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Wolfdietrich: 1. Heft: Der echte Teil des Wolfdietrich der Ambraser Handschrift (Wolfdietrich A) PDF

84 Pages·1931·4.967 MB·German
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Wolfdietrich 1. Heft Der echte Teil des Wolfdietrich der Ambraser Handschrift (Wolfdietrich A) Herausgegeben von Hermann Schneider ( \ mJN Max Niemeyer Verlag Halle (Saale) 1981 Alle Rechte, auch das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Halle (Saale), 1931 Printed in Germany Altdeutsche Textbibliothek, begründet von H. Paul f, herausgegeben von G. Baesecke nr. 28 Druck yon Karras, Kröber A Nietschmann Halle (Saale) Meiner Frau als Gegengabe zum 14. Oktober Einleitung. Die Gedichte von Wolfdietrich bilden eine mächtige Epensippe, an der fast das ganze 13. Jahrhundert ge- arbeitet hat. Anspielungen und Bearbeitungen beweisen, daß ihre Popularität bis nach 1600 ungeschwächt an- hielt. Die stoffliche Grundlage sucht man in der fränkischen Geschichte des 6. Jahrhunderts. Theuderich (Dietrich), zugenannt Wolf, der Verbannte, der Sohn Chlodwigs (auch Huga geheißen, daher Hug-Dietrich) wurde um 600 von einem Dichter in den Mittelpunkt eines Heldenlieds gestellt, das viele historische Züge der Zeit festhielt: Chlodwigs, des Heiden, Vermählung mit einer christlichen Fürstin ; Thronstreitigkeiten im merovingischen Hause, wobei königliche Brüder einander uneheliche Geburt vorwarfen; den Majordomus oder Meister als treuen Parteigänger bedrohter junger Erb- herrn (sogar Namen wie Berhtarius begegnen). Es scheint, daß das Motiv der Dienstmannentreue samt dem der Landflucht, das ja schon der Beiname Wolf verbürgt, das Rückgrat des ganzen Liedes gebildet hat: die Brüder trieben den vermeintlichen Bastard aus, der Meister mit seinen Söhnen hielt ihm die Treue, er selbst bewahrte in der Fremde das Andenken an sie und befreite und belohnte sie heimkehrend. Im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, bald nach Iwein und Tristan, wurde aus diesem alten Heldenlied ein Epos. Der Dichter versah es mit einem neuen Schluß und schöpfte dabei aus dem niederdeutschen Lied von König Ortnid von Garda (d. h. ursprünglich von Rußland, später dachte man an den Gardasee). VI Yon diesem Ort nid wurde erzählt, er habe sich eine heidnische Prinzessin über See zur Gattin geholt, sei aber dann im Kampf gegen einen Drachen gefallen. Wolfdietrich wird nun zum Rächer und Nachfolger Ortnids gemacht, und seine Landflucht führt nach Italien. Seine alte Heimat, Frankreich, hat er schon in Merovinger- zeiten zugunsten Ostroms aufgegeben, und sein Meister Berchtung ist nach Meran, d. h. Maronia in Istrien über- gesiedelt. Das älteste Wolfdietrichepos besitzen wir nicht mehr, wohl aber eine Reihe von Bearbeitungen, Nachahmungen, Fortsetzungen, die alle irgendwie mit ihm zusammen- hängen. Viele Zwischenglieder sind verloren, so daß ein ganz sicherer Stammbaum nicht aufgestellt werden kann. Für uns gliedert sich die Überlieferung in vier Eauptstränge, die wir als Wolfdietrich A, B, C, D zu bezeichnen pflegen. A (Wolfdietrich von Konstantinopel) steht zeitlich an der Spitze und berührt sich trotz großer Selbständigkeit im einzelnen wohl noch am nächsten mit dem ältesten Gedicht. Als Vorspiel ist ihm ein selbständiges Epos von Ortnid vorausgeschickt, das die gesamte Lebensgeschichte des Königs von Lamparten aus dem ältesten Woldietrichepos und aus den Ortnid- liedern herausspinnt. Wolfdietrich Β (von Saloniki) gibt eine ganz selbständige Kindheitsgeschichte und ist im übrigen ein Auszug aus einem älteren, verlorenen Ge- dicht, das das Handlungsschema gewaltig weitete und die Geschichte Ortnids mithereinbezog. Wolfdietrich C (von Athen) kennen wir nur ganz lückenhaft. Es ver- fährt mit dem Stoff sehr selbständig und findet seine Hauptstärke in der Einfügung von Episoden, die höfische Tendenzen zeigen. Wolfdietrich D ist eine große Kompilation aus drei verschiedenen Gedichten, B, C und einem Verwandten der Vorlage B's. Es ist nächst dem Nibelungenlied das umfangreichste aller Helden- epen. 1) Ich habe s. Zt. den Stammbaum so angenommen wie das Schema zeigt: VII Zwischen 1855 und 1871 sind fast alle Wolfdietrich- texte herausgegeben worden, die meisten zweimal. Nach- dem v. d. Hagen bereits 1811 den wertlosesten Text K, den des Dresdner Heldenbuches, veröffentlicht hatte, erschienen 1855 im ersten Band seines ,Heldenbuches' Ortnid, Wolfdietrich Α, Β und C. 1865 folgte der ,große Wolfdietrich' durch Holtzmann, 1867 der Text des ge- druckten Heldenbuchs (Ortnid D und Wolfdietrich D) durch Keller. Die maßgebende Publikation findet sich im dritten und vierten Band von Müllenhoffs deutschem Heldenbuch, 1871—73. (Ortnid A, B, C; D nicht voll- ständig und daher nur mit Beiziehung Holtzmanns zu benutzen). Da diese Ausgaben nur zum Teil für philo- logische Arbeit zureichend und allesamt vergriffen sind, rechtfertigt sich eine neue Edition ohne weiteres; sie soll vor allem dem Lernenden die Gattung des Helden- epos näherbringen und ihn vor einseitiger Auffassung der mhd. Dichtformen bewahren. Q* (ältestes Epos) / \ *Y *X will aber jetzt schon darauf hinweisen, daß er sich nach den noch unveröffentlichten Untersuchungen meines Schülers Brestowsky etwas vereinfachen läßt. Das Nähere findet sich in meinem Bach: Die Gedichte nnd die Sage von Wolfdietrich, München 1913. — Seitdem haben speziell über Wolfdietrich A noch gehandelt W. Haupt, Zur nd. Dietrichsage, 1914, S. 251 ff.: Mock, Untersuchungen zu Ortnid und Wolfdietrich, Bonner Diss. 1921 (Auszug); Hempel, Nibelungenstudien I, Heidelberg 1926, S. 155 flf. vin Das Gedicht Wolfdietrich A ist unvollendet ge- blieben. Es bricht nach etwa 500 Strophen ab. Man hat es fortgesetzt (A), wohl noch in der ersten Hälfte 2 des 13. Jhdts., und nahm das Material dazu vermutlich aus der Vorlage von B. Die ziemlich stümperhafte Reimerei ist in unserer Ausgabe nicht mit aufgenommen, zumal auch sie die Abenteuer des Helden nur ein Stück weiter bringt und nicht zu Ende führt. Wie der Fort- setzer fernerhin verfahren ist, das wissen wir nur aus dem späten Auszug im Dresdner Heldenbuch. Wir suchen uns mit der Eigenart des Gedichtes Wolfdietrich A bekanntzumachen. Zunächst ist zu fragen: was fand der Dichter vor? Nach unserer Annahme jenes älteste Wolfdietrichepo6, das ja mehr war als eine bloße epische Streckung des Wolfdietrichliedes. Es hatte das Schwergewicht des Stoffes verschoben und Wolfdietrich zum Drachenkämpfer, Rächer und Nachfolger Ortnids gemacht. Die alte lied- hafte Wolfdietrichhandlung muß dabei in ihrem zweiten Teil stark umgebogen oder ganz ersetzt worden sein. Diese Umformung interessiert uns hier aber nicht. Denn der Verfasser des ursprünglichen Teils von A hat seinen Helden nur bis in die Wüste Romanie geleitet und von dort aus noch nicht einmal einen Ausblick auf das Reiseziel Italien eröffnet (die Strophen 504/5 gehören schon dem Portsetzer). So ist hier nur zu untersuchen, was die Vorlage für die Motivkomplexe: Kindheits- geschichte und Bruderzwist geboten hat. Die Jugendgeschichte ist, wie wir schon wissen, in drei verschiedenen Fassungen überkommen. Sie alle haben den Zweck, den nicht mehr verstandenen Bei- namen des Helden „Wolf" zu erklären. Das geschieht in den Redaktionen Α, Β und C auf so grundverschiedene Art, daß eine gemeinsame Vorlage nicht zu erschließen ist. Das älteste Wolfdietrichepos wußte offenbar nichts von einem Wolfsabenteuer, und drei Dichter haben sich im Laufe des 13. Jhdts. ganz unabhängig voneinander die Aufgabe gestellt, es dem jungen Dietrich an- zuheften. IX Die Jugendgeschichte in Β berichtet überdem die Liebesabenteuer von Wolfdietrichs Eltern, die von C eine Anzahl früher Kriegstaten des Helden, der sich aus einer Wolfshöhle glücklich wieder nach Hause gefunden hat. Das sind alles junge Romanerfindungen. Einzig A weist im Rahmen der Kindheitsgeschichte Züge auf, die im Dienst der späteren Handlung stehen und ziel- bewußt auf den zweiten Programmpunkt des Epos hin- weisen: den Ausbruch des Sippenzwists. Hier allein knüpft der Dichter an Altüberkommenes an. Wir wissen, daß dem fränkischen Dietrich schon früh ein Saben zur Seite stand (Seafola in dem englischen Gedicht Vidsith des 8. Jhdts.), und da die Meisterfigur zu den ältesten geschichtlichen Gestalten des Lieds gehört, wird wohl auch der Gegensatz: Berchtung der Getreue, Saben der Ungetreue aus merovingischer Frühzeit stammen. Saben macht sich zum Träger des alten Bastardvorwurfs, er verleumdet den kleinen Wolfdietrich bei Hugdietrich, Berchtung tritt für ihn ein. Das ist sicher ein uraltes Motiv. Leider aber ist es nicht in alter szenischer Formung überkommen. Das entnehmen wir allen Angaben: der Zwist zwischen Vater und Sohn war dem alten Lied nicht die Hauptsache, höchstens ein Vorspiel. Der eigentliche Konflikt trennte Wolfdietrich und seine Brüder. Und da nahmen Berchtung und seine Söhneschar mit be- waffneter Hand für Wolfdietrich Partei. Sie unterlagen, und Wolfdietrich ward landflüchtig. Hier hat das früheste Buchgedicht (,Ql) noch das Handlungsschema des alten Lieds geteilt; aber leider wird seine Darstellung nirgends mehr deutlich. Dachte sich schon der erste Epiker die Belagerung Lilienports aus und erzählte von Wolfdietrichs kühnem Ausbruch ? — Mit Sicherheit können wir für das frühere Werk lediglich zwei Szenen feststellen. Erstens: Berchtung verliert in der Schlacht gegen die Brüder eine Anzahl seiner Söhne, Wolfdietrich erfährt das und sein Leid ist so groß, daß es ihn beinahe zum Selbstmord treibt. Zweitens: als Wolfdietrich das Land verläßt, um auswärts Hilfe zn suchen, da waffnet ihn χ der Meister mit des Vaters Brünne und Schwert und gibt ihm des Vaters Roß. Fest steht auch der Abschluß der Szene, das Treugelöbnis Wolfdietrichs : er will nicht ruhen noch rasten und nicht Weibesliebe genießen, bis er seine elf Dienstmannen befreit hat. Ein Reiseabenteuer führte wohl schon den Wolf- dietrich des ersten Epos mit einem wilden Weibe zu- sammen; nur läßt sich nicht sicher sagen, ob diese Begegnung von jeher die Reihe der Fahrterlebnisse eröffnet hat. Aber es verlief wohl immer friedlich und blieb daher pointelos. War sein Zweck ehemals, wie jetzt in A, Wolfdietrichs Standhaftigkeit den Frauen gegenüber zu erproben, so haben sich spätere Bearbeiter wunderlich genug an dem Abenteuer vergriffen. Gegenüber diesem Gemeingut der Wolfdietrich- fassungen, das auf die älteste epische Quelle zurück- weist, erscheint die Reihe der in A neugeschaffenen Szenen und Episoden sehr beträchtlich. In der Tat hat unser Dichter als erster und eigentlich auch als einziger die Aufgabe erkannt und gelöst, der Jugendgeschichte des Helden wirklich organische epische Form zu ver- leihen. Vielerlei Vorlagen halfen ihm zur Weitung und Auf- füllung des engen Inhaltsschemas, das ihm überkommen war. Aber es verhält sich mit ihnen so, wie oft bei mittelalterlichen Dichtungen, namentlich unhöfischen Schlages: wir vermögen meist nicht eine wirkliche Vor- lage, ein bestimmtes literarisches Erzähl werk, sondern nur typische Vorbilder zu nennen, literarisch nicht greifbare Erzählschemata, in die der mittelalterliche Poet bei gegebener Gelegenheit immer wieder einlenken wird. Zwar, der Dichter wollte ja ein Buchepos für ritter- liche Kreise schreiben und wurde dadurch zur Verwertung der benachbarten heldenepischen Literatur angehalten; unvermeidlich, daß sie da und dort eine Spur hinterließ. Am deutlichsten wirkte ein Epos von Dietrich von Bern ein, das damals viel gelesen und benutzt wurde. Der böse Saben hat manches von seinem berüchtigten Vorbild,

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