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Wertewandel?: Grundfragen zu einer Diskussion PDF

148 Pages·1983·3.951 MB·German
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Walter Jaide Wertewandel? Walter Jaide Wertewandel? Grundfragen zu einer Diskussion + Leske Budrich Opladen 1983 CIP-Kurztitelaufnahrne der Deutschen Bibliothek Jaide, Walter Wertewandel ? Grundfragen zu e. Diskussion / Waiter Jaide. - Opladen : Leske und Budrich, 1983. - ISBN 978-3-8100-0421-5 ISBN 978-3-322-95459-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95459-6 (c) 1983 by Leske Verlag + Budrich GmbH, Leverkusen Gesamtherstellung: Hain Druck GmbH, Meisenheim/Glan InhaIt 1. Einleitung................................ 7 2. Was hei~t Freiheit? ......................... 13 Definitionen von Werten 3. Werte im Gedankenspiel oder in der Anwendung? 18 4. Wie steht es heute urn soziale Sicherheit? ....... 24 Kenntnis der Wertverwirklichungen bis zur Gegenwart 5. Kein Wert kann allein filr sich verwirklicht werden .................................. 28 Kombination von Werten 6. Wie reagieren die Anderen auf die Anwendung von Werten? ................................. 35 Gegenseitigkeit der Wertumsetzungen 7. Absolute Oberzeugungen oder allHigliche Wertan- spriiche? ................................ 39 Stu/en der Werteinstellungen 8. Was steht obenan? ......................... 42 Rangordnungen von Werten 9. Wie weit gilt noch Leistungsorientierung und wie wird Leistung aufgefa~t? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 49 10. Was ist geblieben - was hat sich verandert? ..... 57 Bestiindigkeit oder Wandel in den Werteinstellungen 11. Industrielle oder postindustrielle Werte ......... 66 12. Die "schweigende Mehrheit" ................. 73 l3. Wie bringt man Werte in eine Rangfolge? ....... 82 14. Systematische Abgrenzung von Werten - Zielen - Normen ................................. 85 15. Perfekte Methoden - verworrene Ziele? ........ 96 Di//erenzen zwischen Mitteln und Zwecken, Wirkungen und Gegenwirkungen 5 16. Werte und Gegenwerte .................... 103 17. Zur Psycho1ogie und Sozio1ogie der Werte ...... III 18. Langhin gilltige Werte ................... " 11 5 19. Historische Regenerationen. . . . . . . . . . . .. 124 20. Bio-psychische Konstanten und Normalitaten. " 131 21. Anthropo1ogische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . .. l36 22. Sch1uf.\wort ............................. 142 23. Literaturhinweise ........................ 144 6 1. Einleitung Seit Jahrzehnten sprechen viele Autoren und Zeitge nossen von Werteschwund, Wertezerfall oder Substanzver lust. Sie meinen damit, da~ Werte wie z. B. Freiheit, Lei stung oder Bildung unwichtig oder unverbindlich oder gar unbekannt werden. Fast jeder wird damit angesprochen. Und die meisten von uns stehen, wenn sie es ehrlich zugeben, mehr oder minder unsicher vor dieser Problema tik. Die davon ausgehende Beunruhigung bleibt ertraglich und fruchtbar, solange man miteinander dartiber verhandelt, das hei~t redet oder schreibt. Damit k6nnen - fUr den Leser wie fUr seine Kinder, Zuh6rer, SchUler oder Lehrlinge - zumindest Voreiligkeiten, Vorurteile oder einseitige Standpunkte abgebaut werden. Und es k6nnen auf diesem neuen Gebiet allmahlich zuverlassige Informationen erar beitet werden. 1m Zuge so1cher Dialoge und Besinnungen sollte man allerdings nicht verkennen, da~ es innerhalb der Wertediskussion auch Krafte gibt, die Verwirrung oder Umsturz bewirken oder fOrdern. Gerade deshalb sollte man sich die Prozesse vor Augen stellen, die Entstehung, Bestand, Veranderung oder Zerfall von Wert en mit sich fUhren und tiber Heil oder Elend der Menschen, tiber Erhalt oder Zerst6rung unserer Erde ent scheiden k6nnen. Dabei sind zunachst Kliirungen wichtiger als Bekehrungen, Argumente wichtiger als Standpunkte, - wobei auch bisher ungewohnte Aspekte in Betracht zu ziehen sind. Fraglos gibt es viele Anzeichen fUr einen Wertewandel. Aber es ist sehr schwierig, dergleichen Veranderungen zu beweisen. Es mti~ten historische, soziologische, psycho logische Nachweise geliefert werden, da~ gegentiber ver- 7 gangenen Zeiten (welchen?) bei bestimmten Bevolkerungs gruppen (wiederum: welchen?) einzelne Werte (nochmals: welche?) ihre Bedeutung verloren haben oder zu verlieren drohen. Woher soll man solche Beweise nehmen: aus zeit genossischen Romanen, aus Tagebiichern und Autobio graphien, aus ideengeschichtlichen oder systemanalytischen Betrachtungen oder aus erfahrungswissenschaftlichen (oder auch amtlichen) Daten iiber Entwicklungen und Verande rungen im Bewu~tsein und Verhalten bzw. in den Lebens zielen und Lebensformen? Oder aus der taglichen, per sonlichen Erfahrung oder der blo&n Erinnerung? Trotz dieser schwierigen Beweisiage soll Wertewartdel nieht einfach in Abrede gestellt werden. Urn die Sattelzeit (1789) und wiederum ein lahrhundert spater in den "Griin derjahren" und in den Nachschatten des Ersten und Zweiten Weltkrieges sind - analog zu Veranderungen, Noten, ja Katastrophen im Leben weiter Bevolkerungsteile - Be wu~tseinsveranderungen wahrscheinlich, auch und gerade im Wertbewu~tsein. Aber woher solI man ein konkretes, beweisfahiges Wissen dariiber gewinnen? Man steht dabei bereits in historischen Kombinationen aus Entwieklungen der Lebensverhaltnisse einerseits und daraus resultierenden Veranderungen der Einstellungen andererseits. Aber Kon zepte iiber soIche Zusammenhange sind durchaus fragwiir dig. Bevolkerungsdruck bzw. Oberbevolkerung z. B. mag Konkurrenzstreben, Leistungsorientierung und Normen strenge - aber eben so auch Solidaritat, Subsidiaritat und To leranz fordern. Bevolkerungsverminderungen mogen bei den "schwachen" Geburtsjahrgangen mehr Spielraum fiir ein erfolgreiches oder einfaches Leben lassen, jedoch nur so fern die Gesamtgesellschaft ihnen geniigend Arbeitsplatze an bieten kann und will. Wirtschaftliche Mangelzeiten mogen andere Werte heraufbeschworen als Zeit en des Wohlstandes, obwohl die Menschen auch darauf alternativ oder ambi valent reagieren konnen. Diejenigen, die den Wohlstand genie~en, mogen andere Werte bevorzugen als diejenigen, die daran einen geringeren Anteil haben und erst recht tiichtig sein oder resignieren miissen; denn Wohlstand war und ist in den Gesellschaften stets ungleich verteilt. Das 8 gilt analog fUr Bildung, Arbeit und Freizeit. Und damit steht man vor der Au/spaltung der Bewu~tseinsentwicklung wahrend derselben Zeitlaufe nach Klassen, Schichten, Gruppen, Teilen der BevOikerung, die ungleich an den objektiven Veranderungen bzw. Errungenschaften oder Verlusten teilhaben und - falls die entwicklungstheore tische Annahme stimmt - auch ungleich darauf reagieren - auch mit ihren Werteinstellungen. Erst recht miissen die objektiven Veranderungen in ihren zeitlichen Verschiebungen und Reibungen, ihren Zusam menhiingen und Kontrasten analysiert werden. Was bringen z. B. Veranderungen der Bevolkerungsentwicklung fUr Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bildungswesen denn wirk lich mit sich - zu den verschiedenen Zeit en und in bezug auf die verschiedenen Bevolkerungsschichten? Und was bringt eine Entwicklung zu Wohlstandsgesellschaft oder Wohlfahrtsstaat wirklich mit sich? Ein einfacher Sozial determinismus tragt wenig zur KHirung beL Wenn die Auswirkungen der "objektiven" sozialen Wandlungen schon sehr vielschichtig und fragwiirdig er scheinen, so muB man weiterfragen, was vorausgeht: die Veranderungen der sozio-okonomischen und politischen Gegebenheiten oder die Veranderungen der Mentalitaten? Was bedeutet hierbei Huhn oder Ei? Vermutlich wirken sie wechselseitig und schubhaft je nach den Machtverhaltnissen aufeiminder ein. Oder fachlich gesprochen: es ist zwar wissenschaftlich richtig, daB man die Erorterung von Werteinstellungen und deren Veranderungen nur im Rahmen der zeitgeschichtli chen, gesellschaftlichen Gegebenheiten und deren Fortent wicklungen leisten konne. Aber einerseits ist es schwierig, diese Gegebenheiten in ihren Zusammenhangen und Ten denzen hinreichend und zutreffend zu analysieren. Und andererseits muB man herausbekommen, wie solche "objektiven" Tatsachen denn nun konkret und verschie denartig von der Bevolkerung bzw. der Jugend erlebt, ver arbeitet und beantwortet werden. Der Leser mag diese verwirrende Vielfalt der kritischen Aspekte verzeihen. Viel verwirrender und praktisch unheil- 9 voller jedoch ist die Aufstellung voreiliger Verallgemeine rungen oder Typisierungen und angeblicher Zeittrends. Die bisher vorliegenden empirischen Befunde erfassen noch zu wenig von der Wirklichkeit, - ihre Deutungen oder die freien Spekulationen zum Thema greifen bereits zu weit dariiber hin. Viele Meinungen sind zu schon, urn nicht ganz unwahr zu sein, aber der Zweifel bleibt und fordert genaue res Zusehen. Deshalb solI hier eine Besinnung iiber Vermu tungen, Wahrscheinlichkeiten, Moglichkeiten, Daten und Bedingungen des Wertewandels angestellt werden. Dahinter erhebt sich die weitere Frage: haben Werte wirklich eine so grof.)e Bedeutung fiir eine Gesellschaft bzw. fiir welche Gruppen und Individuen in ihr? Haben sie nur eine positive Bedeutung oder auch die Funktion von Schein und Vorwand-Idealen, von Ubertreibungen und Verfiih rungen? Oder haben sie gar negative Wirkungen, nlimlich die Fesselung innerer individueller Selbstbestimmung durch offentlich festgelegte Ideale? Je unstrittiger solche Werte in einer Gesellschaft bestehen, urn so eher sind sie auch dem Mif.)brauch ausgeliefert. Und sie sind weidlich mif.) braucht worden; das lehrt die Geschichte. Pharisliertum und Bigotterie haben sich nicht nur der "alten", sondern llingst auch der "neuen" Werte bemachtigt. Deshalb sei eine Entideologisierung und damit eine sehr kritische "Be wertung" von Werten und stattdessen ein Umstieg auf Ziele uhd Normen eine gute Sache oder zumindest ein industriegesellschaftliches Fatum, so kann man argumen tieren. Vielfach wird behauptet, daf.) gerade junge Menschen ei nen engeren Bezug zu Wert en haben als Altere, daf.) sie weniger pragmatisch und alltaglich als vielmehr grundsatz lich und idealistisch denken und empfinden, daf.) sie ver kiimmerte oder vergessene Werte (wie z. B. Selbstbestim mung, innere Harmonie, soziale Gerechtigkeit) wieder ernst nehmen und damit in Gegensatz zur ErwachsenengeselI schaft geraten. Andererseits wird behauptet, daf.) junge Menschen die von Erwachsenen noch proklamierten oder befolgten Werte geringschatzen und entmachten und sich dem blof.)en "Lustgewinn" hingeben. 10 Auch dies sind plausible Unterstellungen, fUr die sich manches anfUhren laflt. Aber wie will man das eine oder das andere beweisen? An welchen Daten oder Fakten will man dergleichen prazise ablesen? Welche Teile der Jugend bevolkerung meint man damit - welche Jahrgange in welchem Alter? Vermutlich entwickeln sich innerhalb der selben Jugendjahrgange sehr gegenlaufige Werteinste11un gen. Welche Werte sind geschwunden oder wieder heraufge kommen? Geht es iiberhaupt urn "andere" Werte oder nur urn veranderte Ausmiinzungen? Geht es urn eine Abschwa chung der Geltung von Werten oder urn eine ehrlichere An wen dung? Auch miiflte man Zeitreihen aufstellen und Ge nerationen bzw. Jugendgenerationen voneinander trennen und un terse heiden, urn eine zeitgeschichtliche bzw. sozio logische Analyse anzustellen. Man miiflte sich auf eine Be zugs- oder. Vergleiehsbasis einigen: etwa die Zeit der Wei marer Republik (soweit wir sie kennen), von der ausgehend man Veranderungen im Wertbewufltsein aufzeichnet. Eine Fiille von Fragen gewifl und doch nur eine erste Prasentation aus viel mehr Fragen, die man nicht mit Anspielungen oder Redensarten bewiiltigen kann und darf. 1m folgenden, wird ein sonst weniger iiblicher Gedankengang beschritten: Zunachst wird gefragt, was Einzelne oder gesellschaft liche Gruppen eigentlich meinen, wenn sie bestimmte Werte nennen und erortern (Kapitel 2.). Sodann wird gefragt, wie man Werte - gemafl ihrer ge naueren Interpretation - praktisch anwendet oder verwirk licht (Kapitel 3.). Danach mufl man sich Uber die Ausgangs situation klar werden, in der man steht und eine - besse re - Wertverwirklichung anstrebt (Kapitel 4.). Eine realistische Wertumsetzung ist nur durch Kombi nation oder Kontrastierung mehrerer Werte moglich (Kapi tel 5.). Schliefllich solI man einkalkulieren, wie die davon betroffenen Menschen daraufreagieren werden (Kapitel 6.). Die weitere Gedankenfiihrung folgt eher vertrauten Uberschriften. In den folgenden Kapiteln so11 versucht werden, die Fragen zu prazisieren und Antworten darauf zu finden. 11

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