Artur Bogner . Zivilisation und Rationalisierung Artur Bogner Zivilisation und Rationalisierung Die Zivilisationstheorien Max webers, Norbert Elias' und der Frankfurter Schule im Vergleich Westdeutscher Verlag CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bogner, Artur. Zivilisation und Rationalisierung: die Zivilisationstheorien Max Webers, Norbert Elias' und der Frankfurter Schule im Vergleich I Artur Bogner. - Opladen: Westdt. Verl., 1989 ISBN 978-3-531-11898-7 ISBN 978-3-322-94355-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-94355-2 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann. Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Obersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt Umschlaggraphik: Susanne Wolff, Essen ISBN 978-3-531-11898-7 Für Paul Wilhelm Rose (1898 - 1968), der sich wenig mehr gewünscht hätte, als im Licht der Leselampe lernen zu dürfen. Danksagung Die hier vorgelegte Schrift ist eine überarbeitete Fassung der Dissertation, die ich im April 1986 der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld einge reicht habe. Beide Fassungen, daran möchte ich hier erinnern, schulden ihre Existenz nicht nur den im Literaturverzeichnis angeführten Büchern und Zeitschriftenaufsätzen. Jeder Mensch ist auf andere angewiesen - und so sind es auch seine Werke. Viel hängt davon ab, wie diese Menschen und man selbst mit dieser Grundtatsache menschlichen Lebens umgehen. Ich bin in der glück lichen Lage, darüber hier nur Gutes zu berichten - ohne dabei irgendetwas Wichtiges und Dazugehöriges zu verschweigen. Vor allem die zahlreichen Gespräche mit meinem Doktorvater, Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann, und mit Prof. Dr. Norbert Elias sind mir in der schönsten Erinnerung. Ich wünsche allen Doktoranden eine so vorbildliche Förderung, wie sie mir durch diese beiden Männer zuteil wurde. Unter den Menschen, die geholfen haben, die seelischen und materiellen Kosten meines prätentiösen Unternehmens zu tragen, ist an erster Stelle meine Frau zu nennen, deren Liebe und Geduld ich auf eine schwere Belastungsprobe gestellt habe. Ohne sie wäre dieses Buch nie geschrieben worden - und es gehört dennoch nur zu den geringsten Dingen, die ich ihr verdanke. Für Zuneigung, Ermutigung und eine ebenfalls sehr weitgehende finanzielle Unterstützung bin ich meiner Mutter und besonders meiner Großmutter, Martha Rose (1901-1988), zutiefst verpflichtet. Ich hoffe, es ist auch in ihrem Sinne, wenn ich diese Schrift dem Andenken meines Großvaters gewidmet habe. Anerkennung soll die Studienstiftung des deutschen Volkes finden, die mein Promotionsvorhaben durch die Gewährung eines Stipendiums großzügig geför dert hat. Von großer Hilfe war außerdem ein Honorarauftrag der Norbert Elias Stiftung (Amsterdam), weil er mir gestattete, im Umkreis meines Dissertations themas wissenschaftlich zu arbeiten. Schließlich verdient Wilfried Staemmler mein großes Lob für seine außergewöhnliche Sorgfalt und seine freundliche Geduld gegenüber einem stets zu nachträglichen Korrekturen und Ergänzungen aufgelegten Autor - bei einem so schwierigen Geschäft wie der Herstellung einer druckfähigen Satzvorlage . Wichtige Gesprächspartner waren in den letzten Jahren und sind mir hoffentlich auch in Zukunft: J6hann P. Arnason, Klaus D. Dey, Eric Dunning, Georg Elwert, Hans-Dieter Evers, Mike Featherstone, Johan Goudsblom, Richard Kilminster, Wolfgang Kröpp, Eberhard Kunze, Stephen Mennell, Manfred Müller (Westdeutscher Verlag), Hans Nokielski, Eckart Pankoke, Gert Schmidt, Hartmann Tyrell und Cas Wouters. Ihnen und anderen Bekannten und Freunden fühle ich mich nachhaltig verpflichtet. Jene unter ihnen, die hier nicht erwähnt sind, habe ich nicht vergessen. 8 In leicht abweichenden Fassungen sind das Kapitel 3. und (gemeinsam) die Kapitel 2. und 4. dieser Arbeit inzwischen als englischsprachige Aufsätze erschienen·. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei den Herausgebern der Zeitschriften Sociology und Theory, Culture & Society für die Genehmi gung bedanken, diese Texte nun in deutscher Sprache zu publizieren - und in dem sachlichen Kontext, in den sie ursprünglich hineingehören. Im Mai 1988 Artur Bogner * Als 'The Structure of Social Processes', Sociology 20, 3 (1986): 387-411, und als 'Elias and the Frankfurt School', Theory, Culture & Society 4,2/3 (1987): 249-285. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Die Theorie des Zivilisationsprozesses .......................... 17 2.1 Freuds Theorie der Kulturentwicklung ....................................... 17 2.2 Elias' Modell des Zivilisationsprozesses ...................................... 18 3. Die Struktur sozialer Prozesse .................................... 28 3.1 Einleitung. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . .. . . . .. . . . .. . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.2 "Spontane" Ordnung als Problem der Soziologie .......................... 29 3.3 Macht als Schlüsselbegriff der Figurationstheorie ...... .................... 36 3.4 Richtungen und Strukturen des Zivilisationsprozesses ................ ..... 41 3.5 Die Strukturwandlungen der Konkurrenz und die Transformation der Handlungsorientierungen ........................... 48 3.6 Exkurs: Über einige charakteristische Mißverständnisse der Kritiker.. 54 3.7 Funktionale Demokratisierung und 'Fortschritt' in interdependenztheoretischer Perspektive ................................... 60 4. Die Zivilisationstheorie der Frankfurter Schule ............... 66 4.1 Einleitung. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . .. . . . . . . 66 4.2 Die Dialektik der "Aufklärung" ................................................ 69 4.3 Die Informalisierung sozialer Normen ........................................ 75 4.4 Zum Gegensatz von Kritischer Theorie und Interdependenztheorie: Über die Grundbegriffe "Rationalität" und "Machtbalance" ............. 80 5. Webers Theorie der Rationalisierung .................... ........ 89 5.1 Die Begriffe "Entwicklung" und "Fortschritt" bei Max Weber ......... 89 5.2 Formale Rationalität und Zweckrationalität .................................. 100 5.3 Verantwortungsethik und zweckrationales Handeln ........................ 116 5.4 Macht, Kampf und Rationalisierung .......................................... 119 5.5 Die Schlüsselrolle der "Protestantischen Ethik" ............................ 132 5.6 Ein Rückblick auf das Konzept der formalen Rationalität ................ 152 10 5.7 Der Begriff der Wertrationalität und die Eigendynamik der religiösen Evolution ......................................................... 155 5.8 Webers Theorie der sozialen Evolution ...................................... 165 6. Resultat ................................................................ 186 Verzeichnis der Abkürzungen ................................................. 199 Literaturverzeichnis ............................................................... 199 Namenregister ..................................................................... 211 1. Einleitung Die Aufgabe dieser Arbeit bildet eine vergleichende Diskussion der Arbeiten von Norbert Elias und Max Weber unter dem Gesichtspunkt einer Theorie dessen, was Elias den "Prozeß der Zivilisation" und Weber "die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung" (GA WL: 594) genannt' hat. In diesen Vergleich habe ich auch die Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos über die "Dialektik der Aufklärung" einbezogen - unter anderem deswegen, weil manche Thesen und Probleme der beiden anderen Autoren schärfer ins Licht treten, wenn man sie dieser gegenüberstellt. Während im Mittelpunkt meiner Darstellung die beiden Theorien stehen, auf die der Titel mit den Stichworten "Zivilisation" und "Rationalisierung" verweist, hat mir die Zivilisationskritik der älteren Frankfurter Schule vor allem als Kontrastfolie und als eine wichtige Quelle von hilfreichen Intuitionen gedient. Die Problematik einer Theorie der "Zivilisation" im Sinne Elias' und in der verwandten Bedeutung, die dieser Begriff bei Horkheimer und Adorno erhalten hat, oder der "Rationalisierung" umfaßt, je nachdem, welcher der genannten Autoren zu deren Eingrenzung herangezogen wird, vor allem die folgenden Gegenstandsbereiche : eine Theorie der Entwicklung soziogener Persönlichkeitsstrukturen im Zusammenhang mit dem Wandel der gesellschaftlichen Beziehungen und ihrer Organisationsformen; eine Theorie der Entwicklung der gesellschaftlichen 'Institutionen', der sozialen Zusammenhänge von Handlungen und Menschen, die sich in der Geschichte der sogenannten "Hochkulturen" verfestigt und bestimmte "typi sche" Züge angenommen haben, von denen einige heute nahezu über die ganze Menschheit verbreitet sind (dazu gehört zum Beispiel die Monopoli sierung der "legitimen" Gewaltanwendung als Kennzeichen des modernen Staatsapparats und im übrigen auch die herausragende Rolle von Parteien in der Arena innerstaatlicher Politik); eine Theorie der Genese jenes "Rationalismus", den vor allem Weber als charakteristisches, aber zu universaler Verbreitung neigendes Merkmal der abendländischen Neuzeit hervorgehoben hat; die Klärung der Frage, ob sich diese Elemente zu einer kohärenten Theorie der Menschheitsentwicklung verbinden lassen, die der soziologischen und historischen Forschung fruchtbare Problemstellungen - das heißt aber: Weber spricht in diesem Zusammenhang auch von dem "Fortschritt der gesellschaft lichen Differenzierung und Rationalisierung" und vom Fortschreiten eines "Intellektuali sierungsprozesses, dem wir seit Jahrtausenden unterliegen" (GAWL: 473 und 593; Hervorhebungen von mir, A.B.). Über die für Webers Schriften verwendeten Abkür zungen siehe die Erläuterungen am Ende der Arbeit. 12 überprüfungsfähige Hypothesen und Modelle - zur Verfügung stellen könnte. Wer sich nur oberflächlich mit den Werken Elias' und vor allem Webers vertraut gemacht hat, weiß, daß eine umfassende empirische Überprüfung ihrer 'Zivilisationstheorien' historische Kenntnisse erfordern würde, die auch die Fähigkeiten und Ressourcen eines guten Fachhistorikers vor eine harte Be lastungsprobe stellen müßten. Angesichts dessen konnte ich mir - in einer Dissertation - im wesentlichen nur die Aufgabe stellen, die Vorarbeiten für ein solches Unternehmen zu erbringen. Die Schwierigkeiten der Interpretation des Webersehen Werkes sind bekannt genug. Der Umfang und die Kontroversen der Sekundärliteratur legen dafür ein deutliches Zeugnis ab.2 Insbesondere die bisherige Rezeption der Webersehen Theorie der Rationali sierung hat mich dabei mit einem komplizierten Problem konfrontiert, das hier ansatzweise skizziert werden soll: In den vergangenen Jahren hat sich das Interesse von Soziologen wieder in zunehmendem Maße evolutionstheoretischen Problemen zugewandt. Bei einer Durchsicht der prominentesten Beiträge zu diesem Thema aus den letzten zwei Jahrzehnten fällt auf, daß die Mehrzahl der Autoren dabei explizit an Max Webers Analysen zur Genese des okzidentalen Rationalismus und der ihn reprä sentierenden Erscheinungen (Bürokratie, Betriebskapitalismus, protestantische Gesinnungsethik, positiviertes Recht) oder zumindest an deren zentrale Frage stellungen anknüpfen, wenn sie nicht gar direkt ihre Beiträge als Wiederauf nahme, "Rekonstruktion" bzw. Revision oder Weiterführung der Webersehen Untersuchungen verstehen.3 Das gilt insbesondere für die Arbeiten von Habermas und Schluchter (Habermas 1981a & b, Schluchter 1979), aber auch schon für die die neo-evolutionistische Diskussion eröffnenden Aufsätze von Parsons und Bellah aus den frühen sechziger Jahren. In den Kontext der Wiederaufnahme universalgeschichtlicher oder evolu tionstheoretischer Probleme in den zentralen Fragenkreis der gegenwärtigen soziologischen Theoriebildung gehört auch die "Entdeckung" des Werkes von Norbert Elias, der auf diesem Wege inzwischen zu einer "Mittelpunktfigur der 2 Allein die Bibliographie zur Weber-Sekundärliteratur von Seyfarth & Schmidt (1977) nennt über 2000 Titel. Angesichts der gegenwärtigen, weltweiten 'Renaissance' dieses Autors könnten es allein in der Zwischenzeit leicht doppelt soviel geworden sein. 3 Zur Wiederaufnahme dieses Themas im Rahmen des Struktur-Funktionalismus vgl. die Aufsätze von Parsons (1969), Eisenstadt (1969) und Bellah (1973), zur neueren evolu tionstheoretischen Diskussion in Deutschland vor allem: Habermas (1976: insbes. 129-267), Habermas (1981a & b), Luhmann (1975 & 1978) sowie Schluchter (1979), der vor allem in seiner Einleitung die Stellung der Theorie Webers in dieser Diskussion erörten.
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