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Wechselnde Blicke: Frauenforschung in internationaler Perspektive PDF

229 Pages·1996·6.949 MB·German
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Wechselnde Blicke Geschlecht und Gesellschaft Herausgegeben von Ilse Lenz Michiko Mae Sigrid Metz-Göckel Ursula Müller Marlene Stein-Hilbers Band 1 Ilse Lenz Andrea Germer Brigitte Hasenjürgen (Hrsg.) Wechselnde Blicke Frauenforschung in internationaler Perspektive Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1996 ISBN 978-3-663-11819-0 ISBN 978-3-663-11818-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-11818-3 © 1996 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Einleitung................................................................................................... 7 Lila Abu-Lughod Gegen Kultur Schreiben .. .... ................ ... ... ....... .......................................... 14 Winnie Wanzala Von der "angenommenen" Einheit zur "praktischen" Einheit. Die Frauenbewegung in Namibia ............................................................... 47 Soussan Sarkhoch Die internationale feministische Theorie neu hinterfragL........ .................. 78 Beate Roessler Zwischen Befreiung und Typisierung. Zur Problematik von Geschlechtsidentität und Gruppenrechten .................................................. 115 Annie Bunting Zur kulturellen Verschiedenartigkeit von Frauen in internationalen Menschenrechtsstrategien von Feministinnen ............................................ 130 Bronwyn Winter Frauen, Recht und Kulturrelativismus in Frankreich: Das Problem der Exzision ......................................................................... 152 Ursula Müller Besserwissende Schwestern? Eine erfahrungsgesättigte Polemik ............... 188 Iise Lenz Grenzziehungen und Öffnungen: Zum Verhältnis von Geschlecht und Ethnizität zu Zeiten der Globalisierung ............................................... 200 Die Autorinnen und Herausgeberinnen ...................................................... 229 Einleitung Menschen werden zu Frauen oder Männern gemacht, ohne daß sie ganz darin aufgehen. Menschen werden zu "Ausländern" und "Inländern", zu AfrikanerInnen, TürkInnen, KurdInnen oder zu Deutschen, Österreiche rInnen, US-AmerikanerInnen gemacht, ohne daß sie nur dies wären. Ein junges Beispiel ist, daß Menschen auch zu "Ossis" oder "Wessis" gemacht werden können, indem sie als unterschiedlich wahrgenommen und be schrieben werden. Prozesse, wie Differenz geschaffen und von den Einzel nen angeeignet wird, waren also nach der Vereinigung auch zwischen den Deutschen zu beobachten. In diesem Buch geht es uns um dreierlei: Einmal wollen wir verschiedene Beiträge zur Analyse der wechselseitigen Prozesse, durch die Geschlecht und Ethnizität sozial geschaffen und konstruiert werden, liefern. Zugleich wollen wir das Wechselverhältnis zwischen Ansätzen deutscher und englischer bzw. US-amerikanischer Feministinnen und feministischer Theoretikerinnen aus anderen Regionen und Kontinenten sichtbar machen. Wir wollten nicht die Klage wiederholen, daß "der weiße Feminismus" nur auf sich selbst sieht, sondern wir wollen andere und neue Sichtweisen ein bringen. Es geht aber nun nicht darum, eine vorherrschende Sicht durch ein neues einheitliches Muster abzulösen. Vielmehr faszinieren uns die Möglichkeiten der "wechselnden Blicke"; indem wir verschiedene Perspek tiven in der feministischen Theorie austauschen und durchspielen, lernen wir Neues über uns und die Anderen. Dabei sehen wir uns aber im Streit zwischen Kulturrelativismus und Universalismus nicht auf der kulturrela tivistischen Seite, war doch der eurozentrisch auftretende Universalismus, der andere Zugänge außerhalb seines eigenen Kanons negiert hat, nicht wirklich universal (siehe Sarkhoch in diesem Band). Das Spiel der wech selnden Blicke setzt in diesem Sinne die Vorwegnahme der Gleichheit unterschiedlich sozialisierter Individuen und verschiedener Wir-Gruppen voraus; feministische Ansätze treffen hier mit gleichen Geltungsansprüchen aufeinander und vermitteln sich in Kommunikation; so können sich univer sale Ansätze "von unten" herausbilden. Drittens stellen wir die Leichtigkeit und Natürlichkeit bisheriger Grenz ziehungen, die auch in schwergewichtige soziale Kategorien wie "Rasse"l, "Ethnie" oder "Kultur" eingelassen sind, selbst in Frage. In der Frauenfor schung wurde in letzter Zeit gezeigt, daß "Frau" und "Geschlecht" keine natürliche Zuweisung und Bestimmung enthält, sondern daß es eine Frage sozialer Auslegungen und sozialer Kämpfe ist, was es heißt, in einer Gesell- 8 schaft eine Frau zu sein. Sie versuchte den Balanceakt, den sozialen Zu sammenhang des Geschlechts aufzuzeigen und auszuleuchten, ohne seine soziale Bedeutung zu bagatellisieren. Dabei wurde sichtbar, daß Geschlecht zum Kristallisationspunkt vielfältiger und komplexer Formen von Un gleichheit und von Handlungsstrategien wird, die mit einem einfachen Mann-Frau-Dualismus nicht wahrzunehmen sind. Ein solcher Dualismus prägt aber noch weitgehend die feministische Debatte um Rassismus, Eth nizität und kulturelle Differenz, wo umstandslos Trennlinien zwischen "Erster" und "Dritter Welt" oder "Weiß" und "Schwarz" gezogen werden. Deswegen ist ein drittes Ziel, die soziale Herausbildung dieser Grenzlinien und ihre begrifflichen Marksteine zu hinterfragen, ohne die Bedeutung eth nischer Unterdrückung zu banalisieren. Dazu gehört ein neues Verständnis nicht nur von "Rasse", sondern auch von Kategorien wie Ethnizität und Kultur, die in der politischen Diskussion teils zu Schlagwörtern avanciert sind. Ebenso wichtig erscheint eine Öffnung der Wahrnehmung für neue interkulturelle Praxisformen jenseits der Produktion kollektiver Identitäten, die aus einer behaupteten gemeinsamen Abstammung, Sprache und Kultur stammen. Das Problemfeld von Ethnizität und Geschlecht ist wichtig und wird noch wichtiger werden, denn bei den Auseinandersetzungen um gender und eth nicity handelt es sich um eine der zentralen Zukunftsfragen moderner Ge sellschaften. Die Globalisierung hat nun auch die postindustriellen Gesell schaften in Westeuropa und Nordamerika in dem Sinne erfaßt, daß ihre Wirtschaft international abhängig wird und der Nationalstaat nur noch be grenzte Handlungsfähigkeiten hat. Zugleich werden die Menschen zuneh mend mobil, und alle postindustriellen Gesellschaften haben einen beträcht lichen Anteil an MigrantInnen oder Zugewanderten, die als ethnische Grup pen klassifiziert und meist diskriminiert werden. Diese Differenz, die ihnen auf den Leib und in den Paß geschrieben wird, stützt soziale Ungleichheit ab. Zugleich steht sie in einem komplexen Vermittlungszusammenhang mit der ebenfalls kollektiv zugewiesenen Geschlechterungleichheit. Eine Be schäftigung mit sozialer Ungleichheit in postindustriellen Ge-seIlschaften kann sich weder mit den herkömmlichen Schichtungsansätzen, noch mit Individualisierungsthesen begnügen, die diese Kollektivzuweisungen über sehen. Vielmehr verspricht der Blick auf die soziale Positionierung von Frauen und von MigrantInnen und auf damit einhergehende Bewertungen und Einordnungen wichtige Erkenntnisse darüber, wie ("objektive" und zil geschriebene) Differenz zum Kristallisationspunkt modernisierter Ungleich heit wird -einer Ungleichheit, die die Individuen voraussetzt und doch über kollektive Zuschreibung von Identitäten und entsprechende Verteilung von Ressourcen wirkt. Statt einer exotischen Randproblematik sind diese Fragen Einleitung 9 zentral für Theorien der Gleichheit und der Demokratisierung in modernen Gesellschaften. Angestoßen wurde die Kontroverse über Differenzen zwischen Frauen auch durch die feministische Antirassismusdebatte. Sie hat unbewußte Herr schaftsmuster einheimischer Frauen in Frauenbewegung und Frauenfor schung kritisiert und das Bewußtsein über die Frage von Rassismus und Klassendominanz vorangetrieben. Dennoch stehen wir vor dem Problem, daß wir die neuen komplexen Verhältnisse nicht allein mit globalen Struk turkategorien wie "Rasse" oder (fremde) "Kultur" angehen können, die an fällig für deduktionistische Vorgehensweisen sind. Es besteht die Gefahr, daß sie erneut einen gewissen Dualismus transportieren und über die Unter schiede zwischen der einzelnen Person und der Gesamtstruktur hinwegge hen. In der deutschen feministischen Antirassismusdebatte hat sich als po litische Sprachregelung das Wort von den "schwarzen" und den "weißen Frauen" durchgesetzt. Damit wurden die herrschenden Benennungen in kri tischer Absicht übernommen - ebenso jedoch der zugrundeliegende Dualis mus (siehe Lenz in diesem Band). Manche Migrantinnen und Jüdinnen se hen sich jedoch nicht als "schwarze Frauen", wie es diese politische Einord nung vorsieht. Auch viele einheimische deutsche Frauen erkennen sich nicht in der Zuschreibung "weiße Frauen", die die einzelne Frau mit der rassisti schen Struktur gleichsetzt und kaum Wahlmöglichkeiten läßt - z.B. sich glaubwürdig gegen den Rassismus einzusetzen. Einerseits wurden nun Mi grantInnen und ihre Organisationen in feministischen Auseinandersetzun gen "sichtbarer", was ein sehr wichtiger Schritt ist. Andererseits führte dua listisches Denken zu Fragmentierungen und zu Polarisierungen in den anti rassistischen Frauengruppen, denen bis heute nicht entgegengewirkt werden konnte. Deswegen suchen gegenwärtig Viele nach neuen Ansätzen und Syn thesen, mit denen diese Verengungen in der Debatte zu durchbrechen wä ren. Die Beiträge in diesem Band erweitern die bisherigen Sichtweisen ent scheidend, und sie deuten an, daß mit dem klassischen Kanon von sex, race, class die gegenwärtigen Prozesse nicht mehr zu begreifen sind: Es geht um Frauen und Männer als Individuen im Spannungsfeld von Klasse und Eth nizität, die in Frauenbewegungen neue Wege suchen. Weiter geht es darum, wie sich diese Zuschreibungen in unterschiedlichen Rechten ausdrücken und was die normative Grundlage für Gleichheit und Differenz von Kollektiven bilden kann, die sich jeweils wie die Frauen oder die Schwarzen auf eine gemeinsame Identität bezogen haben. Wenn die inneren Differenzen in die sen Kollektiven zutagetreten, die Unterschiede zwischen Frauen z.B. leitend in der Politik werden, wie läßt sich dann noch ein Anspruch auf gleiche Menschenrechte begründen? Welche Konflikte enthalten soziale Bewegun- 10 gen, die versuchen, diese Menschenrechte, z.B. auf körperliche Unversehrt heit, gegenüber (mächtigen) Frauen einer unterdrückten Ethnie durchzuset zen? All diese Fragen zeigen, wie wichtig neue Ansätze sind. Das Buch beginnt mit einem Beitrag von Lila Abu-Lughod, der sich mit den Konnotationen der sozialen Konstruktion von Selbst und Anderen beschäf tigt. Abu-Lughod untersucht, wie diese Differenz durch eine Ethnologie, welche voneinander abgrenzbare Entitäten festschreibt, geschaffen und re produziert werden kann. Sie problematisiert diese vielfach paradigmatische Unterscheidung von Selbst und Anderen als eine Praxis, in der Differenz als Rechtfertigung von Ungleichheit entlang der Scheidelinie der Macht be hauptet wird, und weist Möglichkeiten, solche essentialistischen Dichoto mien zu überwinden. So stellt sie Strategien vor, die sie "gegen Kultur schreiben" nennt: Anstelle eines statischen Kulturbegriffs sollen die Hand lungen der Individuen und Gruppen Ausgangspunkt jeglicher Analyse sein und einen historischen, möglichst realistischen Blick auf die soziale Welt ermöglichen. Narrative "Ethnologien des Partikularen" sollen einen vermit telnden Diskurs der Nähe bereitstellen, der dem "Prozeß des Andersma chens" entgegenwirken kann. Abu-Lughod kritisiert "nicht-westliche" Orientierungen, die auf kultureller Abgrenzung beruhen, sowie feministi sche Rückbesinnungen auf das Weibliche. Sie versteht darunter - ähnlich wie Soussan Sarkhoch - eher einen "umgekehrten Orientalismus" bzw. "Kulturfeminismus", die die Struktur von hergestellten hierarchischen Grenzziehungen nicht in Frage stellen, sie vielmehr fortschreiben und so dazu tendieren, historische Praxis zu negieren. Winnie Wanza/a verbindet die Fragen von "Rasse", "Klasse" und Ge schlecht mit der persönlichen Identität. Sie geht aus von einer Untersuchung der Frauenbewegungen in Namibia seit der Unabhängigkeit, die ganz im Gegensatz zu den pauschalen Annahmen eines "globalen weißen Feminis mus" von schwarzen Frauen getragen und vorangetrieben wird. Es zeigt sich, daß viele Konflikte nicht allein auf unterschiedliche Hintergründe von "Rasse" und Klasse zurückgehen, sondern auch auf unterschiedlichen per sönlichen Eigenschaften und Erfahrungen der Frauen beruhen. Winnie Wanzala thematisiert anhand dieser personality conjlicts die Bedeutung der Frauen als Individuen im Spannungsfeld von Klasse und "Rasse". Sie entfal tet den Ansatz des "Geschlechtskomplexes" (gender comp/ex), um die unterschiedliche Identität von Frauen in diesem Spannungsfeld zu begreifen. Als möglichen Umgang mit diesen Unterschieden in der Frauenbewegung schlägt sie vor, ein Bewußtsein des Subjektiven (und damit auch der Relati vität der eigenen Position) zu entwickeln, was ermöglicht, die Verschieden heit von Frauen zu respektieren und für die Bewegung fruchtbar zu machen. Einleitung 11 Im Zentrum von Soussan Sarkhochs Beitrag steht die Kritik an theoreti schen Ansätzen wie politischen Überlegungen, die Differenzen überbetonen und als natürliche Phänomene festschreiben. Auf den ersten Blick irritierend ist, daß sie solche Argumentationsmuster bei ganz unterschiedlichen gesell schaftlichen Gruppen und Richtungen entdeckt: Nach Sarkhoch besteht eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen Teilen des gegenwärtigen feministischen Diskurses, der geschlechtsspezifische Unterschiede ontologisiert, und kul turrelativistischen Argumentationen politischer Bewegungen, die - wie z.B. in Iran - fundamentalistische Positionen vertreten. Die Verneinung von Universalität, wie sie laut Sarkhoch sowohl für sogenannte gynozentrische wie für postmoderne Theorieansätze charakteristisch ist, hält sie zugleich für die theoretische Grundlage von fundamentalistischen und rassistischen Strömungen. Sarkhochs wissenschaftliches und politisches Interesse gilt der Situation von Frauen in der "Dritten Welt", und sie fragt, ob die gängigen Entwürfe und Begriffe feministischer Theoretikerinnen in der Lage sind, historische Prozesse und Machtverhältnisse offenzulegen, ohne in kulturali stische und ontologisierende Interpretationen, die emanzipatorische Verän derungen nicht zulassen, zu verfallen. Beate Rässler nimmt die alte feministische Debatte um Differenz versus Gleichheit auf und startet einen weiteren Versuch, um über diese unfrucht bare und schlichte Gegenüberstellung hinauszukommen. Sie fragt, wie sich die These von der sozialen Konstruktion der Geschlechtsidentität mit der anderen These von den einzuklagenden Gruppenrechten als Frauen, die aufg rund der Zähigkeit der Machtverhältnisse auch in liberalen Demokra tien noch benachteiligt und unterdrückt werden, vereinbaren läßt. Annie Bunting beschäftigt sich mit den Stärken und Schwächen von fe ministischen und sogenannten kulturrelativistischen Ansätzen, welche beide den derzeit dominanten Menschenrechtsdiskurs aus unterschiedlichen Blickwinkeln kritisieren. Während Feministinnen versuchen, universalisti sche Menschenrechtsstandards auch für Frauen weltweit durchzusetzen, wollen KulturrelativistInnen die kulturelle Differenz zwischen Frauen in solche Überlegungen einbezogen wissen. Buntings Versuch, beide Positio nen füreinander fruchtbar zu machen, betrachten wir als einen ersten Schritt, um neue Perspektiven für Menschenrechtsstrategien zu weisen. Bronwyn Winter nimmt die Strafprozesse zur Beschneidung von afrikani schen Mädchen und Frauen (Exzision) in Frankreich zum Anlaß, um mit bestechender Genauigkeit die Argumentationslinien der einzelnen Parteien, die auch den öffentlichen Diskurs bestimmen, zu analysieren. Dabei widmet sie sich insbesondere der dominanten Polarisierung zwischen einerseits kul turrelativistischen Positionen, die im Namen von Toleranz und Antirassis mus die Kriminalisierung von Exzision als einer kulturellen Tradition ver-

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