Stiftung MITARBEIT (Hrsg.) Wieviel Demokratie vertriigt Europa? Wieviel Europa vertriigt die Demokratie? Stiftung MIT ARBEIT Idee und Aufirag Aufgabe der Stiftung MITARBEIT ist es, die Demokratie-Ent wicldung von unten zu f6rdern. Sie m6chte Menschen ermutigen, Eigeninitiative zu entwickeln und sich an der U;sung von Gemein schaftsaufgaben zu beteiligen. Nur wenn m6glichst viele Btlr gerinnen und Biirger in unserer Gesellschaft bereit sind, sich ein zumischen und demokratische Mitverantwortung zu ubernehrnen, kann Demokratie lebendig werden. Seit 1963 unterstiitzt die Stiftung MITA RBEIT daher biirger schaftliches Engagement und Selbsthilfeaktivitaten in unterschied Iichsten Handlungsfeldern. Dies geschieht durch - Publikationen und Offentlichkeitsarbeit - Weiterbildungsveranstaltungen, Fachtagungen, Informations- miirkte und Diskussionsforen - Projekte und Modellentwicklungen - Beratungsangebote fiir Initiativen und politische Organisatio- nen - bundesweite F6rderung von Vernetzungs-und Kooperations- projekten - Starthilfef6rderung fUr neue Initiativen. Gegriindet wurde die Stiftung von engagierten PersOnlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft mit zum Teil sehr unter schiedlichen politischen Uberzeugungen. Diese parteipolitische Unabhlingigkeit ist auch heute noch ein GrundpfeiJer unserer Ar beit. Nlihere Informationen: Stiftung MITARBEIT Bornheimer StraBe 37 D-53111 Bonn Telefon (0228) 63 00 23 Telefon (0228) 65 04 00 Telefax (0228) 69 54 21 Stiftung MITARBEIT (Hrsg.) Wieviel Demokratie Europa? vertrăgt Wieviel Europa die Demokratie? vertrăgt Mit von Beitrăgen Renate Schmidt, Manfred Brunner, Peter Glotz, Helmut Simon, Kristin Bergmann und Uwe Thaysen, Ulf Fink, Eberhard KOhler, Comelia Schmalz-Jacobsen, Walter Hildebrandt, Wolfgang Ullmann, Christine Lieberknecht Redaktion: Tilman Evers Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH ISBN 978-3-8100-1302-6 ISBN 978-3-322-91400-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-91400-2 © 1994 by Springer Fachmeruen Wiesbaden Urspriinglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1994 Das Werk einschlie61ich aHer seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung au6erhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulăssig und stratbar. Das gilt insbe sondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhaltsverzeichnis Diemut Schnetz Vorwort ......................................................................................... 7 Tilman Evers Einfilhrung: Das demokratische Dilemma der Europaischen Union ............... 11 Renate Schmidt FlSderalismus in Europa ......................................... '" .................. 27 Manfred Brunner Welches Europa vertragt die Demokratie? .................................. 39 Peter Glotz Integration und Eigensinn: Kommunikationsraum Europa -eine Chimiire? .......................... 47 Helmut Simon Der Verfassungsstreit urn den Maastricht-Vertrag: Worum geht es? .......................................................................... 59 Kristin BergmannlVwe Thaysen Wieviel Verfassung braucht Europa? .......................................... 71 VlfFink Wieviel Sozialstaat braucht ein demokratisches Europa? ........... 91 Eberhard Kohler Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen in Europa: Herausforderung und Chance .................................................... 101 Cornelia Schmalz-Jacobsen tiber den Umgang mit Minderheiten in der Europaischen Union ........................................................ 111 Walter Hildebrandt Wie entsteht eine europaische Bilrgergesellschaft? .................. 119 6 Inhaltsverzeichnis Wolfgang Ullmann Partizipative Demokratie als Aufgabe derEuropliischen Union ............................................................ 135 Christine Lieberknecht Die Rolle der Regionen in einem demokratischen Europa ....... 149 Anhang I: Rede des Priisidenten der Tschechischen Republik Vaclav Havel vor dem Europliischen Parlament in StraSburg am 8. Marz 1994 .................................................. 163 Anhang II: Entwurf des Europliischen Parlamentes filr eine Europaische Verfassung .............................................. 173 Zu den Autorinnen und Autoren ............................................... 192 Vorwort Dieses Buch ware nicht entstanden ohne die Einladung Richard von Weizsackers an die Autoren zu einem Gespriich Uber Fragen der Demokratieentwicklung in Europa; eine Einladung, die der Bundespriisident als langjiihriges Mitglied im Kuratorium der Stiftung MITA RBEIT an seine Mitkuratorinnen und -kuratoren gerichtet hat, und dies aus besonderem AniaB - dem 30jiihrigen Bestehen der Stiftung. In den vorausgegangenen Monaten hatte Richard von Weizsii cker sich wiederholt zu Fragen der demokratischen Kultur in Deutschland geau6ert und mehr BUrgerbeteiligung angemahnt. Seine Stellungnahmen verstanden sich als Beitrag zur aktuellen Verfassungsdebatte anliiBlich der Wiedervereinigung. Ihr Kern satz lautete: ,,ner Schliissel fUr die Lebenskraft der liberalen De mokratie findet sich in der lebendigen Biirgergesellschaft ... Sie sei "die erste und die letzte Frage". Eine Vorreiterrolle komme den kreativen BUrgergruppen zu. Sie mUBten "den Parteien initiativ und konzeptionell vorarbeiten". (Richard von Weizsiicker im Ge spriich; Eichborn-Verlag Frankfurt M. 1992) Vor diesem Hintergrund fand das Gespriich mit den Kuratoren der Stiftung MITARBEIT in der Villa Hammerschmidt statt. Die Stiftung war 1963 in Berlin mit dem Auftrag gegriindet worden, "die Demokratie von unten zu stiirken". Sie hat sich 30 Jahre lang als Forderinstitut um die Konkretisierung einer "lebendigen BUr gergesellschaft" bemUht. Insbesondere hat sie Biirgerinnen und Biirger unterstiitzt, die aus eigenem Engagement Initiativen ent wickeln, um Gemeinschaftsprobleme zu losen. Dies erschien zu gleich als wirkungsvoller Zugang zu politischer Bildung: Erfah rungslernen in Sachen Demokratie. Mehrere tausend BUrgergrup pen hat die Stiftung MITA RBEIT bis heute beratend, publizi stisch und viele auch finanziell unterstiitzt, fast 300 unterdessen auch in den neuen Bundesliindern: Dienstleistungen fUr den Auf bau einer Partizipationskultur in der Bundesrepublik. Unbestreitbar sind in den vergangenen Jahren vielfache Erfah rungen mit aktiver BUrgerschaft gemacht worden. Millionen von BUrgerinnen und Biirgern haben sich in Selbsthilfe- und Initiativ gruppen engagiert und Mitverantwortung praktiziert, auch im kri tischen Widerspruch zu etablierter Politik. Miindigkeit und biir gerschaftliches SelbstbewuBtsein sind gewachsen. Die "neuen so- 8 Diemut Schnetz ziaIen Bewegungen" sind Teil der Demokratiegeschichte unseres Landes geworden. Bei der BevOlkerung genieBen BUrgerinitiati yen weit mehr Hochschlitzung als die Parteien. Dieses gewachsene Demokratiebewu8tsein scheint jedoch heu te neu in Frage gestellt zu werden. Der Bezugsrahmen bisheriger Erfahrungen war die politische Realitlit der Bundesrepublik Deutschland mit der Ma8gabe des Grundgesetzes. Jetzt aber ent faltet sich - zunehmend erfahrbar - mit dem voranschreitenden europliischen Einigungsproze8 eine neue supranationale Realitlit. Politische Entscheidungen werden auf neuen Ebenen getroffen, und mit der erweiterten Dimension verschieben sich die Bezugs punkte fUr demokratische Teilhabe. Diese Uberschreitung des bekannten nationalstaatlichen Rah mens ruft kontroverse Reaktionen hervor. Die BefUrworter sehen die groBe historische Chance fUr eine Friedensordnung, die eine tausendjlihrige Geschichte blutiger Kriege in Europa beenden konnte. Sie betonen die kulturelle Bereicherung sowie vor allem die wirtschaftliche Notwendigkeit transnationaler Gestaltungsrliu me. Diese Perspektive verlange eine effektive Organisation von Entscheidungen und deren Durchsetzung, und sie rechtfertige auch gewisse Opfer an Gewohntem. Da'i Effizienzgebot aber sei auf metanationaler Ebene schon durch die gewachsene Komplexi tat erschwert. Demokratische Prozeduren dUrften die Handlungs fahigkeit nicht beeintrlichtigen. Wieviel Demokratie vertrligt Europa? Das ist die Frage der ent schiedenen EU-BefUrworter. Andere sehen im vereinigten Europa vor allem eine Bedrohung demokratischer Standards, die an die Substanz geht: Legitimation von Herrschaft durch RUckbindung an den Volkssouveran, Ge waltenteilung, Teilhabe der BUrger seien nicht gewlihrleistet. Wenn Politikbereiche aus bislang national einklagbarer Rechts staatlichkeit auf transnationale Ebenen Ubertragen werden, ohne neue Formen der Legitimation zu schaffen, werde Demokratie ab gebaut. Demokratie aber sei die "Lebenskraft" auch fUr Europa. Sie dUrfe nicht selbstzerstOrerisch beschnitten werden. Wieviel Europa vertrligt die Demokratie? Das ist die Frage der EU-Skeptiker. Dieser Zielkonflikt zwischen einer politisch und okonomisch zwingenden Effektuierung Europas einerseits und dem unverliu Berlichen Gebot einer demokratischen Legitimation von Entschei dungsgewalt andererseits ist ein Kernthema der kommenden Jah re - und das Thema dieses Buches. Vorwort 9 Ais Sachwalterin von demokratischen BUrgerinteressen fUhlt sich die Stiftung MITARBEIT aufgefordert, nach innovativen Konzepten fiir eine "lebendige Biirgergesellschaft" auch im Eum piiischen MaBstab zu suchen. Teilhabe muB erfabrbar bleiben. Bei diesem Vortasten im weitUiufigen europiiischen Haus kommt uns der Uberparteiliche Sachverstand in den eigenen Rei hen zugute. Dem Kuratorium der Stiftung MITARBEIT gebHren Pers6nlichkeiten an, die zum Thema Europa aus ihrer jeweiligen fachlichen Kompetenz heraus Bedenkenswertes zu sagen haben. Es lag nabe, sie um ihren Beitrag zu bitten, um tiber das Gespriich mit dem Bundespriisidenten hinaus Ansto8e zu geben. Elf Essays sind entstanden zu elf verschiedenen Aspekten des Themas. Schon dadurch wird die Vielfalt der Zuglinge und Ebenen der De mokratiefrage fiir Europa dokumentiert. Den Autorinnen und Autoren sei herzlich gedankt fiir ihren ge lungenen AnstoB zu weiterem Nachdenken und zu Uberlegtem Handeln. Wir danken besonders auch Tilman Evers, der die fach liche Redaktion dieses Aufsatzbandes tibemommen hat. Zwei aktuelle Dokumente erglinzen die Beitrage im Anhang: Der Entwurf flir eine Europaische Verfassung, den das Europlii sche Parlament am 10. Februar 1994 verabschiedet hat. Mit die sem Entwurf artikuliert das Europaische Parlament den Anspruch auf eine demokratische Ausgestaltung Europas. Er ist auch eine Aufforderung zum Diskurs an die Biirgerinnen und BUrger Eum pas. Der Wortlaut der Rede, die der Prasident der Tschechischen Republik, Vaclav Havel, am 8. Marz 1994 vor dem Europiiischen Parlament hielt. Mit dieser Rede wird der Horizont auf die mittel und osteuropaischen Llinder erweitert. In Erinnerung an die schicksalhaften, immer gesamteuropiiischen Wechselbeziehungen von Biindnissen und Unterwerfungen fragt Havel nach dem gei stigen, ja charismatischen Ethos fUr ein vereintes Europa. Das Nachdenken zweier Prlisidenten tiber die ktinftige demo kratische Gestalt Europas - in Schrift und freundschaftlichem Ge sprach miteinander und mit anderen - ist eine Hoffnung und Her ausforderung flir viele. "Wir sind eine Nation unterwegs nach Europa", sagt von Weizsacker. Allen, die an diesem Buch beteiligt waren, ist Europa ein StUck niiher gertickt. Das wiinschen wir auch den Leserinnen und Le- sem. Diemut Sehnen Stiftung MITA RBEIT Tilman Evers Einfiihrung Das demokratische Dilemma der Europaischen Union Nach dem Verhandlungsmarathon von Maastricht im Februar 1992 ahnte keiner der beteiligten Regierungschefs, daB die iIIustre Runde im selben Jahr noch zwei weitere Male, in Birmingham und Edinburgh, wiirde zusammenkommen mtissen. Der an schwellende Konferenzkalender spiegelte die Uberraschung, ja den Schreck der politischen Eliten tiber die verbreitete Abnei gung, die dem Vertragswerk von Maastricht in Gestalt des an fanglichen danischen Nein, im denkbar koappen Ausgang des franrosischen Referendums wie im quiilenden britischen Ratifi zierungsproze8 entgegenschlug. Der Name der niederlandisehen Stadt an der Maas mutierte in der offentliehen Wahrnehmung fast zum Synonym eines drohenden Uberstaates, der abseits demokra tischer Kontrollen in das Leben jedes Europiiers, jeder Europiierin hineinreglementieren werde. Solehe Uberspitzungen der Kritik verfiiluten wiederum die Regierungen dazu, die Einwande insge samt a1s "irrationale Beflirchtungen" und als liiSliehes Akzeptanz problem abzutun. Jenseits der anfanglichen Erregung hat die durch Maastricht ausgeloste breite Debatte heilsame Wirkung gehabt. Befiirworter wie Gegner arbeiteten sich sehrittweise zu den eigentiiehen Pro blemen vor, die in der Saehe selbst griinden und fUr die es daher keine einfachen LOsungen gibt. Vor allem in denjenigen Uindem, in denen die BevOikerung zu einem Volksentscheid aufgerufen war, hat die Diskussion das BewuBtsein und den Kenntnisstand weit tiber den Kreis der Fachleute hinaus vorangetragen. In Deutschland hat eine solche Volksabstimmung nieht stattge funden. Wissenschaft und Politik hatten so ihre Diskussion nieht nur in die Offentliehkeit zu tragen, sondem dafUr allererst die Voraussetzungen an Interesse und Kenntnissen zu schaffen. Dar an haben die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes als PersOnlichkeiten des offentliehen Lebens mitgewirkt; ihre Ar tikel sind Beitriige zu dieser Debatte. Sie antworten aus verschie dener Richtung auf die gemeinsame Fragestellung nach den Schwierigkeiten und Chancen einer demokratischen Ausgestal-