Joseph Skoda Zehnte Osterreichische •• Arztetagung Wien 28. his 30. September 1956 Tagungshericht Herausgegeben ffir die Van Swieten-Gesellschaft von Prof. Dr. E. Domanig Mit 11 Textabbildungen Wien Springer-Verlag 1957 ISBN-13: 978-3-211-80447-6 e-ISBN-13: 978-3-7091-5079-5 DOl: 10.1007/978-3-7091-5079-5 AlIe Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen. vorbehalten Vorwort Die Erhohung der Druckkosten zwingt uns, in diesem Jabr den Tagungsberichteinzig auf das Wesentliche: die wissenschaftlichen Vortriige, zu beschriinken. So mu~ten bedauerlicherweise nioht nur dIe Forth:ildungsvortriige, son dern aum die ErOffnungsansprachen und die Diskussions beitriige ·entfallen. Sie wieder in den Tagungsbedcht auf zunehmen wird nur dann mogliCih werden, WOOill der Kongre~heitrag entsprechend erhoht wird. Wir waren auch gezwungen, eine Reihe wertvoUer Beitriige, so besondiers die Vortriige derHerren Asperg·er, Huber, Pohl, Uebel hor und Weithaler nic:ht mehraufzunehmen, um den Um£ang der Publikationen nicht allzusehr ·zu iiberschreiten. Die Vortriige, die bei den Sitzungen der yerscMedenen FachgeseUslChaften gehalten wurden, werden von diesen selbstiindig puhliziert. Der Tagungsbericht gibt einen zusammenfassenden Be richt iiber dIe Fortsahritte in Forschung und Behandlung der malignen Tunwren sowie iiber die Entwicklungsstorun gen des Kindes und ist damit, so hoffen wir, ein bedeu tender und wertvoller Beitrag, der das Interesse W1eiter iirzt licher Kreise verdient. Durch zahlreilche Sdhwierigkeiten begriindet, kommt der Tagungsbericht mit Verspiitung heraus. Dem Verlag Springer, Wien, gebiihrt unser Dank fiir seine Bemiihungen und sein verstiindnisvolles Entgeg·en kommen. E. Domanig, Salzburg Inhaltsverzeichnis Tagungsbericht 28. September 1956 1. Hauptthema Fortschritte in Forschung und Behandlung maligner Tumoren Selt Ham per I, H.: Uber die Entwicklung ("Progression") von Tumoren..................................... 1 See Ii c h, F.: N euere Anschauungen uber die Ursachen der Krebsentstehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 16 Letnansky, K. und Seelich, F.: Hemmung des Sauerstoffverbrauches der Zellen des Ehrlich·Aszites· karzinoms nach Glukosezusatz..................... 31 S c h 0 n b au e r, L.: Die Grundlagen der Hormontherapie des Karzinoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 36 S c h mid t . U be r rei t e r, E.: Wieweit hat sich die Hormontherapie beim Mammakarzinom durchgesetzt? 45 We g h a u p t, K.: Die Hormontherapie des weiblichen Genitalkarzinoms ................................. 52 FIe i s c h hac k e r, H.: Chemotherapie maligner Blut· erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 59 Den k, W. und K a r r e r , K.: Chemotherapie zur Rezidiv· prophylaxe des Karzinoms....... . . . . . . . . . . . . . . . . .. 67 K a r r e r, K.: Ergebnisse der intravenosen Implantation von Impftumoren................................. 72 VII 29. September 1956 II. Hauptthema Seite Aktuelle dlagnostische und therapeutische Probteme Rissel, E.: Zur Therapie mit Nebennierenrinden- substanzen ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 79 H a r r e r , G.: Moglichkeiten, Ziele und Grenzen der Schlaftherapie ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 95 L e b, A.: Die Rontgenvorbestrahlung in der Therapie der malignen Tumoren ............................ 107 Von k i I c h, E.: Der Blutersatz in der allgemeinen Praxis 114 Reimer, E. E.: Die Therapie des Lymphogranuloms ... 125 H art I, H.: Fortschritte in der Behandlung des Genital- karzinoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 Burghard t, E.: Die vorbeugende Untersuchung beim PortioKarzinom als Aufgabe in der Allgemeinpraxis ... 154 PassIer, H. W.: Neue Erfahrungen in der Diagnostik und Therapie peripherer Durchblutungsstorungen ..... 163 Vetter, H.: Die radioaktiven Isotope in der Diagnostik 183 Hofmann-Credner, D.: Bisherige Ergebnisse der Krebsbehandlung mit Radiogold.................... 188 30. September 1956 III. Hauptthema Das entwicktungsgestorte Kind Thalhammer, 0.: Die Ursachen kindlicher Entwick lungsstorungen unter besonderer Beriicksichtigung der vorgeburtlichen Schadigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203 H us s lei n, H.: Geburtsschaden, ihre Vermeidung und therapeutische Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 K u n d rat i t z, K.: Die therapeutische Beeinflu13barkeit zerebralgestorter Kinder ........................... 232 S pie I, W.: Das geistesgestorte Kind. . . . . . . . . . . . . . . .. 245 Hofmann-Credner, D. und Zweymiiller, E.: Radiojod-Untersuchungen der Schilddriisenfunktion bei zerebralgestorten Kindern.......................... 250 C z e r m a k, H.: Die Friihgeburtenaufzucht in der allge meinen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 264 Tagungsbericht 10. Oesterreichischer Aerztekongre6 1956 Wien, Universitat 28. September 1956 I. Hauptthema Fortschritte in Forschung und Behandlung maligner Tumoren Ueber die Entwicklung ("Progression") von Tumoren Von Herwig Hamper! Bonn a. Rh. Mit 1 Abbildung Ieh moehte heute eill Problem der Tumorpathologie bespreehen, das keineswegs neu ist, sOlldern blo13 weniger beachtet wurde. Es handelt sieh kurz um die Tatsaehe, da13 Tumoren, wenn sie einmal entstanden und als soIehe er: kennbar sind, noeh eine ganze Reihe von Veriinderungen hinsichtlich Struktur und Verhalten durchmachen konnen, also eine Art Entwicklung durchlaufen, fiir die die Be zeichnung "P r 0 g res s ion" vorgesehlagen wurde. Wir sind zwar br.reit, ohneweiters zuzugeben, da13 manchmal ein bosartiger Tumor aus einem gutartigcn hervorgeht. rm gro13en und ganzen bleibt es abel" dabei, da13 mit der kli nischen und pathologisehen Diagnose ein Tumor eben ab gestempelt ist als eine in ihren Eigensc~aften so gut wie unveriinderliche Krankheitseinheit. Dem steht, wie ich heute auseinandersetzen will, eine Anschauung gegeniiber, die 10. Oesterreichische Aerztetagung 1956. 1 2 H. Hamperl: Tumoren ais veriinderliche Bildungen auffaBt, so daB z. B. ein Krebs das Endprodukt einer Entwickiungsreihe dar stellt, innerhalb derer der Tumor sukzessive neue bIei bende Eig·enschaften erworben oder aite dauernd verloren hat - wohl zu unterscheiden von voriibergehenden, durch Umweiteinfliisse bedingten Veriinderungen, den sogenann· ten Modifikationen. Der Nestor der experimentellen Tumorforschung, P. R 0 u s, hat wohl ais erster (1935)· den Begriff "Pro gression" gebraucht (R 0 u s und Be a r d), ais er den Ueber gangder Shope-Papillome des Kaninchens in Karzinome studierte. Sflither sind iihnliche Vorgiinge an R~tten, Miiu Gen und Hiihnern beobachtet worden und haben zu SchIuB foigerungen gefiihrt, I\ie fiir uns, die wir uns mehr mit den menschlichen Tumoren zu beschiiftigen haben, nicht gieich giiltig sein konnen. Ueberhaupt hat sich fiir das Studium der Progression die e x per i men t e II e K reb s for - s c hun gals besonders niitzlich erwiesen. Man hat ihr ja vielfach zum Vorwurf gemacht, daB sie Tieren, die es in der freien Natu!" nicht gibt, niimlich Inzuchtstiimmen, Sub stanzen in Mengen und auf Wegen einverleibt, die in: der Natur ebenfaIIs nicht in Betraeht kommen; die' Ergebnisse der experimentellen Krebsforschung seien desnalb - ab gesehen von den aIle Tierversuche iiberhaupt belastenden Einschriinkungen - llicht auf den MCllschen anwendbar, mit anderen Worten: die experimentelle Krebsforsehung habe das natiirliehe Hauptanliegen jeder Krebsforsehung, denMen sehen mit seinen Tumoren, ganz vergessen. SicherIich kann man von den vielen Einzelheiten, die sie zutage gefOrdert hat, nur wenige unmittelbar auf den Menscfien iibertragen; sehr wohl lassen sich aOOr manche grundsiitzIichen Erkennt nisse, die an den Tiertumoren aufgedeckt wurden, in der menschIiehen Pathologie anwenden. Gerade beim Studium der Progression Hefert uns das Tierexperiment oft die unserer Erfahrung am Mensehen fehlenden Grieder, weIehe wir zur Vervollstiindigung einer Gedankenkette benotigen, urn sie beweiskriiftig zu machen. Dementsprechend moehte ieh aueh hier zuniiehst die Tatsaehen bespreehen, die uns die experimenteIIe Gesehwulstforsehung geIiefert hat, urn dann zu priifen, inwieweit wir aus ihnen fur die menseh fiche GesehwuIstlehre Nutzen ziehen konnen. Jeder Tumor ist zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Bestehens durch eine Reihe von Eigenschaftten cfia rakterisiert, von denen wir nur einige wenige kIintsen und Ueber die Entwieklung (,,~rogression") von Tumoren 3 pathologisch-anatomisch wichtige herausgreifen wollen, niimIich: 1. WachstumsschneIIigkeit; 2. BeeinfIuBbarkeit durch iiuBere Einwirkungen, wozu auch die Abhiingigkeit bzw. Unabhiingigkeit (Autonomie) von seinem jeweiIigen Milieu gehOrt, und 3. seine Struktur und Wachstumsart. Man konnte noch biologische, biochemische und zytologi sche Eigenschaften anfiihren, auf die ich aber in diesem Rahmen nicht eingehen mochte. An Tierversuchen hat sich nun zeigen lassen, daB aIle drei genannten Eigenschaften nicht konstant sind, sondern sehr wesentIichen Aenderun gen im Laufe des, man mochte fast sagen, "Lebens" eines Tumors unterworfen sein konnen. 1. Wachstumsschnelligkeit Wenn man M ii use mit dem karzinogenen Stoff Me thy I c h 0 ant h r e n pinselt, entstehen Tumoren, deren Wachs tum leicht messend zu verfolgen ist, wobei wir vor liiufig von ihrer histologischen Struktur voIlig absehen wollen. Da gibt es einmal Tumoren, die sofort bei ihrem ersten Auftreten ein schnelles Wachstumsternpo einschla gen und das Tier in kurzer Zeit tOten ~ es waren das ,also unmittelbar ("direkt") entstandene Krebse. Andere 'rumo ren wachsen dagegen ganz langsam; ihr weiteres Schick sal kann recht verschieden sein. Manchmal 'stellen sie ihr Wachstum ein, bleiben also in ihrer Grof3e konstant oder bilden sich sogar zuriick. Andere behalten ihr Wachstums tempo iiber lange Zeit bei. Bei noch anderen schIief3lich setzt auf einmal schnelles Wachstum ein: aus dem gut artigen PapiIlom ist ein Krebs auf diese "indirekte" \Ve1s,e hervorgegangen (S hub i k und Mitarbeiter). Manchmal er folgt dieser Umschlag zu bOsartigem Wachstum allerdings erst nach langer Zeit: A II en sowie Dum bell und Rous haben z. B. zeigen konnen, daB die durch Urethan hervor .gerufenen Lungenadenome bei Nagern nur dann in Kar zinome iibergehen, wenn man die Tiere lange am Leben erhiilt. Dieser Bruch in der WachstumsIinLe kann nun ein plOtzlicher sein, oder es handelt sich (siehe Gliicksmann) urn eine allmiihliche Steigerung der Wachstumsschnellig keit. Aus der Mathematik wissen wir, daf3 eine solche bogen formige Wachstumskurve sich eigentlich auf viele kleine Abknickungen zuriickfuhren liif3t, ja iiberhaupt erst be rechenbar ist, wenn man sie sich aus kIeinen Iinearen TeiI stucken aufgebaut vorsteIIt. rch meine damit nur: der Unter schied zwischen plOtzlicher und aIImiihIicher Steigerung 1· 4 H. Hamped: der Wachstumsgeschwindigkeit diirfte kein grundsatzlicher, sondern bloB ein gradueUer sein. Ja, man konnte mit einem gewissen Recht die Frage aufwerfen, ob nicht viel leicht auch der Unterschied zwischen der "direkten" und der "indirekten" Entstehung eines Karzinoms bloB ein scheillJbal'er ,sei:esl ware ja gut vorstellbar, daB jenes Sta dium der langsamen, aber standigen Wachstumssteigerung bei der unmittelbaren Krebsentstehung bloB auf eine kurze Zeitspanne zusammengepreBt ist. Eine R ii c k b i I dun g tritt bei den tierischen Tu moren vor aHem dann auf, wenn es sich urn abhangige, also auf eine gewisse MiIieubeschaffenheit eingesteIIte Tumoren handelt: sob aid sich das Milieu iindert, bilden sie sich zuriick, wie z. B. die Nierentumoren des Goldhamstcl's nach Absetzen von Stilboestrol (H 0 r n i n g) oder die Ho dentumoren der Maus nach Entzug von Oestrogen (B 0 n - s e r). . 2. Bee i n flu B bar k e i t (A b han gig ke i t) Auch an der BeeinfIuBbarkeit von Tumoren laBt sich eine Aenderung, eine Progression, feststeHen, die so gut wie immer von der BeeinfIuBbarkeit zur UnbeeinfIuBbarkeit oder in speziellen Fallen von der Abhangigkeit zur Un abhangigkeit bzw. Autonomie fiihrt. F 0 u Ids (3), dem wir iiberhaupt vieI fiir die KIarsteIIung der Progression von Tutnoren verdanken, hat ein sehr eindrucksvoIIes Bei spiel von den Mammatumoren der Maus mitge teilt (1). In seinem Mausestamm traten wah r end der Graviditat in den Mammae der l1iere Tumoren auf, die n a c h der Graviditat ihr Wachstum einsteIIten und sich zu kleinen Knotchen zuriickbildeten, un erst bei einer neuerlichen Graviditat wieder zu wachsen, bzw. nach deren AbIauf wieder zu schrumpfen. Die Tumoren waren als() in ihrem Auftreten und Wachstum abhangig von dem Milieu der Schwangerschaft. Einzelne Tumoren biIdeten sich aber nach Ablauf der Schwangerschaft nicht zuriick, sondern setzten ihr Wachstum stetig fort. Ja, manche begannen sogar ihr W achstum, nachde~ sie sich zuriickgebildet hatten, aus unbekannten Griinden in dem IntervaII zwi schen zwei Schwangerschaften. Diese Tumoren waren also von einem Stadium der Abhangigkeit, del' BeeinfluBbarkeit durch das hormonale Milieu bei der Schwangerschaft in einen Zustand der Unabhangigkeit von ihm iibergegangen. Aehnliche Ergebnisse wurden auch mit S chi I d d I' ii sen tum 0 r e n erzieIt, die durch ThiouraciIgaben