steinkopff taschenbiicher 9 Yom Vorurteil zur Toleranz Von PROF. DR. WOLFGANG METZGER ehem. Direktor des PsydlOlogischen Universitats-Institutes Munster i. W. 2. uberarbeitete Auflage 11\ • DR. DIETRICH STEINKOPFF VERLAG DARMSTADT 1976 Wolfgang Metzger, geboren 22. 7. 1899 in Heidelberg, studierte, nach dem Ersten Weltkrieg aus franzosischer Gefangenschafl: zuriid!:gekehrt, von 1920 bis 1927 in Heidelberg, Munchen, Berlin, Iowa City erst Germanistik, Anglistik, Kunstwissensschaft, dann Psymologie, Physik und Philosophie. - Wimtigste Lehrer: Max Wertheimer, Wolfgang Kohler, Kurt Lewin, samtlim in Berlin, samtlich 1933 nach Amerika gef!umtet. - Dr. phil. in Psymologie Berlin 1926. - Habilitation fur Psymologie Frankfurt 1932. - Von 1942 bis 1967 ordentlimer Professor der Psychologie und Direktor des Psymologismen Instituts der Universitat Munster, seit 1964 zusammen mit Professor Wilhelm Witte; wahrend der selben Zeit Ausbau des 1942 gegrundeten Instituts zu einem der groBten und best ausgestatteten Institute Europas; von 1967 bis 1976 Leiter der Unterabteilung fur gnostische Funktionen am gleimen Institut. -1965 Ehrendoktor der Universitat Padua. Wichtigste Arbeitsgebiete: Wahrnebmungslebre, Piidagogische Psychologie. Vertritt die sogenannte »Gestalttheorie" der »Berliner Schule". Wichtigste Werke: "Psymologie" (Darmstadt, 5 Auflagen 1941-1975), "Gesetze des Sehens" (Frankfurt a. M., 3. Auf!. 1976'), »Schopferisme rreiheit" (Frankfurt a. M., 2. Auf!. 1962'), "Stimmung und Leistung" (Munster, 4 Auflagen 1957-1967), "Fruhkindlimer Trotz" (Basel 1956, 2. Aufl. 1963), "Erziehung zur Reinlimkeit" (Lindau 1949, 2. Auf!. 1961), "Das Raumliche der Hor- und Sehwelt bei der Rundfunkiibertragung" (Berlin 1942), "Psymologie in der Erziehung" (Bomum 1971, 3. Auf!. 1976), "Was ist Padagogik - Was konnte sie sein?" (Miinmen 1969), Psychologie und Padagogik (Bern 1975). (Gesamt-Smriftenverzeimnis etwa 250 Nummern). Verhciratct scit 1927 mit Juliane Metzger, der bekannten Spielzeug forsmerin, 6 Kinder, deren eines der deutsmen Verkehrs-Unordnung zum Opfer fiel, 8 Enkel. CIP-Kurztitelaufnahme der Deutsmen Bibliothek Metzger, Wolfgang Yom Vorurteil zur Toleranz. - 2. uberarb. Auflage Darmstadt: Steinkopff, 1976 (Steinkopff-Tasmenbucher; 9) ISBN -13:978-3-7985-0459-2 ISBN -13:978-3-642-72324-7 DOl: 10.1007/978-3-642-72324-7 © 1976 by Dr. Dietrim Steinkopff Verlag, GmbH & Co. KG Darmstadt AUe Rechte vorbehalten. Jede Art der Vervielfaltigung ohne schriftlime Genehmigung des Verlages ist unzulassig. Einbandgestaltung: jurgen Steinkopff, Darmstadt Zu dieser Taschenbuchreihe Die STEINKOPFF TASCHENBOCHER unterscheiden sich von anderen vergleichbaren wissenschaftlichen Taschenbuchreihen in zwei wesentlichen Punkten: 1. In dieser Reihe geht es weniger urn die Quantitat monatlich oder jahrlich produzierter Bande, sondern vor aHem urn die Qualitiit bestimmter sorgfaltig ausgewahlter Beitrage, die von Fall zu Fall in groBerer Auflage zu maBigem Preis publiziert werden sollen. Die Zahl der in dieser Reihe veroffentlichten Titel wird daher bewuBt knapp gehalten bleibenj die Erscheinungsfrequenz ist also wesentlich zwangloser und langfristiger angelegt als bei anderen vergleichbaren Taschenbuchreihen. 2. In dieser Reihe werden vorwiegend Beitrage veroffentlicht, die sich - wissenschaftlich fundiert - an eine groBere tlffentlichkeit wenden oder der interdisziplinaren Diskussion zwischen den ver schiedenen Fachbereichen an Hochschulen, Fachhochschulen, Fach schulen und Schulen dienen wollen. Dariiber hinaus so11 durch die Bande dieser Reihe von Fall zu Fall auch der Nichtwissenschaftler in seiner Verantwonung und in seinem InformationsbedUrfnis angesprochen werden. Der humane Aspekt steht im Vordergrund aller Darstellungen, da wir der Ansicht sind, daB eine Humani sierung unserer Gesellschaft dringend notwendig sei. Da es Uber die Wege, auf denen dieses Ziel erreichbar sei, verschiedene An sichten gibt, werden in dieser Reihe auch gegensatzliche KuBe rungen und sidl widersprechende Stimmen zu Wort kommen. Der Leser mag dann frei selbst entscheiden, welchem Diskussions beitrag er den Vorzug gibt. Lernen konnen wir auch von Beitragcn, mit deren Inhalt wir nicht oder nicht ganz einverstanden sind. Aus diesem Grunde wurden auch zunachst 7 Bande publiziert, bevor wir uns zu einer programmatischen Skizzierung der Ziele dieser Taschenbudlreihe entschlossen. Wir hoffen daher, daB die STEINKOPFF TASCHENBOCHER auf dem z. Z. recht Uber setzten Taschenbuchmarkt in eine echte LUcke treffen und nach und nach ihr eigens unverwechselbares Profil gewinnen und damit Freunde unter den Wissenschaftlern und Nid1twissenschaftlern. Jiirgen Steinkopjf v Prolog FALSCHER VERDACHT Ein Mensch hat meist den iibermachtigen Naturdrang, andere zu verdachtigen. Die Aktenmappe ist verlegt. Er sucht sie, kopflos und erregt, Und schwort bereits, sie sei gestohlen, Und will die Polizei schon holen Und weiB von nun an iiberhaupt, DaB aUe Welt nur stiehlt und raubt. Und sicher ists der Herr gewesen, Der, wahrend scheinbar er gelesen - Er ahnt genau, wie es geschah ... Die Mappe? Ei, da liegt sie ja! Der ganze Aufwand war enthehrlich Und aUe Welt wird wieder ehrlich. Doch den vermeintlich frechen Dieb Gewinnt der Mensch nie mehr ganz lieb, Wei! er die Mappe, angenommen, Sie ware wirklich weggekommen - Und darauf wagt er jede Wette Gestohlen wiirde haben hatte! Eugen Roth VI Vorwort zur zweiten Auflage Die Bekampfung und Verhiitung von Vorurteilen, vot aUem von Vorurteilen gegen Andersglaubige, gegen Andersfarbige, gegen Minderheiten im eignen Land und gegen aIle irgendwie yom Gewohnten abweichenden Menschen gehort zu den wichtigsten Anliegen der poli tischen Erziehung und der Erziehung zum Mitmenschen iiberhaupt. Mit Ausnahme des grundlegenden Werks des Ameri kaners G. W. Allport, "The Nature of Prejudice" (1934, dritte Auflage 1955) beschaftigen sich so ziemlich aUe vorliegenden Veroffentlichungen, nicht nur die "ge meinverstandlichen", tiber das Vorurteil mit Teilfragen. (Dies gilt auch fiir Allports beherzigenswertes Biichlein "ABC's of Scapegoating". das unter dem Titel "Treib jagd auf Siindenbocke" 1951 und in vierter Auflage 1968 im Christian-Verlag, Bad Nauheim, erschienen ist.) So gut wie aUe diese Versuche gehen irrigerweise davon aus, da~ es selbstverstandlich und jedermann bekannt sei, was ein Vorurteil ist. Eines der wichtigsten Anliegen des folgenden Textes ist es, hier die notige Klarheit zu schaffen. Dabei hat der Verfasser, wie auch in seinen iibrigen Werken, eine Art der DarsteUung gewahlt, die als solche dem in wissenschaftlichen Kreisen, vornehmlich in deut schen, seit alters herrschenden Vorurteil entgegentritt, da~ wissenschaftliche Strenge und Gemeinverstandlich keit einander ausschlie~en, d~ man also bei der Dar- VII stellung von Fachwissen und von Ergebnissen der For schung sidl nur entweder streng aber unverstandlich, oder versdindlich aber in verfalschender Vereinfachung ausdriicken kanne. Formales Ziel cler Darstellung ist also die Verbindung von Strenge mit einer Verstand lichkeit, die in dem angesprochenen Leserkreis nicht die Bewunderung der Gelehrsamkeit des Schreibers, sondern ein besseres Verstandnis der behandelten Sachverhalte weekt. Einen erfreulichen Schritt in Richtung auf das Grund satzliche hat seit clem Erscheinen der ersten Auflage dieses Biichleins Egon Barres mit seiner Sehrift iiber "Das Vorurteil in Theorie und Wirklichkeit" (Leske Verlag, Opladen 1974) getan, die als "Ein didaktischer Leitfaden fUr Sozialkundeunterricht und politische Bil dungsarbeit" gedacht ist und das Vorurteil ebenfalls nicht mehr als ausschlieBlich sozialpsychologische Er scheinung betraehtet. Leider kam sie mir erst nach der Drucklegung dieser Auflage in die Hande. Auch in dem folgenden Text sind vor allem die Lehrer und Sozialarbeiter angesprochen, die sich von Berufs wegen mit dem allgemein als dringend natig empfundenen, aber noch wenig gefestigten Fach zu be schaftigen haben, das man mit den wechselnden Namen Staatsbiirgerkunde, politische Bildung, Gegenwarts kunde, Gemeinschaftskunde und dergleichen zu bezeich nen p£legt, dariiber hinaus aber aIle Erzieher und aIle Studenten, die sich auf erzieherische Berufe, einschlieB lich der Erwachsenenbildung, vorbereiten. Bebenhausen, April 1976 Wolfgang Metzger VIII Inhalt Zu dieser T ascbenbuchreihe v ~~ N Varwart . VII 1. Ein Beispiel: Die schwarzen Sanger. 1 2. Erste Erkenntnisse . 4 3. Gibt es nicht-soziale Vorurteile? 8 4. Gibt es auch aufwertende Vorurteile? . 12 5. Was ist ein Vorurteil? . 15 5.1. Der Gegenstand des Vorurteils . 15 5.2. Der Trager des Vorurteils. . . 17 5.3. Das Verhalten des Vorurteilstragers zum Gegenstand 20 6. Die Feststellung von Vorurteilen . 23 7. Vorurteile und Meinungen . . . 28 8. Die Verteidigung von Vorurteilen . 32 9. Gibt es eine scharfe Grenze? . . 36 10. Die Vorurteile gegen Menschen; das "Image" im engeren Sinne ........ 38 11. Die eigentlichen sozialen Vorurteile . . . . . . . 41 12. Die Gruppe oder Art von Menschen als Gegenstand von Vo rurteiIen ............. 43 13. Eigengruppe und Fremdgruppe: "Wir" und "Sie" 49 14. Standesdiinkelund Lebensneid 53 15. Der Feind und der Krieg . . 57 16. Die Machtigen und die Schwachen . 62 17. Die eigentliche Minderheit als "Fremdkorper" . 64 18. Die Wirkungen abwertender Vorurteile auf die Betrof- fenen ................. 68 19. Die Urspriinge sozialer Vorurteile; Vorbemerkung 71 20. Gibt es vorurteils-anfallige VOlker? . . . . 74 IX 21. Gibt es vorurteils-anfallige Menschen? 76 22. Woher kommen Vorurteile? . 83 23. Wie bringt man die Volksseele zum Kochen? 89 24. 1st eine Heilung moglich? . 93 24.1. Die Aussicht der Toleranz . 93 Zusatzliche Bemerkungen 100 Sachverzeichnis 105 x 1. Die schwarzen Sanger Ein Beispiel Ais ich im Jahre 1927 an einer groBen Universitat in einer klein en Stadt im mittleren Westen Nord amerikas zwischen Mais- und Weizenfeldern ein Stu dienjahr verbrachte, ereignete sich eine Geschichte, die ich nie verges sen werde. Eine Gruppe von Negern gab ein Konzert mit vier stimmig vorgetragenen Spirituals, also den inzwischen auch bei uns bekannten und geschatzten geistlichen Volksliedern, die zum Teil noch aus der Zeit der Sklaverei stammen und mit denen die schwarzen Burger ihre fuhrende Rolle im Musikleben der Ver einigten Staaten begrundet haben. Meine Freunde von der Universitat sagten mir, ich durfe das Konzert auf keinen Fall versaumen. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, die vierstimmigen Satze waren hervor ragend, ihr Vortrag war es nicht minder, der Beifall war sturmisch und es wurde eine Zugabe nach der anderen verlangt. Aber am nachsten Morgen kam mir etwas zu Ohren, was ich nicht erwartet hatte. Die schwarzen Sanger hatten am Abend in keinem Hotel der Stadt Unterkunft gefunden. Die Veranstalter, eine kleine Gruppe fortschrittlicher und aufgeschlossener Studenten, waren mit ihnen von einer Tur zur anderen gefahren, aber merkwurdigerweise war gerade an die sem Abend, wie einst in Bethlehem, nirgends ein ein ziges Bett frei. Nach einer ermudenden Irrfahrt klopf ten sie zuletzt bei dem Geistlichen der Unitarian Church 1