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Wrack aus der Unendlichkeit PDF

81 Pages·2016·1.28 MB·German
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Hans J. Alpers / Ronald M. Hahn Wrack aus der Unendlichkeit Band 3 aus der Reihe „Raumschiff der Kinder“ ungekürzte Originaledition der nicht mehr  aufgelegten Einzelausgabe von 1977 © Ensslin & Laiblin Verlag GmbH & Co. KG Reutlingen 1977. Sämtliche Rechte,   auch   die   der   Verfilmung,   des   Vortrags,   der   Rundfunk­   und Fernsehübertragung, der Verbreitung durch Kassetten und Schallplatten sowie der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany. ISBN 3­7709­0402­8 Die kosmische Uhr „Harpo?“ „Hmm.“ „Harpooo?“ „Hmm!“ „Harpo! Antworte bitte.“ „Was gibt’s denn, Schwatzmaul? Du siehst doch, daß ich zu tun habe. Ich muß diese verflixte Mathe­Aufgabe noch lösen.“ Schwatzmaul war das  Bordgehirn  des Raumschiffes EUKALYPTUS. Die Kinder hatten ihm diesen Spitznamen verliehen, weil es gern ungefragt seine Meinung äußerte. Aber auf eine gewisse Art waren sie sogar froh darüber, daß Schwatzmaul nicht eine jener eiskalt und logisch denkenden Maschinen war, wie man sie nur allzu oft an Bord anderer Weltraumschiffe antraf. Das Bord­ gehirn verfügte über eine Anzahl von Fernsehaugen, überall an Bord des Schiffes, und war fähig, optische Eindrücke wahrzunehmen. Harpo sah ein wenig unwillig von seinen über den Kontrolltisch ausgebrei­ teten Schmierzetteln hoch. Mußte Schwatzmaul ihn ausgerechnet jetzt stö­ ren? Er war ohnehin ärgerlich, weil er seit zwei Stunden vergeblich versuchte diese knifflige Gleichung mit zwei Unbekannten zu lösen. Obwohl die Kinder in jeder Beziehung ihren Mann – und natürlich auch ihre Frau – standen, hatten sie beschlossen, daß die Weiterbildung nicht vernachlässigt werden durfte. Mathematik gehörte dazu, also mußten Aufgaben gelöst und geübt werden. Die Lehre vom Zusammenleben in einer Gemeinschaft war ebenso wichtig, deshalb wurden Geschichte, Politik, Soziologie und Psychologie mit Hilfe von Mikrofilmen aus dem Schiffsarchiv gelernt. Und ... und ... und ... „Harpo, weißt du, was tick­tick­tick­tick­tick bedeutet?“ fragte Schwatz­ maul. „Ach, laß mich doch in Ruhe.“ „Wenn du unter Druck stehst, kann ich dir Zeit sparen helfen“, flüsterte Schwatzmaul in verschwörerischem Tonfall. „Wenn du in der dritten Zeile ,x‘ ausklammerst, dann ...“ „Ich will aber nicht, daß du mir dabei hilfst“, schimpfte Harpo. „Ich will es allein schaffen! Also gut, wie war das noch einmal? Was wolltest du von mir wissen?“ „Ich will nur wissen, was tick­tick­tick­tick­tick zu bedeuten hat.“ „Mann!“ stöhnte Harpo, obwohl der Computer ja kein Mann war. „Das ist natürlich eine Uhr! Und nun – bitte Schwatzmaul! – unterhalte dich meinet­ wegen mit dem kleinen Ollie. Der freut sich, wenn du ihm Rätsel aufgibst: Hängt an der Wand, macht tick­tick­tick, und wenn es herunterfällt, ist die Uhr kaputt. Was ist das?“ „Na schön“, brummte Schwatzmaul leicht säuerlich. „Du bist heute sehr ungnädig. Gut, gut, ich nehme zu den Akten, daß es dich nicht interessiert. Aber nochmals, Harpo Trumpff, Herr Harpo Trumpff, Chronist und Logbuch­ 2 führer des Raumschiffes EUKALYPTUS: Würdest du bitte die Gnade haben, zur Kenntnis zu nehmen, daß vierzehn Lichtminuten von hier eine mehrere Kilometer große Uhr im Weltraum hängt? – Ich sage das ja nur, damit hin­ terher nicht wieder von gewissen Leuten das große Gemecker zum Dessert auf den Tisch kommt“, fügte das Bordgehirn hinzu. „Waaas?“ stieß Harpo hervor, sprang auf und stieß beinahe den Schwenk­ sitz um. Seine dichten, blonden Locken fielen ihm dabei in die Stirn und nahmen ihm vorübergehend die Sicht. Mit einer charakteristischen Handbe­ wegung warf er das Haar wieder in den Nacken. „Eine Uhr? Kilometergroß, im Weltraum – und die hängt da einfach rum? – Schwatzmaul, du bist über­ geschnappt!“ „Ich habe lediglich gefragt“, näselte das Bordgehirn vorwurfsvoll, „was tick­ tick­tick­tick­tick bedeutet, weil ich dieses Ticken mit meinen Instrumenten aufnehme. Und da du sagtest, es könne sich nur um eine Uhr handeln, schwebt eben eine riesige im All.“ „Ich breche zusammen!“ stöhnte Harpo. „Warum haben wir auf diesem Schiff nicht einen ganz lieben, netten Computer, der Daten ausspuckt wie etwa: ,Funksignale aus dem Raumquadranten sowieso empfangen ...‘ Das wäre doch so einfach, soo nervenschonend ...“ „Pah“,   machte   Schwatzmaul   geringschätzig.   „Wie   der   Herr,   so’s Gescherr...“ Harpo wurde sofort klar, daß die Mathematikaufgaben jetzt unwichtig waren. Signale im All! Gerade jetzt, da die Generatoren der EUKALYPTUS langsam auf Touren kamen, man zum ersten Mal nicht ein Spielball kos­ mischer Kräfte war, sondern bewußt Sterne ansteuerte – und einige Hoffnung hatte, sie in absehbarer Zeit auch zu erreichen. „Kannst du die Signale ent­ schlüsseln?“ fragte er nervös. „Signale hast du gesagt“, erinnerte ihn das Bordgehirn. „Ich jedenfalls sprach nur von einem simplen Ticken. Um genau zu sein: Meine Massedetek­ toren melden ein Objekt, das rund ist, einen Durchmesser von 4,43456... äh, ich glaube, ich kürze besser ab ... von 4,4 Kilometern besitzt und zu etwa achtzig Prozent aus Metall besteht, dabei leicht radioaktiv strahlt ...“ „Ist das für Menschen gefährlich?“ „Nein.“ „Sofort Thunderclap informieren“, haspelte Harpo aufgeregt. Er raufte sich die Haare, während tausend Gedanken auf einmal ihn beschäftigten. „Der pennt“, sagte Schwatzmaul. „Dann weck ihn auf, in Dreiteufelsnamen!“ „Schon versucht. Thunderclap Genius schläft wie ein Murmeltier und rea­ giert nicht mal auf meine lauteste Wecksirene. Ich habe gerade einen unserer kleinen mechanischen Freunde mit einem großen Eimer kalten Wassers in Marsch gesetzt.“ Harpo mußte grinsen. Er stellte sich schon bildhaft vor, wie Thunderclap das kühle Naß über das Gesicht schwappte. Nun, da er als Wachhabender die Zentrale hütete, mußte Harpo eine schnelle Entscheidung treffen. 3 „Kurs auf das fremde Objekt!“ ordnete er an. „Kurs schon vor fünf Minuten geändert“, gab Schwatzmaul kichernd zu­ rück. „Ganz schön voreilig“, knurrte Harpo. „Wie, um alles in der Welt, konntest du bloß wissen ...“ „Ich kenne dich doch! Fast genauso gut wie jede meiner Sub­Schaltungen.“ In diesem Moment ertönte durch die vielen Metallwände hindurch, die Thunderclaps Bett in einem der Nebenräume von der Zentrale abschirmten, ein spitzer Schrei, gefolgt von einem saftigen Fluchen. „Aha“, machten Harpo und Schwatzmaul gleichzeitig. Ihre Stimmen klangen heiter und zufrieden. Wenig später wurde eine der Türen zur Zentra­ le  von  der  Lichtschranke   geräuschlos  geöffnet,  und   ein   patschnasser Thunderclap Genius fuhr mit seinem Rollstuhl herein. Er mußte in seinem Gefährt eingeschlafen sein, sonst hätte er nicht so schnell erscheinen können. Für gewöhnlich war der querschnittgelähmte Junge auf die Hilfe sei­ ner Freunde angewiesen, wenn er das Bett mit dem Rollstuhl vertauschen wollte. „Wer hat das angeordnet? Ich will es auf der Stelle wissen!“ schrie er em­ pört. „Wo ist der Erzhalunke?“ Er wandte sich dem kleinen Roboter zu, der ihm immer noch diensteifrig mit dem mittlerweile leeren Wassereimer folgte. „Sofort bringst du einen neuen, nein, zwei neue Eimer Wasser in die Zentrale! – Harpo, du Schuft, du wirst schon sehen, daß man nicht ungestraft ein so wichtiges Mitglied der Besatzung ...“ Schwatzmaul hüstelte, während Harpo ein möglichst unschuldiges Gesicht machte und, die Hände auf dem Rücken, die Sterne betrachtete. „Ich war es wirklich nicht“, sagte er schließlich und lachte. „Ehrlich, Thunderclap! Und an Schwatzmaul kannst du dich nicht rächen. Oder willst du vielleicht Wasser gegen seine Fernsehkamera oder gegen die Verkleidung kippen?“ Schwatzmaul zog es mal wieder vor, mit den anderen per Fernsehschirm zu verkehren. Blitzartig erschien auf einem der Monitoren die Aufschrift: „Bitte kein Wasser auf den Computer spritzen!“ Harpo, der den kleinen Roboter dennoch vorsorglich im Auge behielt, at­ mete auf, als dieser – wohl unter einem Gegenbefehl Schwatzmauls handelnd – abmarschierte. Die Grünen, wie die Roboter an Bord der EUKALYPTUS ge­ nannt wurden, weil sie mit grünen Fellen bekleidet wie kindergroße Teddy­ bären wirkten, waren einst die gefürchteten Lehrer und Beobachter der Kinder gewesen. Inzwischen hatte man sie zu netten Handlangern umgebaut. Nur Lonzo machte eine Ausnahme. Aber er war eben kein Roboter im ge­ wöhnlichen Sinn, sondern ein Freund und Kumpel der Kinder. „Dieser Halunke!“ stöhnte Thunderclap. Aber er nahm dankbar das Hand­ tuch entgegen, das ihm der zurückgekehrte Grüne jetzt reichte. „Mit dir werde ich einen Monat nicht mehr reden“, drohte er dem Bordgehirn. „Das ist unfair“, protestierte Schwatzmaul. „Was kann ich dafür, daß du eingeschlafen bist? Schließlich wirst du hier gebraucht!“ 4 „Das hat er von Captain Kidd“, kam Lonzos fröhliche Stimme vom Eingang her. Er betrat soeben mit Harpos Schwester Anca, dem kleinen Ollie und Alexander die Zentrale und der gläsernen Sternenkuppel. Es war Zeit für einen Wachwechsel. Anca war für die nächste Schicht vorgesehen. „Selbst vor und nach den größten Seegefechten und alleraufregendsten Schatzsuchen“, fuhr Lonzo plappernd fort, „konnte Captain Kidd jederzeit einschlafen, auf der Stelle, wenn es sein mußte sogar im Stehen und mit of­ fenen Augen. Niemand bekam ihn dann wach. Kein Böllerschuß, nicht ein­ mal ein Faß Rum, das man ihm auf den großen Zeh warf. Er grunzte dann nur und schnarchte wieder weiter. Aber wehe, es war das Klirren feindlicher Enterhaken zu hören ...“ „Ganz klar“, bestätigte nun auch Ollie. „Unser Thunderclap hat Piratenblut in den Adern. Im Schnarchen macht er selbst Captain Kidd etwas vor! Wie war doch noch sein richtiger Name?“ „Pitter Sause­“ versuchte Schwatzmaul ihm diensteifrig auszuhelfen. „Ruhe!“ brüllte Thunderclap dazwischen, der um keinen Preis der Welt zu­ lassen wollte, daß sein richtiger Name unter die Leute kam. „Sonst komme ich mit dem Feuerwehrschlauch!“ Er sah sich grimmig um und drohte dem Aufnahmeobjektiv des Bordgehirns mit der Faust. „Wir sind doch hier nicht im Kindergarten! Immerhin gibt es ernsthafte Probleme zu lösen. Schwatz­ maul, wir erwarten deinen Bericht.“ Manchmal konnte Schwatzmaul sehr vernünftig und sachlich sein. Ja, eigentlich mußte man ihm zugestehen, daß er über seinen Späßen niemals vergaß, welche wichtigen Funktionen er im Raumschiff auszufüllen hatte. Im Grunde war er doch recht zuverlässig. Ohne Schnörkel berichtete er deshalb noch einmal von der Entdeckung, über die bisher nur Harpo informiert war. „Juchhuuu!“ jubelte Ollie. „Endlich mal wieder ein Abenteuer!“ „Der spuckt vielleicht Töne“, mokierte sich Anca. „Kaum sind wir drei Wo­ chen im Weltraum, da wird es ihm schon wieder langweilig.“ Das Mädchen hatte recht. Nur neunzehn Tage waren seit ihrem Start vom Frostplaneten vergangen, aber irgendwie kam es den meisten bereits wie eine Ewigkeit vor. Sie fühlten sich wie alte Raumhasen, die seit Jahrzehnten von Stern zu Stern durch den Kosmos kurvten. Mit sich allein, den Lernaufgaben, dem Kochen, Wäsche Waschen und Säubern der Decks – auch wenn man, ge­ naugenommen, bei den meisten anfallenden Arbeiten lediglich entspre­ chende Programme für die Grünen zusammenstellte. „Wir erreichen das fremde Objekt in drei Stunden, fünfzehn Minuten, vierund­“ gab Schwatzmaul informationsfreudig bekannt. Harpo, der den Genauigkeitsfimmel des Bordgehirns kannte, unterbrach dessen  Redefluß  und meinte: „Sag mal, Schwatzmaul, wieso dauert das eigentlich so lange? Wenn das Objekt doch nur ganze vierzehn Lichtminuten entfernt ist und wir schon mit halber Lichtgeschwindigkeit fliegen – müßten wir dann nicht in einer halben Stunde dran sein? Das Licht braucht vierzehn Minuten. Wir dürfen dann doch höchstens achtundzwanzig benötigen. Oder?“ 5 „Mein lieber Harpo“, begann Schwatzmaul, erfreut darüber, wieder einen längeren theoretischen Vortrag halten zu können. „Ich –“ „Mein größerer Bruder“, fiel Lonzo hastig ein, „liebt bekanntermaßen weit­ schweifige  Kommentare. Ich darf wohl anmerken, daß Captain Kidd ihn allein aus diesem Grund auf der Stelle verschrottet und Kanonenkugeln aus ihm gegossen hätte ... Um es kurz und treffend mit Captain Kidd zu sagen: Diese alte Schaluppe funktioniert im Prinzip nicht anders als jene alte Brigg, mit der wir damals die neun Weltmeere unsicher machten. Man muß vor dem Wind kreuzen, Segel reffen und die Matrosen mit einem Fäßchen Rum bei Laune halten. Das dauert seine Zeit. Wo ist übrigens der Rum für die Ma­ trosen?“ „Neun Weltmeere?“ heulte jetzt Schwatzmaul auf. „Hat man je so etwas ge­ hört?“ „Damals“, behauptete Lonzo starrsinnig, „gab es auf der Erde eben mehr Weltmeere als heute!“ Schwatzmaul gab auf, denn offenbar war er dem kleinen Metallroboter doch nicht gewachsen. Er ging lieber seufzend auf Harpos Frage ein: „Lonzo hat leider recht, zumindest was die Frage der Manövrierfähigkeit von Raum­ schiffen betrifft. Wir benötigen deshalb mehr Zeit, das Objekt zu erreichen, weil wir erstens nicht schlagartig im rechten Winkel den Kurs ändern können, sondern eine parabelförmige Kurve benötigen. Zweitens müssen wir die hohe Geschwindigkeit allmählich abbremsen, und zwar so langsam, daß niemandem an Bord etwas zustößt. Beschleunigungs­ und Verzögerungskräf­ te machen dem menschlichen Organismus nämlich hart zu schaffen. Man muß da vorsichtig dosieren.“ „Ach was“, meinte Alexander, der mit seinem roten Pelz wie ein kleiner Grizzlybär aussah. „Wir alle mächtig stark. Ich besonders!“ „Na, und ich?“ fragte Ollie hochnäsig, der sich, seit Alexander ihn bei einem Ringkampf gönnerhaft hatte gewinnen lassen, für einen ebenbürtigen Gegner hielt. „Schwatzmaul weiß schon, was er tut“, griff Thunderclap ein. „Und wir können uns jetzt in Ruhe überlegen, was uns in drei Stunden erwarten mag!“ Böhmische Dörfer Mittlerweile hatten alle Besatzungsmitglieder der EUKALYPTUS erfahren, daß der Kurs gewechselt und ein unbekanntes Objekt angesteuert wurde. Da es an Bord keinen Kapitän und keine Offiziere gab, die über die Köpfe der anderen hinweg entscheiden konnten, hätte jetzt eigentlich die Schiffsver­ sammlung einberufen werden müssen. Es war nämlich so, daß derjenige, der gerade die Wache übernahm, ge­ legentlich aus der jeweiligen Situation heraus Entscheidungen treffen mußte. 6 Allein. Aber für seine Maßnahmen war er der Bordversammlung verantwort­ lich. Und die bestand aus sämtlichen zehn Besatzungsmitgliedern. Jeder hatte die gleichen Rechte und Pflichten. Natürlich gehörten auch die nicht menschlichen Besatzungsmitglieder  dazu:  Trompo, das  zierliche,  kätz­ chengroße und elefantenähnliche Wesen aus dem All, Alexander, der zotte­ lige  Rotpelz  vom Planeten Nordpol, und der stets zu Späßen aufgelegte Roboter Lonzo, der nicht müde wurde, zu behaupten, eigentlich gar keine Maschine, sondern ein Mensch zu sein und früher zusammen mit dem Pi­ ratenkapitän Kidd die tollsten Abenteuer erlebt zu haben. Diesmal verlangte niemand eine Schiffsversammlung. Es herrschte vollste Übereinstimmung: Der fremde Körper im Weltraum wird angesteuert. Die Besatzung war jetzt, da es spannend zu werden versprach, fast vollzäh­ lig in der Raumschiffszentrale versammelt. Es war ein riesiger, kreisrunder Raum, der von einer gläsernen Kuppel überdacht wurde und einen fas­ zinierenden Ausblick auf die Milchstraße gestattete. „Unsere Teleskope sind zwar gut, aber nicht gut genug“, murrte Thunder­ clap, der ungeduldig mit den Händen in der Luft herumfuchtelte. Das tat er häufig, wenn er aufgeregt war – so wie andere auf und ab gehen oder auf der Sitzfläche eines Stuhls herumrutschen. Er ärgerte sich, daß selbst die stärks­ ten Vergrößerungen nicht mehr zeigten als einen nur fußballgroßen, pech­ schwarzen Körper. „Sicher“, meinte Micel Fopp, „es gibt bessere. Aber die sind riesig und tonnenschwer! Wir sind nun einmal auf einem Raumschiff und nicht in einem Observatorium.“ „Ach, mich ärgert nur, daß uns dieses Ding absolut nichts über sich ver­ raten will“, antwortete Thunderclap. „Eine schwarze Murmel! Was soll das? Ich finde das nicht fair!“ „Du bist wie ein Wissenschaftler, der sich beleidigt fühlt, wenn ihm nicht auf der Stelle alle Geheimnisse des Universums in den Schoß fallen“, sagte Harpo lachend. „Mensch, das macht es doch gerade so spannend, wenn man zunächst ein paar Nüsse knacken muß!“ „Mich macht es nervös“, schimpfte Thunderclap. „Sag mal, Micel – fühlst du nicht wenigstens eine Kleinigkeit?“ Thunderclap spielte mit diesem Worten auf Micels besondere Begabung an. Der schwarzhaarige, dunkeläugige Junge konnte nämlich Gedanken lesen, auch über größere Entfernungen hinweg. „Nein“, sagte Micel und zuckte mit seinen viel zu kurzen, verkümmerten Ärmchen. „Aber wir sind auch noch zu weit entfernt. Ein Genie bin ich nun mal nicht. Im Gedankenlesen stolpere ich sogar bei euch. Das kann aber auch an dem krausen Zeug liegen, das durch eure Gehirnwindungen hüpft.“ Alle lachten, denn sie wußten ja, daß Micel es nicht ernst meinte. Aber recht hatte er schon. Er war noch ein Lehrling, und niemand konnte ihm hel­ fen. Er selbst mußte sich nach und nach in die Gebiete vortasten, für die er dank einer Laune der Natur Begabung zeigte. 7 „Wenn uns die Massedetektoren nicht etwas anderes melden würden“, kam es aus luftiger Höhe von Karlie Müllerchen, der hinter dem Tisch des Astronavigators saß und Sternenkarten wälzte, „dann könnte mich niemand davon abbringen, daß wir es nicht mit einem Körper, sondern mit einem so­ genannten ,Black hole‘ zu tun haben!“ Karlies Stimme kiekste ein bißchen, was aber niemanden störte. Dieses Kieksen war allen genauso vertraut wie der Riesenwuchs des Jungen. Er war gerade erst sechzehn Jahre alt geworden, maß aber vom Scheitel bis zur Sohle bereits mehr als zwei Meter zwanzig. Auf seinem spitzen Kinn sproß bereits munter ein dünner Bart. Abweichungen im Aussehen, körperliche oder geistige Behinderungen ver­ schiedener Art, Verhaltensstörungen oder organisch bedingte Besonderhei­ ten hatten die meisten Kinder an Bord der EUKALYPTUS aufzuweisen. Das waren die Folgen der erschreckenden Umweltveränderungen auf der Erde, von der diese Kinder kamen. Große Chemiekonzerne und gewissenlose Poli­ tiker hatten in der Vergangenheit rücksichtslos ihre Interessen durchgesetzt und dabei mit chemischen und atomaren Abfallprodukten Mensch und Na­ tur vergiftet. Das Raumschiff EUKALYPTUS, das Platz für mehrere zehn­ tausend Menschen bot, war einst eine Art Sanatorium gewesen. Es kreiste auf einer Parkbahn um die Erde, bis es bei einer Katastrophe ins All hinausge­ schleudert wurde. Die Kinder, Patienten auf dem Schiff, waren durch die Er­ eignisse gezwungen, die verschwundene Besatzung zu ersetzen und fern von der Erde ihren Weg durch den Kosmos zu suchen. Karlie fuhr fort: „Stimmt doch, was ich gesagt habe, oder? Man sieht von dem Körper so wenig wie vom Mond der Erde, wenn er sich bei einer Sonnenfinsternis vor die Sonne schiebt. Hier verschluckte er ein paar Sterne. Hmmm...“ Karlies Hobby waren die Sterne. Er unterhielt ich häufig mit Schwatzmaul über Astronomie oder las auf dem Filmbetrachter große Spulen mit Mikrofilmaufnahmen dickbändiger wissenschaftlicher Werke. Die im Laufe der Zeit angesammelten Kenntnisse halfen ihm jetzt nicht viel. Der geheimnisvolle Körper – die kosmische Uhr, wie Harpo ihn scherz­ haft nannte – war keine Sonne. Schließlich hätte er dann Licht aussenden müssen. Außerdem war er für eine Sonne viel zu winzig. Da er ganz allein in­ mitten des Weltraums schwebte, hätte man ihn für einen sogenannten Irr­ läufer halten können, einen Planeten, der sein eigenes Sonnensystem verlassen hatte und nun als Einzelgänger durch die Galaxis raste. Eigenartig war nur, daß er nicht wie andere Irrläufer mit hoher Geschwindigkeit flog, sondern beinahe bewegungslos seine Position hielt. „Neue Daten!“ schnatterte Schwatzmaul unerwartet los. „Das dreiachsige Massediagramm zeigt auf allen Ebenen Sprünge.“ „Böhmische Dörfer“, meinte Ollie grinsend. Die älteren Jungen und Anca studierten aufmerksam die Projektion auf den Zentralbildschirmen, die Schwatzmauls Außenkameras jetzt zeigten. Ollie er­ kannte lediglich bizarre Kurven, etwa so, wie sie entstehen, wenn der Herz­ schlag eines Menschen gemessen wird. Solche EKG­Kurven hatte er schon gesehen, auch seine eigene. Was für ihn nur ein wirres Linienmuster war, 8 schien für die Älteren ein interessantes Detail in einer Informationskette zu sein. Jedenfalls reckten sie die Hälse, als liefe auf den Monitoren ein spannender Abenteuerfilm ab. „Will mir nicht mal einer erklären, was das alles zu bedeuten hat?“ fragte Ollie ungeduldig und zerrte an den Fransen seiner Trapperhose. Thunderclap bequemte sich schließlich zu einer Antwort. „Die Masse im Innern des Kör­ pers ist nicht gleichmäßig verteilt“, sagte er mit vor Aufregung glühenden Wangen. „Na und?“ krähte Ollie. „Mensch!“ rief Karlie. „Das bedeutet, daß der Körper porös ist! Ausgehöhlt, verstehst du?“ „Dann isser eben ausgehöhlt“, erwiderte Ollie maulend. „Find’ ich über­ haupt nichts Aufregendes dran.“ In Wahrheit ärgerte er sich nur, daß er die Kurven nicht lesen konnte und sich alles erklären lassen mußte. „Dieser Knirps macht mich noch wahnsinnig“, seufzte Karlie. „Also: Die Kurven sagen nicht nur aus, daß der Körper im Innern aus einer Kette von Hohlräumen besteht, sondern diese Höhlen haben eine exakt kubische Form und sind gleich weit voneinander entfernt. Das heißt ...“ „Ein Wunder der Natur!“ platze Ollie heraus. „Quatsch, Wunder!“ meinte Karlie. Sein breites Grinsen zeigte, daß ihm die Unterhaltung entgegen seinen Beteuerungen dennoch  Spaß machte. „Ich sage nur soviel: Wenn jemand aus der Ferne ein Massediagramm von der EU­ KALYPTUS aufnehmen würde – viel anders als dieses hier würde das auch nicht aussehen!“ „Mann, klasse!“ schrie Ollie in voller Lautstärke. „Ein Raumschiff mit schleimigen Krötenmonstern vom Sirius!“ „Du mit deiner Phantasie!“ kicherte Anca belustigt, denn im Erfinden von Monstergeschichten war Ollie der Meister aller Klassen. Niemand vermochte die Nächte zu zählen, die sie nach den Erzählungen des Kleinen schlaflos ver­ bracht hatten. „Auf jeden Fall müssen wir eine Entermannschaft auswählen“, mischte sich Lonzo ein, der aufgeregt mit seinen metallenen Tentakeln wedelte. Das hell­ rote Glimmen seiner  Sehlinsen  machte deutlich, daß man Mühe haben würde, ihn davon zu überzeugen, daß die Mannschaft ohne die in seinem Ge­ hirn gespeicherten Erfahrungen von Captain Kidd auskommen konnte. Ganz besonders deshalb, weil Lonzos angebliche Erfahrungen als Seeräuber aus der Bordbibliothek stammten. „Schwatzmaul soll entscheiden, wer die EUKALYPTUS  verläßt, um das fremde Objekt zu erforschen“, schlug Harpo vor. „Wenn es überhaupt dazu kommt.“ „Gern“, meldete sich spontan das Bordgehirn. „Da einige von euch in den nächsten Stunden hier schwer abkömmlich sein werden, schlage ich vor, daß Harpo, Anca, Ollie, Alexander und Lonzo an der Expedition teilnehmen.“ „Jubel, Jubel!“ schrie Ollie und sprang vor Freude in die Luft. 9

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