Regina-Maria Dackweiler Wohlfahrts staatliche Geschlechterpolitik am Beispiel Österreichs Politik und Geschlecht Herausgegeben vom Arbeitskreis "Politik und Geschlecht" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft e.V. (DVPW) Band 9 Regina-Maria Dackweiler Wohlfahrts staatliche Geschlechterpolitik am BeispielOsterreichs Arena eines widersprüchlich modernisierten Geschlechter-Diskurses Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2003 Meinen Eltem Susanne Dackweiler Heinz-Gtinther Dackweiler (1994) Gedruckt auf săurefreiem und alterungsbestăndigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme ISBN 978-3-8100-3442-7 ISBN 978-3-663-11878-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-11878-7 © 2003 Springer Fachmedien Wiesbaden Urspriinglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2003 Das Werk einschlie6lich aHer seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung au6erhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulăssig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalts verzeichnis Einleitung ............................................................................................... 7 1. Begriffsstrategie und methodisch-konzeptionelle Perspektive... 13 1.1 Frauenpolitik, Gleichstellungspolitik, Geschlechterpolitik: Begriffsverwendungen feministischer Politikwissenschaft... .. ......... 13 1.2 Begriffsstrategie und Gegenstandsdefinition ................................... 24 1.3 Leitbild, Diskurs, Wirklichkeitskonstruktion: heterogene methodische Ansätze und theoretische Konzepte. ........... ................ 27 1.4 Methodisch-konzeptionelle Perspektive .......................................... 35 2. Analytischer Bezugsrahmen: Wohlfahrtsstaatsregime nnd Geschlechterpolitik ........................................................................ 37 2.1 Wohlfahrtsstaatlichkeit, Machtressourcen und Staatsbürgerrechte.. 38 2.2 Wohlfahrtsstaats-und Arbeitsmarktregime ..................................... 45 2.3 Feministische Revisionen der Regimetypologie Esping-Andersens 54 2.4 Alternative Wohlfahrtsstaats typologien aus feministischer Perspektive....................................................................................... 66 2.5 Esping-Andersens Revision seiner Regimetypologie ...................... 70 2.6 Bausteine eines mehrdimensionalen analytischen Bezugsrahmens: Das Geschlechterregime .................................................................. 74 3. Das österreichische Geschlechterregime: Konstrukteur eines widersprüchlichen Geschlechter-Diskurses ................................. 79 3 .1 Politisch-ideologische Traditionslinien..... .... ... ......... ...... .... ............. 80 3.2 Politics matter: die Bedeutung von Sozialpartnerschaft und Konkordanzdemokratie für das Geschlechterregime ....... ... ............. 85 3.3 Sozialpolitik ..................................................................................... 92 3.4 Ehe- und Familienpolitik ................................................................. 100 3.5 Arbeitsmarktpolitik .......................................................................... 108 3.6 Gleichstellungspolitik ...................................................................... 117 3.7 Resümee........................................................................................... 131 6 4. Politische Anfechtungen des österreichischen Geschlechterregimes '" .................................................... ............... 137 4.1 "Ganze Männer machen HalbelHalbe": die Kampagne der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten.................................. 138 4.2 "Alles was Recht ist": das Frauen-Volksbegehren des außerparlamentarischen Frauenbündnisses "UFF" .......................... 146 4.3 Resümee........................................................................................... 153 5. Der wohlfahrtsstaatliche Geschlechter-Diskurs als Material der Wirklichkeitsdeutungen personalverantwortlicher Männer ............................................... 157 5.1 "Das ist überhaupt vollkommen geschlechtsneutral zu sehen" - obsolete Gleichbehandlungsregelungen........................................... 159 5.2 "Nur eine Frage der Zeit" -legitime und illegitime Frauenförderungsmaßnahmen......................... ................................. 166 5.3 "Die männlichen Kollegen können dranbleiben, Frauen nicht"- zwischen Familie und Beruf ................................ .................. .......... 172 5.4 "Irgendwo ist aber dann das Familienleben am Ende"- Karrierewege und Karriereanforderungen ....................................... 181 5.5 Resümee........................................................................................... 187 6. Fazit................................................................................................. 193 Anhang................................................................................................... 199 A. Datenerhebung und Datenauswertung ............................................. 199 B. Auswahl der Organisationen und Organisationsprofile ................... 200 C. Interviewleitfaden ................ ...... ...................................................... 204 Quellen und Literatur.............................................................................. 207 Danksagung............................................................................................ 229 Einleitung Vom "mainstream" der hiesigen Sozialpolitiktheorie kaum zur Kenntnis ge nommen, haben feministisch orientierte Sozialwissenschaftlerinnen in ihren unterdessen vermehrt komparativen Analysen die Kontinuität frauenbenach teiligender wohlfahrtsstaatlicher Politik aufgedeckt. Im Mittelpunkt der inter nationalen feministischen Theorie und Empirie über diese, die Geschlechter verhältnisse gestaltende, Institution steht die bis in die Gegenwart reichende strukturelle Verfestigung der Ungleichstellung von Frauen in den Sozialver sicherungssysternen (vgl. Gordon 1990; Hillffigges 1995; Ostner 1995; Ger hard 1996; Sainsbury 1994, 1999). Auf Grundlage dieser wegweisenden For schungsergebnisse möchte ich mit der vorliegenden Arbeit einen Perspekti venwechsel im Rahmen feministischer politikwissenschaftlicher Wohlfahrts staatsanalyse und -theorie zur Diskussion stellen. Im Zentrum dieses Per spektivenwechsels steht die Frage nach den Auswirkungen des sich abzeich nenden ambivalenten Zugleich der Persistenz frauenbenachteiligender Struk turprinzipien wohlfahrtsstaatlicher Politik in den kapitalistischen Demokrati en West- und Nordeuropas und der zu konstatierenden Transformationsan sätze dieser Politik seit den 1970er Jahren. Exemplarisch am österreichischen Wohlfahrtsstaat rekonstruiert, richtet sich mein Interesse auf die geschlech terpolitischen Ursachen und die Effekte dieser widersprüchlichen Ungleich zeitigkeit. Ähnlich wie etwa in Deutschland und der Schweiz (vgl. Riedmüller 1984; Aeschbacher et al. 1994) bediente sich auch der österreichische Wohl fahrtsstaat von Beginn an geschlechterdifferenzierender Ordnungsvorstellun gen, die ihrerseits auf der geschlechtlichen Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit bzw. Erwerbs- und "Versorgungsökonomie" (Beer 1990) beruhten. Mit Hilfe der Systeme sozialer Sicherung, von Familienpolitik sowie Regu lierungsformen der Arbeits(markt)beziehungen institutionalisierte der öster reichische Wohlfahrtsstaat seit Ende des 19. Jahrhunderts ein zwar modernes, gleichwohl aber herrschaftsförmiges Geschlechterverhältnis (Talos 1981; Neyer 1983, 1997a; Mairhuber 2000). Hierüber verlieh er der hierarchischen Geschlechterordnung in Produktion und Reproduktion ein materiales Funda ment. Zugleich war der Wohlfahrtsstaat der bevorzugte Ort der Hervorbrin- 8 Einleitung gung eines auf Leitbildern beruhenden Diskurses zur Ordnung der Ge schlechter. Hierbei handelte es sich um einen Diskurs, welcher - qua institu tionell abgesicherter Normierungen - der gesellschaftlich anerkannten Nor malität der segregierenden und hierarchisierenden Geschlechterdifferenz stets erneut Geltung zu verschaffen vermochte. Ebenso wie andere Staaten West- und Nordeuropas vollzog der österrei chische Wohlfahrtsstaat seit den 1970er Jahren sowohl in Bezug auf die ma teriale Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses als auch betreffend des Diskurses zur Geschlechterordnung Modernisierungs- und Demokratisie rungsschriue, welche die Neue Frauenbewegung nachhaltig vorangetrieben hat. So wurden u.a. Frauen benachteiligende Gesetzgebungen in Ehe- und Fa milienrecht sukzessive reformiert und geschlechterselektive Dimensionen in den Systemen sozialer Sicherung punktuell neutralisiert, ohne jedoch die Lo gik dieses Wohlfahrtsstaatsregimes insgesamt zu transformieren (Neyer 1986, 1989; TaloslFalkner 1992; Hieden-Sommer 1993, 1994; Kreisky 1995; Rosenberger 1990, 1995a; Wöristerrralos 1995; Kreisky/Sauer 1996; Leit ner/Obinger 1996; Leitner 1997, 1999; Mairhuber 1999,2000). Zugleich ver schränkt sich seit den späten 1970er Jahren das neue Politikfeld der ,,Frau en"- bzw. "Gleichstellungspolitik" mit dem Schwerpunkt der diskriminie rungsfreien Arbeitsmarktintegration auf spezifische Weise mit einer Fa milienpolitik, welche die geschlechterhierarchisierende Arbeitsteilung in Er werbs- und Versorgungsökonomie konserviert. So treffen politische Strate gien der erwerbsarbeitsvermittelten Individualisierung von Frauen auf solche ihrer Familialisierung. Zugespitzt läßt sich formulieren, daß der modeme österreichische Wohlfahrtsstaat, bezogen auf die Gestaltung des Geschlech terverhältnisses, paradox geworden ist: Wohlfahrtsstaatliche Geschlechterpo litik ist mehr und mehr ambivalent und inkonsistent. Sie ist geprägt von ei nem widersprüchlichen Neben- und Ineinander von Gleichheits- und Diffe renz-Diskursen im Kontext von Frauen - trotz aller Reformen - anhaltend strukturell benachteiligender Regelungen und Maßnahmen. Ausgehend von der spezifischen Verschränkung der Kontinuität von Geschlechterungleichheit generierenden Strukturprinzipien und Ansätzen ih rer Umgestaltung richtet sich das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit zum einen auf die Frage nach den Effekten des widersprüchlichen Zug leichs von Persi stenz und Transformation. Hierfür rückt das Zusammenwirken von vier, für die Regulierung des Geschlechterverhältnisses zentralen wohlfahrtsstaatli chen Politikfeldern, konkret Sozial-, Ehe- und Familien-, Arbeitsmarkt- und Gleichstellungspolitik, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Angestoßen von einem politikberatenden empirischen Forschungsprojekt im Auftrag der ehemaligen österreichischen Frauenministerin über die ,,Reaktionen von Männern in Organisationen auf Gleichstellungsinitiativen" (GodenzilDack weilerlKönig 1999), das eine widersprüchlich modernisierte Rede männlicher Funktionseliten über die Differenzen der Geschlechter zu entschlüsseln ver mochte, gilt mein Interesse zum anderen der Analyse des im Kontext dieser Einleitung 9 Policy-Felder und deren Veränderungen generierten Geschlechter-Diskurses und dessen ideologischen Grundfiguren. Hierbei verfolge ich die These, daß der wohlfahrtsstaatlich generierte Geschlechter-Diskurs als Ort "institutiona lisierter Wirklichkeitskonstruktion" (BergerlLuckmann 1999 [1969]) aufge sucht werden kann, der auf spezifische Weise das handlungsorientierende Alltags- und Allerweltswissen sozialer Akteure über Frauen und Männer und deren Rechte und Pflichten, Aufgaben und Tätigkeiten sowie Zeiten und Orte speist. Somit besteht der exemplarisch am österreichischen Wohlfahrtsstaat un ternommene Perspektivenwechsel aus drei Dimensionen: erstens in der Zu sammenschau von vier Politikfeldern, die für die Ausgestaltung der Ge schlechterverhältnisse von zentraler Bedeutung sind und im Rahmen femini stischer Wohlfahrtsstaatsforschung zumeist getrennt voneinander betrachtet werden. Zweitens in der Analyse der Verschränkung von Persistenz und Transformation wohlfahrtsstaatlicher Geschlechterpolitik, um so nicht nur die Kontinuität geschlechterhierarchisierender Regelungen und Maßnahmen auf zudecken, sondern auch deren Veränderungen in den Blick zu rücken. Und drittens in der Analyse des Geschlechter-Diskurses, der im Kontext wohl fahrtsstaatlicher Regelungen und Maßnahmen generiert wird. Der Aufbau der Arbeit, die fünf systematische Schwerpunkte umfaßt, entfaltet folgende Argumentationslogik: Im ersten Kapitel diskutiere und klä re ich die von mir verwendeten zentralen Begriffe und Konzepte, um eine feministisch-politikwissenschaftliche Begriffsstrategie und einen ideologie kritisch gewendeten, diskursanalytischen Ansatz zu erarbeiten. So wird zum einen nachvollziehbar gemacht, was ich mit "Geschlechterpolitik" adressiere und warum ich auf den Begriff der ,,Frauenpolitik" zugunsten desjenigen der "Gleichstellungspolitik" verzichte. Zum anderen widme ich mich der Refle xion des konzeptionellen Rahmens der Studie, in dem ich die zugrunde ge legten Begriffe des "Geschlechterleitbildes" und des "Geschlechter-Diskur ses" sowie der "Wirklichkeitskonstruktion" ausleuchte. Zuletzt werden in diesem Kapitel normative Dimensionen markiert, welche das ideologiekri tisch orientierte, diskursanalytische Vorgehen aus einer geschlechterherr schaftskritischen Position begründen. Somit bildet dieses Kapitel das Funda ment für den gewählten Zugriff auf die widersprüchliche Geschlechterpolitik des österreichischen Wohlfahrtsstaates als Ort institutionalisierter Wirklich keitskonstruktion über die Geschlechter. Auf Basis einer das Geschlechterverhältnis berücksichtigenden Rekon zeptualisierung des komparatistisch angelegten und an Staatsbürgerrechten orientierten Ansatzes der "Wohlfahrtsstaatsregime" von Goesta Esping An derson (1990) entwickele ich im zweiten Kapitel einen mehrdimensionalen, geschlechtersensiblen analytischen Bezugsrahmen, konkret den des "Ge schlechterregimes" (vgl. O'Connor 1993). Dieser Bezugsrahmen ermöglicht es, aus einer feministisch politikwissenschaftlichen Perspektive nach den charakteristischen Strukturprinzipien und ideologischen Traditionslinien des 10 Einleitung österreich ischen Wohlfahrtsstaates als eine das Geschlechterverhältnis orga nisierende Institution zu fragen. Unter Berücksichtigung zentraler Elemente nationalstaatlicher Politics, insbesondere des Einflusses androkratisch und androzentrisch geprägter korporatistischer Arrangements, und zwischen Fa milien- bzw. Ehezentrierung einerseits sowie Individualisierungs- und Fami lialisierungsstrategien von Policies andererseits differenzierend, werden fünf Schlüsseldimensionen für die Ausgestaltung von Geschlechterregimen gene riert. Diese erlauben es, sowohl Grundkonfigurationen als auch Transforma tionsansätze von Geschlechterregimen zu rekonstruieren. Von mir für die Analyse der Geschlechterpolitik des österreichischen Wohlfahrtsstaatsre gimes erarbeitet, läßt dieser Bezugsrahmen sich auch für die Untersuchung anderer Geschlechterregime bzw. für eine geschlechtersensible vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung fruchtbar machen. Mit Hilfe sekundäranalytisch ausgewerteter Arbeiten über den österrei chischen Wohlfahrtsstaat und dessen Geschlechterpolitik identifiziere ich im dritten Kapitel den im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Policies konstruierten Geschlechter-Diskurs und dessen Geschlechterleitbilder. Eingebettet in den analytischen Bezugsrahmen des Geschlechterregimes werden zunächst die politisch-ideologischen Traditionslinien des konservativ-korporatistischen, ehezentrierten österreichischen Wohlfahrtsstaates in dessen Konstitutions phase beleuchtet. Sodann skizziere ich die zentralen Steuerungsmechanismen des politischen Systems Österreichs, konkret "Sozialpartnerschaft" , ,,Austro keynesianismus" und "Konkordanzdemokratie" in Bezug auf ihre androkrati schen und androzentrischen Dimensionen und markiere deren Bedeutung für die Logik dieses Geschlechterregimes und dessen Geschlechter-Diskurses. Zuletzt stecke ich die Strukturprinzipien von vier für die Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses zentralen wohlfahrtsstaatlichen Politikfeldern, konkret Sozial-, Ehe- und Familien-, Arbeitsmarkt- und Gleichstellungspoli tik, ab. Hierbei fokussiere ich jeweils die geschlechterpolitischen Ambivalen zen innerhalb sowie abschließend diejenigen zwischen diesen Policy-Feldern des österreichischen Geschlechterregimes, das sich als Konstrukteur eines widersprüchlichen Geschlechter(differenz)-Diskurses erweist. Sichtbar ge macht werden kann die Persistenz der konservativ-korporatistisch, ehezen trierten Grundkonfiguration sowie deren differenzorientierte Geschlechter leitbilder, trotz geschlechterpolitischer Maßnahmen und Regelungen zur Transformation von Geschlechterungleichstellung und Geschlechterherr schaft und deren egalitätsorientierter Geschlechter-Diskurs. Im vierten Kapitel diskutiere ich in exemplarischer Absicht die 1996 vorgeschlagene Novellierung des Ehe- und Familiengesetzes durch die ehe malige Frauenministerin, Helga Konrad, und skizziere den Verlauf und Inhalt des ,,Frauen-Volksbegehrens", das - parallel zur Initiative der Frauenministe rin - entlang der gestellten Forderungen Geschlechterungleichstellung gene rierende wohlfahrtsstaatliche Geschlechterpolitik auf die öffentliche Agenda situierte. Somit gelingt es, konkrete politische Anfechtungen des anhaltend
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