Von den Rändern her gelesen – Analysen und Kommentare zur Funktionalität der Dimension ,Natur‘ im novellistischen Œuvre Clara Viebigs Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktor der Philosophie vorgelegt dem Fachbereich II: Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Trier Referent: Prof. Dr. Georg Guntermann Koreferent: Prof. Dr. Peter Kühn Anke Susanne Hoffmann Butzstraße 18 86199 Augsburg Dezember 2005 D ANKSAGUNG DievorliegendeArbeitwurdeimFachbereichII:Sprach-undLiteraturwissenschaftender UniversitätTrierimFachteilNeuereDeutscheLiteraturwissenschaftunterderBetreuung von Herrn Prof. Dr. Georg Guntermann angefertigt. Ihm möchte ich für die Begleitung des Projektes, seine sachlichen und kritischen Hinweise sowie die langjährige stets kom- petente und engagierte Betreuung während des Studiums danken. Auch Herrn Prof. Dr. Peter Kühn danke ich für sein Interesse am Fortgang der Arbeit und die Bereitschaft zur ÜbernahmedesKoreferates. Zu Dank verpflichtet bin ich weiterhin dem Ehepaar Christel und Manfred Aretz, das mit großem persönlichen Einsatz der Clara-Viebig-Gesellschaft in Bad Bertrich vorsteht. BeidewarenmirdurchIhreHilfsbereitschaftundIhrInteresseanmeinenStudienzuClara ViebigeinegroßeUnterstützung. AußerdemmöchteichmichbeimeinenehemaligenKollegendes„Informationsnetzwerks zurGeschichtedesRhein-Maas-Raumes<RM.net>“anderUniversitätTrier,ganzbeson- ders bei Frau Dr. Gisela Minn, Frau Yvonne Rommelfanger und Herrn Ansgar Schmitz, fürdiefreundschaftliche,unkomplizierteundstetsangenehmeArbeitsatmosphärebedan- ken,diewesentlichzumGelingendiesesPromotionsprojektesbeigetragenhat. Weiterhin gilt mein Dank Frau Prof. Dr. Henriette Herwig, Universität Düsseldorf, die mir die Möglichkeit gegeben hat, die Ergebnisse meiner Studien zu Clara Viebig in Ihr Editionsprojekt–die,editionGENDER‘–einzubringen. Besonders Dank sagen will ich meinen Eltern, Maria und Gerhard Müller, für ihre finan- zielle Unterstützung und ihr stets außergewöhnlich großes Interesse an meinem Studium und meinemPromotionsvorhaben.Ihnen und meiner SchwesterChristina möchte ichzu- demfürIhrenZuspruchundIhreGeduldbeimKorrekturlesendanken.ZuDankverpflich- tet bin ich auch Beate Thome, die diese Arbeit vor der Veröffentlichung noch einmal mit großerSorgfaltdurchgesehenhat. Mein herzlichster Dank gilt schließlich meinem Mann Simon. Ohne dessen festen Glau- ben an das Gelingen meines Projektes, seine aufmunternden Worte und seine Nachsicht sowieseinetechnischeUnterstützungbeiderWahldesTextverarbeitungssystemsundder AnfertigungdesSatzeswäredieseArbeitnichtzustandegekommen. AnkeSusanneHoffmann Inhaltsverzeichnis 1 Einleitendes 7 1.1 EinführungindasThemaderArbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.2 ZurForschungssituation–SchwerpunkteundDefizitederzeitgenössischen undmodernenViebig-Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.3 ‚Horizonte‘–ZugängezuClaraViebigsNovellenwerk . . . . . . . . . . 25 1.3.1 EinMethodologischerAbriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.3.2 DiePerspektiveder,GenderStudies‘ . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.3.3 Merkmale des Literarischen – Konnotation, Polysemie, Zeichen- motivierungundSymbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.3.4 DiskurstheoretischeÜberlegungen–LiteraturalsInterdiskurs . . 30 1.3.5 GérardGenette–dieRollederParatexte . . . . . . . . . . . . . . 33 1.3.6 InterdiskurstheorieundLiteratursoziologie . . . . . . . . . . . . 34 1.3.7 DiePerspektivedesAnalysten–zwischenhermeneutischemVer- stehenunddiskursanalytischemKommentar . . . . . . . . . . . . 38 1.3.8 ,Von den Rändern her gelesen‘ – Analysen und Kommentare zur Funktionalität der Dimension ,Natur‘ im novellistischen Œuvre ClaraViebigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2 DieSignifikanzderDimension,Natur‘ 42 2.1 DieBeurteilungderDimension,Natur‘durchdieViebig-Philologie . . . 42 2.2 Reales Abbild oder ästhetische Kontrafaktur – Überlegungen zu Ort und ZeitderNovellenhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.1 Das Phänomen ‚Natur‘ im Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.2 Die natürlichen Umgebungen der Jugend und des Alters – Über- legungenzurNovellentopographie . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Inhaltsverzeichnis 3 2.2.3 Naturräumlich bestimmte Zeiträume als formale Gliederungsele- menteundsymbolischeZeichen–zurVerwendungderJahreszei- tenbeiClaraViebig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.3 Natur als vermittelndes und agierendes Medium – zur Rolle der Natur innerhalbdesfiktivenPersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.3.1 Kongruenz und Widerspruch – Natur als Mittel der Innenwelt- Projektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.3.2 DieDimension,Natur‘undihreElementealsErzählaktanten . . . 68 2.4 DieKonzentrierungdesEpischen–NaturalserzähltechnischeRealie . . 74 2.4.1 Prolepse, Analepse und Transzendierung – Natur als Instrument fürPerspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.4.2 Progression,SpannungsbogenundKlimaxbildung–NaturalsAb- bildundEmphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.5 Zwischen Adaption und Radikalisierung – Natur als Element der Text- komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3 Natur als unabhängige, beliebige und erhabene Größe – die Naturgewalt als Allmacht 95 3.1 NaturgewaltenundSchicksalsschläge–FormenunheilvollernaturalerEin- flussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.2 DasKonzeptder,materomnium‘–Naturals(heidnische)Gottheit . . . . 100 3.2.1 Die(liebevolle)Ernährerin–DerSonnenbruder undDieHeimat . 101 3.2.2 DieErlöserin–DerOsterquell undDasMiseräbelchen . . . . . . 102 3.2.3 Die mystische Göttin – Das Kind und das Venn und Der Lebens- baum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.3 UnabhängigeNaturgewaltundmatriarchalischeGottheit–Einflüsseeines zeittypischenDiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4 ‚DieSonnesehen‘oder‚DieSehnsucht,seinGlückzumachen‘–das(weibli- che) Verlangen nach individuellem Glück und selbstbestimmter Lebensfüh- rung 117 4.1 ZurEditionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.2 Zur Theorie der Ränder – Vor Tau und Tag, der Prolog als paratextuelles Bindeglied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Inhaltsverzeichnis 4 4.3 ‚Die Sonne sehen‘ – ein intra- wie interdiskursives Leitthema in vier No- vellenausdenJahren1896-1898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.3.1 MännlichesversusweiblichesGlücksverständnis:GlückoderTra- gödieeiner‚gutenPartie‘–SiemussihrGlückmachen . . . . . . 126 4.3.2 Lebensentwürfe jenseits der gesellschaftlichen Realitäten: Weib- lichesKünstlertumundLiebesheirat–VorTauundTag . . . . . . 131 4.3.3 DasBedürfniseiner‚höherenTochter‘nachemotionalerEchtheit undWahrheit–WendieGötterlieben . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.3.4 ZwischenTraumaundGlücksmoment:ambivalenteweiblichePer- zeptionsmustervonEheundMutterschaft–Gespenster . . . . . . 142 4.4 ,Die Sonne sehen‘ als diskursives Element in weiteren Novellentexten ClaraViebigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4.5 ‚Sonne‘und‚Sonnenaufgang‘alsKollektivsymbole . . . . . . . . . . . . 151 4.5.1 Naturalistische Programmtexte – Diskursinterferenzen und Dis- kursberührungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4.5.2 DieepochenübergreifendeStabilitätdesKollektivsymbols– GerhartHauptmann:VorSonnenuntergang . . . . . . . . . . . . 157 5 Urbane,ökonomische,soziale,gesellschaftlicheundpersönlicheLebenskrisen alsAuslöservonFluchtbewegungen–DieDimension‚Natur‘alsRefugium 160 5.1 Wer kann sich rühmen, er habe in Berlin die Sonne untergehen oder ein Wetter heraufziehen sehen? (W. Rathenau) – Clara Viebigs Blick auf ur- baneAlltagswirklichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5.1.1 Clara Viebigs Stadtnovellen im Kontext des literarischen Groß- stadtdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5.1.2 DasLeidenanderStadt–DerKlingeljungeundFrühlingsschauer 165 5.1.3 ClaraViebigsStadtnovellen–eineAffirmationdesPostulates‚Los vonBerlin‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 5.2 Die‚FluchtvorderWelt‘–GesellschaftsfernealsPositivum . . . . . . . 180 5.2.1 Dominante gruppen- und epochenspezifische Mentalitäten und Habitus-FormenalsAuslöservonFluchtbewegungen . . . . . . . 180 5.2.2 DieFluchtindieGesellschaftsferne–‚illusorischerEskapismus‘ aufgrundgesellschaftlicher,sozialerundökonomischerUnzuläng- lichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.3 DieFluchtimGeiste–imaginierteBewegungenzurückindasGestern . . 200 Inhaltsverzeichnis 5 5.3.1 Die‚gutealteZeit‘–regressiveUtopienalsZielpunktevonWirk- lichkeitsflucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 5.3.2 Die Novellen Die Wasserratte und Graumann als antimoderne, konservative Postulate für ein Zurück in die ‚heile Welt‘ vergan- generZeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 5.4 DieSehnsuchtnachderTranszendierungdesRealen–ViebigsCharaktere als‚Realitätsflüchtige‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 6 ,Heimat‘–FacetteneinesambivalentenWerteszwischenspatialerFixierung, WeiblichkeitundFremdwahrnehmung 213 6.1 Zum Werden von ,Heimat‘ – Sprach- und Bedeutungsgeschichte eines SchlüsselbegriffesderdeutschenGeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6.2 Verwurzelt-Sein in der ,Erdfrische des mütterlichen Bodens‘ – zum Ver- hältnisvonScholle,WeiblichkeitundHeimat . . . . . . . . . . . . . . . 219 6.2.1 ,Scholle‘–einModewortum1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 6.2.2 DieorganizistischeMetapherdes,Wurzelns‘–,Heimat‘alsloka- leFixierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.2.3 ,Die gute Mutter‘ – Dimensionen ödipaler Mutter- und Heimat- bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 6.3 DasEigeneunddasAndere–zumDualismusvon,Heimat‘und,Fremde‘ inderNovellistikClaraViebigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6.3.1 Der menschliche Raumanspruch als anthropologisches Konstitu- ans – Vorüberlegungen zum literarischen Umgang mit Fremdheit beiClaraViebig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6.3.2 HeimwehalsFatalismus–einSaisonarbeiterschicksal . . . . . . 235 6.3.3 Heimat als ,nationale Differenz‘ – Perzeptionsmuster des Frem- deninZeitendesKrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 6.4 DieDenkform,Heimat‘–beiClaraViebigeinvielschichtigerDiskurs . . 247 7 ,VondenRändernhergelesen‘–Schlussbemerkungen 249 8 Literaturverzeichnis 254 8.1 Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 8.1.1 ClaraViebig:FiktionaleTexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 8.1.2 ClaraViebig:NichtfiktionaleTexte . . . . . . . . . . . . . . . . 261 8.1.3 WeitereAutoren:FiktionaleTexte . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Inhaltsverzeichnis 6 8.2 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 8.2.1 Nachschlagewerke:LexikaundSachwörterbücher . . . . . . . . 264 8.2.2 LiteraturzuClaraViebigundangrenzendenThemenbereichen . . 266 Kapitel 1 Einleitendes 1.1 Einführung in das Thema der Arbeit Die Auseinandersetzung mit der Autorin Clara Viebig und im Besonderen mit deren No- vellenwerk stellt aus literaturwissenschaftlicher Sicht ein Desiderat dar. Denn bisher ha- bensichnurwenigeForschermitViebigsnovellistischemVermächtnisbeschäftigt.1 Diese Arbeit möchte das umfangreiche und in seiner Thematik wie Ästhetik ambi- valente novellistische Œuvre Clara Viebigs ‚von den Rändern her‘ über die Dimension ,Natur‘ lesbar machen. Denn die Darstellung dieser Kategorie wird seit dem Beginn der Viebig-Philologie als besonderes Moment der Viebig’schen Prosa hervorgehoben. Trotz- dem sind bisher detaillierte Analysen oder gar Funktionszuschreibungen dieser insbe- sondere für die Viebig’sche Novellistik zentralen Kategorie weitgehend ausgeblieben. Gleichwohl ist es aber gerade die Leistung des Phänomens ‚Natur‘, welches die Stärke undLiterarizitätderNovellenausmacht. Als ‚erzählter Raum‘ erhält Natur einen ganz eigenen Stellenwert im Novellentext mit einem nicht zu unterschätzenden Bedeutungspotential. Die Signifikanz des erzählten Natur- und Kulturraumes geht weit über die etwa des Settings hinaus. ‚Natur‘ ist nicht bloß Kulisse oder Tableau, sondern ist als multifunktionales Medium im Zentrum inter- undintradiskursiverRelationsgefügeplatziert. ImRahmendieserUntersuchungwird‚Natur‘inihrerGesamtheitbegriffen.Demnach istesnichtnurdieDarstellungeinzelnerNatur-undKulturräume,dieinteressiert,sondern auchdieSymbolikdersichinderjeweiligenNatur-oderKulturlandschaftmanifestieren- den Naturphänomene. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang beispiels- 1Vgl.Kapitel1.2,S.9ff. EinführungindasThemaderArbeit 8 weise das symbolische Feld ‚Licht‘, dessen Zentrum die Gestirne ‚Sonne‘, ‚Mond‘ und ‚Sterne‘ bilden oder die symbolische Verdichtung bestimmter Wetterlagen wie Gewitter oderhochsommerlicheHitze.WeiterhingehörenzurDimension‚Natur‘inihrerGesamt- heitdiezahlreichenRelationen,welchedieAutorinzwischendenmenschlichenAkteuren und Elementen der Fauna und Flora aufbaut. Hierbei spielt die konnotationsreiche Tier- metaphorik,2 derersichViebigbedient,einebesondereRolle. Anhandausgewählter,fürdasNovellenwerkinseinerGesamtheitbeispielhafterTexte wird die Multifunktionalität der Kategorie ‚Natur‘ herausgearbeitet. Dabei wird sowohl aufderenexponierteStellungfürDramaturgiederNovellenalsauchaufderenSignifikanz fürdieästhetischewieinhaltlich-expressiveSeitederTexteeinzugehensein.Sokannauf Basis der durchgeführten Analysen in den Kommentaren gezeigt werden, welche zentra- len, geradezu textkonstitutiven Funktionen Natur in all ihren vielfältigen Erscheinungs- formenfürdieNovellenerfüllt.DieNaturschilderungenViebigssinddemnachnicht,wie oft geschehen, auf ein realistisches, detailgetreues Abbild der Realität3 noch auf eine gar heimatkünstlerischeHommageandiejeweiligeRegionzureduzieren.DennNatur,deren Darstellung in Clara Viebigs Texten „zwischen naturgetreu und fantasiegeboren“4 pen- delt, ist vor allem anderen literarisch ästhetisierte Faktur. Als solche wird sie selbst zu einem Teil der Fiktion, der ganz bewusst eingesetzt wird, um als polyvalentes Medium Form und Inhalt der Novellen zu konstituieren. Natur wird in vielfältiger Weise instru- mentalisiert und in den Dienst der Texte gestellt, so dass weder die dramaturgische noch dieinhaltlich-thematischeEbenederTexteohnedieKategorie,Natur‘bestehenkann. 2Vgl.Kapitel2.4.1,S.79ff. 3Vgl.Lange,Kriegsandenken,S.99. 4Ebd.,S.99. ZurForschungssituation 9 1.2 Zur Forschungssituation – Schwerpunkte und Defizite der zeitgenössischen und modernen Viebig-Rezeption Clara Viebig, geboren am 17. Juli 1860 in Trier, galt im ersten Drittel des 20. Jahrhun- derts als eines der größten Erzähltalente ihrer Zeit. Der Durchbruch als Schriftstellerin gelang ihr im Jahre 1897 mit dem Novellenband Kinder der Eifel5: „Mit diesem 7 No- vellenenthaltendenBandeführtsicheinvielversprechendesTalentindieLiteraturein.“6, so der einhellige Tenor der zeitgenössischen Presse.7 In den Folgejahren machte sie sich „einen Namen in der literarischen Welt. Vortrags- und Vorlesungsreisen führten sie nach Petersburg, Den Haag, Wien, Paris, in die Schweiz und in die USA.“8 Bis ins Jahr 1935, in dem ihr letztes Werk, der Roman Der Vielgeliebte und die Vielgehaßte, entstand, war Viebig schriftstellerisch überaus produktiv. Aufgrund der politischen Situation im natio- nalsozialistischen Deutschland stellte sie ihre Arbeit als Autorin jedoch nach Abschluss dieses Romans ein. Gleichwohl hinterließ sie bei ihrem Tod am 31. Juli 1952 in Berlin- ZehlendorfeinumfangreichesŒuvre. DessengenaueQuantifizierungbereitetvorallemimBereichderNovellenundErzäh- lungeneinigeProbleme,daetlicheTexteüberdieJahrehinwegmehrfachinimmerwieder unterschiedlichkonzipiertenSammelbänden,vonderAutorinselbstundvonDritten,ver- öffentlicht worden sind. Josef Ruland beispielsweise gibt den Umfang des Viebig’schen Werkes mit achtundzwanzig Romanen, sieben Novellenbänden und vier Theaterstücken an,9 währendCarolineBlandannimmt,dassClaraViebigalleinzwischen1897und1914 „fourteen novels, nine collections of Novellen, and five plays“10 publizierte. Karl Leyen- 5„Erst 1895 begann sie ihre schriftstellerische Tätigkeit und trat zwei Jahre später mit dem Roman ,Die Rheinlandstöchter‘ an die Öffentlichkeit. Bald folgten die Novellen ,Kinder der Eifel‘, welche die Ver- fasserinschnellbekanntundberühmtmachten.“(Zitelmann,Frauennovellen,S.8). 6DresdnerAnzeiger,Besprechung,[o.S.]. 7AuchinweiterenRezensionenfindetsichdiesehoheEinschätzungderliterarischenLeistungViebigsmit denKindernderEifelbestätigt.Soz.B.imLeipzigerTageblatt:„MitdiesemBucheführtsicheinjunges TalentsehrvielversprechendinunsereLiteraturein;“(LeipzigerTageblatt,Besprechung,[o.S.]),ebenso in den Internationalen Literaturberichten, wo zu lesen ist: „Unter dem Titel ,Kinder der Eifel‘ hat C. ViebigeinenBandNovellenveröffentlicht,welcherderVerfasserinredlichenLorbeereinbringenwird“ (InternationaleLiteraturberichte,Besprechung,[o.S.]). 8Ruland,Lebensbilder,S.217. 9Vgl.ebd.,S.227. 10Bland,Identities,S.384.
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