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Viele Mütter heißen Anita PDF

396 Pages·2010·1.73 MB·German
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Heinz G. Konsalik VViieellee MMüütttteerr hheeiißßeenn AAnniittaa Inhaltsangabe JuanisteinvielbewunderterMalerundBildhauer.Nichtserinnertdaran,daß eralsKindarmerspanischerBauerngeborenwurdeundalsJungekaumdar- aufhoffendurfte,studierenzukönnen.DasetzteineHerzkrankheitseinemSchaf- fen ein Ende. Doch ein kühner, in der Geschichte der Medizin noch nie ge- wagterEingriff,fürdenJuansMutterdasgrößteOpferbringt,besiegtdasgrau- sameSchicksal. RaschwerdenEinzelheitendersensationellenOperationbekannt–undbe- wirkeninSpanieneinenunerwartetenAufruhr.UnterschwerenAnschuldigungen muß der verantwortliche Arzt vor den Richter treten. Und mit ihm sind an- geklagt:derFortschrittunddieMenschlichkeit. LizenzausgabedesLingenVerlages,Köln mitGenehmigungdesHestiaVerlagsGmbHBayreuth Gesamtherstellung:LingenVerlag,Köln Schutzumschlag:RobertoPatelli•HD DieseseBookistumwelt-undleserfreundlich,daesweder chlorhaltigesPapiernocheinenAbgabepreisbeinhaltet!☺ Inhaltsangabe Vorwort 1 2 3 4 Vorwort BB iszumBeginnunseresJahrhunderts–genaubiszumJahre1904– gab es für die Ärzte und von ihnen wieder für die Chirurgen zwei ›Heiligtümer‹ am menschlichen Körper: das Gehirn und das Herz.Andas Gehirn,dieSchaltstelle allenLebens, wagten sichnur wenige heran … auch wenn man heute weiß, daß es sogar Ärzte im alten Ägypten, etwa 2.000 Jahre vor Christi, gegeben hat, die Schä- deltrepanationenausführtenundversuchten,TumoreausdemHirn zuentfernen,bliebdasGehirnimmereinGeheimnis.Bisheute,ob- wohlmanheutesovielvondenHirnfunktionenweißunddieNeu- rochirurgie wahre Wunder an Heilungen vollbracht hat. Die Über- raschungen reißen nie ab, es ist, als ob man auf einem neuen Land stehtundesbereitsbeackerthat,aberwasunterdemLandliegt,ver- birgt sich noch den Blicken. Die Herzchirurgie, das zweite Tabu der Mediziner, hat von jeher fasziniert.Washeuteselbstverständlichist:EröffnungdesBrustraumes, Entfernung von Lungenlappen, Operationen am offenen Herzen, Herznähte, Teiltransplantationen am Herzen oder die spektakulä- re Herztransplantation an sich, das war bis zu jenem denkwürdi- genJahr1904eineArtWunschtraumderChirurgiegewesen.Esgab eine unüberwindbare Schranke, in das Innere des Brustkorbes vor- zudringen: der verschieden große Luftdruck von Brustinnenraum und Außenwelt. Gab es Verletzungen, die den Brustraum öffneten, geschah immer das gleiche; die Lunge blähte sich auf, es kam zu dem tödlichen Pneumothorax. Ratlos standen die Chirurgen vor dieser Tatsache, die nach landläufiger Meinung nicht zu besiegen war…unddamitwarauchalles,wasmitdemBrustinnenraumund demHerzenzutunhatte,chirurgischunbesiegbar.BisimJahre1904– nach langer Forschungsarbeit – der Chirurg Prof. Sauerbruch, da- mals junger Assistenzarzt in Breslau, eine der genialsten Erfindun- gen in der Medizin machte. Das Druckdifferenzverfahren in Form einer luftdicht schließenden, gläsernen Operationskammer, in der 1 durch Absaugen der Luft der gleiche Unterdruck herrschte wie im menschlichenBrustkorb.DamitwarderWegfreizudenOperationen am freiliegenden Herzen. Heute ist das Sauerbruch'sche Verfahren bis zur Perfektion ver- feinert. Statt Unterdruck arbeitet man heute mit Überdruck, kom- biniert mit der Narkose oder mit der Intubationsnarkose, die mit einer rhythmischen Lungenbeatmung gekoppelt ist. Man schließt die Kranken an die Herz-Lungen-Maschine an, die den gesamten Blutkreislauf außerhalb des Körpers übernimmt und das Herz nur noch zu einem Klumpen Fleisch degradiert, oder man legt den Pa- tientenineinEisbettundoperiertimUnterkühlverfahren.DasMy- sterium Herz hat weitgehend seine Rätsel gelüftet (anders als das Gehirn!), und jeden Tag finden überall auf der Welt Operationen am offenen Herzen statt, ohne daß man noch darüber spricht. Es ist selbstverständlich geworden. Das war es vor dreißig oder vierzig Jahren, trotz der bekannten Operationsmethoden, aber noch lange nicht. Die Eröffnung des Brustraumes war zwar Allgemeingut der Chirurgie geworden, aber nochimmergaltdamalsdieArbeitamfreiliegendenHerzenalseine Pioniertat. Wer damals – vor knapp dreißig Jahren (und was sind dreißig Jahre?!) – gesagt hätte, er wolle ein Herz oder ein Teil des Herzens austauschen, den hätte man für einen Phantasten gehal- ten, für einen Scharlatan, für einen Arzt ohne Verantwortung. Das ›Unmöglich‹ war damals wie ein Gesetz. Nicht, daß man es tech- nischnichthättebewältigenkönnen,dafürwarendieVoraussetzungen da … aber noch immer war das Herz – wie das Hirn – ein Stück Mensch, vor dem jeder Chirurg eine heilige Scheu empfand. Au- ßerdemstandmanmachtlosvoreinerTatsache:dieImmunschranke, die Unverträglichkeit des körperfremden Eiweißes, die unumstöß- licheErkenntnis,daßsichdasTransplantatabstoßenmußte,weilsich derKörpergegendieEinpflanzungdesfremdenStückeswehrte.Es ist ein Problem, das auch heute noch nicht gelöst ist und die hohe Sterbequote bei Herztransplantationen herbeiführt. IndieseJahre,indenenOperationenamoffenenHerzenundVer- 2 pflanzungen von Herzteilen noch als Abenteuer galten, führt der vorliegendeRomandenLeser.ZudemspielternochineinemLand, dasdurchseineReligion,durchseinehohenethischenWertbegriffe, durchreligiösen FanatismusundeineungeheureStrengegegenüber SittengesetzenseitJahrhunderteneineAusnahmestellunginnerhalb Europas bildete: Spanien. Nur so ist zu verstehen, was in diesem Roman geschildert wird. Der verzweifelte Kampf gegen den Herztod mit Mitteln, die in der damaligenZeitundindiesemLandalskriminelleTatbewertetwur- den. Was heute niemand mehr beachtet, was chirurgischer Alltag geworden ist, war damals mehr als eine Pionierleistung. Es war der Kampf eines Arztes gegen das Vorurteil von Jahrhunderten. So ist dieser Roman mehr als nur eine spannende Lektüre … er ist ein Blick in die Anfänge der großen Herzchirurgie, durch die heute Tausende von Kranken gerettet werden. HeinzG. Konsalik 3 Vor den Fenstern hingen lange Vorhänge. DraußenstanddieNacht,schwarz,feindlich,nurkurzunterbrochen von den Scheinwerfern einiger Wagen, die an der Seite des großen HauseshieltenundimLichtplötzlichaufflammenderGlühlampen Bahren und stöhnende Menschen ausspien. DasZimmerwarschmalundlang.VordemFensterstanddaswei- ße, lackierte Eisenbett, daneben ein kleiner Nachttisch mit einem weißen Stuhl. An der gegenüberliegenden Wand hatten ein Tisch und zwei Stühle Platz. Das Bett war zur Tür hin mit einem weiß- bespannten Schirm abgedeckt. Auf dem Tisch brannte einsam und schwach eine kleine Tisch- lampe,derenSchirmmanschräggestellthatte,damitderschwache Strahl nicht voll auf das Bett am Fenster fiel. EinealteFrauhockteaufdemStuhl,dieHändeimSchoßgefaltet. Ihre kleinen, von Runzeln umgebenen Augen blickten unverwandt in dasGesichtdesKranken,dermitgeschlossenenLidernzuschla- fen schien. Die alte Frau zog die Schultern etwas ein. Sie fröstelte, und sie rafftedenaltenSchal,derüberihremRückenlag,etwaszusammen und beugte sich vor, um mit der Hand nach dem Kopf des Kran- ken zu tasten. Er ist heiß, dachte sie erschrocken. Er hat Fieber. Sie rückte den StuhlleisenäherundergriffdielebloseHand,diefahlaufderweiß- bezogenen Decke lag. DasGesichtdesKrankenwarspitz,eingefallen,hohl.DerTodlau- erte in den eingesunkenen Augen, der spitz sich abhebenden Nase unddemgelblichenTonderHaut,überderschwachglitzerndeine Schicht kalten Schweißes lag. Bei jedem Atemzug hob sich die fla- che Brust mit einem leisen Röcheln … dann verkrampften sich die Finger der schlaffen Hand, als zucke ein Schmerz durch den Kör- per, und der schmale Mund begann zu zittern, als wolle er schrei- en trotz seiner Ohnmacht. Ab und zu wehte es von der Tür her, und die gestärkte Haube einer Schwester beugte sich über die Schultern der Frau. 4 »NochohneBesinnung«,sagtesiedannmitleiser,brüchigerStim- me. »Ob er wieder aufwacht, Schwester?« »DerProfessorhofftes.«DieSchwesterbeugtesichüberdenArm des Kranken und rieb die Armbeuge mit Alkohol ein. Dann stieß sie die Nadel der Spritze in die Vene, zog ein wenig das Blut auf unddrücktedanndieklareFlüssigkeitindieBlutbahn.»Wasistdas, Schwester?« fragte die alte Frau, und ihre Hände im Schoß zitter- ten. »Cardiazol,Señora.DamitdasHerzbesserschlägt.DerHerrPro- fessor hat es angeordnet.« »Dann istesgut.«VertrauensprachausdiesenWorten, und dann nahmdiealteFraueinwenigWatteundtupftedieBlutstropfenweg, die nach dem Herausziehen der Injektionsnadel zögernd noch her- vorquollen. »Wird Juan sterben?« fragte sie dabei. DieSchwesterzucktemitdenSchultern.»DasliegtinGottesHand, Señora. Wir wissen es alle nicht…« Und wieder war sie allein und saß am Bett … Stunde um Stun- de, und sie starrte auf das blasse, eingefallene Gesicht und die rö- chelnde Brust und betete still. Juan, dachte sie. Da liegt Juan, mein Kind. Neunzehn Jahre habe ich ihn gepflegt, neunzehn Jahre habe ich gegen das Schicksal ge- kämpft, und es war umsonst. Jetzt kommt das Ende, und ich bin machtlos wie alle Mütter, die am Bett ihres Kindes sitzen und war- ten … warten Stunden und Nächte und Tage auf ein Wunder, an das wir glauben, weil es ein Wunder an unserem Kinde sein muß. Sie stützte den Kopf in die Hände und schloß einen Augenblick müde die Lider. Als er geboren wurde, dachte sie, war er schwächer alsKindersonstsind.FastsechsunddreißigStundendauertedieQual, unddannlagenwir beidemehr demTodenahinderKammer und brauchten Monate, um wieder Menschen zu sein. Monate, in de- nen das Kind neben meinem Bette stand, in denen ich es immer sah, auf jeden Atemzug lauschte, auf jedes Schmatzen der kleinen Lippen mit zitternder Freude wartete, denn dann wußte ich, daß ersichsattgetrunken hatteundwiederKraft inseinemkleinenKör- 5 per floß. NeunzehnJahre…wieschnellwarensievorbeigegangen.Ausdem schwächlichenSäuglingwurdeeinkluger,aufgeweckter,aberoftstil- lerundversonnenerJunge,der fleißiglernte,vielzeichneteund we- nig Interesse für das Leben eines Bauern zeigte, in das er hinein- geboren worden war. Er war ein ungewöhnliches Kind … in seinen Augen lag eine andere Welt als die Rauheit der Sierra Morena und die Härte der steinigen kastilischen Erde. Und so wurde er ein jun- ger Mann, voll Lebenshunger und Sehnsucht nach der Weite der Welt, daß sie oft Angst um ihn empfand und sorgenvoll die Maß- losigkeit seiner Schwärmerei betrachtete. Sie wischte sich mit der Hand über die brennenden Augen und sah zu Juan hin. Er hatte den Kopf zur Seite gedreht, der Mund war ein wenig ge- öffnet.DieLippenwarenrauhundaufgesprungen…ermußteDurst haben.DastandsieaufundholtevondemkleinenTischeineSchna- beltasse mit kalter Milch, setzte sie vorsichtig an seinen Mund und ließdieMilchzwischenseineLippen tropfen. Abererschlucktesie nicht,sieliefandenMundwinkelnwiederherausunddenHalshin- unter. MiteinemTaschentuchtrocknetesieihnabundbettetedenkraft- losen Kopf in die Kissen, die sie ein wenig zurückdrückte. Dann setzte sie sich wieder und legte die Hände in den Schoß. UnddieStundenrannendahin…stumm,bleiernwiedieFinsternis, die draußen über dem großen Haus lag. Gegen drei Uhr morgens sah der wachhabende Arzt ins Zimmer undfühlteJuandenPuls.ErgabihmwiedereineCardiazol-Injektion und legte der alten Mutter die Hand auf die schmale Schulter. »Mut!«sagteerleise.»WirhabenalleHoffnung,Señora.Auchder Professor. Er ist noch auf und will sich entscheiden, ob er operiert. Er ist die letzte Möglichkeit.« »Und dann wird Juan weiterleben? Wirklich, Herr Doktor?« Der junge Arzt wich dem flehenden Blick der Mutter aus. »Vielleicht, Señora«, sagte er stockend. »Vielleicht … die Mög- 6

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