Vom Selbst-Verständnis in Antike und Neuzeit Notions of the Self in Antiquity and Beyond ≥ Transformationen der Antike Herausgegeben von Hartmut Böhme, Horst Bredekamp, Johannes Helmrath, Christoph Markschies, Ernst Osterkamp, Dominik Perler, Ulrich Schmitzer Wissenschaftlicher Beirat: Frank Fehrenbach, Niklaus Largier, Martin Mulsow, Wolfgang Proß, Ernst A.Schmidt, Jürgen Paul Schwindt Band 8 Walter de Gruyter · Berlin · New York Vom Selbst-Verständnis in Antike und Neuzeit Notions of the Self in Antiquity and Beyond Herausgegeben von /Edited by Alexander Arweiler Melanie Möller ≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York (cid:2)(cid:2)GedrucktaufsäurefreiemPapier,dasdieUS-ANSI-Norm überHaltbarkeiterfüllt. ISBN 978-3-11-020571-8 ISSN 1864-5208 BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschen Nationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternet überhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. (cid:2)Copyright2008byWalterdeGruyterGmbH&Co.KG,10785Berlin DiesesWerkeinschließlichallerseinerTeileisturheberrechtlichgeschützt.JedeVerwertungaußer- halbderengenGrenzendesUrheberrechtsgesetzesistohneZustimmungdesVerlagesunzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen unddieEinspeicherungundVerarbeitunginelektronischenSystemen. PrintedinGermany Umschlaggestaltung:MartinZech,Bremen Logo„TransformationenderAntike“:KarstenAsshauer(cid:2)SEQUENZ Satz:Rhema,TimDoherty,Münster DruckundbuchbinderischeVerarbeitung:Hubert&Co.GmbHundCo.KG,Göttingen Inhalt Einleitung–VomSelbst-Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Sektion1:PoetischeSelbstkonzeptionen Melanie Möller:Subjektriskiert(sich)–Catull,carmen8 . . . . . . . . . 3 Niklas Holzberg:ASensitive,EvenWeakandFeebleDisposition? C.ValgiusRufusandHisElegiacEgo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Andrew Feldherr:Intushabesquemposcis –Theatricalityandthe BordersoftheSelfinOvid’sTereus Narrative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Alexander Arweiler:Identity,IdentificationandPersonae in Catull.63andOtherRomanTexts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Sektion2:AutobiographischeGenesendesSelbst undErzählungenvompo(i)etischenIch Thomas Schirren:»TechneliebtTycheundTycheTechne«– AspektepoetischerKreativitätimDenkendesAristoteles . . . . . . . . . . . . 89 Gyburg Radke-Uhlmann:AitiologiendesSelbst–Moderne KonzepteundihreAlternativeninantikenautobiographischen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Michèle Lowrie:CiceroonCaesarorExemplumandInability intheBrutus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Rainer Henke:Eskapismus,poetischeAphasieundsatirische Offensive–DasSelbstverständnisdesspätantikenDichters SidoniusApollinaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Therese Fuhrer:De-KonstruktionderIch-IdentitätinAugustins Confessiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 VI Inhalt Paul Geyer:WegeindieModerne–VonAriostüberDante zuTasso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Sektion3:ZwischenSchamundSchuld. ›Affizierte‹SubjekteinTragödieundLyrik Jan Stenger:Ichschämemich,alsobinich–Schamund SelbstbewußtseinindergriechischenLiteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Wolfgang Braungart:»Ichsuche/Michselbst,undfindemich nichtmehr«–DasSelbstunddieTragödieunterdenBedingungendes Christentums(Sophokles,Kleist,Corneille,Racine,Schiller) . . . . . . . . . 239 Horst-Jürgen Gerigk:Zerrissenheit–KönigÖdipusgrenztsich abgegendasromantischeIch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Karin Westerwelle:DieDarstellungvonSubjektundAffekt inGiacomoLeopardisUltimocantodiSaffo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Sektion4:SelbsterkenntnisundSelbstsorge inphilosophischerLiteratur Arbogast Schmitt:SubjectivityasPresuppositionofIndividuality –OntheConceptionofSubjectivityinClassicalGreece . . . . . . . . . . . . . 313 Christian Pietsch:»ImBlickaufdenGotterkennenwiruns selbst«–ZuPlatonsVerständnisvonPersonalitätimAlcibiadesmaior . . . 343 Christopher Gill:TheSelfandHellenistic-RomanPhilosophical Therapy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Klaus Müller:Selbsterhaltung–EinstoischesKorrektiv spätmodernerKritikammodernenSubjektgedanken . . . . . . . . . . . . . . . 381 ZudenAutoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Einleitung VomSelbst-Verständnis Die in vorliegendem Band versammelten Beiträge aus Klassischer Philologie, Modernen Philologien und Philosophie haben ein gemeinsames Interesse am VerständnisvonSelbstundSubjekt,wieesinTextenverschiedensterGestaltver- handelt wird. Im Begriff von einem Selbst kommen Vorstellungen zusammen, die das Verhältnis eines Menschen zu sich als einem denkenden und handelnden Wesenbetreffen;VorstellungenvondemVerhältnisderkörperlichenundgeistigen Zuständezueinander undzumetaphysischenodersozialenGrundlagenmensch- licher Existenz, von Individualität, personaler Identität und ihrem Bestand durch die Zeit hindurch, von der Autonomie menschlichen Wollens und Tuns, von der 1 BedeutungdesBewußtseinsundnichtzuletztvommöglichenVerlustdesSelbst . Die grundsätzliche Bedeutung und die Vielfalt der betroffenen Problemstel- lungenhabeninallenEpochenderGeistes-undLiteraturgeschichteeinerseitseine hohe Ausdifferenzierung von Zugängen bewirkt, andererseits aber auch immer wieder zu der Erkenntnis geführt, daß die im Begriff eines Selbst enthaltenen Aspekte einander komplementär sind und ihre isolierte Betrachtung nicht sel- ten mit einer Beschränkung des Erkenntnisgewinns oder der Zuverlässigkeit der erreichtenErgebnisseeinhergeht.DiegroßenEntwürfezumBeispielvonCharles Taylor(1994)oderRichardSorabji(2006)zeigen,wiesichdieVielfaltüberverschie- dene Epochen und Disziplinen hinweg in differenzierter Diskussionuntersuchen läßt, ohne die Schwierigkeit der Begrifflichkeiten zum Anlaß zu nehmen, gleich das Problem als irrelevant anzusehen. Daß sich jüngst mit John Searle auch ein VertreterderanalytischenPhilosophienacheigenenWorten»mitgrößtemWider- streben«gezwungen sah, von einem irreduziblen Selbstauszugehen, mag unsere 2 Beobachtungbestätigen . 1 Vgl.dieProblemskizzevonRolandHagenbüchle,Subjektivität.Einehistorisch-systemati- sche Hinführung, in: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität, hrsg. v. RetoLuziusFetz,RolandHagenbüchle,PeterSchulz,Bd.1,Berlin1998,1–90,6. 2 Searle(2001),75:»WiththegreatestreluctanceIhavecometotheconclusionthatwecannot makesenseofthegap,ofreasoning,ofhumanactionandofrationalitygenerally,without anirreducible,thatis,non-Humean,notionoftheself.« VIII Einleitung Bisher war in erster Linie von Begriffen und Problemen die Rede, die wir gewohnt sind, der Philosophie zuzurechnen, und in der Tat hat diese eine reiche Tradition in der Behandlung sowohl des Gesamtbegriffes wie zahlreicher Unter- aspekte der Vorstellungen von einem Selbst.Dieser Tradition weiß sich auch der vorliegendeBandverpflichtet.GleichwohllegtereinenSchwerpunktnichtnurauf dieUntersuchung von Selbstbildernund-konzepten indergriechisch-römischen AntikeundderenTransformationen,sondernauchaufdieAuseinandersetzungmit literarischenTexten,speziellderDichtung.DaßdasInteresseanSelbst-undSub- jektkonzepten im Rahmen der skizzierten Problemstellungen einen Schnittpunkt zwischenLiteraturwissenschaftenundPhilosophiemarkiert,magdabeinichtnur alsAusgangstheseverstandenwerden,diediedemBandvorausgegangeneTagung initiiertunddieZusammenstellungderBeiträgemotivierthat;vielmehrsollendie versammeltenBeiträge,jederfürsichundinvergleichenderLektüre,dieseGemein- samkeitdokumentieren,ohnedaßdiefachlichenundmethodischenUnterschiede verwischtwürden. DieMöglichkeitengegenseitigerAnregungsindangesichtsderÜberschneidun- genindenGegenständenkeineswegsaufzusätzlicheInformationenzuinteressan- ten,aberebendochdisziplinärselbständigenBereichenbeschränkt.WennCharles Taylor im oben genannten Werk zum Beispiel »die im neuzeitlichen Abendland beheimatetenEmpfindungenderInnerlichkeit,derFreiheit,derIndividualitätund des Eingebettetseins in die Natur« als wichtige Aspekte der von ihm untersuch- ten neuzeitlichen Identität nennt und sich folgerichtig intensiv mit literarischen 3 ZeugnissenundihrenTheorienauseinandersetzt ,dürftendieÜberschneidungen in zentralen Themen unmittelbar deutlich werden. Aus der Sicht der Klassischen PhilologieistdieVerbindungvonLiteraturundPhilosophieerstrechtnichtsÜber- raschendes,dasichgriechischewierömischeTexteinihrerGattungszugehörigkeit, ihrer Themenwahl und -behandlung nicht nur selbstverständlichin beidenBerei- chenbewegen,sondernauchdasVerhältnisderjeweiligenZugängezuFragendes Selbst behandeln und nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden suchen. Lehrdichtung, philosophischer Dialog, Lyrik, Elegie, Erzählungen von Helden, BiographienoderBriefliteratursindsämtlichTextsorten,indenendieLeserantiker Literatur aufhochkomplexe Auseinandersetzungenmitdenhierinteressierenden Problemenstoßen. UnddochfindensicherstinjüngererZeitvereinzelteArbeiten,diesichdiesen kaumbeachtetenFunduszunutzemachen,dadieDichtungCatullsoderOvids,die RedenCicerosoderdasGeschichtswerkdesLiviusebennichtalsrelevantangese- henwerdenfürdieSuchenachAntwortenaufFragennachdemSelbstverständnis, nach der Auseinandersetzung mit dem Subjekt und seiner Handlungsfähigkeit, nach der personalen Identität und ihren Begründungen. Die Ursachen für diese 3 Taylor(1994),7. IX Einleitung AusblendungsindvielfältigundengverknüpftmitderEntwicklungderakademi- schen Wissensdisziplinen seit dem 18. Jahrhundert. Im Bereich der antiken Lite- raturenhatsichdasInteresseandenphilosophischenEntwürfenPlatonsunddes Aristotelessoübermächtigdurchgesetzt,daßsievielenalsmit›derAntike‹gleich- zusetzen erschienen und entsprechend manche Überblicksdarstellung (nicht nur zuFragendesSelbst)gleichvonhierauszumeinflußreichenWerkdesAugustinus indieSpätantikeundweiterindieNeuzeiteilt.SolchermaßenkonstruierteLinien habendenVorteil,griffigeAussagenzugenerieren,sicheraberdenNachteil,daß diese um den Preis der Unzuverlässigkeit erkauft sind. Die fruchtbare Arbeit der letzten Jahrzehnte an der Literatur des Hellenismus, in dem auch die römische Dichtung und Kunstprosa des ersten vorchristlichen Jahrhunderts zu verankern ist, hat erste Schneisen in diese monolithischen Konstruktionen geschlagen, und Christopher Gill (2006) ist das hohe Verdienst zuzurechnen, mit einer beeindru- ckendenSynthesezudenhellenistischenModellendesSelbstdenForschungsstand neuformuliertzuhaben.DerBefunddesHistorischenWörterbuchsderPhilosophie, demzufolge es offenbleibe, ob »in der Antike« auch schon über Aspekte des späteren Selbstbegriffes reflektiert wurde, dürfte angesichts dieser Forschungen 4 alsoalsüberholtgelten . Im römischen Bereich ist die Ausblendung weiter Teile der antiken Literatu- ren aus der Forschung besonders deutlich. Gerade hier macht es sich bemerk- bar, daß die noch im 19. Jahrhundert selbstverständliche, im 20. Jahrhundert in Deutschland von wenigen Ausnahmen abgesehen verebbte Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen, ethischen und ästhetischen Anliegen der eige- nen wie benachbarter Disziplinen anderen Prioritäten gewichen ist. Dies ist um so bedauerlicher, als es gerade die Diskussion mit römischen Texten gewesen ist, die zahlreiche der in diesem Band ebenfalls vertretenen Autoren und Werke späterer Literaturen geprägt hat. Vielleicht darf es als symptomatisch angesehen werden, daß es nicht ein Klassischer Philologe war, der eine lebhafte Diskussion überdieKonzeptederSelbstsorgezumBeispielindenSchriftenSenecasunddes griechischen Schriftstellers Plutarchs ausgelöst hat, sondern Michel Foucault mit dem zweiten Band seiner Histoire de la Sexualité. Weder Gattungszugehörigkeit noch Sprechformen geben den Ausschlag dafür, ob ein Text zu unserer Kenntnis verfügbarer Konzepte in einer Zeit oder Kultur beiträgt; und doch hat zweifel- los die Auffassung, in der römischen Dichtung und Kunstprosa könne aufgrund ihrer Form kein Ertrag für die Fragen nach dem Selbst zu erwarten sein, dazu beigetragen, daß sie nicht in den Blick der an den Selbstkonzepten interessierten 4 Schrader/Schönpflug(1995),292»DennochmußdieFrageoffenbleiben,obundinwelchen Termini auch schon in der Antike über das reflektiert wurde, was dann später im Begriff ›Selbst‹konvergiert:diepersonaleIdentitätundIndividualität,dieEinheitdesBewußtseins, dieSubjektivität.«
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