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Zur Problematik der Grundrechte PDF

61 Pages·1957·2.312 MB·German
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ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWISSENSCHAFTEN 45. Si tz ung am 19. Dezember 1956 in Düsseldorf ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEI STESWIS SENSCHAFTEN HEFT 71 fose! M. Wintrich Zur Problematik der Grundrechte Springer Faclunedien Wiesbaden GmbH ISBN 978-3-663-03976-1 ISBN 978-3-663-05422-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-05422-1 © 1957 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag Köln und Opladen 1 9 5 7. Zur Problematik der Grundrechte (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) Professor Dr. jur. fosel M. Wintrich, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe Der Vortrag, der am 18. Dezember 1956 vor der Arbeitsgemeinschaft für Forschung gehalten wurde, berücksichtigt in seiner hier vorgelegten Fassung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Januar 1957 - 1 BvR 253/56 (BVerfGE Bd. 6 S. 32) - in dem grundlegend zu Art. 2 Abs. 1 GG Stellung genommen wird. Nach einer Präambel, die hervorhebt, daß sich das deutsche Volk seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen bewußt war, allS es das Grund gesetz schuf, beginnt das Grundgesetz mit dem lapidaren Satz: Die Würde Ides Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieser Satz enthält eine entscheidende Aussage über das Wesen des Men schen, über das Wesen der Staatsgewalt und des Rechts und ihr Verhältnis zueinander. A Wenn man das Bekenntnis des Grundgesetzes zur Würde des Menschen und zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grund lage jeder menschlichen Gemeinschaft ernst nimmt und nicht als unverbind liche Deklamation betrachtet, ergibt sich die zwingende Folgerung: Die Norm des Art. 1 Abs. 1 GG hat - gerade auch vom Standpunkt des Verfas sungsgebers her gesehen - überpositiven Charakter, d. h., sie ist dem Verfas sungsgeber vorgegeben, er hat sie nicht geschaffen, sondern vorgefunden und anerkannt. Die Frage nach diesem Menschenbild, das dem Artikel 1 zugrunde liegt und ihn geprägt hat, wirxl im Rahmen der verfassungsrechtlichen Interpre tation eine Rechtsflrage, wenn sie auch dem überpositiven Charakter der Norm entsprechend zunächst eine anthropologische Frage ist. 6 Josef M. Wintrich Wenn ich sie im folgenden zu beantworten suche, gesdl1eht dies unter dem selbstv,erstäl1'dlichen VOl'behalt, daß es sich um einen persönlichen wis senschaftlichen Interpretationsversuch handelt. Würde kommt den Menschen um deswillen zu, weil er s,einer seinsmäßi gen Anlage nach" Person" ist Zwar ist auch der Mensch in den Zusammen 1. hang der Natur, in das Naturganze eingebaut, aber er ragt zugleich in ein zigartiger Weise rdurch s,eine Fähigkeit zu Selbstbewußtsein und Selbstbe stimmung darüber hinaus. Nur der Mensch kann im Ichbewußtsein sich seiner selbst bewußt werden und auf Grund dieses Sichselbstbegreifens und Sichselbstbesitzens über sich selbst verfügen, weil sein geistiges Wollen nicht unausweichlicher Notwendigkeit unterworfen ist. Er bestimmt frei dar über, ob er dem von ihm erkannten inneren Gesetz, das in seiner Natur angelegt ist, dem Gesetz des moralischen Sollens, folgen will oder nicht. Weil sich der Mensch auf Grund seiner Sach- und Normerkenntnis in freiem Rat schluß für oder gegen den Amuf der Werte entscheidet, ist er ein freies sitt liches Wesen, das den Anruf des eigenen inneren Sollens und der außerper sönlichen Autoritäten (Fremdbestimmung) zur Eigenbestimmung macht, da mit über sich selbst verfügt, über seinen Wert oder Unwert selbst entscheidet und so ein konkretes Wesen und Geschick eigenverantwortlich gestaltet. Der tiefste Grund des menschlichen Seins offenbart sich in dem innersten Raum, in den kein anderer eindringen kann, in dem der Mensch nur mit sich selbst ist, im Gewissen. Um dieses Fürsichseins, dieser Innerlichkeit willen, kommt die Würde des Menschen jedem einzelnen konkreten Menschen zu. Deshalb ist jeder einzelne schon um seiner Anlage willen in seiner einmaligen Exi stenz unauswechselbar, unvertretbar, unwiederholbar, unersetzbar. In der Seinsstruktur des Menschen ist außer seinem Insichselberstehen, noch ein weiteres, nicht minder wichtiges Moment enthalten. "Unser Sein ist wesentlich Mitsein. Menschliches Sein ist gleich Mitmensch sein 2." Der Mensch ist kein isoliertes, sich selbst genügendes, souveränes Einzelwesen: 1 Zum folgenden vgl. Wintrich, Die Rechtsprechung des bayerischen Verfassungsgerichts hofs (»Rechtsprechung") in Recht, Staat, Wirtschaft, Bd. IV, S. 144 f.; "über Eigenart und Methode verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung ("Methode") in Festschrift für La foret, S. 231 f.; J. B. Lotz, »Der Christ als Person in der Gemeinschaft" in: "Christliche Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft", Vortragsreihe der 2. Kath. Sozialen Woche in München 1949 (München 1950, S. 18 f.); »Freiheit und Person", Stimmen der Zeit, Bd. 140, S. 439 f. - Edgar Alexander "Europa und die westliche Welt, Die ethisch-politi schichte, Bd. XV, 57, S. 232 f. [235 f., 238 f.I, Hans-Eduard Hengstenberg, Philosophische Anthropologie (W. Kohlhammer, Stuttgart 1957. Da erst nach Abfassung des Vortrags erschienen, konnte das Werk leider nicht berücksichtigt werden.) 2 Heidegger, Sein und Zeit (1935), S. 125. Zur Problematik der Grundrechte 7 Der einzelne Mensch kann seine Anlagen nur in Kommunikation mit seinen Mitmenschen und in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt entfalten. Er bedarf seinsnotwendig der Hilfe und Ergänzung durch andere. Der Mensch kann auch als Person nur in Gemeinschaft mit anderen Personen existieren. Er ist gemeinschaftsverflochten und gemeinschaftsgebunden. Seine Freiheit kann daher nicht "prinzipiell unbegrenzt" sein. Ist so das Phänomen "Gemeins·chaft" schon mit der Seins struktur des Menschen gegeben, so kommt noch ein Weiteres hinzu, was der Gemein schaft Eigenwert verleiht; weil kein Einzelner - schon wegen der Besonder heit seiner Anlagen - alle in der menschlichen Natur angelegten Möglich keiten des Menschseins in sich auszuwirken vermag, kann die ganze Fülle des Menschseins nur durch Zusammenwirken in der Gemeinschaft (Koexistenz und Kooperation der Individuen) verwirklicht werden. Baut sich die Gemeinschaft aus freien, eigenständigen P.ersonen auf, die erst durch ihr Wechsel- und Zusammenwirken das Gemeinschaftsgut, das volle Menschsein ermöglichen und verwirklichen, dann muß in der Gemein schaft jeder als grundsätzlich gleichberechtigtes Glied mit eigenem Wert anerkannt, dann muß der Mensch auch in der Gemeinschaft immer Zweck an sich selbst (Kant) bleiben, dann darf er nie zum bloßen Mittel einer Ge meinschaftsraison, zum bloßen Werkzeug oder zum bloßen Objekt eines Verfahrens herabgewül"digt werden. Auf der anderen Seite müssen aber die Eigenwerte der Gemeinschaft (insbesondere des Staates) in ihren viel fältigen Formen und Abstlufungen anerkannt und geachtet werden. Plerson und Gemeinschaft sind demnach einander zugeordnete Pole (Be zugspole), deren jeder nur im Zusammenspiel mit dem anderen wesens getreu existieren und wirken kann. Der Mensch kann Person nur als Ge meinschaftwesen sein und menschenwül"'diges Gemeinschaftslieben ist nur unter allseitiger und gegenseitiger Achtung der Personenwücde möglich. Damit offenbart sich der innere seinsnotwendige Zusammenhang zwi schen dem Personwert und dem obersten Wert und Pflichtwerk der Ge meinschaft, der Gerechtigkeit. Ihre obersten Prinzipien werden durch die geistig-leibliche und soziale Grundstruktur des Menschen und deren unent behrliche Exisnenzbedingungen bestimmt. Si'e sind daher nicht inhaltsleer, sondern haben einen überzeitlichen materialen Gehalt. Mensch und Gemein schaft sind aber über ihl'e unveränderliche Grundstruktur hinaus zugleich geschichtliche Erscheinungen, di,e im einzelnen und im näheren sich erst in der Zeit entfalten. Deshalb unterliegen die aus den obersten Prinzipien ab geleiteten Forderungen der Gerechtigkeit in weitem Umfang dem Wandel 8 Josef M. Wintrich der Zeit und des Ortes, der Völker und Kulturen. Sie sind durch die je weilige geschichtliche Lage mitbedingt 3. Soll die Gemeinschaftsordnung den Forderungen gerecht werden, die sich aus dem Grundwert der Person, seiner gleichmäßigen Geltung für alle und dem Eigenwert der Gemeinschaft in ihren mannigfachen Erscheinungs formen ergeben, so hat das Recht als verbindliche Norm des äußeren menschlichen Verhaltens eine Sphäre der Freiheit zu sichern, in der der Mensch als geistig und sittlich selbständiges und verantwortliches Wesen existieren und wirken kann, zugleich aber auch eine Abgrenzung dieser Freiheitssphäre zu setzen, wie sie für die Gewährleistung der gleichen Frei heit für alle und die Notwendigkeiten der Gemeinschaft erfof1derlich ist. Damit ist zugleich eine grundsätzliche Erkenntnis über das Wesen des Rechts gewonnen, nämlich daß es auf sittliche Werte sinnbezogen ist. Sie werden von der Rechtsidee erfaßt, zu deren wesentlichem Bestandteil, nach dem heutigen, nie mehr preiszugebenden Stande der Erkenntnis, die Achtung und der Schutz der Menschenwürde und das Verbot der Willkür als Aus druck der Gerechtigkeit gehören. Mit der Rechtsidee wird indes nur ein Teilmoment des Gesamtphänomens des Rechts erfaßt. Das bedarf einer Erläuterung und Begründung. Im Recht sind, wie Schindler in seiner grund legenden Abhandlung" Verfassungsrecht und soziale Struktur"4 dargelegt hat, Momente normativer und tatsächlicher, formaler und inhaltlicher Art enthalten. Zu den normativen gehören: Ordnung und Rechtsidee (als zu sammenfassender Au~druck für den ethischen Gehalt der Rechtsordnung), zu den tatsächlichen: Macht, die politischen Gestaltungstriebe und die vitalen Notwendigkeiten, insbesondere die wirtschaftlichen Bedürfnisse. Formal, weil inhaltsleer, sind Ordnung und Macht, inhaltserfüllt dagegen die Rechts idee, die politischen Gestaltungstriebe und vitalen Notwendigkeiten. Die formalen Momente sind notwendig um eines Inhalts willen da, die norma tiven Momente sind notwendig mit den tatsächlichen verbunden. Alle Mo mente st·ehen untereinander in einem Spannungsverhältnis, insbesondere besteht ein solcher Spannungszustand auch innerhalb des normativen Mo- 3 Zum Problem der Geschichtlichkeit des Rechts vgl.: Arthur Kau/mann, Naturrecht und Geschichtlichkeit, Recht und Staat, Heft 197 (1957), R. Marcic, Das Recht in der Zeit, Der Staatsbürger, Salzburg, 10. Jg., 5. Folge, S. 4, lose/ Fuchs, Lex naturae (1955), S. 81 f., 116 f. (dazu K. Rahmer in: "Orientierung" [Zürich], Jg. 19, S. 239 f.)., ]. David, Wandelbares Naturrecht, in: "Orientierung", Jg. 20, S. 171 f., insbesondere: Leo Strauß, Naturrecht und Geschichte (Stuttgart 1956) mit Vorwort von G. Leibholz, Helmut Kuhn, Naturrecht und Historismus, ZPolit. 1956, 289 f. (Besprechung des Buches von Strauß). , Zürich, 1944. Zur Problematik der Grundrechte 9 ments, zwischen dem materialen Wert der Gerechtigkeit und den im Ord nungsmoment enthaltenen formalen Werten der Rechtssicherheit und Frie densbewahrung. Alle diese Momente sind in der "übergreifenden Einheit des Rechts" zusammengefaßt. Dies bedeutet: ,die Bändigung der oft gegen sätzlichen Spannung zwischen den Momenten, aber zugleich ihr latentes Weiterwirken im Recht. Im Phänomen des Rechts sind demnach Sein und Wert, Sein und Sollen untrennbar miteinander verknüpft und ineinander verflochten. Die einzelnen in ihm enthaltenen Momente können zwar methodisch voneinander getrennt werden, sie dürfen aber nicht voneinander isoliert und verselbständigt, 'Sondern sie müssen stets in ihrem ihnen eigen tümlichen Zusammenhang gesehen und gehalten werden. In dieser "dialek tischen Struktur des Rechts" liegt die ständige Gefahr, daß das rechte Maß der gegenseitigen Zuordnung der im Recht enthaltenen Momente gesprengt und ,damit sein Wesen zerstört wird, das der uralte Satz abendländischen (Rechts-) Denkens, der Spruch des Anaximander, wie folgt umschreibt: "Einem Seienden .das gehören lassen, was als Gehöriges ihm eignet 6. " Innerhalb des Spannungsverhältnisses kann sich das Gewicht weitgehend zwischen den ,genannten Polen verlagern. So kann etwa ungerechtes, unrich tiges Recht noch Rechtscharakter haben, solange es mit dem Gedanken der Gerechtigkeit verträglich ist, daß ihm um der Rechtssicherheit willen Ver bindlichkeit zukommt. Khnliches gilt für das Verhältnis des sittlichen Mo ments zum wirtschaftlich-politischen und Machtmoment. Nur in einem äußersten Grenzfall, wenn die Menschenwürde oder sonstige überzeitliche Prinzipien ,des Rechts verletzt oder sonst die für das Gemeinsch,aftsleben unentbehrlichen Werte verleugnet oder pervertiert oder in einem unerträg lichen Maß mißachtet werden, wird das Spannungsverhältnis zerrissen und damit unrichtiges Recht zum unverbindlichen Nichtrecht. Diesen Standpunkt, der der von Radbruch 8 geprägten Formulierung nahekommt, teilt auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Dezember 19537• Schon vorher hatte der Bayerische Verfassungsgerichts hof in seiner Entscheidung vom 14. März 19518 im Anschluß an seine Ent scheidungen vom 10. Juni 1949 und 10. Juni 19509 folgende zwei grund legen1de Thesen entwickelt: 5 Heidegger. Holzwege, S.329. 8 Lehrbuch der Rechtsphilosophie. 4. Auflage (1950), S.353. 7 BVerfGE Bd. 3, S. 225 f. 8 VGHE n. F., Bd. 4, Teil 11, S. 51 [58}. 8 VGHE n. F., Bd. 2, Teil 11, S. 45 [47} u. Bd. 3, Teil 11, S. 28/47}. (Die Entscheidung ist versehentlich unter dem Datum ,,24. April 1950" veröffentlicht). 10 Josef M. Wintrich 1. Es gehört zum Wesen und Sinngehalt des Rechts, den sittlichen Werten der Menschenwürde und der Gerechtigkeit und damit der Freiheit zu dienen. 2. Alle Staatsgewalt - auch die verfassunggebende Gewalt - ist durch die Idee des Rechts von vorherein begrenzt. Damit kommt die Erkenntnis zum Ausdruck, daß die Achtung und der Schutz der Menschenwünde und das Verbot der Willkür, beide im Sinne der Rechtsidee als oberste sittlich·e Rechtsgrundsätze verstanden, zu den Konstitutionsprinzipien des Rechts gehören. Weil sie die " Natur" des R·echts mitbestimmen, wird durch ihre Verletzung ein Akt, der äußerlich, formell als Rechtsakt gesetzt ist - mag es sich um eine Norm oder um Normanwen dung handeln -, "denaturiert" und damit seines Rechtscharakters ent kleidet 10. Durch den Wesensgehalt des Rechts als einer bestimmt gearteten Ordnung des menschlichen Seins ist daher auch der verfassunggebenden Gewalt eine inhaltliche Schranke gesetzt. Das entmachtet sie nicht, sondern gibt ihr erst ihre Würde und Legitimität. Das gleiche gilt auch von dem Kernsatz der Demokratie "aUe Staatsgewalt geht vom Volke aus" Soll Volksherrschaft 10'. nicht zur Tyrannis, zu Gewaltherrschaft entarten, soll sie rechtsstaatliche Demokratie bleiben, soll sie ihre hoheitliche Weihe und Würde bewahren, darf sie nicht dahin mißverstanden werden, daß das Volk als oberster Träger der Staatsgewalt unter Mißachtung der Natur des Rechts eine Zwangsordnung mit beliebigem Inhalt setzen kann. B Ich komme nun zu der Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 innerhalb der posi tiven Verfassungssystems. 1. Innerhalb des Rahmens des objektiven Verfassungs rechts, des Grund gesetzes, ist Art. 1 Abs. 1 eine aktuell geltende Verjassungsnorm obersten Ranges. Das ergibt sich schon daraus, daß Achtung und Schutz der Men schenwürde zu den Konstitutionsprinzipien des Rechts gehören. Es wird aber folgerichtig für den Verfassungsbereich des Grundgesetzes durch Art. 79 Abs. 3 bestätigt, wonach Art. 1 jeder Verfassungsänderung entzogen ist. Art. 79 unterscheidet zwei Arten verfassungsrechtlicher Normen: Funda- 10 L. Pitamic, Naturrecht und Natur des Rechts, ast. ZOffR NF VII, S. 190 f. [199, 206}. IOa vgl. Thieme "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", JZ 55, 657 f. Zur Problematik der Grundrechte 11 mental normen die legal, d. h. im Wege .der Verfassungsänderung weder 11, aufgehoben noch abgeändert werden können (Art. 79 Abs. 3) und Normen, denen lediglich eine erhöhte Bestandsgarantie zukommt (Art. 79 Abs. 1 und 2). Dieser Unterscheidung liegt eine Wertung, ein Wertunterschied zu grunde. Ihm entspricht eine Rangordnung, eine Stufenfolge der Normen innerhalb der geschriebenen Verfassung selbst, die insbesondere für die Auslegung der einzelnen Verfassungsnormen und ihren Zusammenhang von Bedeutung ist. Das Verfassungssyst,em unserer freiheitlichen Demokratie ist kein" wertneutraler Mehrheitsmechanismus" , sondern der Ausdruck eines " Rechtssystems, das durch die Hierarchi'e der tragenden Werte bestimmt und geprägt ist" Aus diesem Grunde hat der Verfassungs geber die Werte, 12. denen er eine überragende Bedeutung innerhalb des Rechts- und Verfas sungssystems beimißt, jeder legalen Knderungsmöglichkeit entzogen. Art. 79 Abs. 3 ist die rechts technische Form, bestimmte Inhalte (Grundwerte, Grund normen) unverbrüchlich zu sichern. Er kann als positive Norm nur inner halb der eigenen gesetzten Ordnung gelten, also nur die verfassungän dernde, nicht aber die verfassunggebende Gewalt (den pouvoir constituant) binden. Daß darüber hinaus Achtung und Schutz der Menschenwürde Vor aussetzung jeder möglich'en Rechtsetzung ist, kann sich nicht aus einer posi tiven Verfassungsnorm, sondern nur aus dem Wesen des Rechtes selber er geben, wie dies oben dargetan worden ist. Gegen eine Rangordnung der Verfassungsnormen in dem Sinne, daß auf der Ebene der Verfassung selbst rangniederere an ranghöheren Normen gemessen werden können, ist eingewendet worden ein solches Messen der 13: Verfassungsnormen aneinander sei grundsätzlich nicht denkbar, weil das Grundgesetz nur als Einheit begriffen werden könne. Der Verfassungs·· geber könne von seinen eigenen Normen auch Ausnahmen statuieren, die nach der Regel vom Vorrang der speziellen gegenüber der allgemeinen Norm zu beachten seien. Dagegen ist zu sagen: Zunächst ist nicht einzu sehen, warum ein Ganzes nicht auch ein gegliedertes Ganzes sein kann. Es wird ja auch die gesamte Rechtsordnung als einheitliches Normensystem gedacht, trotz der rangmäßigen Abstufung in Verfassung, Gesetz und Ver ordnung. Denknotwendig ist nur, daß ein System, das als Ganzes begreifbar 11 vg!. Wintrich, "Rechtsprechung" S. 147, "Methode"; Nawiasky, Allgemeine Rechts lehre, 2. Auf!. (1948), S. 31, Positives und überpositives Recht, JZ 54, 717 f. [718]. 12 W. Kägi, Rechtsfragen der Volksinitiative auf Partialrevision. (Ein Beitrag zur Lehre von den inhaltlichen Schranken) in ZschweizR NF Bd. 75, S. 740 a, f, [827a, 816a}. 13 BVerfGE Bd. 3, S. 225 [231}, BGH Z. 1, 274 [276}.

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