1 VIII. DNA-Analysen, ED-Daten, Opferhilfe, Häusliche Gewalt 350.110.1.8 1. DNA-Analysen, ED-Daten 1.1 Gesetzliche Grundlagen - Art. 255-259 StPO - DNA-Profil-Gesetz (SR 363) - DNA-Profil-Verordnung (SR 363.1) - Kantonale Verordnung zur DNA-Profil-Gesetzgebung des Bundes (BR 350.150), in Kraft seit 01.01.2008 - Weisungen über die Zusammenarbeit von StA und Kantonspolizei - Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten vom 06.12.2013 (SR 361.3), in Kraft seit 01.09.2014 1.2 Vorbemerkungen Das Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen unterscheidet zwischen der Probenahme (i.d.R. mittels Wangenschleimhautabstrich) und der DNA-Analyse. Bei der DNA-Analyse wird durch ein spezialisiertes Labor ein DNA-Profil erstellt, damit dieses mit anderen DNA-Profilen verglichen werden kann. Aus datenschutzrechtlichen Gründen stellt das Gesetz bestimmte Lö- schungsvorschriften auf. 1.3 Probenahme und Analyse der Probe (Erstellung eines DNA-Profils) Nicht-invasive Probenahme (z.B. WSA-Abstrich) Eine DNA-Probenahme kann nur zur Aufklärung eines Verbrechens oder Verge- hens angeordnet werden (Art. 3 DNA-Profil-Gesetz). Die Polizei kann die nicht- invasive Probe selbst anordnen, und zwar auch gegen den Willen des Betroffe- nen. Die Polizei verwendet dabei ein spezielles Formular (Vollzugsprotokoll DNA- Probenahme), das jeweils dem Rapport beigelegt wird, und zwar unabhängig da- von, ob der DNA-Code-Vergleich einen sogenannten Hit ergab oder nicht. Jeder Fall erhält dabei eine sogenannte PCN-Nummer. Mit schriftlicher Zustimmung der betroffenen Person kann die Polizei sodann auch die Analyse der Probe (= Erstellung eines DNA-Profils) von sich aus anord- nen. Wird die Zustimmung nicht erteilt (was im Vollzugsprotokoll vermerkt wird), muss die Polizei der Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellen. Der zuständige Staatsanwalt ordnet dann die Zwangsmassnahme an. In drin- 2 genden Fällen kann dies telefonisch mit nachträglicher schriftlicher Bestätigung geschehen (vgl. Art. 7 Abs. 2 DNA-Profilgesetz). Ist die Erstellung des DNA-Profils nicht zur Aufklärung der Anlasstat, sondern für die Täteridentifikation früher begangener oder künftiger Vergehen oder Ver- brechen erforderlich, setzt dies voraus, dass bei der beschuldigten Person eine gegenüber dem Durchschnittsbürger erhöhte Wahrscheinlichkeit früherer oder künftiger Verbrechen oder Vergehen anzunehmen ist. Diese Voraussetzung ist dann erfüllt, wenn sich die beschuldigte Person früher eines strafrechtlichen De- likts von einer gewissen Schwere schuldig gemacht hat oder wenn aus anderen aktenkundigen Umständen auf die erhöhte Wahrscheinlichkeit der früheren oder zukünftigen Beteiligung an Straftaten zu schliessen ist. Allein das öffentliche Inte- resse an der Aufklärung erfolgter oder zukünftiger Straftaten oder die abstrakte Schwere des in der Untersuchung zur Diskussion stehenden Delikts genügt nicht (6B_718/2014). Invasive Probenahme (Entnahme einer Blut-, Gewebe- oder Haarprobe) Die invasive Probenahme muss in jedem Fall durch die Staatsanwaltschaft ver- fügt und durch eine medizinische Fachperson durchgeführt werden (Art. 255 Abs. 1 und Art. 258 StPO). Die Entnahme von Haarproben kann auch durch me- dizinisch geschultes kriminaltechnisches Fachpersonal durchgeführt werden. Tatrelevantes biologisches Material Eine Probenahme, die nicht an einem Menschen vorgenommen wird (z.B. aus- gefallene Haare, Blut aus Lache etc.) kann die Polizei in eigener Kompetenz an- ordnen und durchführen. In diesen Fällen kann sie auch die Analyse der Probe zur Erstellung eines DNA-Profils selbst anordnen (Art. 255 Abs. 2 lit. b StPO). DNA-Material bei toten Personen Die Entnahme und Analyse von DNA-Material bei toten Personen liegt in der ausschliesslichen Kompetenz der Staatsanwaltschaft. Eine Anordnungskompe- tenz der Polizei erweist sich als unnötig, denn soweit es sich um eine DNA-Ana- lyse bei aussergewöhnlichen Todesfällen geht (etwa zwecks Identitätsfeststel- lung), ist für deren Behandlung ohnehin die Staatsanwaltschaft zuständig (vgl. Art. 253 Abs. 1 StPO); soweit ein Zusammenhang zwischen der toten Person und einer Straftat anzunehmen ist, wird es sich stets um eine schwere Straftat handeln, bei der die Polizei die Staatsanwaltschaft zu informieren hat, welche da- raufhin die Ermittlungen führt (vgl. Art. 307 StPO). 3 Massen-DNA-Untersuchungen Massen-DNA-Untersuchungen sind auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das ZMG anzuordnen. Derartige Massenuntersuchungen sind nur bei Verbrechen zulässig. 1.4 Zustellung / Rechtsmittel Da die DNA-Probenahme nicht parteiöffentlich ist, wird eine schriftliche Anord- nung zur DNA-Entnahme zumindest in einer ersten Phase ausschliesslich den Direktbetroffenen (mittels des von der Polizei vorgelegten Formulars, bzw. mittels schriftlicher Verfügung des Staatsanwalts) und nicht allen Parteien eröffnet wer- den. Der Auftrag zur DNA-Analyse ist den Parteien im Sinne von Art. 184 StPO zu eröffnen (beachte allerdings den Vorbehalt in Art. 184 Abs. 3 StPO). Die Anordnung zur Abnahme von DNA-Proben (auch bei polizeilicher Anord- nung) und die Auftragserteilung zur Analyse können mittels Beschwerde an das Kantonsgericht von Graubünden angefochten werden (vgl. Art. 7 Abs. 3 lit. b DNA-Profilgesetz). Eine solche Beschwerde hat unter Vorbehalt einer ab- weichenden Anordnung durch die Verfahrensleitung keine aufschiebende Wir- kung (Art. 387 StPO). In der Praxis wird der Beschuldigte bereits durch die Poli- zei (im vorerwähnten Vollzugsprotokoll DNA-Probenahme) über seine Rechte belehrt und insbesondere auch auf sein Beschwerderecht hingewiesen. 1.5 Vernichtung von DNA- Proben Gemäss Art. 9 DNA-Profil-Gesetz veranlasst die anordnende Behörde die Ver- nichtung der Probe, die einer Person genommen wurde: a. wenn bereits ein DNA-Profil der betroffenen Person erstellt worden ist; b. drei Monate nach der Probenahme, wenn sie keine Analyse veranlasst hat; c. wenn die betroffene Person als Täter ausgeschlossen werden kann; d. nach der Identifizierung der Person in den Fällen von Artikel 6. Erfassung im JURIS Fälle, bei welchen keine DNA-Analyse angeordnet wurde, sind im JURIS nicht zu erfassen. 4 Vernichtungsauftrag Hat der Staatsanwalt eine Probenahme angeordnet und sind die Voraussetzun- gen gemäss Art. 9 DNA-Profil-Gesetz erfüllt, ist sicherzustellen, dass die Probe von der Kantonspolizei vernichtet wurde. 1.6 Löschung von DNA-Profilen Grundlagen Art. 16 ff. DNA-Profil-Gesetz und Art. 12 ff. DNA-Profil-Verordnung verpflichten die Kantone, das Eintreten der gesetzlichen Voraussetzungen für die Löschung von DNA-Profilen den Bundesbehörden zu melden. Sie bestimmen dafür eine zentrale Stelle. Zuständigkeiten Die kantonale Verordnung zur DNA-Profil-Gesetzgebung des Bundes regelt die Zuständigkeiten für die Meldung von Löschungsdaten. Als zentrale Stelle gemäss Art. 12 Abs. 1 DNA-Profil-Verordnung wurde der Kriminaltechnische Dienst der Kantonspolizei (KTD) bestimmt. Verantwortlich für die Meldung der Löschungsdaten an den KTD ist die jeweils verfahrensführende Behörde. Die Meldung ist innert 20 Tagen nach Eintritt des für die Löschung massgeblichen Ereignisses (z.B. rechtskräftige Einstellungs- verfügung), zu erstatten. Bei Nichtanhandnahmeverfügungen durch den Staats- anwalt ist die Kantonspolizei für die Löschungsmeldung an den KTD zuständig. Löschungsaufträge sind durch die Staatsanwaltschaft in folgenden Fällen zu er- teilen: DNA-Profile von Personen a) sobald die betroffene Person im Verlauf des Verfahrens als Täter ausge- schlossen werden kann; b) nach dem Tod der betroffenen Person, sofern diese während des Verfahrens gestorben ist; c) nach der definitiven Einstellung des Verfahrens; d) nach Erlass eines ÜB-Strafbefehls. DNA-Profile von Spuren und von Proben toter Personen Sobald die Spur einer Person zugeordnet werden kann, die als Täter ausge- schlossen worden ist, ist die Löschung anzuordnen (Art. 18 lit. a DNA-Profil-Ge- setz). 5 DNA-Profile zur Identifikation einer Person Wurde die DNA-Analyse lediglich zur Identifikation einer Person (AgT) angeord- net, ist der Löschungsauftrag zu erteilen, sobald die betroffene Person identifi- ziert ist. Abtretungen, Verfahrensübernahmen Wird ein Verfahren an einen anderen Kanton abgetreten, erfolgt von unserer Seite keine Löschungsmeldung; dafür ist die übernehmende Behörde zuständig. Umgekehrt sind wir für die Löschungsmeldung zuständig, wenn wir einen Fall übernommen haben. Löschungsmeldungen erfolgen aber auch in diesen Fällen immer an den KTD und nicht an die zentrale Stelle des Kantons, der das DNA- Profil erstellen liess. 1.7 Administratives Erfassung im JURIS Der Staatsanwalt hat nach Eingang des Dossiers oder in offenen Fällen, in welchen er die DNA-Analyse angeordnet hat, nach Eingang des Analyseberichts, zu veranlassen, dass im JURIS der Verfahrensschritt - "Fall mit DNA-Probe" erfasst und - auf dem Eröffnungspli in der Rubrik "10. DNA" ein Kreuz gemacht wird. Löschung Tritt ein oben beschriebener Fall ein, so ist im JURIS ein - "DNA-Löschungsauftrag" zu erfassen. Diesem Verfahrensschritt ist ein Formular hinterlegt. Die Personalien werden automatisch übernommen. Die PCN-Nummer muss manuell hineingeschrieben werden. Sofortige Löschung In folgenden Fällen ist das DNA-Profil sofort löschen zu lassen: - sobald die betroffene Person (oder eine ihr zugeordnete Spur) im Verlauf des Verfahrens als Täter ausgeschlossen werden kann; - nach dem Tod der betroffenen Person, sofern diese während des Verfahrens gestorben ist; - bei DNA-Analysen zur Personenidentifikation, sobald die betroffene Person identifiziert ist. 6 Dabei ist auf dem Formular das Datum des betreffenden Tags anzubringen. Das Formular wird ausgedruckt, registriert und versandt. Spätere Löschung Bei Einstellungsverfügungen gilt nachfolgende Regelung, sofern diese nicht we- gen Schuldunfähigkeit erfolgte: Bei Verfahrenseinstellung Bei der definitiven Verfahrenseinstellung wird das DNA-Profil erst ein Jahr nach Rechtskraft der Einstellungsverfügung gelöscht. Dabei ist wie folgt vorzugehen: Nach der Genehmigung der (definitiven) Einstellungsverfügung ist im JURIS der DNA-Löschungsauftrag zu erfassen. Dabei sind die PCN-Nummer sowie das Löschungsdatum (Datum der Einstellungsverfügung plus ein Jahr) einzutragen. Der DNA-Löschungsauftrag ist zweifach auszudrucken. Wird dagegen Beschwerde erhoben und diese gutgeheissen, ist der Löschungs- auftrag aus dem JURIS zu löschen. Erwächst die Verfügung in Rechtskraft, ist ein Exemplar des DNA-Löschungsauf- trags umgehend dem KTD zu schicken. Das zweite Exemplar ist in die Akten zu legen. Zusätzlich: Strafbefehl mit bedingtem Strafvollzug Diese Fälle, dazu gehören auch jene, wo zusätzlich eine Busse ausgesprochen wurde, werden analog den Einstellungsverfügungen gehandhabt. Das Lö- schungsdatum errechnet sich dabei aus Versanddatum + Probezeit + 5 Jahre. Beispiel Strafbefehl wegen Diebstahls vom 3. Oktober 2010 (Versanddatum), 30 Tagessätze à CHF 100.--, bedingt bei 2 Jahren Probezeit, und CHF 600.-- Busse. Nach Genehmigung des Strafbefehls ist im JURIS der DNA-Löschungsauftrag zu er- fassen. Das Löschungsdatum errechnet sich aus dem Versanddatum + Probezeit (=2 Jahre) + gesetzliche Frist (=5 Jahre) = 3. Oktober 2017. 7 Strafbefehle mit unbedingter Geldstrafe Löschungsdatum = Zahlungseingang plus 5 Jahre In diesen Fällen ist der Kanzleichefin eine Kopie des Strafbefehls zu schicken. Diese wird dann im EDV-Programm der FIVE überprüfen, wann die Geldstrafe bezahlt ist und eine entsprechende Mitteilung machen, so dass die Löschung im JURIS erfasst und die Meldung an den KTD gemacht werden kann. Umwandlung einer teil- bzw. unbedingten Geldstrafe Wird eine unbedingte Geldstrafe (nicht Busse) wegen Nichtbezahlung umgewan- delt, ist das AJV für die Löschungsmeldung zuständig. Im entsprechenden Schreiben an das AJV ist daher darauf hinzuweisen, dass es sich um einen DNA- Fall handelt. Das PCN-Laufblatt ist dem Schreiben beizulegen. Strafbefehle mit unbedingter Freiheitsstrafe/unbedingter gemeinnütziger Arbeit Zuständig für die Löschungsmeldung ist das AJV. Dieses kann die Löschungs- meldung nur vornehmen, wenn es Kenntnis hat, dass es sich um einen DNA-Fall handelt. Dem Strafbefehl ans AJV ist das PCN-Laufblatt beizulegen. 1.8 Biometrische erkennungsdienstliche Daten Art. 354 StGB bildet die gesetzliche Grundlage für die Registratur, die Speiche- rung und den Vergleich erkennungsdienstlicher Daten. Die Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten vom 06.12.2013 (SR 361.3; in Kraft seit 01.09.2014) regelt die Bearbeitung der biometrischen erkennungsdienstliche Daten gemäss Art. 2 Bst. a-d. (daktyloskopische Daten und Spuren, Fotografien, Signalemente), welche im AFIS gespeichert werden. Daneben gibt es noch andere erkennungsdienstliche Daten, die in IPAS gespeichert werden, also "Identität (der betroffenen Person), Grund der erkennungsdienstlichen Behandlung, Informationen zur Straftat" (Art. 14 Abs. 1 BPI). Mit der Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienst- licher Daten erfolgte eine grundlegende Neuregelung der Aufbewahrungsdauer für erkennungsdienstliche Daten im AFIS bzw. die Löschung der erkennungs- dienstlichen Daten (Harmonisierung mit der für die DNA-Profile geltenden Regelung; Löschung von Amtes wegen). 1.9 Löschung der ED-Daten Art. 17 der Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienst- licher Daten (welcher sich an Art. 16 DNA-Profil-Gesetz anlehnt) führt einen Ka- talog der Löschgründe auf, welcher − abgesehen von einer Ausnahme in Bst. f − identisch mit jenem von Art. 16 Abs. 1 DNA-Profil-Gesetz ist. In Art. 17 Bst. f der 8 erwähnten Verordnung ist als zusätzlicher Löschgrund die Verurteilung zu einer Busse aufgeführt. Dies deshalb, weil im Unterschied zum DNA-Profilgesetz, wo DNA-Profile nur zur Aufklärung eines Verbrechens oder Vergehens erstellt wer- den dürfen, die biometrischen erkennungsdienstlichen Daten auch zur Aufklärung von Übertretungen erfasst werden dürfen. Zuständigkeiten Die Zuständigkeitsregelung zur Löschung der biometrischen ED-Daten entspricht weitgehend der Regelung zur Löschung der DNA-Profile (eine entsprechende kantonale Verordnung wie bei der DNA-Profilgesetzgebung [vgl. BR 350.150] fehlt indessen noch). Gemäss Art. 22 der Verordnung über die Bearbeitung bio- metrischer erkennungsdienstlicher Daten (welcher inhaltlich mit Art. 12 der DNA- Profil-Verordnung übereinstimmt) meldet die Staatsanwaltschaft im Rahmen von Strafverfahren oder die Strafvollzugsbehörde im Rahmen des Strafvollzugs dem für die Führung von AFIS zuständigen Dienst (KTD) das Eintreten der gesetz- lichen Voraussetzungen für die Löschung der Daten von Personen und von Spu- ren. Wie bei der Löschung der DNA-Profile (vgl. Art. 17 DNA-Profil-Gesetz und Art. 15 der DNA-Profil-Verordnung) holt die auftraggebende Behörde gemäss Art. 19 der Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienst- licher Daten in den Fällen nach Art. 17 Abs. 1 Bst. e-k und 4 die Zustimmung der zuständigen richterlichen Behörde (Staatsanwaltschaft/Gerichte) ein. Bei der Löschung der biometrischen ED-Daten ist analog dem DNA-Löschungs- auftrag vorzugehen, wofür im JURIS in der Kategorie DNA/HÄUSLG zwei Verfah- rensschritte, nämlich "BIOM-Fall" (zur Erfassung des Falles) und "BLÖSCHUNG" (zur Löschung des Falles) vorhanden sind. 2. Häusliche Gewalt 2.1 Grundlagen Das Schweizerische Strafgesetzbuch StGB sieht für die Tatbestände der Körper- verletzung (Art. 123 StGB), Drohung (Art. 180 StGB) und wiederholten Tätlich- keiten (Art. 126 StGB) vor, dass diese Tatbestände von Amtes wegen verfolgt werden, sofern es sich um häusliche Gewalt zwischen Partnern handelt. Als Opfer geschützt ist in Fällen von häuslicher Gewalt neben dem Ehegatten und dem eingetragenen Partner auch der unverheiratete Lebenspartner, der im gleichen Haushalt wie der Täter lebt und zwar in Fällen, in denen die Tat bis ein Jahr nach der Trennung begangen wurde (vgl. z.B. Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3 und 4 StGB). 9 2.2 Eingang der Anzeigen bei der Polizei Gehen Anzeigen betreffend häusliche Gewalt bei der Polizei ein, erstellt die Poli- zei nach Durchführung der Ermittlungen grundsätzlich einen Rapport. Das Opfer hat jedoch in jedem Fall ein Strafantragsformular zu unterzeichnen, sei es bezüg- lich Stellen des Strafantrags oder Verzicht auf einen Strafantrag. Sodann hat das Opfer das Informationsformular betreffend häusliche Gewalt der Kantonspolizei zu unterzeichnen (vgl. auch Kantonspolizei Graubünden Dienstanweisung 4134 betr. Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt). 2.3 Eingang der Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Gehen Anzeigen/Rapporte betreffend häusliche Gewalt bei der Staatsanwalt- schaft ein, werden die Rapporte vor der Zuteilung der Fälle auf VV-Staatsanwälte oder ÜB-Sachbearbeiterinnen auf der ersten Seite des Rapports oben rechts deutlich mit dem Buchstaben H gekennzeichnet. Die jeweilige Sachbearbeitung eines zugeteilten VV- oder ÜB-Falls versieht die betreffende Prozedur nach der Eröffnung im JURIS mit dem Verfahrensschritt "HÄUSLGEW = Fall mit häuslicher Gewalt". Wird eine Täterschaft wegen häuslicher Gewalt in Kombination mit einem ande- ren Delikt (z.B. SVG) verzeigt, ist fallbezogen zu entscheiden, ob zwei separate Verfahren zu eröffnen sind. Kommt im Laufe des Verfahrens eine Verzeigung hinzu, ist in der Regel ein se- parates Verfahren zu eröffnen. 2.4 Vorgehen in Fällen gemäss Art. 55a StGB Allgemeines Gemäss Art. 55a StGB kann in Fällen von häuslicher Gewalt ein Verfahren zu- nächst sistiert und nach Ablauf von sechs Monaten definitiv eingestellt werden im Fall von: - einfacher Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3 bis 5 StGB), - wiederholten Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 2 Bst. b und c StGB), - Drohung (Art. 180 Abs. 2 StGB), - Nötigung (Art. 181 StGB). Dies sofern das Opfer oder seine gesetzliche Vertretung darum ersucht oder einem Antrag der Behörde zustimmt und die Zustimmung nicht innerhalb von sechs Monaten widerruft. 10 Zu beachten ist, dass ein Verfahren weitergeführt werden kann, obwohl das Opfer um Einstellung ersucht hat. Es sind dabei die privaten Interessen des Opfers und die öffentlichen Interessen gegeneinander abzuwägen. Das öffent- liche Interesse an der Strafverfolgung ist z.B. dann höher zu gewichten, wenn das Opfer von der Täterschaft unter Druck gesetzt worden ist oder wenn Grund zur Annahme besteht, dass die Täterschaft das Opfer irregeführt hat, um in den Genuss der Einstellung zu gelangen. Klare Fälle Wurde das Opfer seitens der Polizei auf Art. 55a StGB hingewiesen, sind die Voraussetzungen von Art. 352 StPO erfüllt und hat sich das Opfer unmissver- ständlich geäussert, dass es die Bestrafung der Täterschaft wünscht, kann ohne weitere Untersuchungshandlungen ein Strafbefehl erlassen werden. Wird gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben und beantragt das Opfer in der Folge die Sistierung, wird diesem Antrag in der Regel stattgegeben. Wurde dem Opfer das Informationsformular betreffend Art. 55a StGB noch nicht von der Polizei zur Unterzeichnung und Rücksendung zugestellt, so ist dieses dem Opfer zuzustellen (vgl. JURIS: VERFÜG-VS/INFOHG). Unklare Fälle Ist nicht klar, ob das Opfer eine Sistierung wünscht, ist das Opfer zu einem Ge- spräch aufzubieten. Die Täterschaft wird nicht fakultativ vorgeladen. Nötigenfalls ist eine Übersetzung beizuziehen. Über das Gespräch wird eine Aktennotiz verfasst. Das Opfer hat die Aktennotiz zu unterzeichnen. Das Gespräch betrifft lediglich Fragen im Zusammenhang mit der Sistierung. Allfällige sachverhaltsbezogene Angaben sind zu notieren. Wird das Verfahren weitergeführt, sind die sachverhaltsbezogenen Angaben in einer späteren Einvernahme des Opfers unter Wahrung des rechtlichen Gehörs der Täterschaft zu wiederholen. Ablehnung der Sistierung Ersucht das Opfer oder dessen gesetzliche Vertretung um Sistierung und stehen diesem Wunsch höhere öffentliche Interessen an der Strafverfolgung entgegen, erlässt der Staatsanwalt eine entsprechende Ablehnungsverfügung, welche dem Opfer und der Täterschaft zugestellt wird. Die Ablehnungsverfügung kann mit Beschwerde angefochten werden (Art. 314 Abs. 5 i.V.m. Art. 322 Abs. 2 sowie Art. 393 ff. StPO).
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