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Zeitenwende : Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands PDF

13 Pages·2022·2.317 MB·German
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⁄ PER SPEK TIVE Zeiten- wende Alexandra Dienes Christos Katsioulis Juli 2022 Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis Über die Autor:Innen Alexandra Dienes ist wissenschaftliche Mitarbeite- Christos Katsioulis leitet das FES Regionalbüro für rin im FES Regionalbüro für Zusammenarbeit und Zusammenarbeit und Frieden in Europa in Wien. Frieden in Europa in Wien. In ihrer Arbeit konzent- Zuvor gründete und leitete er das Büro der Fried- riert sie sich auf die Bereiche politische Ökonomie rich-Ebert-Stiftung in Athen. Danach stand er dem und russische und postsowjetische Außenpolitik. EU-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel so- Zuvor lehrte sie internationale Beziehungen und wie dem Londoner Büro der FES vor. In deutschen politische Ökonomie an der Universität Amsterdam, und internationalen Medien kommentiert er immer von deren politikwissenschaftlicher Abteilung sie wieder europäische Themen. Zudem verfasst er in ein Forschungsstipendium erhält. Zuvor war sie für regelmäßigen Abständen Beiträge für die Zeitschrift das Europäische Parlament in Brüssel tätig. Internationale Politik und Gesellschaft. Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands – In Deutschland findet gerade eine intensive – Die »Zeitenwende« hat Deutschland nicht in politische Debatte über die Ausrichtung der ein vollkommen anderes Land verwandelt, Außenpolitik des Landes statt. Wenn man die denn die öffentliche Meinung hält weiterhin Umfragedaten vom Herbst 2021 mit denen an Pragmatismus und Pazifismus fest. Die von Juni 2022 vergleicht, so zeigt sich, dass Skepsis gegenüber militärischen Mitteln hat die öffentliche Meinung in diesem Jahr eine sich seit Beginn des Krieges sogar verstärkt. robustere Verteidigungspolitik befürwortet, Eine werteorientierte Außenpolitik wird zwar was eine Erhöhung des Militärhaushaltes mit- von den Wähler:innen der Grünen unterstützt, einschließt. Außerdem trifft eine potenzielle in der breiten Öffentlichkeit überwiegt jedoch EU-Mitgliedschaft der Ukraine sowie das visio- ein interessenorientierter, pragmatischer An- näre Konzept einer europäischen Armee auf satz, der darauf abzielt, auch mit Ländern zu immer mehr Unterstützung. kooperieren, die nicht dieselben politischen Ansichten vertreten. Für eine überwältigende – Die Öffentlichkeit befürwortet die »Zeitenwen- Mehrheit der Befragten hat der Frieden weiter- de«-Politik der Regierung, bei der die Militär- hin hohe Priorität. ausgaben des Landes erhöht und die Ukraine weiterhin unterstützt wird. Die Bürger:innen – Die Meinungsunterschiede zwischen den Bür- des Landes sind außerdem bereit, Einbußen ger:innen in Ost- und Westdeutschland sowie bei ihrem Lebensstandard hinzunehmen, um zwischen den Anhänger:innen verschiedener verschiedene Formen der Abhängigkeit von politischer Parteien sind offenkundig zutage. Russland zu reduzieren. Dies könnte die Formulierung gemeinsamer politischer Regierungspositionen erschweren, wenn Uneinigkeit zwischen den Koalitions- partnern — der SPD, den Grünen und der FDP — herrscht. 2 Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis Einleitung – Die Bevölkerung befürwortet einerseits eindeu- tig die »Zeitenwende«-Politik der Regierung, im Die deutsche Außenpolitik hat sich aufgrund des Besonderen die Erhöhung der Militärausgaben russischen Kriegs gegen die Ukraine innerhalb we- und die weitere Unterstützung der Ukraine. niger Wochen grundlegend gewandelt. Das Land hob sein Verbot von Waffenlieferungen an Konflikt- – Andererseits werden die Prinzipien des Prag- gebiete auf. Der Verteidigungshaushalt soll auf- matismus und Pazifismus weiterhin kontinu- grund der Krise um 100 Milliarden Euro aufgestockt ierlich unterstützt. und nach Angaben der Regierung auf jährlich 2% des BIP angehoben werden. Die Abhängigkeit von – Wie zu erwarten bestehen erhebliche Mei- Lieferungen fossiler Brennstoffe aus Russland soll nungsunterschiede zwischen den Wähler:in- schrittweise abgebaut werden. Das deutlichste Sig- nen verschiedener Parteien. Diese Meinungs- nal dafür war die sofortige Einstellung des umstrit- differenzen treten zwischen Bürger:innen in tenen Nord-Stream-2-Pipeline-Projekts. Im Großen Ost- und Westdeutschland noch deutlicher und Ganzen scheint es, dass Berlin von seiner lang zutage. vertretenen Strategie des „Wandels durch Handel“ sowie von der Überzeugung abgegangen ist, dass Um den Wandel der öffentlichen Meinung in die Sicherheit in Europa nur in Zusammenarbeit mit Deutschland zu analysieren, stützen wir uns auf Russland gewährleistet werden kann. In seiner weg- zwei repräsentative Meinungsumfragen, die die FES weisenden Bundestagsrede drei Tage nach Beginn durchführte (methodische Hinweise dazu finden der russischen Invasion in die Ukraine bezeichnete sich im Anhang): der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz das neue politische Szenario als »Zeitenwende«. – „Security Radar 2022“: eine Umfrage in 14 Ländern, die vor dem Krieg im Oktober 2021 Der 24. Februar 2022 schreibt sich somit als forma- durchgeführt wurde; und tives Ereignis in die deutsche Außenpolitik ein. Auf höchster Ebene führte dieser Umstand zunächst – „Security Radar Germany“: eine Umfrage, die zu einer intensiven Debatte über bereits begangene 16 Fragen aus der ursprünglichen Security- Fehler und den Weg, den das Land in Zukunft ein- Radar-Umfrage enthält und im Juni 2022 in schlagen wird. Doch auch die breite Öffentlichkeit Deutschland durchgeführt wurde. ist vom Krieg betroffen, den Russland ohne vor- herige Provokation startete. Ein Anstieg der Ener- Die Vergleichsdaten werden durch weitere aktuelle giepreise und der Inflation zog eine Erhöhung der Umfragen ergänzt, die nach Kriegsbeginn durchge- Lebenshaltungskosten nach sich. Fast eine Million führt wurden. ukrainischer Geflüchteter suchte in Deutschland außerdem Schutz vor dem Krieg, was zu einer Wie- Der Begriff »Zeitenwende«, der die nachgerade tek- derbelebung der „Willkommenskultur“ führte. tonische Verschiebung der deutschen Außenpolitik in Folge des von Russland initiierten Krieges be- Trotz dieser rasanten, ziemlich grundlegenden schreibt, wurde in der öffentlichen Debatte der letz- Veränderungen besteht in der deutschen Öffent- ten vier Monate eher inflationär gebraucht. Es ist lichkeit jedoch noch immer keine Übereinstim- daher interessant zu beobachten, dass der Begriff mung, was »Zeitenwende« eigentlich bedeutet in der Öffentlichkeit mit drei recht konkreten politi- und welche Auswirkungen dieses Konzept auf schen Strategien sowie mit zwei Themen mit mög- die politische Entscheidungsfindung in Berlin ha- licherweise längerfristigen Folgen in Verbindung ge- ben soll. Aus den jüngsten Umfragen lassen sich bracht wird. drei Tendenzen ablesen, die jedoch nicht ein- heitlich sind und noch nicht auf die Herausbil- dung eines neuen Konsenses schließen lassen: 3 Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis Abbildung 1: »Zeitenwende« in den Augen der Deutschen1 »Was verbinden Sie mit dem Begriff ‚Zeitenwende‘ in der Außen- und Sicherheitspolitik?« Die Befragten konnten mehrere von 8 Optionen auswählen. In dieser Abbildung werden jene 5 Optionen dargestellt, die die meiste Zustimmung erhielten. Neue Erhöhung des Russland-Politik Verteidigungs- 45% haushalts 56% Verringerung der Energie- abhängigkeit 2. 39% 02 2 Beendigung der ni u pazifistischen Mehr ar J Haltung Verantwortung d a Deutschlands gegenüber y R 42% Verbündeten urit 36% ec S e: ell u Q Die Aufstockung des Verteidigungshaushalts um Polen schon vor dem Krieg vorherrschte. Dies deu- 100 Milliarden Euro ist die politische Entscheidung, tet darauf hin, dass es weniger Unterschiede in der die am deutlichsten mit der »Zeitenwende« in Ver- öffentlichen Wahrnehmung von Bedrohung in Euro- bindung gebracht wird. Die weiteren Wegmarken pa gibt. betreffen die „neue Russlandpolitik“ sowie die „Ver- ringerung der Energieabhängigkeit“. Die beiden Allerdings zeigen sich starke innerdeutsche Unter- längerfristigen Aspekte, die hauptsächlich mit der schiede: Im Osten stellt Russland für nur knapp über »Zeitenwende« verknüpft werden, sind das „Ende der 50% der Befragten eine Bedrohung dar. Im Westen pazifistischen Haltung Deutschlands“ und die „grö- sind es über 80%. Die Wähler:innen der Grünen sind ßere Verantwortung gegenüber den Verbündeten“. mit satten 95% Russland gegenüber am misstrau- ischsten eingestellt, während nur 45% der Wahl- gänger:innen der Partei Die Linke und 23% der AfD- Zeitenwende – die Veränderungen Wähler:innen diese Ansicht teilen. Die Wähler:innen der beiden in der Mitte des politischen Spektrums Die öffentliche Meinung in Deutschland änderte angesiedelten Parteien — der Sozialdemokraten sich seit Kriegsbeginn wahrscheinlich am meis- und der CDU/CSU — sehen Russland mit einer über- ten dahingehend, dass Russlands als Bedrohung wältigenden Mehrheit von etwa 85% als Bedrohung. wahrgenommen wird. Vor Ausbruch des Krieges betrachtete nur etwa die Hälfte der deutschen Be- Eine weitere wichtige Veränderung der öffentlichen völkerung Russland als Bedrohung für Frieden und Meinung in Deutschland betrifft die Einstellung zu Sicherheit in Europa — zum gegenwärtigen Zeit- Militärausgaben. Wie die beiden Ausgaben des Si- punkt sind es drei Viertel. Dies deutet auf eine mög- cherheitsradars der FES Wien in den Jahren 2018 liche Übereinstimmung mit den Verbündeten in Mittel- und Osteuropa hin, denn die Wahrnehmung 1 Wenn nicht anders angegeben, stellen die Zahlen in den Dia- grammen eine Kombination der Antworten „ich stimme voll und Russlands in Deutschland gleicht jetzt jener, die in ganz zu” und „ich stimme eher zu” dar. 4 Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis und 2021 belegen, zeigt sich die deutsche Öffent- Abbildung 3: Veränderte Sichtweise der Erhöhung lichkeit traditionellerweise einer Erhöhung des Ver- der Militärausgaben teidigungshaushalts gegenüber eher skeptisch. Noch am stärksten wurde eine solche Maßnahme 2021 38 im Jahr 2021 mit 38% unterstützt. Vier Monate nach 2022 64 Beginn des von Russland initiierten Krieges gegen die Ukraine befürwortet jedoch eine solide Mehrheit von 64% eine Erhöhung der Militärausgaben und un- 81 terstützt damit die Politik der deutschen Regierung. 77 70 72 60 Auch hier stechen deutliche innerdeutsche Unter- schiede ins Auge: 55% der ostdeutschen Befragten 43 43 lehnen die Aufstockung ab, während die westdeut- schen Befragten sie befürworten. Betrachtet man die Präferenzen der verschiedenen Parteianhän- 20 ger:innen, so zeigt sich, dass die Wähler:innen der konservativen CDU/CSU- und der liberalen FDP die Erhöhung überwiegend befürworten, ebenso wie Westen Osten SPD Grüne FDP CDU/ Linke AfD CSU die Wähler:innen der Grünen mit über 70%. 60% der SPD-Wähler:innen stimmen einer Erhöhung des Ver- Quelle: Security Radar Oktober 2021, Security Radar Juni 2022. teidigungshaushalts zu, während 53% der AfD-Wäh- ler:innen und 77% der Wähler:innen der Partei Die Neben der Formulierung einer Antwort Deutsch- Linke dies ablehnen. lands auf den von Russland initiierten Krieg hat sich jedoch auch die Wahrnehmung der Rolle Europas Abbildung 2: Veränderte Sichtweise der und seiner Ressourcen verschoben. Seit dem 24. Bedrohung durch Russland Februar 2022 hat sich die Haltung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber dem Aufbau einer euro- päischen Armee ebenso erheblich verändert: Die 2021 51 Zustimmung ist von 43% im Jahr 2021 auf über 63% 2022 77 im Jahr 2022 angestiegen. 95 Abbildung 4: Einstellung zum Aufbau einer 83 85 84 86 europäischen Armee 56 45 2021 43 2022 63 23 69 Westen Osten SPD Grüne FDP CDU/ Linke AfD CSU 44 Quelle: Security Radar Oktober 2021, Security Radar Juni 2022. Westen Osten Quelle: Security Radar Oktober 2021, Security Radar Juni 2022. 5 Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis Abbildung 5: Einstellungen zu Sanktionen gegen Russland und zu Waffenlieferungen an die Ukraine 61% 55% „Die von vielen Ländern „Mein Land sollte dem ukrainischen gegen Russland verhängten Militär Kampfgeräte wie Gewehre Wirtschaftssanktionen sind und Panzerabwehrwaffen zur eine wirksame Taktik, um den Verfügung stellen". Krieg zu beenden“. 2. 2 0 2 z är M s o s p e: I ell u Q Unterstützung der Reaktion der Aber auch hier unterscheiden sich die Einstellungen Regierung auf den Krieg in der im Osten deutlich: Nur 51% stimmen einer Verringe- Ukraine rung der Abhängigkeit von Russland zu, auch wenn dies den Lebensstandard beeinträchtigt, während in Jüngste Umfragen zeigen, dass die deutsche Öf- Westdeutschland 73% dafür sind. fentlichkeit die Hilfeleistung ihrer Regierung an die Ukraine und die wirtschaftliche Abkopplung Bei den politischen Zugehörigkeiten sind drei inte- Deutschlands von Russland unterstützt. Mehrheit- ressante Ausreißer festzustellen. Während die ver- lich werden Waffenlieferungen an die Ukraine sowie mutlich wohlhabendere Wählerschaft der Grünen Wirtschaftssanktionen gegen Russland befürwortet. dieser Aussage fast uneingeschränkt zustimmt, sind die Anhänger:innen der Partei Die Linke (41%) Befragte in Deutschland unterstützen nicht nur und der AfD (25%) weniger geneigt, für eine Ver- Sanktionen gegen Russland im Allgemeinen, son- ringerung der Abhängigkeit von Russland Opfer dern sind auch zu einem großen Anteil bereit, die zu bringen. Die anderen Parteien verzeichnen eine Kosten für eine wirtschaftliche Abkopplung von leicht überdurchschnittliche Unterstützung von Russland zu tragen und dafür Opfer zu bringen. 70% etwa 70%. wollen immerhin, dass Deutschland seine Abhän- gigkeit von Russland verringert, selbst wenn man Eine weitere Verschiebung der öffentlichen Mei- dadurch einen niedrigeren Lebensstandard in Kauf nung in Deutschland betrifft die Unterstützung einer nehmen muss. Wenn man bedenkt, dass die Befrag- potenziellen EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Sie ten die wirtschaftliche Lage in Deutschland als so folgt der Meinungsänderung der deutschen Regie- schlecht wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr ein- rung zu diesem Thema, unterstützt diese Mitglied- schätzen (mit Ausnahme der Pandemiejahre 2020- schaft jedoch noch nicht vollständig. Innerhalb von 2021), so ist dies eine bemerkenswerte Haltung. über sechs Monaten hat sich die öffentliche Mei- Gemäß den regelmäßigen Umfragen von Ipsos nung in Deutschland von einer überwältigenden erreichte das Vertrauen in die wirtschaftliche Lage Ablehnung einer ukrainischen EU-Mitgliedschaft zu im Juni 2022 den niedrigsten Wert seit 2012 (Ipsos einer wesentlich positiveren Haltung gewandelt. Die Juni 2022). Befürwortung der ukrainischen EU-Mitgliedschaft 6 Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis Abbildung 6: Bereitschaft zur Verringerung der Abhängigkeit von Russland »Deutschland sollte seine Abhängigkeit von Ländern wie Russland oder China reduzieren, auch wenn sich dadurch der Lebensstandard verringert.« 98 2% 76 76 73 72 30% 51 22. 0 41 ni 2 68% u J 25 ar d a R y Ja urit c Nein WestenOsten SPD Grüne FDP CDU/ Linke AfD Se Weiß nicht / Keine Angabe CSU e: ell u Q hat sich fast verdoppelt und ist von 24% auf 44% Ein ähnliches, jedoch noch skeptischeres Bild ergibt gestiegen. Die Mehrheit lehnt diese jedoch noch im- sich in Bezug auf eine mögliche Mitgliedschaft der mer ab, vor allem Bürger:innen in Ostdeutschland. Ukraine in der NATO. Insgesamt lehnt die deutsche Unter den Anhänger:innen der drei Regierungspar- Öffentlichkeit eine solche Mitgliedschaft immer teien bestehen große Unterschiede: Die Wähler:in- noch ab, auch wenn die Zustimmung deutlich ge- nen der Grünen sprechen sich mit überwältigender stiegen ist, von 24% vor dem Krieg auf 37% im Juni Mehrheit für einen EU-Beitritt der Ukraine aus (71%), 2022. Bemerkenswert ist, dass von allen soziode- die Meinung unter SPD-Wähler:innen ist gespalten mografischen Teilgruppen nur die Wähler:innen der (51% Zustimmung), die FDP-Wähler:innen lehnen Grünen die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine befür- ihn ab (nur 40% Zustimmung). worten (58%). Abbildung 7: EU-Mitgliedschaft der Ukraine »Die Ukraine sollte Mitglied der Europäischen Union werden.« 2021 24 2022 44 1, 2 0 2 71 er b o 48 51 52 Okt22. 40 ar 20 30 25 5 ecurity RadRadar Juni WestenOsten SPD Grüne FDP CCDSUU/ Linke AfD uelle: Security QS 7 Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis Kontinuität - keine Abkehr von Nachdem sie zum Krieg in der Ukraine befragt wur- Pragmatismus und Pazifismus de, lehnte eine überwältigende Mehrheit den Einsatz von deutschen Truppen in der Anfangsphase des Die öffentliche Meinung in Deutschland befürwor- Krieges ab. Laut derselben Umfrage befürwortet tet zwar die Veränderungen, die die »Zeitenwende« kein anderes EU- oder NATO-Land die Entsendung mit sich bringt, hat sich aber noch nicht grundle- von Truppen in die Ukraine. Das steht im Einklang gend von Pazifismus und Pragmatismus abgewen- mit der offiziellen Politik der Regierungen dieser det. Ganz im Gegenteil: Im Vergleich zu der Zeit vor Länder, die eine direkte Beteiligung am Krieg ver- Kriegsbeginn sind die deutschen Befragten noch meiden wollen (Ipsos März 2022). vorsichtiger, was den Einsatz militärischer Mittel angeht, und befürworten eine pragmatische und Bestimmte Werte dominieren bei einem erheblichen interessenbasierte Außenpolitik noch stärker. Mehr Teil der innerdeutschen Debatte über die Reaktion auf Menschen in Deutschland ziehen den Einsatz dip- den Krieg Russlands gegen die Ukraine: Die Befrag- lomatischer Mittel in der Außenpolitik militärischen ten schätzen den Kampf der Demokratien gegen die Mitteln vor. Frieden hat weiterhin hohe Priorität Autokratien, die Verteidigung der Freiheit und des für eine überwältigende Mehrheit der Befragten in europäischen Lebensstils und ganz allgemein die Deutschland. Bedeutung einer auf bestimmten Werten basieren- den Außenpolitik. Wenn man Umfragedaten aus der Mit anderen Worten haben das neue sicherheits- Zeit vor und nach Kriegsbeginn vergleicht, so zeigt politische Umfeld und die veränderten Einstellun- sich jedoch, dass die deutsche Öffentlichkeit die In- gen nicht zu einer kriegerischen Einstellung oder zu teressen des Landes anscheinend vor die Aufrecht- einer Bereitschaft geführt, das Militär einzusetzen. erhaltung der Werte stellt und den Pragmatismus in Die deutsche „Kultur der Zurückhaltung“ besteht der Außenpolitik noch stärker unterstützt als in der nach wie vor. Tatsächlich hat sich die Ablehnung Vergangenheit. Selbst die Wähler:innen der Grünen einer militärischen Beteiligung an Konflikten ver- befürworten eine pragmatische Außenpolitik (58%), stärkt und ist von 51 auf 66% gestiegen. Nur die welche als Zusammenarbeit zur Förderung des Wähler:innen der Grünen befürworten sie zu 53%. Friedens mit Staaten definiert wird, die nicht die- Die Unterstützung einer friedlichen Beilegung von selbe politische Einstellung teilen. In Ostdeutsch- Konflikten ist dagegen von 80 auf 86% gestiegen, land wird eine solche Politik sogar noch deutlicher wobei die SPD-Wähler:innen diese Politik fast durch- unterstützt als i7m5 Westen (78% gegenüber 63%). gängig befürworten (98%). Insgesamt zeugen diese Ergebnisse nicht von einer 61 Hinwendung zu einer werteorientierten 56Außenpoli- Abbildung 8: Ablehnung von militärischen tik in Deutschland, sondern eher 4v7on einem neuen Interventionen in Konflikten Realismus. Abbildung 9: Interessenbasierte gegenüber »Deutschland sollte, wenn es notwendig wertebasierter Außenpolitik ist, auch militärisch in Konflikte eingreifen« „Die Außenpolitik in Deutschland „Außenpolitik sollte Werte sollte die eigenen7 I75n5teressen durchsetzen, auch wenn das 66 uneingeschränkt vertreten“. Nachteile mit sich bringt“. Quelle 51 6611 2021 2022 5566 2021; : S Prozentsatz der 4477 er Security Radar Juecurity Radar Oktob Bstesinmftriiamcmhgamettn e zeetnuw h,ü ”eod burriee ntner dmhinc a“hiituct p “hzict u h” ecurity Radar OktobRadar Juni 2022. ni 2022.er 2021; 2021 2022 „„DuDusniesnoieeo leA lilAtnliuetnueg ßgd ßeedeiesenisecn pceh peohirogilrägiletäineitnkninkke kei tnnit nn v I Dv neIDneetreetruterutrterretseessctsscthesehelennalnna“n“n.d.d NdNd„ua„AuarAccruchcuhhßhtßseteseeeneitnlitzpelzpeeo eonm lnmil,ti ,iita tkiiatk u s us csisocchioclhh llhtw l etwb ee bWre nWrinninenneg rdg rttdetat“ea s“. s. Quelle: SSecurity 22002211 22002222 8 Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis Abbildung 10: Pragmatische Außenpolitik Abbildung 11: Wirksamkeit der außenpolitischen Maßnahmen 87 »Mein Land soll mit jedem Land 67 kooperieren, auch mit dem das nicht »Welche der folgenden Mittel unsere Werte teilt, wenn es Sicherheit sind aus Ihrer Sicht wirksam, um 53 55 und Frieden in der Welt befördert« außenpolitische Krisen zu lösen?« 29 66 87 22 53 67 Militärische Maßnahmen Diplomatie Sanktionen 55 53 2021 2022 87 29 22 67 2021 2022 55 53 Quelle: Security Radar Oktober 2021; Security Radar Juni 2022. Militärische Maßnahmen Diplomatie Sanktionen 29 2021 2022 Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Frage nach der 22 22. 0 Wirksamkeit des außenpolitischen Instrumentari- ni 2 ums. Im Vergleich zu den Meinungen vor Kriegsbe- 87 Ju ar ginn werden militärische Mittel als weniger wirksaMmil itärische Maßnahmen Diplomatie Sanktioneadn und die Diplomatie als viel effektiver angesehen. Die 67 2021 2022 y R Bewertung von Sanktionen stellt sich ähnlich dar. 55 urit 53 c e S 1; All diese Ergebnisse stehen im Einklang mit einer 02 2 aktuellen Studie, die naheleg2t9, dass in Deutschland er 22 b o mehr Befragte dem so genannten „Friedenslager“ kt O angehören, (das den Krieg so schnell wie möglich ar d beenden möchte, auch wenn dies territoriale Zu- Ra Militärische Maßnahmen Diplomatie Sanktionen y geständnisse mit sich bringt), als dem sogenann- 2021 2022 urit ten „Gerechtigkeitslager“, (das Russland für seine ec Kombinierte Antworten “Immer wirksam” S Aggression bestrafen möchte, auch wenn sich der und “Meist wirksam“ e: ell Krieg dadurch verlängert). Qu Abbildung 12: Wege zum Frieden in der Ukraine: Frieden gegenüber Gerechtigkeit n g 18% ei Friedenslager: „Das Wichtigste ist, den Krieg so or 18% Friedenslagers: c„hDnase Wll iwchiteig smte öisgt, ldicehn Kzruie gb seoe nden, auch wenn das n F sbGceehdbneieeultlte ew ta,in ed RmabGsuösse gesdldlaibiecneh iUdeu z ktatuerbea b gitanei,bene td nd“ dRa.ieesu nKss,o sdanluatiercnoh l Udlwe keüanrbbaneg irdn iabes t d“.ie Kontrolle über uncil o o GerechtigkeitGslaegreerc: h„Dtiags kWeiicthstligasgtee irs:t ,„ Das Wichtigste ist, C 14% 14% 49% 49% Russland für Rseuinses Alagngdre sfsüiorn szeu ibnees trAafgegn,r ession zu bestrafen, an aInuncehn w geentönt edtaie uusn cbdhe vd eewrutetreientb,n ed nad swsie emsrde behnre .U“dkerauinteert-, dass mehr Ukrainer- ope22. 19% WWeeidße nr i/c nhot c/ hIKWnenieneed nAe nrg g/ea tbnöeotceht und vertrieben werden.“ ECFR (Eurns) Mai 20 19% Weiß nicht / Keine Angabe uelle: elatio QR 9 Zeitenwende – Russlands Krieg als Wendepunkt in der öffentlichen Meinung Deutschlands Alexandra Dienes · Christos Katsioulis In Deutschland wählen die Falken grün – Die Wähler:innen der Grünen stellen die einzi- – Fast die Gesamtheit der Grün-Wählerschaft ge Teilgruppe dar, die eine militärische Inter- betrachtet Russland als Bedrohung und ist vention in Konflikte befürwortet (53%) bereit, die Kosten für eine Abkoppelung von Russland zu tragen. Sie unterstützt eine Re- – Unter den Wähler:innen der Grünen findet sich duzierung der Abhängigkeit von Russland und der größte Anteil von Menschen, der den Ein- China zu fast 100%. satz von militärischen Mittel als wirksam be- trachten (31% verglichen mit durchschnittli- – Diese Teilgruppe unterstützt außerdem den chen 21% und 14% der SPD-Wähler:innen). Einsatz von Sanktionen als wirksame außen- politische Strategie. – Die Wähler:innen der Grünen stellen die einzi- ge Teilgruppe dar, die mehrheitlich eine poten- – Ihre Unterstützung von erhöhten militärischen zielle NATO-Mitgliedschaft der Ukraine unter- Ausgaben hebt sich vom Durchschnitt ab und stützt und auch für eine EU-Mitgliedschaft der ist viel höher als die der SPD-Wählerschaft. Ukraine am stärksten eintritt. Sozialdemokraten befürworten den diplomatischen Weg am meisten – SPD-Wähler:innen sind die einzige Teilgruppe, – Die Meinung der SPD-Wähler:innen zum The- die eine friedliche Beilegung von Konflikten ma Erhöhung der Militärausgaben (59% dafür einhellig befürwortet (98%). Sie gehören neben und 39% dagegen) und der Mitgliedschaft der den Wähler:innen der Partei Die Linke (93%) zu Ukraine in der EU (51% dafür, 46% dagegen) den stärksten Befürworter:innen eines diplo- teilt sich eher, während die Wähler:innen der matischen Weges; meisten anderen Parteien eine klare Stellung beziehen; – SPD-Wähler:innen trachten weniger nach einer harten Reaktion als Grün-Wähler:innen, vor al- – Unter den Koalitionsparteien befürworten die lem wenn es um militärische Einsätze in Kon- SPD-Wähler:innen militärische Interventionen flikten, eine pragmatische Zusammenarbeit in Konflikte am geringsten (24%). Nur die Wäh- mit Ländern anderer politischer Gesinnung ler:innen der AfD (11%) und der Partei Die Lin- und eine Abkoppelung von Russland geht. In ke (5%) sind noch skeptischer; diesem Punkt sind die Einstellungen der SPD- Wähler:innen denen der FDP- und CDU/CSU – Der Aufbau einer europäischen Armee ist ei- ähnlich; nes der wenigen Themen, bei denen SPD-Wäh- ler:innen eine ähnliche Meinung vertreten wie – SPD-Wähler:innen zeigen eine deutlich stärke- die Wähler:innen der anderen Koalitionspart- re Präferenz für eine interessengeleitete Au- ner (zwischen 75 und 80% befürworten dies). ßenpolitik als Grün-Wähler:innen (77% gegen- über 53%); 10

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