KM Ti.B-GausUhlel4885-0 27.06.2006 10:33/ eite 1 Detlef Gaus • Reinhard Uhle (Hrsg.) Wie verstehen Padagogen? KM Ti.B-GausUhlel4885-0 27.06.2006 10:33/ eite 3 Detlef Gaus Reinhard Uhle (Hrsg.) Wie verstehen Padagogen? Begriff und Methode des Verstehens in der Erziehungswissenschaft III VSVERLAG FUR SOZIALWISSENSCHAFTEN KM Ti.B-GausUhlel4885-0 27.06.2006 10:33/ eite 4 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothel< verzeichnet diese Publil<ation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iJber <http://dnb.ddb.de> abrufbar. 1. Auflage August 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag fiJr Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Stefanie Laux Der VS Verlag fiJr Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiJr Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: KunkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v, Meppel Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN-10 3-531-14885-0 ISBN-13 978-3-531-14885-4 Inhalt Verstehen und Padagogik. Annahemngen an ein nicht zu vergessendes Thema DetlefGaus und Reinhard Uhle 7 I. Zur Verwendung des Verstehens in disziplinaren Kontexten Zum kritischen Potential der Padagogik Wilhelm Diltheys Shinji Nobira 17 Neuere Ansatze des ,Verstehens' in der ,Historischen Bildungsforschung' DetlefGaus 41 IJber die Schwierigkeit ,erklarender' und ,verstehender' Theorien bei der Aufklarung komplexer Sachverhalte - am Beispiel der Willensfreiheit Dietrich Hoffmann 121 II. Zum Verstandnis des Verstehens in didaktischen Kontexten Zeig mir, was Du meinst! Anmerkungen zur Didaktik des Verstehens Klaus Prange 141 Theoriekonzepte und didaktische Konzeptua- lisierungen des Verstehens im modernen Konstruktivismus Elmar Drieschner 155 wS- III. Zu Anwendungen des Verstehens in prof essionellen Kontexten Konzepte praktischen Verstehens in der Padagogik Reinhard Uhle 213 Zu Lehren verstehen. Bedingungen und Formen der Qualitatssicherung von universitarer Lehre und hochschuldidaktischer Weiterbildung Karl Neumann 229 Bildungsstandards und Verstehenskompetenz Reinhard Uhle 241 Verzeichnis der Autoren 267 (A Verstehen und Padagogik. Annaherungen an ein nicht zu vergessendes Thema DetlefGaus und Reinhard Uhle Wenn derzeit iiber ,Verstehen' im Kontext von ,Padagogik' gesprochen wird, so wird in aller Kegel iiber Defizite geklagt. Solche Defizite werden sowohl hinsichtlich der Profession und Professionalitdt der Padagoginnen und Padagogen als auch in Bezug auf die akademisch-wissenschaftliche Disziplin Padagogik/ErziehungswissenschaftdiskutieYt Seit alters her ist es ein fest stehender Topos, dass Eltern kein rechtes ,Verstandnis' fiir Ihre Kinder haben. Neueren Datums aber, wenngleich auch schon lange nicht mehr neu, ist die Klage, dass selbst professionelle Erzieherinnen und Erzieher kein Verstandnis fiir Kinder, Jugendliche, fiir ihre immer differenziertere Klientel generell, fiir deren sich immer ra- scher und komplexer wandelnden Lebenswelten und die Wandlungen von Kindheit und Jugend als sozialen und kulturellen Verweisungshori- zonten entwickeln konnen. Aktuell ist die Anklage, dass insbesondere professionelle Lehrerinnen und Lehrer, aber iiber sie als Personen hinaus auch das gesamte Bildungssystem als institutionell-professionelles Sys tem nicht in der Lage ist, ,Verstehensdefizite', wie sie in der mangelnden ,Verstehenskompetenz' von Schiilerinnen und Schiilern, von Absolven- tinnen und Absolventen des Bildungssystems deutlich werden, profes- sionell zu bearbeiten. An dieser Stelle der Diskussion verkniipft sich die Defizitklage iiber mangelndes Verstandnis und Verstehen bei padagogischen Professionals mit einem (An-)Klagediskurs iiber das Defizitare einer Padagogik/Erzie- hungswissenschaft als akademisch-wissenschaftlicher Disziplin. Defizite einer Padagogik/Erziehungswissenschaft als verstehender Disziplin wer den im offentlichem Diskurs implizit beklagt, wenn dieser vorgehalten T>., Detlef Gaus und Reinhard Uhle wird, dass sie als eine ,Theorie aus der Praxis fiir die Praxis' in der Tradi tion von FRIEDRICH DANIEL ERNST SCHLEIERMACHER und ERICH WENIGER nicht in der Lage war und ist, die Probleme padagogisch-professioneller Praktikerinnen und Praktiker und des von diesen gestalteten institutiona- lisierten Bildungssystems zu prognostizieren und diesen Krisensympto- men prospektive oder zumindest gleichzeitig konkrete Bearbeitungs- vorschlage entgegenzustellen. Daran ankniipfend wird die Prognose- fahigkeit, die tatsachlich ein wesentlicher Vorteil empirischer Verfahren gegeniiber verstehenden Verfahren ist, in den Mittelpunkt geriickt und die bis zu diesem Punkt nur implizite Kritik an einer verstehend sich verstehenden Padagogik/Erziehungswissenschaft expliziert. Dem werden nun, in aller Regel, nicht abwagend die spezifischen Vorteile und Leistungsmerkmale verstehender Verfahren gegeniiber- gestellt. Vielmehr wird der Wissenschaftscharakter einer mit verstehen den Verfahren arbeitenden Padagogik/Erziehungswissenschaft generell in Frage gestellt. Finden solche Verfahren und Ansatze iiberhaupt noch Akzeptanz, so wird darauf verwiesen, dass andere Disziplinen wie ins- besondere die Geschichtswissenschaft, die Literatur- und Kunstwissen- schaft, aber auch die Soziologie, kurz: die seit dem sogenannten ,cultural turn' sogenannten ,Kulturwissenschaften' inzwischen die wissenschafts- theoretische und methodologische FiihrungsroUe in den Diskursen der verstehenden Wissenschaften iibernomnien haben. Solche inharente ist noch eine relativ zuriickhaltende Kritik. Im im- mer schnelleren Wechsel von ,Paradigmen' im Sinne von THOMAS S. KUHN ist auch das kulturwissenschaftliche Paradigma der 80er Jahre des 20ten Jahrhunderts schon fast wieder vergessen. Derzeit wird neuerlich und drangender denn je eine ,empirische Wende' aller Disziplinen hin zu empirisch-deskriptiven oder noch besser zu empirisch-experimentellen Ausrichtungen angemahnt. Diese alle Disziplinen betreffende paradig- matische Setzung stellt verstehende Padagogik/Erziehungswissenschaft vor dem Hintergrund einer immer weiter greifenden Okonomisierung der Wissenschaft bei gleichzeitig immer strikter werdenden Sparauflagen der Wissenschaftspolitik unter besondere Beobachtung. Wissenschafts- soziologisch ist diese Tatsache nicht verwunderlich. Denn einerseits steht Verstehen und Padagogik in der Padagogik/Erziehimgswissenschaft aufgrund ihres institutionellen Ausbaus in den friihen 70er Jahren des 20ten Jahrhunderts ein Generatio- nenwechsel ins Haus, welcher der offentlichen Hand die auf Jahrzehnte einmalige Moglichkeit bietet, in kurzer Zeit grofie Sparpotenziale zu ak- tualisieren. Andererseits ist verstehend arbeitende akademisch-wissen- schaftliche Padagogik/Erziehungswissenschaft von ihrer Struktur und Tradition her traditionell wenig auf Drittmittelforschung und Aufienwir- kung angelegt. So erscheint sie in den bisherigen Versuchen der Wissen- schaftspolitik und -okonomie, Wissenschaft in Forschungsrankings quan- tifizierbar zu machen, als letztlich kaura existent und damit irrelevant. Vor solchen Hintergriinden hat dieser Band beinahe zwangslaufig den Charakter einer Verteidigungsschrift. Freilich woUen seine Beitrager nicht nur in passiver Verteidigung noch iibrig verbliebenen Terrains ver- harren, sondern aktiv die zentrale Bedeutung von Fragen des ,Verstehens' fiir die und in der ,Padagogik' betonen. Dabei wird von keinem der Beitrager in Abrede gestellt, dass die spezifischen Diskussionen um ,Verstehen' als Gegenstand wie als Me- thode von padagogischer Profession wie padagogischer Disziplin, wie sie in den letzten 150 Jahren gefiihrt worden sind, auch zu defizitaren, nur rezeptiv iibernommenen, ungeniigend applizierten oder auch schlicht zu iiberfliissigen oder in die Irre fiihrenden Ergebnissen gefiihrt haben. Fest- gehalten allerdings wird von alien Beitragern an einem Punkt, der den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Aufsatze in diesem Sammelband darstellt: Verstehen - wie immer man diese Operation im weiteren Verlauf der Diskurse verstehen oder darstellen mag - ist eine Grundkategorie, die fiir padagogische Professionalitat und disziplinare Padagogik/Erzie- hungswissenschaft unabdingbar und bedeutungshaltig ist. Fiir Angehorige der pddagogischen Professionen ist .Verstehen' in mehr- facher Hinsicht von Wichtigkeit. Es ist unmittelbar einsichtig und allge- mein akzeptiert, dass Menschen einander und Welt verstehen konnen miissen. Dieses bedeutet fiir padagogische Professionals, dass ,Verste- hen' ein zentrales Bildungsziel von Bildungssystemen sein muss. Es ist unmittelbar einsichtig und allgemein akzeptiert, dass als Bedingung jeder Moglichkeit der Einwirkung eines Menschen auf andere Menschen ein 10 Detlef Gaus und Reinhard Uhle vorheriges ,Verstandnis' fiir die Besonderheit, die Bedingungen, Um- stande, die Wiinsche, Hoffnungen usw. des oder der anderen gehort. Dieses bedeutet fiir padagogische Professionals, dass Deutungskompe- tenz unmittelbares Handwerkszeug aller ihrer Professionalitat sein muss. Dieses bedeutet fiir klientenzentrierte Professionen wie die padagogi- schen dariiber hinaus, dass Deutungskompetenz nicht nur eine wesentli- che Zielkategorie eigenen professionellen Handelns, sondern generelle Zielkategorie alien kommunikativen Handelns aller und jeder sein muss, die sich aufeinander und auf andere beziehen. Fiir die Disziplin ,Fadagogik' ist ,Verstehen' in mindestens zweierlei Hinsicht ein zentrales Thema. Zum einen verdankt sie - wissenschafts- geschichtlich - ihre Eigenstandigkeit als akademische Disziplin auch ihrer wissenschaftstheoretischen Grundlegung durch die Kunstlehre syste- matischen Verstehens, die Hermeneutik. Im Rekurs auf die oder in Ab- grenzung von den oder auch in Ablehnung der Konzeptionen des Ver- stehenstheoretikers WiLHELM DiLTHEY hat sie dessen Hermeneutik- konzeptionen iibernommen, weiterentwickelt, hinterfragt, erganzt oder auch durch ganz andere Verfahren des Verstehens von Menschen und Welt ersetzt. In diesen Verzweigungen eines Traditionsfeldes erscheint Padagogik/Erziehungswissenschaft - wissenschaftssystematisch - als kulturwissenschaftliche Disziplin. Sie ist grundiert als eine Disziplin, die kein Methodenmonopol - und sei es das eines verstehenden Verfahrens - hat. Wohl aber ist sie gekennzeichnet durch einen grundlegenden ge- meinsamen Zugriff auf ihren Gegenstand. Padagogik/Erziehungswissen- schaft in diesem (Selbst-)Verstandnis ist eine Disziplin, die auf ,Erzie- hung' schaut und diese dabei als kulturelles Phanomen ,versteht'; das eigenen historisch gewordenen kulturellen Regulierungen unterliegt. Aufgabe von Padagogik/ Erziehungswissenschaft in diesem kulturwis- senschaftlichen Verstandnis ist es, liber diese historisch gewordenen kul turellen Regulierungen aufzuklaren und systematisch basierte ,Verstan- digung' herzustellen. Wird in diesem Verstandnis von der Unhintergehbarkeit der Verste- hensproblematik sowohl vor dem Handlungs- als auch vor dem Deu- tungshorizont der Erziehung ausgegangen, dann scheint als zentrale