Marina Brandes Wie wir sterben VS RESEARCH Marina Brandes Wie wir sterben Chancen und Grenzen einer Versöhnung mit dem Tod VS RESEARCH Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Verena Metzger / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesond ere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17886-8 Danksagung Eine gute Idee alleine macht noch lange kein Buch. Viel Hilfe und Inspiration von Dritten ist erforderlich. Daher möchte mich ganz herzlich bedanken: bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des VS Verlags dafür, dass sie an mein Kon- zept geglaubt und mir die Chance zur Veröffentlichung gegeben haben; bei mei- nem Lebensgefährten und bestem Freund Eike Seng, der – unerschütterlich und verlässlich – jederzeit für mich da war und alles stehen und liegen ließ, um mir zu helfen, sei es, indem er sich der widerspenstigen Technik annahm, sei es, indem er sich mit Engelsgeduld jede noch so abgehobene thanatopsychologische Theorie anhörte; in besonderem Maße bei Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Waldhoff, ohne dessen Anregung ein Buch mit dieser Schwerpunktlegung nie entstanden wäre, und schließlich bei jenen, die nicht mehr Teil meines Lebens sind und mich doch Tag für Tag in meinen Gedanken und Gefühlen begleiten. Dieses Buch entstand in Gedenken an meinen Vater, Manfred Brandes, der sich einmal selbst damit beschrieb, ein prima Schwiegersohn, aber ein lausiger Ehemann gewesen zu sein. Er war auch ein wunderbarer Vater. Marina Brandes Inhalt 1 Einleitung..................................................................................................11 2 Freud über Religion, Illusion und Tod......................................................15 2.1 Der „geborene Atheist“ und die Religion...........................................15 2.2 „Das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke ihrer Wünsche“...............17 2.2.1 Hilflosigkeit....................................................................................18 2.2.2 Vatersehnsucht................................................................................19 2.2.3 „Hinaus ins feindliche Leben“: Überwindung religiöser Illusionen........................................................................................20 2.3 Freud – Prophet von Gott Logos?.......................................................22 2.4 Religion als Versöhnung mit dem Tod...............................................25 2.5 Tod eines Agnostikers – FREUDs eigener Umgang mit Sterben und Todesdrohung.....................................................................................27 2.6 Zusammenfassung...............................................................................31 3 Glaube an das ewige Leben als Versöhnung mit dem Tod.......................33 3.1 Exkurs: Paradies, Nirwana, Himmel –(cid:2)(cid:3)(cid:4)(cid:5)(cid:6)(cid:3)(cid:4)(cid:5)(cid:7)(cid:4)(cid:8)(cid:9)(cid:4)(cid:3)(cid:10)(cid:9)(cid:11)(cid:12)(cid:10)(cid:13)(cid:4)(cid:8)(cid:5)(cid:6)(cid:4)(cid:14) (cid:2)(cid:4)(cid:15)(cid:10)(cid:14)(cid:4)(cid:15)(cid:3)(cid:16)(cid:3)(cid:17)(cid:8)(cid:4)(cid:8)(cid:5)(cid:11)(cid:3)(cid:10)(cid:5)(cid:6)(cid:4)(cid:11)(cid:5)(cid:18)(cid:17)(cid:6)(cid:5)(cid:19)(cid:4)(cid:14)(cid:9)(cid:20)(cid:13)(cid:8)(cid:4)(cid:8)(cid:21)(cid:21)............................................33 3.2 Religionskritik als Kritik der christlichen Domestizierung des Todes44 3.3 Anwendung der FREUD`schen Religionskritik auf Todesdeutungen (cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:22)(cid:8)(cid:6)(cid:5)(cid:23)(cid:17)(cid:10)(cid:10)(cid:4)(cid:9)(cid:24)(cid:3)(cid:15)(cid:6)(cid:4)(cid:14)(cid:5)(cid:24)(cid:4)(cid:3)(cid:5)(cid:25)(cid:26)(cid:8)(cid:9)(cid:5)(cid:27)(cid:28)(cid:29)(cid:23)(cid:5)(cid:22)(cid:8)(cid:6)(cid:5)(cid:7)(cid:17)(cid:9)(cid:4)(cid:30)(cid:5)(cid:31)!(cid:18)"#(cid:29)(cid:23)$(cid:31).(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)..46 3.3.1 Religiöser Glaube als Wunschdenken..................................(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)......47 3.3.2 Wünsche – vor der Vernunft verantwortete Entscheidung?...(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)....48 3.3.3 Wünsche nach Unsterblichkeit und Sinn...............................(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)....50 3.3.4 Wünsche nach Gerechtigkeit................................................(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)......51 3.3.5 Gott als Objekt der Vatersehnsucht............................(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)................52 3.4 Christliche Todesversöhnung..............................................................54 3.5 Zusammenfassung...............................................................................55 3.6 „Der Tod ist ein Problem der Lebenden“(cid:5)%(cid:5)$(cid:3)(cid:8)(cid:3)(cid:16)(cid:4)(cid:5)!(cid:8)(cid:11)(cid:4)(cid:14)&(cid:22)(cid:8)(cid:16)(cid:4)(cid:8) (cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)(cid:5)’(cid:22)(cid:14)(cid:5)(cid:23)(cid:4)(cid:8)(cid:4)(cid:9)(cid:4)(cid:5)(cid:6)(cid:4)(cid:14)(cid:5)!(cid:8)(cid:16)(cid:9)(cid:10)(cid:5)(cid:19)(cid:17)(cid:14)(cid:5)(cid:18)(cid:17)(cid:6)(cid:5)(cid:22)(cid:8)(cid:6)(cid:5)((cid:10)(cid:4)(cid:14)(cid:24)(cid:4)(cid:8).........................................56 8 Inhalt 4 Die moderne Industriegesellschaft und der „Gott-lose“ Tod....................61 4.1 Bedingungen moderner Thanatopraxis...............................................61 4.2 Vom Eintritt in die Ewigkeit zum Exitus: Säkularisierung von Sterben und Tod..................................................................................63 4.2.1 Traditionelle und moderne Thanatopraxis......................................65 4.2.2 Verdiesseitigung.............................................................................68 4.2.3 Spätes, seltenes und langes Sterben................................................69 4.2.4 Interdependenz von Lebenserwartung und Todesursachen.............71 4.2.5 Die „Unsterblichkeit der besten Jahre“...........................................72 4.3 Tod und Sterben – (k)ein Thema der Medizin....................................73 4.4 Moderne Sterbeorte.............................................................................76 4.5 Die Klinik – nicht der richtige Ort zum Sterben?..............................79 4.5.1 Krankenhäuser als totale Institutionen............................................81 4.5.2 Krankenhäuser als Reparaturwerkstätten defekter Körpermaschinen............................................................................83 4.5.3 Krankenhäuser als gewinnorientierte Gesundheitsproduzenten......86 4.6 „Hilflose Helfer“.................................................................................87 4.6.1 Ärztinnen und Ärzte: Kampf gegen den Tod..................................88 4.6.2 Pflegende: zwischen Nähe und Distanz..........................................90 4.6.3 Meidungs- und Abwehrverhalten....................................................92 4.6.4 Angst des Personals vor Tod und Sterben.......................................97 4.6.5 Das sterbende Individuum als Todesbote........................................98 4.7 Sterben als Stigma.............................................................................100 4.8 Facetten totaler Institutionalisierung.................................................101 4.9 Druck, korrekt zu sterben..................................................................102 4.10 Zwischenfazit: Rationalisierung ohne Versöhnung..........................104 4.11 Der Verdrängungsdiskurs.................................................................105 4.12 „Uns mit dem Tode zu versöhnen“ – heute.......................................110 4.13 Das Hospiz: „Labor des guten Sterbens“ nur für eine Minderheit....110 4.14 Forderungen an die Kliniken.............................................................114 4.14.1 Anspruch und Wirklichkeit..........................................................116 4.14.2 Selbstbestimmtes Sterben unter Optimalbedingungen? Ein Gedankenexperiment..............................................................118 Inhalt 9 4.14.3 Vom Für und Wider der Selbstbestimmtheit............................118 4.15 Möglichkeiten und Grenzen von Sterbefürsorge....(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)......................(cid:21)(cid:5)+2 2 4.16 Die physische Dimension des Sterbens..............................(cid:21)(cid:21)(cid:21)(cid:21)..........(cid:21).12 3 5 Zusammenfassung...................................................................................127 6 Abschließende Gedanken........................................................................129 Literaturverzeichnis…….……….…………………………………………………(cid:21)(cid:21)(cid:21).(cid:5)131 1 Einleitung Täglich werden wir durch die modernen Medien mit Tod und Sterben konfron- tiert. Ob es sich um fiktive Todesfälle wie in Kinothrillern oder um die Bericht- erstattung über tatsächliche letale Ereignisse („Schwerer Unfall auf der B4: Vier Jugendliche nach Diskobesuch getötet“; „Mutter erstickt dreijährige Tochter“ usw.) handelt – fast immer sind es gewaltsame Tode, die von Film, Fernsehen, Internet, Printmedien und Rundfunk aufgegriffen werden. Nur als besonders tragisch eingestufte Unfälle und nur besonders grausame Tötungsdelikte sind ein paar Zeitungszeilen oder einige Sekunden Sendezeit wert. Sogar sie geraten schnell in Vergessenheit. Der weitaus größte Teil der Todesfälle aber ist selbst von einer derart kurzlebigen öffentlichen Aufmerksamkeit weit entfernt: Vom seltenen, spektakulären und medientauglichen Tod durch Unglück, Krieg, Mord etc. unterscheidet sich das Sterben der Mehrheit in den entwickelten Industriege- sellschaften nicht nur dadurch, dass es durchschnittlich bei Personen fortge- schrittenen Alters ohne Gewalteinwirkung eintritt, sondern auch in der weitge- henden Unbemerktheit durch die Gesellschaft. Wenn aber das nicht-gewaltsame und damit offenbar nicht-telegene, unauffällige Lebensende das ist, was am häu- figsten geschieht und dennoch am wenigsten thematisiert wird, so verlangt dieses erstaunliche Ungleichgewicht eine Erklärung: Wie, in welchem Alter, an wel- chen Orten und unter welchen Umständen wird heutzutage im Vergleich zu vor- modernen Epochen normalerweise gestorben, und warum wird darüber so wenig öffentlich gesprochen? Wie haben sich seit damals die Vorstellungen von Tod und Sterben gewandelt, welche Assoziationen und Bilder wurden und werden an diese Topoi geknüpft? Der Sterblichkeit einen Sinn zu verleihen wie auch die letzten Stunden des Einzelnen zu begleiten, war bis ins 20. Jahrhundert hinein exklusives Tätigkeits- feld der christlichen Kirche(n). Dies erkannte auch Sigmund FREUD, der ihre Lehren als Illusionen auffasste. Zu deren Funktionen soll es ihm zufolge unter anderem gehören, die Glaubenden mit dem Tod zu versöhnen. Diese Theorie von Illusion und Versöhnung bildet das Leitthema dieser Arbeit: Denn wenn der Tod etwas ist, womit sich die Individuen versöhnen müssen und wenn diese Versöh- nung Jahrhunderte lang durch die Hoffnung auf ein Hineinsterben in Gottes Herrlichkeit geschah, drängt sich die Frage auf, inwieweit man sich heute, nach der Säkularisierung, mit dem Tod (gerade dem kaum öffentlich beachteten Al- M. Brandes, Wie wir sterben, DOI 10.1007/978-3-531-92697-1_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011