SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ronja Kempin / Ronja Scheler Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz« Notwendige Schritte zur Weiterentwicklung der EU-Außenbeziehungen am Beispiel der Sahelzone und des Horns von Afrika S 8 April 2016 Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2016 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Inhalt 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen 7 Der »umfassende Ansatz« 7 Leitmotiv und Organisationsprinzip des EU-Außenhandelns 8 Forschungsstand und analytisches Vorgehen 10 Die Sahelzone und das Horn von Afrika – Herausforderungen und EU-Handeln 10 Sahelzone 10 Herausforderungen 11 EU-Handeln 11 Horn von Afrika 12 Herausforderungen 12 EU-Handeln 14 Analyse: Voraussetzungen 14 Strategie 14 Sicherheit und Entwicklung 16 Institutionelle Kooperation 17 Budget 17 Sicherheit und Entwicklung 19 Institutionelle Kooperation 22 Analyse: Institutionen 22 Arbeitsbeziehungen 24 Abstimmung in Aktion: Das Beispiel Sicherheitspolitik 26 Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz«: Resümee und Handlungsoptionen 27 Abkürzungen 28 Annex: Überblick über die wesentlichen Finanzierungsinstrumente des EU-Außen- handelns Dr. Ronja Kempin ist Senior Fellow, Ronja Scheler Forschungs- assistentin in der Forschungsgruppe EU/Europa Problemstellung und Schlussfolgerungen Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz«. Notwendige Schritte zur Weiterentwicklung der EU-Außenbeziehungen am Beispiel der Sahelzone und des Horns von Afrika Im Juni 2016 will die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission (HV/VP), Federica Mogherini, die neue Globalstrategie der Europäischen Union vorstellen. Das Dokument soll die Europäische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 ablösen. Ein gewichtiges Anliegen, das mit dieser Initiative ver- knüpft wird, ist, den »umfassenden Ansatz« der EU in einen »integrierten Ansatz« fortzuentwickeln. Den Anspruch, außenpolitisch umfassend zu han- deln, bezieht die EU auf die institutionelle und die in- haltliche Ebene. Institutionell besteht die Herausforde- rung darin, die Akteure und Instrumente des Außen- handelns zu koordinieren. Inhaltlich sollen die Politik- felder Entwicklung und Sicherheit verbunden werden. Doch die EU-Außenpolitik gilt nach wie vor als schwach. Verantwortlich dafür werden die Mitglied- staaten der Union gemacht. Ihre Weigerung, Souverä- nität an die EU abzugeben, verhindere ein umfassen- des und kohärentes Handeln. Wie koordiniert agieren aber die »Brüsseler« Akteure der EU-Außenpolitik, die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD)? Verhelfen sie der EU-Außenpolitik zu mehr Kohärenz? Diese bisher kaum untersuchten Fra- gen haben die vorliegende Studie angeleitet. Ihr Fokus auf EAD und EU-Kommission gründet auf der Annah- me, dass eine Weiterentwicklung des umfassenden An- satzes nur dann gelingen wird, wenn das institutionel- le und inhaltliche Zusammenspiel dieser beiden Akteu- re verbessert wird. Dank ihres sogenannten Doppelhuts kann die Hohe Vertreterin hierauf direkt einwirken. In der Sahelzone und am Horn von Afrika ist die EU besonders aktiv. Die Staaten beider Regionen haben mit einer Vielzahl ökonomischer, ökologischer, (sicher- heits-)politischer und sozialer Probleme zu kämpfen, die sich oft wechselseitig bedingen und grenzüber- schreitende Auswirkungen haben, die bis nach Europa reichen. Mit der »Strategie für Sicherheit und Entwick- lung in der Sahelzone« und dem »Strategischen Rah- men für das Horn von Afrika« hat die EU Grundlagen- dokumente formuliert, in denen erneut der Anspruch auf ein inhaltlich wie institutionell kohärentes Außen- handeln formuliert wird. SWP Berlin Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz« April 2016 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen Die vorliegende Studie zeigt gleichwohl, dass diese EU-Handeln in der Sahelzone und am Horn von Afrika Ambition lediglich in Teilen eingelöst ist. So gelingt es wurden darüber hinaus Gremien und Formate zur dem EAD und der EU-Kommission in der Strategie- besseren Abstimmung ins Leben gerufen. Diese haben formulierung weitgehend kohärent zu agieren. Die positiven Einfluss auf die kohärente Umsetzung außen- Themen Entwicklung und Sicherheit werden in bei- politischer Initiativen, können die Schwächen der in- den Strategiedokumenten adressiert – in dem für das stitutionellen Konstellation jedoch kaum ausgleichen. Horn von Afrika in einer sehr ausgewogenen Weise, in Mit der Einrichtung des EAD ist die Zahl der Akteure dem für die Sahelzone mit einem klaren Fokus auf deutlich gestiegen. Dies führt zu einem erhöhten Ko- sicherheitspolitische Herausforderungen. Dieser Be- ordinationsaufwand, vor allem aber zu einem beträcht- fund mag darauf zurückzuführen sein, dass sich die lichen Maß an Doppelstrukturen und unklaren Be- EU mit den Problemlagen des Horns von Afrika deut- richtslinien. Zwischen dem EAD und der Kommission lich länger befasst als mit jenen der Sahelzone. Daher wurde keine Entscheidungsinstanz geschaffen, die fällt es dem EAD und der Kommission auch bei der Prioritäten festlegt und klare Weisungen, etwa an die Weiterentwicklung des »Strategischen Rahmens« EU-Delegationen vor Ort, erteilt. Auch das Verhältnis leichter, beide Themenfelder gleichgewichtig zu be- von EAD und EU-Sonderbeauftragten (EUSB) ist nicht handeln. Im Hinblick auf die Sahelzone haben infolge geregelt. Die institutionelle (Nicht-)Anbindung der der Staatskrise in Mali dagegen sicherheitspolitische EUSB ermöglicht diesen, Initiativen jenseits der Brüs- Bedenken den Fortgang des strategischen Reflexions- seler Hierarchien voranzutreiben. Sie ist damit ein Fak- prozesses bestimmt. Positiv ist gleichwohl, dass der tor, der einer koordinierten Außenpolitik unter Feder- EAD, dem in beiden Fällen die Federführung bei der führung der Hohen Vertreterin entgegensteht. Strategieentwicklung oblag, die EU-Kommission eng Um dem Anspruch nach kohärentem Handeln ge- in den Prozess eingebunden und ihre Kenntnisse und recht werden zu können, müsste zwischen dem EAD Kompetenzen für die strategische Dimension des und der EU-Kommission somit formal festgelegt wer- Außenhandelns nutzbar gemacht hat. den, wer die Prioritäten des EU-Handelns bestimmt, Ganz anders fällt hingegen die Analyse der budge- Entscheidungen trifft und diese vor Ort durchsetzt. tären Kohärenz aus. Der traditionelle Fokus der EU auf Die Ergebnisse der vorliegenden Studie legen darüber Entwicklungszusammenarbeit bringt es mit sich, dass hinaus nahe, den umfassenden Ansatz durch drei Maß- deutlich weniger finanzielle Mittel für sicherheits- als nahmen weiterzuentwickeln: Zum einen erscheint es für entwicklungspolitische Maßnahmen zur Verfügung sinnvoll, die Regionalstrategien unmittelbar durch stehen. Gravierend ist hier, dass zwischen den beiden Aktionspläne zu ergänzen. Für die beiden hier unter- wichtigsten außen- und entwicklungspolitischen Bud- suchten Regionen existieren solche Dokumente – sie gets der EU – dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) erschienen jedoch vier Jahre nach der Veröffentlichung und dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) – der Strategien. Parallel zu der obligatorischen Erarbei- trotz immenser inhaltlicher Überschneidungen keine tung von Aktionsplänen sollte zweitens im EAD ein Abstimmungs- oder Koordinierungsmechanismen »Beauftragter für die Umsetzung von Regionalstrate- existieren. Oft werden nahezu identische Maßnahmen gien« eingesetzt werden, der mit einer Richtlinien- aus verschiedenartigen Töpfen finanziert; ein Abgleich kompetenz ausgestattet und allen EU-Akteuren gegen- der Programmziele findet nicht statt. Selbst innerhalb über weisungsberechtigt ist. Schließlich sollten EAD des gleichen Politikfelds fehlt die Koordination zwi- und EU-Kommission »strategische Budgets« entwickeln, schen den Finanzierungsinstrumenten. Im Bereich mit denen in Regionen, für die die EU Strategien ver- Sicherheit etwa werden kurz-, mittel- und langfristig abschiedet hat, die prioritären Projekte des EU-Außen- wirkende Maßnahmen nicht aufeinander bezogen. handelns finanziert werden können. Diese Budgets Während der EAD das Budget für zivile Missionen der sollten den Regularien des MFR und des EEF enthoben Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein. Von EAD und Kommission gemeinsam erarbeitet (GSVP) verwaltet, unterstehen sinnvolle Anschluss- und verwaltet, würden aus diesen Etats kurz- bis lang- instrumente zur Sicherheitssektorreform der Kommis- fristige Programme themenfeldübergreifend gefördert. sion. Mechanismen der Verzahnung zwischen beiden Die Bundesregierung sollte die HR/VP drängen, diese Organisationen existieren nicht. drei Maßnahmen in die EU-Globalstrategie aufzuneh- Deutliche Reibungsverluste zeigen sich schließlich men. Ihre Umsetzung wird dazu beitragen, den um- in den täglichen Arbeitsbeziehungen. Seit 2010 ist die fassenden in einen wahrhaft integrierten Ansatz fort- Koordinierung der Akteure formal geregelt. Für das zuentwickeln. SWP Berlin Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz« April 2016 6 Leitmotiv und Organisationsprinzip des EU-Außenhandelns Der »umfassende Ansatz« Leitmotiv und Organisationsprinzip des Jahre später, im Dezember 2013, skizzierten die Euro- EU-Außenhandelns päische Kommission und die Hohe Vertreterin der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik gemein- Die Militäreinsätze in Bosnien, Kosovo, Afghanistan sam ein »EU-Gesamtkonzept für externe Konflikte und und Irak Ende der 1990er bzw. zu Beginn der 2000er Krisen«.3 Das als »umfassender Ansatz« bezeichnete Jahre haben verdeutlicht, dass stabile soziale und öko- Konzept verpflichtet die EU darauf, »sämtliche Phasen nomische Strukturen in Staaten und Territorien, die des Konflikt- und Krisenzyklus [zu adressieren], von von Kriegen betroffen waren, allein dann hergestellt der Frühwarnung und Vorbereitung über die Konflikt- werden können, wenn die bewaffneten Interventionen prävention und Krisenreaktion und -bewältigung bis mit Wiederaufbau, Entwicklung und Staatsbildungs- hin zu frühzeitigem Wiederaufbau, Stabilisierung und prozessen einhergehen. Während die internationale Friedenskonsolidierung«.4 Für diese Aufgaben verfüge Staatengemeinschaft auf den Einsatz militärischer die Union »über eine breite Palette von Konzepten und Fähigkeiten gut vorbereitet war, mangelte es ihr an Instrumenten in den Bereichen Diplomatie, Sicher- Konzepten für eine nachhaltige Friedenssicherung. heits-, Verteidigungs-, Finanz- und Handelspolitik, Ent- Heute sind die in Folge dieser Erkenntnis entwickelten wicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe«5, »umfassenden Ansätze« fester Bestandteil der außen- auf die sie zurückgreifen könne. Als wichtigster Grund- und sicherheitspolitischen Strategien von National- satz des Dokuments gilt der wechselseitige Zusammen- staaten und internationalen Organisationen.1 hang von Sicherheit und Entwicklung: »Nachhaltige Die EU stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar. Sie Entwicklung und Armutsbeseitigung erfordern Frie- hatte bereits im Dezember 2003 festgestellt, dass den und Sicherheit und umgekehrt.«6 »keine der neuen Bedrohungen rein militärischer Darüber hinaus soll der umfassende Ansatz auch Natur [ist] und auch nicht mit rein militärischen das Organisationsprinzip des auswärtigen Handelns Mitteln bewältigt werden« könne.2 Es bedürfe viel- der EU sein. Der Vertrag von Maastricht hatte 1993 die mehr einer Kombination von Instrumenten. Zehn Zuständigkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU zwischen der Kommission und den Mitglied- staaten, die im Europäischen Rat entscheiden, auf- 1 Siehe z.B. Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), geteilt. Während die Kommission für Entwicklungs- Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2006, <www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/ hilfe, humanitäre Hilfe und Außenwirtschaftspolitik p/c4/Dca7DYAwDAXAWVgg7unYAuicYCVP-Qrnsz7omqObfo verantwortlich blieb, behielten die Mitgliedstaaten die UnPHfUwolOuhx2u4zN0xuFC_IGQddWEzqi4eLF1i7mqXFkKf- Kompetenzen in den Bereichen Außen-, Sicherheits- WQNUOF6jFY_sAY_7e5g!!/>; HM Government, A Strong Britain und Verteidigungspolitik. Die mit dieser Trennung in an Age of Uncertainty: The National Security Strategy, London einhergehende Fragmentierung von Zuständigkeiten 2010, <www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/ und Budgets, aber auch von Fähigkeiten und Instru- attachment_data/file/61936/national-security-strategy.pdf>; The White House, National Security Strategy, Washington 2010, menten macht ein effektives außen- und sicherheits- <www.whitehouse.gov/sites/default/files/rss_viewer/national_ politisches Handeln schwer. Die Einrichtung des security_strategy.pdf>; Organisation for Economic Co-opera- Amtes der Hohen Vertreterin der Union für die Außen- tion and Development (OECD), Whole of Government Approaches to Fragile States. Governance, Peace and Security, Paris 2006, <www.oecd.org/dac/governance-peace/conflictandfragility/ 3 Europäische Kommission/Hohe Vertreterin der Europäi- docs/37826256.pdf>; United Nations Security Council, Reso- schen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Gemeinsame lution 2086 (2013), 21.1.2013, <www.un.org/en/ga/search/ Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat, EU-Gesamt- view_doc.asp?symbol=S/RES/2086(2013)> (Zugriff jeweils am konzept für externe Konflikte und Krisen, Brüssel, 11.12.2013, 11.4.2016). <http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri= 2 Rat der Europäischen Union, Ein sicheres Europa in einer CELEX:52013JC0030&from=de> (Zugriff am 11.4.2016). besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie, Brüssel, 12.12.2003, 4 Ebd., S. 2f. S. 7, <www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/ 5 Ebd., S. 3. 031208ESSIIDE.pdf> (Zugriff am 11.4.2016). 6 Ebd., S. 4. SWP Berlin Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz« April 2016 7 Der »umfassende Ansatz« und Sicherheitspolitik, die seit dem Inkrafttreten des rungen hinaus wird kohärentem Außenhandeln aber Vertrags von Lissabon gleichzeitig Vizepräsidentin der auch ein inhaltlicher Mehrwert zugeschrieben. So EU-Kommission ist, und die Schaffung des Europäi- definieren einige Autoren Kohärenz als Abwesenheit schen Auswärtigen Dienstes sollen die Kohärenz des von Widersprüchen; andere als Voraussetzung für Außenhandelns verbessern. Damit dies gelingt, sollen Synergieeffekte.8 Nach Ann-Clair Marangoni etwa die Hohe Vertreterin und der EAD die Interessen und würde die Union außenpolitische Kohärenz erreichen, Politiken der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen wenn es ihr gelänge, die Politiken der Gemeinsamen koordinieren. Gleichzeitig müssen sie sich in die be- Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) mit ihren (wirt- reits bestehende Akteurskonstellation der europäi- schaftlichen) Außenbeziehungen zu verbinden, ins- schen Außenpolitik einfügen. besondere mit ihrer Handels- und Entwicklungs- politik.9 Eine dritte Gruppe stellt Kohärenz in einen Zusammenhang mit der Effektivität des auswärtigen Forschungsstand und analytisches Vorgehen Handelns der EU.10 Eine Brücke zwischen beiden Perspektiven – der Dass die EU ihr Gesamtkonzept für externe Konflikte inhaltlichen und der institutionellen – schlägt Simon und Krisen erst im Jahr 2013 veröffentlichen konnte, Nuttall, der Kohärenz in eine institutionelle (zwischen verdeutlicht, wie schwierig es ist, auch nur die Grund- intergouvernementalen und supranationalen Berei- züge des umfassenden Ansatzes inhaltlich zu fixieren. chen der Außenpolitik), eine horizontale (zwischen Bis heute existiert keine einvernehmliche Definition verschiedenen EU-Politiken) und eine vertikale (zwi- des Konzepts. Erstens unterscheiden sich die Zugänge schen EU- und nationalen Politiken) Dimension unter- der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer teilt.11 Diese Verschmelzung organisatorischer und Zielsetzung. Sie können eher binnengetrieben sein inhaltlicher Aspekte der Kohärenz nimmt auch Chris- und die Kohärenz der eigenen Instrumente zum Ziel tiansen vor. Er definiert Kohärenz zum einen als »sys- haben. Auf der anderen Seite kann das strategische temic outputs«, das heißt als die Verbindung einzelner Handeln auch von der Situation im Zielland abgeleitet EU-Politiken zu einem stimmigen Ganzen. Zweitens werden. Zweitens differieren die Ansätze bei der Wahl könne man Kohärenz als institutionellen Prozess ver- der Kooperationspartner und des präferierten Hand- stehen, also als die koordinierte Zusammenarbeit der lungsrahmens. Hier stehen sich nationale Optionen am Entscheidungsprozess beteiligten Institutionen.12 und die Unterstützung internationaler Lösungs- ansätze gegenüber. Schließlich fällt auch die Wahl nance?«, in: Journal of European Public Policy, 8 (Oktober 2011) 5, der Mittel unterschiedlich aus. Sicherheitspolitische S. 747–769 (748). 8 Pascal Gauttier, »Horizontal Coherence and the External Konzepte rivalisieren mit entwicklungspolitischen Competences of the European Union«, in: European Law Jour- Zugängen. So wird zum Beispiel der Schwerpunkt- nal, 10 (2004) 1, S. 23–41; Christophe Hillion, »Tous pour un, setzung auf staatliche Strukturen oft die Fokussierung un pour tous! Coherence in the External Relations of the auf die zivilgesellschaftliche Ebene gegenübergestellt. European Union«, in: Marise Cremona (Hg.), Developments in EU Diese definitorische Unklarheit lässt sich auch in External Relations Law, Oxford 2008, S. 10–36 (17). 9 Anne-Clair Marangoni, »One Hat Too Many for the High der politikwissenschaftlichen Debatte beobachten. Representative–Vice President? The Coherence of EU’s Exter- Diese nimmt zuvorderst institutionelle Fragen in den nal Policies after Lisbon«, in: EU External Affairs Review, Juli Blick und beschäftigt sich mit den Mechanismen der 2012, S. 4–17. Abstimmung zwischen den an der Außenpolitik be- 10 Kateryna Koehler, »European Foreign Policy after Lisbon: teiligten EU-Akteuren. Ein umfassendes Konzept legt Strengthening the EU as an International Actor«, in: Caucasian diesbezüglich Thomas Christiansen vor, der die ver- Review of International Affairs, 4 (Winter 2010) 1, S. 57–72; Daniel C. Thomas, »Still Punching below Its Weight? Coher- schiedenen Dimensionen der Kohärenz herausgearbei- ence and Effectiveness in European Union Foreign Policy«, in: tet hat, nämlich die zwischen EU-Institutionen und Journal of Common Market Studies, 50 (2012) 3, S. 457–474; Arne Mitgliedstaaten (»inter-level Kohärenz«), zwischen den Niemann/Charlotte Bretherton, »EU External Policy at the EU-Institutionen (»inter-institutionelle Kohärenz«) und Crossroads: The Challenge of Actorness and Effectiveness«, in: innerhalb der EU-Institutionen (»intra-institutionelle International Relations, 27 (September 2013) 3, S. 261–275 (267). Kohärenz«).7 Über die institutionellen Herausforde- 11 Simon Nuttall, »Coherence and Consistency«, in: Christo- pher Hill/Michael Smith (Hg.), International Relations and the European Union, Oxford 2005, S. 91–112. 7 Thomas Christiansen, »Intra-institutional Politics and Inter- 12 »[F]irst, we can conceive of ›coherence‹ in terms of the institutional Relations in the EU: Towards Coherent Gover- systemic outputs, i.e. the way in which the substance of SWP Berlin Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz« April 2016 8 Forschungsstand und analytisches Vorgehen Dieser Auffassung folgt auch die vorliegende Studie. bezogen sind und so kurz-, mittel- und langfristige Sie wird gleichermaßen die inhaltliche – das Zusam- außenpolitische Initiativen verbinden können. menführen von Sicherheit und Entwicklung in der EU- Im darauffolgenden Kapitel stehen die Institutio- Außenpolitik – wie die institutionelle Dimension der nen im Mittelpunkt. Neben der Schaffung von Voraus- Kohärenz – die organisierte Zusammenarbeit der für setzungen strategischer und finanzieller Art sind sie diese Politikfelder in Brüssel ansässigen Akteure Kom- es, die EU-Außenpolitik vor Ort umsetzen. Die institu- mission und EAD – beleuchten. Die Bereitschaft der tionelle Kohärenz der EU-Akteure Kommission und Mitgliedstaaten, ihre nationalen Politiken abzustim- EAD wird daran gemessen, ob Doppelstrukturen ver- men und zu verzahnen, ist nicht Gegenstand der mieden und eindeutige Berichtslinien und Verant- Analyse. Vielmehr wird mit dem Fokus auf die thema- wortlichkeiten etabliert wurden. tische wie institutionelle Interaktion der »Brüsseler« Verantwortungsträger eine Forschungslücke gefüllt: Das Zusammenspiel von EAD und EU-Kommission ist bislang wissenschaftlich kaum untersucht worden. Die vorliegende Studie bedient sich dafür eines kom- parativen Ansatzes, indem sie das EU-Handeln in der Sahelzone und am Horn von Afrika einander gegen- überstellt. Im Hinblick auf diese beiden Regionen rühmt sich die EU, bereits seit dem Jahr 2011 um- fassend Außenpolitik zu betreiben.13 Die Analyse beginnt mit einer Darlegung der in diesen beiden Regionen spezifischen Herausforderun- gen und des bisherigen entwicklungs- und sicher- heitspolitischen Engagements des EAD und der Kom- mission dort. Danach fokussiert sich die Unter- suchung auf die außenpolitische Kohärenz der EU im Hinblick auf die Formulierung ihrer Strategie für die Sahelzone und das Horn von Afrika und die jeweilige Budgetierung. Wenn Kohärenz sowohl als inhaltliche Verknüpfung von Entwicklungs- und Sicherheitspoli- tik als auch als Fähigkeit des EAD und der Kommis- sion verstanden wird, ihr Vorgehen abzustimmen, muss mit Blick auf die Strategieformulierung geprüft werden, ob sicherheits- und entwicklungspolitische Inhalte angemessen im Text abgebildet und verzahnt wurden. Zweitens stellt sich die Frage, ob und in welchem Maß die verantwortlichen EU-Institutionen in diesen Prozess eingebunden sind und ihre Koordi- nationszuständigkeiten wahrnehmen. Ähnliches gilt für das Budget. Neben der inhaltlichen und institutio- nellen Abstimmung spielt hier eine Rolle, ob entwick- lungs- und sicherheitspolitische Budgets aufeinander different policies generated by the EU forms part of a coher- ent whole. Alternatively, we can regard ›coherence‹ in terms of the institutional process by which policies are made, i.e. in terms of the degree to which institution(s) operate a coherent and well-coordinated process of deliberation and decision- making«, Christiansen, »Intra-institutional Politics and Inter- institutional Relations« [wie Fn. 7], S. 747. 13 EU-Kommission/Hohe Vertreterin, Gesamtkonzept [wie Fn. 3], S. 2. SWP Berlin Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz« April 2016 9 Die Sahelzone und das Horn von Afrika – Herausforderungen und EU-Handeln Die Sahelzone und das Horn von Afrika – Herausforderungen und EU-Handeln Die Sahelzone und das Horn von Afrika sind seit Jahr- sprechend bezeichnet die EU Mauretanien, Mali und zehnten von Krisen und Konflikten geplagt. Mit der Niger als Kernstaaten der Sahelzone.16 Zunahme sicherheitspolitischer Herausforderungen hat die EU ihr Engagement in beiden Regionen seit 2008/09 signifikant verstärkt. Zahlreiche Instrumente Herausforderungen aus verschiedenen Politikfeldern kommen seither zum Einsatz.14 Die Region ist durch ihre schwierige geoklimatische Lage gekennzeichnet. Auf lange Dürreperioden folgen starke Regenfälle mit Überflutungen; regelmäßige Sahelzone Ernteausfälle sind Folge eines labilen Ökosystems. Unter der letzten Dürreperiode 2012 litten Millionen Die Sahelzone erstreckt sich südlich der Sahara in Menschen. Gegenwärtig gehen die Vereinten Nationen einer Breite von etwa 6000 Kilometern über den afrika- von etwa 20 Millionen Bewohnern der Sahelzone aus, nischen Kontinent, vom Atlantik im Westen bis zum die von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind.17 Roten Meer im Osten. Je nach Definition werden bis zu Zu den widrigen Umweltbedingungen tritt das Pro- elf Staaten als zur Sahelzone gehörig gezählt.15 Der blem der wirtschaftlichen Schwäche. Die regionalen politische Fokus internationaler Akteure liegt jedoch Märkte sind kaum diversifiziert und stark vom Roh- seit jeher auf dem westlichen Teil der Region. Ent- stoffhandel abhängig. Der Agrarsektor ist dominant, aber weitgehend unproduktiv.18 Gleichzeitig ist das Volumen ausländischer Direktinvestitionen gering, unter anderem aufgrund weitverbreiteter Korrup- 14 Neben den im Folgenden näher untersuchten Politik- tion.19 Das Entwicklungsniveau der Staaten ist folglich feldern Sicherheit und Entwicklung erstreckt sich das Brüs- seler Engagement in nennenswertem Umfang noch auf die niedrig; Mali rangiert auf Platz 179 im Human Devel- Bereiche humanitäre Hilfe und Diplomatie. Beide Regionen opment Index 2015, Niger auf dem 188. und damit sind aufgrund von Dürreperioden, Ernteausfällen bzw. den letzten Platz.20 Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen auf Unterstüt- zungszahlungen angewiesen. In den Jahren 2014 und 2015 hat die Kommission Transferzahlungen in Höhe von über 350 Millionen Euro für die Sahelzone angesetzt, für die 16 EAD, Strategy for Security and Development in the Sahel, Brüssel Region am Horn von Afrika waren es für den Zeitraum von 2011, S. 1, <http://eeas.europa.eu/africa/docs/sahel_strategy_ 2011 bis 2015 mehr als 1 Milliarde Euro, siehe European en.pdf> (Zugriff am 16.6.2015). Commission, Sahel: Food and Nutrition Crisis, Fact Sheet, Brüssel, 17 United Nations Office for the Coordination of Humanitar- Mai 2015, und dies., Horn of Africa, ECHO Fact Sheet, Oktober ian Affairs, 2014–2016 Strategic Response Plan: Sahel Region, New 2015. Als diplomatische Erfolge sind in erster Linie zwei York, Januar 2014, S. 1 <http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/ Geberkonferenzen zu nennen. Im Mai 2013 veranstaltete die files/resources/Regional%20Sahel%20SRP%20Final.pdf> EU zusammen mit Frankreich eine internationale Geber- (Zugriff am 11.4.2016). konferenz mit dem Titel »Together for a New Mali«, wo 18 Stefan Müller/Bettina Rudloff/Jan Stuckatz/Nina-Kathrin 3,25 Milliarden Euro mobilisiert wurden, davon 1,35 Milliar- Wienkoop, Der Agrarsektor als Baustein vorsorgender Sicherheits- den von der EU, Europäische Kommission, Internationale Geber- strategien in der Sahelregion: Zur Rolle der Handels-, Investitions- und konferenz für Mali: Finanzierungszusagen der internationalen Ge- Entwicklungsansätze der EU, Berlin: Stiftung Wissenschaft und meinschaft in Höhe von 3,25 Mrd. EUR, Pressemitteilung, Brüssel, Politik, Januar 2015 (SWP-Arbeitspapier der FG EU/Europa 15.5.2013. Im September desselben Jahres initiierte die EU 1/2015), S. 6. eine ähnliche Veranstaltung für Somalia (»A New Deal for 19 Siehe dazu die jeweiligen Erhebungen von Transparency Somalia«). Hier kamen 1,8 Milliarden Euro zusammen, die International, Corruption by Country/Territory, Somalia den Weg zu Frieden, Stabilität und freien Wahlen <www.transparency.org/country> (Zugriff am 17.6.2015). ebnen sollen, EAD, Communiqué: A New Deal for Somalia, Brüssel, 20 United Nations Development Programme, Human Develop- 16.9.2015. ment Reports: Human Development Index and Its Components, 15 Gambia, Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, <http://hdr.undp.org/en/content/table-1-human-development- Nigeria, Tschad, Sudan, Äthiopien und Eritrea. index-and-its-components> (Zugriff am 11.4.2016). SWP Berlin Vom »umfassenden« zum »integrierten Ansatz« April 2016 10