MORITZ GEIGER ZUGÄNGE ZUR ÄSTHETIK DER NEUE GEIST VERLAG / LEIPZIG 'I+A-1?/:t. • 7-;:2.2-3( :Z Lf olL- ELISAßETH GEIGER GEWIDMET Copyright by Der Neue Geist Verlag Leipzig 1928 INHALT Seite Vorwort VI Vom Dilettantismus im künstlerischen Erleben 1 Oberflächen-und Tiefenwirkung der Kunst • 43 ... Die psychische Bedeutung der Kunst . 67 Phänomenologische Ästhetik . • . . 136 \ Uber den Sentimentalismus spricht der Aufsatz: "Vom Dilettantismus im künstlerischen Erleben" (der einige Bemerkungen einer früheren Arbeit "Phänomenologie des ästhetischen Genusses" [Niemeyer 1913] weiter aus baut); von den Gefahren der Oberflächenwirkungen handeltder Aufsatz:" Oberflächenwirkungen und Tiefen wirkungen der Kunst". VORWORT. Erst nach der Abwehr außerästhetischer Einstellungen Der Zugang zur Ästhetik liegt letztlich in unserem ist der Weg geebnet für die Untersuchung der "psychi eigenen ästhetischen Erleben. Keine noch so schen Bedeutung der Kunst". Der Aufsatz, der diese tiefe Metaphysik, keine noch so geistreiche Gedanken Bedeutung systematisch untersucht, steckt sich einer konstruktion kann das eigene Erleben ersetzen. Wie seits. ein engeres, andererseits ein weiteres Ziel als der aber, wenn das ästhetische Erleben verkümmert, v~r Titel-vielleicht vermuten läßt. Zur psychischen Bedeu fälscht, mit außerästhetischen Tendenzen durchsetzt tung der Kunst gehören in weiterem Sinn auch die ist? Dann wird derWeg durch da:s eigene Erleben hin außerästhetischen Wirkungen auf d,ie Seele der Men durch zum Irrweg werden; der Zugang zur wissenschaft schen - die seelisch entlastende Wirkung; die Wirkung lichen Ästhetik ist verrammelt, die Undiszipliniertheit auf die Weltanschauung usw. Von alledem soll nur des ästhetischen Erleheus wird auch der Wissenschaft nebenbei die Rede sein; im Vordergrund steht viel der Ästhetik zum Verhängnis. 1 mehr die rein künstlerische Wirkung. Andererseits aber Erst eine Reinigung des Erleheus kann in diesem läßt sich die spezifisch künstlerische Wirkung nicht ver Fall den Weg zur Wissenschaft wieder frei legen; des stehen, ohne daß die Kunst selbst in ihrer objektiven halb muß aller ästhetischen Wissenschaft die Klarheit Gestalt vor Augen geführt wird: die Lehre von der seeli darüber vorausgehen, worin die Gefährdung der Rein schen Bedeutung der Kunst setzt eine Kunsttheorie heit ästhetischen Erleheus denn nun eigentlich bestehe. voraus.-So sollen denn in diesem Aufsatz in abge~ürzter Zwei solcher Abirrungen ästhetischer Erlebnisse sind und dogmatischer Form allgemeinste Ergebnisse der vor allem heute weit verbreitet: der Sentimentalis Kunsttheorie vorausgenommen werden, deren Recht mus als ein Erbstück romantischer Geistesart und die fertigung in einem Buche über "Die Bedeutung der Verwechslung von Oberflächen- und Tiefen Kunst" (das in nicht allzu ferner Zeit erscheinen wird) wirkungen der Kunst als Ausdruck eines entseelten gegeben werden soll. Diese antizipierende Form des Zeitalters. Deshalb setzt diese Sammlung von Aufsätzen Aufsatzes ist auch der Grund, weshalb die psycholo bei der Bekämpfung dieser beiden Entgleisungen ein: gischen Begriffe, die in dem Aufsatz verwandt werden, VI VII "Substanz des Ich, Steigerung der Realität des Ich'' usw. keine restlose theoretische Aufklärung erfahren, Die ästhetische Theorie legt hier eine Formwissenschaft licher Psychologie zugrunde, die es nicht, oder nur in Ansätzen gibt. Auch hier muß derjenige, der letzte VOM DILETTANTISMUS Exaktheit verlangt, auf spätere Veröffentlichungen ver tröstet werden. IM KUNSTLERISCHEN ERLEBEN. Zu dem heute viel umstrittenen Gegensatz einer psychologischen Ästhetik und einer Ästhetik', die 1. vom ästhetischen Gegenstande ausgeht, nimmt der Der Dilettantismus im künstlerischen Schaffen vierte Aufsatz "Phänomenologische Ästhetik" Stellung: kann mehr als ein Argument zu seinen Gunsten an Die Probleme der einzelwissenschaftlichen Ästhe führen- dem Dilettantismus im künstlerischen Er tik - das wird in diesem Aufsatz gezeigt - können nur leben fehlen alle mildernden Umstände. Der be durch eine gegenstandsorientierte Ästhetik gelöst wer scheidene Dilettantismus künstlerischen Schaffens ist den. Allein die einzelwissenschaftliche Ästhetik ist nicht ungefährlich: Wenn es wirklich nur der "Lieb~aber" allein auf dem Plan. Für wichtige Probleme des ästhe ist, der seine Liebe zur Kunst und zum künstlenschen tischen Gesamtkomplexes erweist die psychologische Schaffen in anspruchsloser, selbstgenügsamer Form aus Methodik ihre Berechtigung. So ist es denn auch kein drückt, so wird sein Gestaltungstrieb befriedigt, ohne i· Gegensatz zu dieser Parteinahme für die gegenstands I daß der Allgemeinheit Schaden daraus erwächst. J?ar -l ~ orientierte Ästhetik, daß in den drei ersten Aufsätzen üher hinaus: der Dilettantismus in der Ausübung emer die psychologische Methode in den Vordergrund tritt: Kunst vermag der Erziehung zum Verständnis des wirk Da hier Fragen des Erleheus zur Sprache kamen,· so . lich Großen zu dienen. Wer sich selbst in einer Kunst mußten solche Probleme des Psychischen auch versucht hat, kann in ganz andererWeise alle Schwierig mit psychologischen Mitteln behandelt werden. Die keiten der Ausführung .ermessen, und deutlicher sehen, Ästhetik ist eine gegenstandsorientierteW issenschaft worauf es letztlich ankommt, als der, der einer Kunst der Zugang zur Ästhetik führt über die Psychologie. nur als Aufnehmender gegenübersteht. Nur der Hoch' mut des Alles oder Nichts" wird solchen Dilettantis- " . . Göttingen, März 1927. Moritz Geiger. mus verachten, dem Goethes ahwä.genqe Sachlichkeit das Wort geredet hat. . . All solche günstigen Wirkungen fehlen dem Dilet tantismus des künstlerischen Erlebens: Er fördert das echte Erlebnis künstlerischerWerte in gar keinerWeise Nichtkönnen zu bekennen, steigert er sich in einen un - im Gegenteil, er ist dem echten künstlerischen Er ehrlichen Dilettantismus des Erlebens. Nicht anders, lebnis abträglich wie die Schmarotzerpflanze dem wie in der religiösen Sphäre, heute, da der kulturelle Wachsturn des Wirtes: er eignet sich die Säfte an, die Zwang zum religiösen Erleben nachgelassen hat, offen jenem gehören. Er korrumpiert das echte Kunsterlebnis bar wird, wie groß die Zahl der letztlich religiös Gleich in jedem, der sich ihm hingibt. Uber den Erlebenden hin gültigen ist, denen frühere Zeiten ein dilettierendes reli aus erstrecken sich seine üblen Wirkungen: Er nimmt giöses Erlebep. suggeriert haben. das Werturteil des Erlebenden, das auf unechtem Er Die Situation ist hier, beim Dilettantismus des künst leben aufgebaut ist, als allgemeingültig an und läßt nur lerisChen Erleheus um so unerfreulicher, als theoretische eine Kunst gelten, die sich an dilettantisches Erleben Aufklärung nur selten imstande sein wird, den Dilettan wendet - und wird so verderblich für die gesamte · tismus künstlerisc~en Erleheus zu beseitigen. Es fehlt künstlerische Kultur. dem Dilettanten des Erleheus fast immer die theore Kultursoziologische Momente verschieben noch die tische Reinlichkeit, die ihn dazu befähigt einzusehen, Situation zu ungunsten des Dilettantismus des Er worin denn sein Dilettantismus nun beruht. Und wenn lebens: Es gibt hochgebildete Menschen, die auf keinem einmal der unerhörte Fall einträte, daß ein solcher Dilet Kunstgebiet als Schaffende dilettieren, die sich überall tant sich überzeugen ließe, daß er sich auf falschem Ge bescheiden Aufnehmende zu sein; und niemand macht leise befinde-es ist ausgeschlossen, daß die neugewon ihnen deshalb den Anspruch auf "Bildung" streitig. nene theoretischeEinsieht sofort oder auch nur in kurzer Allein es steckt nun einmal in unserer - vielleicht im Zeit das Erleben in ihrem Sinne umbilden könnte. Man Absterben begriffenen - Anschauung von dem Wesen hat oft genug darauf hingewiesen, daß falsch einge 'i eines kulturell Hochstehenden die Forderung, daß er lernte mechanische Gewohnheiten-eine schlechte Fin sich aufnahmefähig für Kunst erweise- eine Forde gerhaltung beim Klavierspielen, eine schlechte Aus rung, der sich nur selten jemand aus Trotz,W eltanschau~ sprache einer fremden Sprache - wenn sie erst einmal ung oder Banausenturn zu entziehen wagt. Man gibt viel eingerissen sind, sich nur mit großer Energie und nur in leicht zu unmusikalisch zu sein oder keine Augen für langsamer Umgewöhnung korrigieren lassen; und die Malerei zu besitzen; aber weder Musik, noch Literatur,. experimentelle Psychologie hat ziffernmäßig schlagend noch bildende Kunst genießen zu können, das wird gezeigt, wieviel größer dieMühe ist, eine solche Gewohn kaum jemand, der auf Bildung Anspruch macht, sich heit in eine richtige zu verwandeln als eine richtige aus selbst, geschweige denn andern, zugestehen. So pflegt voller Ungeübtheit heraus zu erlernen. Für die Um der für eine der Künste Unempfängliche sich das Er wandlung falsch strukturierter, dilettantischer Er leben dieser Kunst zu suggerieren, statt sein ehrliches lebnis s e in richtig strukturierte lassen sich zwar keine 2 1* 3 Ziffern angehen, aber ahnen läßt es sich, wie viel schwerer inadäquaten Erlebnissen benutzt-mögen die Zwecke, noch sich Erlebnisse umwandeln lassen als Gewohnhei die er damit verfolgt, hoch oder· niedrig sein. Wenn ten. Die Wiederholung von Erlebnissen schafft nicht bloß sich Schiller von seinem Freunde Streicher auf dem eine Gewohnheit des Reagierens mit bestimmten Er Klavier vorspielen ließ, um sich in die richtige Stim lebnissen, sondern das ganze Ich wird im Sinne dieser mung zum dichterischen Schaffen zu versetzen, so ist Erlebnisreaktion umgebaut: Selbst dann,w enn ursprüng das kein Dilettantismus. Aber es ist auch kein Dilettan lich das falsch strukturierte Erleben nicht aus einem an tismus, wenn jemand Boccaccio oder Zola liest, mit der geborenen Hange des Ichs stammt, so verwandelt doch Absicht, sich sexuell aufzuregen, selbst wenn er vor jedes Wiederholen der falschen Erlebnisse das Ich in andern künstlerische Erlebnisse zu haben vorgibt. seinem Sinne - und diese falsche Abstimmung des Ichs Nur dort, wo der Erlebende gar nicht den Unterschied führt ihrerseits wieder zur V erstärk~ng der Tendenz zu seiner Erlebnisse von echt ästhetischen bemerkt-nur falsch strukturierten Erlebnissen, dort liegt die Berechtigung vor Dilettantismus des Er lehens zu statuierf'n. 2. Die Formen des dilettantischen Erleheus der Kunst Wir werden überall dann vom Dilettantismus künst sind mannigfacher Art: Die mimicry künstlerischen Er lerischen Erleheus reden dürfen, wenn erstens Kunst lehens überdeckt Erlebnisse ganz verschiedener Her werke Erlebnisse auslösen, die nicht aus den Werten kunft.· Letztlich beruhen sie alle darauf, daß sie sich der Kunstwerke stammen, sondern anderen Ursprungs gegen das Grundprinzip ästhetischen Erleheus versün sind-die Erlebnisse also den Werten des Kunstwerks digen-gegen jenes Grundprinzip, das lautet: Nurjenes inadäquat sind-und wenn zweitens diese inadäquaten Erleben ist ästhetisch, das den Werten des Erlebnisse dennoch für echte künstlerische Erlebnisse ge Kunstwerkes oder des ästhetischen Gegen halten werden. Beide Bedingungen müssen zugleich er standes seinen Ursprung verdankt. Deshalb füllt sein, damit vom Dilettantismus künstlerischen Er wird jedes Erleben dilettantisch sein, das aus anderen lehens gesprochen werden kann. Wer nur für oberfläch Quellen stammt und sich dennoch als ästhetisches Er liche Kunstwirkungen Sinn hat und für alle tieferen lehen ausgibt. Kunstwirkungen zugeschlossen ist, der bleibt diesseits 3. alles echten Kunsterlehens, aber er istkein Dilettant· des Erlehens, falls er nicht den Anspruch darauf macht, Gegen eine besonders häufig vorkommende Form des echte Kunsterlebnisse zu haben. Andererseits kann Dilettantismus ästhetischen Erleheus hat sich der Spott ehensowenig demjenigen der Vorwurf des Dilettantis der Kunstverständigen schon seit langem ausgiebig ge mus gemacht werden, der b e w u ß t Kunstwerke zu wandt: Menschen, denen die spezifisch künstlerische 4 5 Haltung ~icht i~Fleisch und Blut ühergegangenist, pfle Gefühle können sich um so reiner auswirken, je weniger gen den asthetischen Gegenstand in seinen Werten ~u die künstl-erische Gestaltung die "Gesinnungstüchtig verfehlen, indem sie sich auf eine falsche Seite des ästhe keit" eindämmt. V erb indet sich das Pathos des Stoffes tischen Gegenstands einstellen. Hier pflegt also nicht .gar noch mit dem Pathos der Gestaltung~ so können von etwa autochthon ein falscher Erlebnisakt zu entstehen künstlerischer Einstellung unbeschwerte Massen kaum vielmehr ist die Reaktion mit falsch. strukturierten Er~ widerstehen. lebnissen erst eine Folgeerscheinung. Wenn der Auf- _ Es ist das wichtigste Erfordernis künstlerischer Ein nehmende schon in der Aufnahme an dem Werte des stellung, sichvon dieser Induktion stofflicher Gefühle Gege~standes vorbeigeht, so werden richtige Erlebnis,.. zubefreien,die nur durch denrohen Gehalt des"Inhaltes reaktwnen von vörnherein unmöglich gemacht. . · wirken: der Liberale, dem -die Freiheitsfanfaren das Am häufigsten wird der ästhetische Gegenstand da künstlerische Gemüt verwirren, der Patriot, dem die durch verfehlt, daß dieErlebnisse sichauf die. Stofflich- patriotischei:t Phrasen zu pseudoästhetischem Erlebnis . keit des Kunstwerkes statt auf künstlerische Form ausreichen, machen sich nicht klar, daß sie prinzipiell gründen. DieseVerwechslung liegt nahe bei den imitati künstlerisch auf derselben Stufe stehen wie jene Hinter ven Künsten. .Der Patriot begeistert sich ·für Dramen weltler in den Prärien Amerikas, von deneil die Sage und Novellen,. aus der vaterländischen Geschichte für erzählt, daß sie auf den Darsteller des Bösewichtes Schla~t~nbilder und. Darstellungen von Siegessz:nen, schießen. In beiden Fällen wird Stoffliches· in seiner der religiöse Mensch für religiöse Bilder und Romane· Realität hingenommen, anstatt als Material künst der Arbei~er wird gepackt von Schilderungen, die di: lerischer Gestaltung. Hier das Stoffliche des Geschehens, Not des vierten Standes schildern, weil diese Not ver dort das Stoffliche der Gesinnung und Gefühle. wandte Seite~ in ihm erkl~ngen läßt. Ethisch veranlagte . . Komplizierter liegt die Wirkung des Stoffes· beim ~e~schen gemeßen moralische Schilderungen, für idea Hauptthema aller Poesie, bei der Liehe. Auch hier wirkt listisch veranlagte Menschen ist derldealismus der stoff natürlich das Stoffliche zunächst durch Induktion; lichen Behandlung schon zu einem pseudoästhetischen die im Geäicht, im Roman dargestellten Gefühle der Genuß ausreichend. Wo der Held oder die Heidin des Liebe, die erotische Spannung, die se~uelle Atmosphäre Romans vor Edelmut triefen, da können sie der Teil werden rein als solche genossen. Allein häufiger ist hier nahme naiver Seelen versichert sein. Hier wird· überall eine andere Form stofferzeugten Dilettantismus des Er die ethische, religiöse, patriotischeErhebuno- die . . o• lebens: Der Dilettantismus der stofflichen Einfüh- durch den Stoff ausgelöst wird~ für künstlerische Er- . lung: Der Aufnehmende versetzt sich in den erotischen ~~bu~g geno~men; die .rein stoffliche Begeisterung Helden und nimmt die erotischen Erlebnisse vorweg, die fur kun s t1 ens ehe Begeisterung. Die außerästhetischen ihm im Leben versagt sind. "Je~erJünglingwünschte so '6 7 zu liehen, jedes Mädchen so' geliebt zu sein" gilt nicht nur Augen ab. "Bei fröhliclten und entzückenden voll für den W erther, sondern auch für jene Hintertreppen stimmigen Symphonien, die er vorzüglich liebte~ kam es romane, die das Nähmädchen mit glühenden Wangen ·ihm gar oftmals vor, als sehe er ein munteres Chor von verschlingt, weil es für die kurze Zeit des Lesens sich in Jünglingen und Mädchen aufe iner heiterenWiese tanzen, das edle Mädchen verwandelt, das allen Hindernissen wie sie vor- und rückwärts hüpften und wie einzelne zum Trotz von dem reichen Grafen zum Altar geführt · P~are in Pantomimen zueinander sprachen und sich wird: Die Identifizierung des Aufnehmenden mit dann wieder unter den frohenRaufen mischten." (Aus dem Helden des Dramas, des Romans, der Novelle wirkt dem merkwürdigen musikalischen Lehen des· Tonkünst hier· gefühlserregend, verdrangte .,... oder nicht einmal lersJoseph Berglinger,.von Wackenroder.) Es ist ein he v:erdrängte-Wünsche leben sich aus; der Stoff wirkt lif•hter Streit unter Laien, welche unter den vielen Ge- · nicht ·bloß induzierend, wie etwa bei der patriotischen schichten, die man sich beimAnhören eines Musikstückes Begeisterung, sondern zur Einfühlung anregend. vorstellen kann, die "richtigere" sei-ein bezeichnender Ausdruck der Verkennung dessen, worauf es heim Musik 4. hören ankommt: Auf das Musikstück seihst und nicht Nur in den imitativen Künsten finden sich jene Arteil auf irgendwelche damit verknüpften Assoziationen. der Verfehlungen des· Gegenstandes, die die Schranken Populäre Musikführer haben hier durch ihre Interpre verkennen, die Real..:Stoffiiches vom Dargestellt-Stoff tationen viel gesündigt, indem sie jede Phase eines lichen trennen: Nur inderLiteratur, in derMalereiund Musikstückes mit Ausdeutungen begleiten. 1 Plastik enthält der Stoff eine dem Lehen nachgeahmte Diese Erweiterung des ästhetischen Gegenstandes Realität. Es ist schwer in der Architektur, in der durch umspielende Vorstellungen istfreilichnicht aufd ie . Ornamentik .den Gegenstand ernstlich zu verfehlen. Musik beschränkt, wenn sie auch das vornehmste Ge Unter den nichtimitativen Kiinstenkennt nurdie Musik biet dieser Art der Verfehlung des Gegenstandes dar ihre eigeneArtdesV erfehl~ns des Gegenstandes, die unter stellt. Auch die bildende Kunst nimmt daran teil. Wie Laien sehr häufig, unter Künstlern kaum jemals vor-' Max Klinger mit Recht sagt! "Ich hin überzeugt, daß kommt. HalbmusikalischeLaien pflegen sich durch Musik zu Bilde;r:n, Träumereien, Geschichten anregen zu lassen;. 1 Es ist hier nur von absoluter Musik die Rede; dort, wo die Verbindung der Musik mit anderen Künsten im Werke selbst sie genießen diese Bilder, diese Träumereien und angel~gt .jst, liegt der Tatbestand weit kom~liziert~r: Beim Lied, Geschichten, sie genießennicht das Kunstwerk. Ganze der dtamatischen Musik, der Programmus1k, bei Jener halben Romane erleben sie, während sich das Orchester mit Prog~~musik, die durch den Titel einen gewissen Inhalt des der kunstgerechten Aufführung einer Beethovenschen Musikstückes bezeichnet (Der Bach, Le jar,din dans Ia pluie usw.). Zu ·untersuchen, was hier vorliegt, gehört in die Erforschung der Symphonie plagt-ganze Szenen spielen sich vor ihren Künste selbst, nicht mehr in die Besprechung ilires Mißbrauches. 9 alle jene unvermeidlichen hübschen ·Mädchenköpfe Oder soll man gar annehmen, daß nur die das Kunstwerk Ada - Hermine - Lydia - der illustrierten Blätter ·richtig genießen, die genau dieselben Bilder in sich re vollständig verschwinden würden, wenn Eigennamen produzieren, die dem Komponisten vorschwebten, wäh nicht mehr darunter gesetzt werden dürften. Ich habe rend er das Kunstwerk schuf (wie man in Konsequenz beobachtet, daß ein solches, in einem Blattnur "Studie" einer oft mißverstandenen Theorie, daß das Erleben des genanntes Gesicht einen Kunstfreund ganz kalt ließ, Kunstwerks· ein "Nachschaffen" sei, behaupten könnte)? aber als "Kläre" in einem andern ihm volles Interesse Freilich darf diese Abwehr der visuellen Bilder nicht abgewann. Der Mangel einer regelrechten Vorstellung übers Ziel schießen. Es gibt Menschen, in denen solche hinderte den W obierzogenen jedenfalls am Abwickeln visuelle Bilder beim Anhören von Musik ganz von der selbstgesponnenen kleinenNovelle, die sich jedem selbst auftauchen - auch bei voller Einstellung auf das Blattanzuschließen pflegt." (Malerei u. ZeichnungS. 24.) Musikwerk (so wie bei anderen den Tönen ganz be Es geht nicht an sich für diese Form der Verfehlung stimmte Farbeindrücke zugeordnet sind - die vielbe des ästhetischen Gegenstandes in der Musik auf Äuße sprochene audition colon3e). Sie sind in solchen Fäl rungen der Komponisten zu berufen. Als Beethoven um len bloße Begleiterscheinungen, wie die Bilder, die bei die Bedeutung seinerD-Moll-und F-Moll-Sonaten be ·Visuellen auch das abstrakteste Nachdenken begleiten. fragt wurde, hat er geantwortet: "Lesen Sie nur Shake Der V ersuch, sie zu unterdrücken, würde das Gegenteil speares Sturm!" Aber es wäre töricht zu glauben, daß nun dessen erreichen, wasbeabsichtigt ist.: Er würde von jemand, der Shakespeares "Sturm" nicht gelesen hat,nicht intensivem Aufnehmen der Musik ablenken. Wenn sie vollstes Verständnis für diese Sonaten gewinnen könnte. bloße harmlose Begleiterscheinung sind, so sind solche Oder soll es wirklich notwendig sein, beimAnhören der visuelle Bilder nicht zu verwerfen. Entscheidend ist ein "Eroica" an den Aufstieg Bonapartes zu denken, weil die zig, ob man diesen visuellen und gedanklichen Phanta wechselnden inneren Beziehungen Beethovens zu Bona sien Einfluß auf das künstlerische Erleben zugesteht parte für die Entstehung der "Eroica" wesentlich waren? oder nicht. Ob man sie als bloße periphere Beigaben Selbst dort,w o nach denAussagen der Komponistenselbst gewähren läßt oder ob man sich diesen umspielenden ihnen bestimmte Bilder beimKomponieren vorschweb Gedanken oder Vorstellungen hingibt - sie genießt, ten, sind sie für den Wert des Kunstwerks und seine anstatt das Erleben durch das Musikstück selbst bestim richtige Aufnahme belanglos. Der visuell veranlagte men zu lassen. Wenn man diese umspielenden Assozia Künstler mag, während er komponierte, Landschaften tionen genießt, dann verfehlt man den ästhetischen und Nachtszenen, kämpfende Menschen oder lächelnde Gegenstand ebensosehr, als wenn man die. Stofflichkeit Gesichter vor sich gesehen haben - das ist alles psy des Kunstwerkes entscheidend sein läßt für das ästhe chologisch sehr interessant, aber ästhetisch gleichgültig. 1 tische Erleben. 10 11