte Bauten mit Eifer und unter hohen Kosten, pflegen sie so sehr, dass das Älteste nachgerade am neuesten aussieht. Das Weichbild und das Einzugsgebiet, die Ausstrahlung und die Anziehung der Stadt sind gross und weit. In der Agglomeration erkennen wir die Stadtgrenze nur, wenn der Taxichauffeur die Uhr auf den höheren Tarif umschaltet. Zürcher arbeiten in der Stadt und wohnen ausserhalb. Und Zürcher machen nur einen Teil der Wohnbevölkerung aus, unter der viele in der Stadt nicht heimatberechtigt, dennoch eng mit ihr verbunden sind. Die Stadt hält ihre Bürger und ihre Bewohner stärker über den Verstand an sich als das Land, zu welchem die Liebe mehr durchs Gemüt geht. Das Heimweh nach der Stadt fühlt sich anders als dasjenige nach dem Dorf oder dem Hof, obwohl es einstmals auch in der Stadt nach Mist roch, wie heute auch auf dem Land der Benzingeruch in die Nase sticht. Zürich nun: Wie ist es geworden? Wer hat es der Eidgenossenschaft zugeführt? Rudolf Brun? Oder war Brun und war seine Politik nur möglich, weil in Zürich die Verhältnisse auf Ausgestaltung und Sicherung der Kommune durch das Zunftwesen im Bündnis mit den Bergbauerngenossenschaften hinwiesen? Machte Zwingli Zürich protestantisch oder war etwas in Zürich, was Zwingli entgegenkam? Hat Zürich Alfred Escher hervorgebracht oder hat er Zürich geprägt — oder haben jene, die ihm Widerstand leisteten, die grössere Wirkung hinterlassen als er? Was hat Gottfried Keller aus Zürich aufgenommen, was haben sich die Zürcher von ihm sagen lassen, was haben sie überhört? Von ihm und von Späteren, Max Frisch etwa oder Kurt Guggenheim? Fragen, die jeden Tag auftauchen können. Der Werdegang Zürichs ist und ist nicht überblickbar. Und doch soll, «will» der Überblick von Zeit zu Zeit gewonnen werden. Das auf den Sommer 1986 angesagte Zweimillennienfest bewog die Volkshochschule zu einem Kurs über die Geschichte der Stadt, dargestellt von Historikern, die in ihr forschen und lehren, derart, dass jeder über diejenige Zeit referierte, mit der er oder sie sich als Gelehrter besonders befasst. Das bringt die Gefahr einiger Lükken, eine Gefahr, die man laufen darf, weil auch eine von einem einzigen Autor oder von einer kompakten Gruppe geschriebene Geschichte unausweichlicherweise lückenhaft sein muss. Ein Gewinn sind Kapitel ungefähr einheitlicher Grösse, da sie in neunzig Minuten gesprochen werden mussten; für den dritten Beitrag über das Mittelalter und den fünften über die Republik Zürich sowie für den letzten, über das zwanzigste Jahrhundert, standen zwei Vortragsabende zur Verfügung. Das Kapitel in diesem Band über das 17. und 18. Jahrhundert ist nicht vorgetragen worden. Der Gedanke, die Referate in einem Buch zusammenzufassen, tauchte erst auf, als die Vorträge schon verabredet waren. Hans Wysling, Herausgeber des Bandes «Zürich im 18. Jahrhundert» zum 150. Jahrestag der Universität vor drei Jahren, sagte wohl zwei Referate zu, wollte aber nicht noch einmal über dasselbe Thema schreiben und wollte nicht ein gut Teil eines Freisemesters dafür hingeben. Barbara Schnetzler hat den Beitrag für dieses Buch geschrieben. Zum Gedenken an die sechshundertjährige Zugehörigkeit Zürichs zur Eidgenossenschaft schrieb Anton Largiader 1951 die zweibändige Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich, die längst vergriffen ist. Sigmund Widmers dreizehnteiliges Werk, 1975-85, behandelt fast unter Ausschluss der politischen Ereignisse die Kulturgeschichte der Stadt. Wir freuen uns, dass mit diesem Band nun eine kurzgefasste und prägnante Stadtgeschichte für die Einwohner und Besucher zur Hand ist, die nüchtern, ohne Jubel oder Klage und gerade deshalb fesselnd berichtet, wie aus der Siedlung am Ende des Sees die kleine Weltstadt im Limmat- und Glattal, am Uetliberg und Käferberg geworden ist. Juli 1986 Robert Schneebeli Die ersten Siedlern Die Jungsteinzeit Der Gegenstand unserer Betrachtung ist die Urgeschichte des Siedlungsraumes am Ausfluss des Sees, also Zürichs Innenstadt. Die bisher ältesten menschlichen Spuren kamen hier bei einer Unterwasserausgrabung — übrigens der ersten richtigen Unternehmung dieser Art in der Schweiz überhaupt — zum Vorschein. Es handelt sich um Siedlungsreste auf dem Kleinen Hafner, einer ehemaligen kleinen Insel unmittelbar vor dem heutigen Bellevueplatz. Die Keramikgefässe, die dort in einer tiefsten Fundschicht gefunden wurden, sind typisch für die sogenannte Egolzwilerkultur, einer prähistorischen Kulturgruppe, die sonst nur aus dem Gebiet des Wauwilermooses (LU), wo auch das namengebende Egolzwil liegt, bekannt ist. Mit dem Auftreten der Egolzwilerkultur ist die Frage verknüpft, wie sich in der Schweiz die Kenntnis neoIitischer Wirtschaftsweise mit Getreideanbau und Haustierhaltung verbreitet hat. Mit Ausnahme von einigen Fundstellen nördlich des Rheins und einigen etwas unsicheren Zeugnissen kennen wir bislang im ganzen schweizerischen Mittelland keine älteren Belege für neolitisches Bauerntum. Haben wir es also am Ausfluss des Zürichsees und im Wauwilermoos mit einer zugewaiulcrten Gruppe von Menschen zu tun, die hier die revolutionierende neue Lebensweise einführte? Oder haben längst in der Gegend wohnende Leute die neuen Kenntnisse von auswärts erlangt und sind deshalb allmählich vom alleinigen Jagen und Sammeln abgekommen? Wir können diese Fragen auch heute noch nicht beantworten. Nur eines ist klar: Es gab in der Egolzwilerzeit, d. h. im späteren 5 . Jahrtausend vor Chr., bereits deutliche Kontakte mit dem Gebiet nördlich und nordwestlich der Schweiz, wo das Neolithikum schon sehr viel früher Einzug gehalten hatte. Aus den Siedlungsschichten der Egolzwilerkultur gibt es Bruchstücke von feinen, stich- und ritzverzierten Gefässen, die z. B. geradesogut aus der Gegend der Burgunderpforte, dem Gebiet nördlich des Rheins oder aus dem Fürstentum Liechtenstein stammen könnten. Ob diese Gefässe der sogenannten Rössenerkultur bei uns Import darstellen oder hier selbst hergestellt worden sind, ist wiederum nicht klar. Möglicherweise spielte die späte Rössenerkultur im nord- und ostschweizerischen Raum eine grössere Rolle, als wir aufgrund der doch immer noch etwas spärlichen Funde annehmen. Es fällt doch auf, dass auch während der Grabungen beim Pressehaus und an der Mozartstrasse einige Scherbchen zum Vorschein gekommen sind, die auf Rössen hinweisen. Und dann ist auch kaum glaubhaft, dass das neolithische Bauerntum das liechtensteinische Gebiet früher erreichte als die Nordschweiz. Die Untersuchung der Tierknochenabfalle, die aus der Egolzwilerschicht beim Kleinen Hafner stammen, zeigt, dass der Haustieranteil den Wildtieranteil bereits überwog. Vielleicht nicht zufälligerweise ist der Anteil von Resten des Schweins am grössten, wobei offenbar viele Wildtiere eingekreuzt worden sind. Die Möglichkeit des Einkreuzens wilder Tiere und damit eine erleichterte Weiterzüchtung hatte man bei Schaf und Ziege nicht, da diese Tierarten hier nicht wild vorkamen. Dass sie trotzdem in einiger Zahl gehalten wurden - nur das Rind ist unter dem Knochenmaterial ziemlich schlecht vertreten -, beweist eben die Abhängigkeit von Gebieten, wo die Umstellung zu neolithischer Wirtschaftsweise bereits früher stattgefunden hat. Dasselbe gilt für das Getreide, das ebenfalls bereits angebaut wurde, nämlich Weizen und Gerste. Auf die Egolzwilerkultur folgte die Zürcher Gruppe der Cortaillodkultur. Auf dem Kleinen Hafner war die entsprechende Schicht von der Egolzwilerschicht durch rund 10 cm Seekreide getrennt. Es fand also zwischen den beiden Siedlungsphasen ein Unterbruch von wahrscheinlich vielen Jahren statt, währenddem der See vom Inselland wieder Besitz ergriff. Weitere CortaillodsiedIungen fanden sich im Gebiet von der Bauschanze bis zur Quaibrücke, schräg gegenüber dem Kleinen Hafner auf dem Grossen Hafner, einer ehemaligen Insel rund 300 m ausserhalb des Ufers beim Opernhaus. Mit dem Namen Zürcher Gruppe soll angetönt werden, dass sich diese etwas vom normalen Cortaillod, wie wir vor allem vom Dreiseengebiet, aber z. B. auch aus dem Wauwilermoos kennen, unterscheidet. Es hat sich auch herausgestellt, dass diese Zürcher Gruppe älter als die klassischen Cortaillodsiedlungen sein muss und sicher zeitgleiche, grössere Fundsammlungen aus dem Kerngebiet der letzteren noch fehlen. Es ist deshalb heute noch nicht klar abzugrenzen, was wirklich lokale Besonderheit ist. Neuere Tauchgrabungen auf dem Kleinen Hafner, bei denen der Aufbau der verschiedenen Hauptschichten aus vielen einzelnen Feinschichten besser beobachtet worden ist, haben zudem bewiesen, dass die Besonderheiten dort nur in den ältesten Siedlungsphasen der Cortaillodzeit auftreten. In dieser Frühstufe gibt es auch noch Gefässe, die eine ungebrochene Entwicklung seit der Egolzwilerkultur belegen. Mineralogische und chemische Analysen der Keramik haben allerdings nicht bestätigt, dass das Material aus tiefster Schichtlage im Gegensatz zu dem aus mittlerem und 'oberem Schichtbereich grössere Ähnlichkeit zur vorangehenden Egolzwilerkultur zeigt. Hingegen scheint nach den Analysen eine ganze Gruppe von Gefässen aus tiefer Schichtlage aus Ton gefertigt zu sein, der nicht in unmittelbarer Nähe von Zürich verfügbar war, sondern am chesten aus dem Raume der Juraausläufer 20 km nördlich der Stadt oder von noch weiter her stammte, wobei offenbar der westlichere Jura eher ausser Betracht fällt. Stimmt dies, so müsste wohl die ganze Gefassgruppe von jenem Gebiet her eingehandelt worden sein, denn es ist schr unwahrscheinlich, dass man das Rohmaterial zum Töpfern von so weit her holte. Eher in den Kreis des klassischen Cortaillods sind nicht nur die jüngeren Phasen der eben genannten Hauptschicht auf dem Kleinen Hafner, sondern auch die Funde aus den Schichten 5 und 6 von der Ausgrabung Mozartstrasse beim Opernhaus zu rücken. Die noch in Gang befindlichen archäologischen Analysen werden aber wohl auch noch gewisse Besonderheiten der Entwicklung hier am Nordostrand des gesamten Verbreitungsgebietes der Cortaillodkultur nachweisen. Vor allem interessiert die Frage nach der Intensität der Beziehungen zu den Kulturen weiter nördlich. Noch während voller Blüte des Cortaillods im Dreiseengebiet findet ja am Zürichsee ein Wechsel zur Pfynerkultur statt. Unser Gebiet ist damit in einen Kreis eingegliedert worden, der vornehmlich die Nordostschweiz umfasst und in einer Tradition von Kulturen steht, deren Verbreitungsgebiet weit nach Norden reicht. Ob die früheren Siedler verdrängt oder einfach in eine neue kulturelle und vermutlich politische Ordnung miteinbezogen worden sind, bleibt offen. Siedlungsschichten der Pfynerkultur sind in Zürich wiederum beim Kleinen Hafner, der Bauschanze und an der Mozartstrasse, dann aber auch im Areal Akad/Presschaus (Sechofstrasse) und bei der Rentenanstalt (Breitingerstrasse) ausgegraben worden. Weitere Siedlungen lagen vermutlich auf dem Grossen Hafner und eine aussen in Wollishofen-Haumesser. Wie schon bei den Siedlungen der früheren Kulturen haben wir es in der Regel mit mehreren Phasen zu tun. Die Dörfer wurden erneuert, manche Plätze auch zeitweilig verlassen und