SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Marco Overhaus Verteidigungskooperation und Regimesicherheit Grenzen der US-amerikanischen Hegemonie am Persischen Golf S 20 Oktober 2017 Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2017 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Die hegemoniale Rolle der USA am Persischen Golf 7 Amerikanisches Selbstverständnis 10 Regionalpolitische Herausforderungen für die USA 13 Sicherheits- und verteidigungspolitische Beziehungen zwischen den USA und den arabischen Golfstaaten 17 Zentrale Kooperations- und Konfliktfelder 17 Der Umgang mit dem Iran und die Atomvereinbarung 19 Die von Saudi-Arabien geführte Militärintervention im Jemen 23 Die Globale Koalition gegen den »Islamischen Staat« 27 Schlussfolgerungen und Ausblick 29 Anhang 29 Abkürzungen 29 Hegemonialer Anspruch und Wirklichkeit am Persischen Golf: Obama versus Trump – eine tabellarische Gegenüberstellung Dr. Marco Overhaus ist Wissenschaftler in der Forschungs- gruppe Amerika Problemstellung und Empfehlungen Verteidigungskooperation und Regimesicherheit. Grenzen der US-amerikanischen Hegemonie am Persischen Golf Die USA haben sich über fast vier Dekaden als eine sicherheitspolitische Führungs- und Vormacht am Persischen Golf gesehen. Die Folgen des Irak-Krieges von 2003, die Konflikte zwischen der Obama-Adminis- tration und den arabischen Golfstaaten und zuletzt die Wahl Donald Trumps in das Präsidentenamt haben indes viele Zweifel an dieser Führungsrolle aufkom- men lassen. Einerseits stellte Trump mit seiner Devise »America First« in Aussicht, dass Amerika einen isola- tionistischen Kurs einschlägt, andererseits will er im Mittleren Osten nicht nur den »Islamischen Staat« besiegen, sondern zugleich auch den Iran mit allen Mitteln in die Schranken weisen. Die vorliegende Studie geht der Frage nach, ob die USA seit den Umbrüchen in der arabischen Welt von 2011 eine hegemoniale Rolle am Persischen Golf spie- len wollten und konnten. Der Fokus liegt dabei auf der sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammen- arbeit Amerikas mit den sechs arabischen Ländern, die sich im Golfkooperationsrat (GKR) zusammengeschlos- sen haben: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain, Kuwait, Katar sowie Oman. Die Frage lässt sich nur dann sinnvoll beantworten, wenn die Bewertungsmaßstäbe klar sind. Denn die USA haben ihren hegemonialen Anspruch je nach Welt- region und Administration durchaus unterschiedlich begründet. Über längere Sicht folgte die amerikani- sche Politik am Persischen Golf zumeist einem real- politischen Verständnis von Hegemonie. Diesem Ansatz liegen drei zentrale Prämissen zugrunde: Erstens, dass die USA in der Lage sein müssen, Koalitionen mit den arabischen Partnern zu schmieden, um gemeinsam gegen sicherheitspolitische Bedrohungen vorgehen zu können; zweitens, dass die USA ihre sicherheits- und verteidigungspolitischen Instrumente dazu nutzen können, um politisch Einfluss auf die arabischen Golf- staaten zu nehmen; drittens schließlich, dass Amerika den arabischen Golfstaaten eine sicherheitspolitische Rückversicherung (reassurance) gegen Bedrohungen bietet, die es ebenfalls erlaubt, auf die Partner »mäßi- gend« einzuwirken. Neun Monate nach seinem Amtsantritt deutet wenig darauf hin, dass Trump diesen so verstandenen Anspruch der USA auf eine Führungsfunktion am Golf SWP Berlin US-Hegemonie am Persischen Golf Oktober 2017 5 Problemstellung und Empfehlungen grundsätzlich in Frage stellen will. Trump hat wie sein oder ungewollt – dazu führen, dass Amerika sich ver- Amtsvorgänger den Antiterrorkampf zu einem Pfeiler stärkt in ebendiese Konflikte hineinziehen lässt, ohne seiner Politik im Mittleren Osten erklärt. Auch er setzt dass es damit Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit den Golf- gegenüber den Kontrahenten gewinnt. staaten, auch wenn seine einseitige Parteinahme für Deutschland und Europa sind von den Entwicklun- Saudi-Arabien eine der Ursachen für den Ausbruch der gen am Persischen Golf ebenfalls betroffen. Das gilt Katar-Krise im Frühsommer 2017 gewesen ist. Der nicht nur für die wirtschaftlichen Beziehungen. Durch wesentliche Politikwechsel, den Trump vollzogen hat, die Teilnahme an der Globalen Koalition gegen den IS ist der konfrontative Kurs gegenüber Teheran, den er hat Deutschland im Mittleren Osten erstmals auch ein im Oktober dieses Jahres mit einer neuen Iran-Stra- sicherheitspolitisches Profil entwickelt. Im Zuge der tegie untermauerte. unter Trump intensiver geführten Debatte über trans- Vor dem Hintergrund der genannten Bewertungs- atlantische Lastenteilung könnte sich zudem der Druck maßstäbe zeigt die vorliegende Studie die Grenzen der auf Berlin und andere europäische Nato-Hauptstädte US-amerikanischen Hegemonie am Persischen Golf erhöhen, sich noch stärker sicherheitspolitisch und auf. Die Idee, dass Amerika erfolgreich kollektives militärisch in der Region zu engagieren. Handeln unter Partnern organisiert und militärisches Es liegt im Interesse Deutschlands und der EU, dass Potential in politischen Einfluss übersetzt, war bereits die Konflikte am Persischen Golf nicht weiter eskalie- vor Trump ein gutes Stück weit von der Realität ren. Unter den gegenwärtigen Vorzeichen erfordert entfernt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Militär- dies in einigen Bereichen eine klarere Abgrenzung und Rüstungskooperation zwischen Washington und europäischer Politik von den USA. So sollten Deutsch- den arabischen Hauptstädten keine einseitigen, son- land und seine europäischen Partner in der Nato und dern wechselseitige Abhängigkeiten geschaffen hat. der EU insbesondere darauf drängen, sich im Anti- Auch das Gestaltungspotential, das mit der Rolle terrorkampf eng auf jene Gruppen zu fokussieren, die der USA als externer »Rückversicherer« der arabischen tatsächlich eine terroristische Bedrohung für Europa Golfstaaten verbunden ist, hat enge Grenzen. Das »An- und Amerika bedeuten. Gegenwärtig sind dies Al-Qaida gebot« amerikanischer Sicherheitszusagen bezieht sich und der IS. in erster Linie auf klassische zwischenstaatliche Konflikt- Mit Trump im Weißen Haus wird es zudem viel szenarien. Das wird unter anderem durch die Rüstungs- schwieriger als zuvor, mit den USA eine gemeinsame kooperation und die militärische Präsenz der USA in Politik gegenüber dem Iran zu formulieren. Die EU der Region deutlich. Diese Sicherheitszusagen sind und ihre Mitgliedstaaten sollten an einem außen- keineswegs obsolet geworden, denn sie machen eine politischen Kurs festhalten, der die Zusammenarbeit offene militärische Konfrontation zwischen dem Iran mit Teheran anstrebt und diese zugleich an klare und den arabischen Golfstaaten unwahrscheinlicher. und bereits multilateral ausgehandelte Bedingungen Im Zuge der Umbrüche in vielen Ländern Nord- knüpft: die Erfüllung der Vereinbarungen im Zusam- afrikas und des Mittleren Ostens seit 2011, des Ölpreis- menhang mit dem iranischen Atomprogramm sowie verfalls und in Anbetracht der Verschärfung des »Kalten Maßnahmen zur Einhegung der Raketenrüstung Irans. Krieges« mit dem Iran hat sich jedoch der Schwerpunkt Schließlich sollten Deutschland und seine euro- der »Nachfrage« der Golfstaaten nach Sicherheit zu- päischen Partner auch Lehren aus den Erfahrungen nehmend in Richtung innere, das heißt Regimesicher- ziehen, welche die USA in der Vergangenheit gemacht heit verlagert. So sind aktuelle Streitfragen in der haben: Im Hinblick auf ein regionales Umfeld, in dem Region, wie beispielsweise die Nuklearvereinbarung zwischenstaatliche Machtkämpfe zunehmend auch mit dem Iran, und Konflikte wie der Krieg im Jemen auf den innenpolitischen, gesellschaftlichen und ideo- oder der Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) logisch-religiösen »Schlachtfeldern« ausgetragen wer- immer auch mit innenpolitischen Herrschaftsfragen den, ist der Export von Waffen kein geeignetes Mittel, in den Golfstaaten verknüpft. um auf die Abnehmerstaaten »mäßigend« Einfluss zu Die Politik Obamas war von der Maxime gekenn- nehmen. Es ist auch zweifelhaft, ob damit mehr Sicher- zeichnet, sich mit Ausnahme des Antiterrorkampfs heit am Persischen Golf geschaffen werden kann. möglichst weit von diesen Konflikten in der Region fernzuhalten. Unter Trump könnten die Politik der Eindämmung Irans und die Annäherung an die Sicht- weisen und Positionen Saudi-Arabiens – ob gewollt SWP Berlin US-Hegemonie am Persischen Golf Oktober 2017 6 Amerikanisches Selbstverständnis Die hegemoniale Rolle der USA am Persischen Golf Amerikanisches Selbstverständnis umfassende Demokratisierungsbewegung im Mitt- leren Osten zu geben. Dieser zuletzt genannte Ansatz Seit Verkündung der Carter-Doktrin haben sich die kann nach den Entwicklungen im Irak seit 2003 als USA in einer hegemonialen Rolle am Persischen Golf offensichtlich gescheitert betrachtet werden. gesehen, das heißt als sicherheitspolitische Führungs- Trotz dieser Kontroverse blieb die Idee, dass Amerika und Vormacht, die aus ihrer Sicht bestimmte, un- als Führungsmacht auf globaler und regionaler Ebene verzichtbare Aufgaben in der Region erfüllt.1 Im unverzichtbar ist, in der außenpolitischen Elite der Januar 1980 erklärte der damalige US-Präsident Jimmy USA tief verankert.5 Das hegemoniale Selbstverständ- Carter, dass Amerika jeden Versuch einer außenstehen- nis spiegelte sich nicht nur im Regierungshandeln der den Macht, Kontrolle über die Golfregion zu gewinnen, Obama-Administration wider, sondern gerade auch in zurückweisen und gegebenenfalls auch mit militäri- der Kritik, die an ebendieser Politik geäußert wurde.6 schen Mitteln verhindern würde.2 Das amerikanische Mit Blick auf den Mittleren Osten lautet ein verbrei- Verteidigungsministerium begann daraufhin, diese tetes Argumentationsmuster dabei: Unter Obama hätte politische Vorgabe mit konkreten Planungen zu unter- sich Amerika sicherheitspolitisch vom Golf zurück- legen.3 Diese basierten auf dem Anspruch, durch die gezogen bzw. sein Engagement vermindert (retrench- Projektion militärischer Macht zu Sicherheit und ment) und damit dazu beigetragen, dass die arabischen Stabilität in der Region beizutragen. 1983 wurde zu Golfstaaten einen von den USA zunehmend unabhän- diesem Zweck das bis heute für den Persischen Golf gigen – manche sagen auch »aggressiveren« – Kurs in zuständige Zentralkommando (Centcom) der US-Streit- kräfte eingerichtet. Seither gibt es in den USA eine kontroverse Debatte über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik am Golf 5 Vgl. Peter Rudolf, Das »neue« Amerika. Außenpolitik unter Barack und über das hegemoniale Selbstverständnis, das in Obama, Berlin: Edition Suhrkamp, 2010, S. 13; John B. Alter- dieser Politik zum Ausdruck kommt. Das Spektrum man, »Fierce or Feeble. Persian Gulf Assessments of U.S. Power«, reicht von Stimmen, die einen weitgehenden sicher- in: Craig S. Cohen (Hg.), Capacity and Resolve. Foreign Assessments of U.S. Power, Washington, D.C.: Center for Strategic and Inter- heitspolitischen Rückzug Amerikas aus der Region national Studies (CSIS), Juni 2011, S. 69–79, hier S. 69; Owen befürworten,4 über die Forderung, die USA sollten sich Worth, Rethinking Hegemony, London: Palgrave Macmillan, auf den Schutz der Ölförderung und der Handelswege 2015, S. 47. Für eine historische Einordnung der hegemonia- konzentrieren bis hin zu dem neokonservativen An- len Logik als dominante außenpolitische Denkschule in satz, mit militärischen Mitteln den Anstoß für eine den USA vgl. Patrick Callahan, Logics of American Foreign Policy. Theories of America’s World Role, New York: Pearson Longman, 2004, S. 7 und S. 11–26. Andrew J. Bacevich formuliert es 1 Vgl. Gary Sick, »The United States and the Persian Gulf in mit Blick auf die US-Politik im Mittleren Osten so: »In U.S. the Twentieth Century«, in: Lawrence G. Potter (Hg.), The national security circles, the conviction that [American] Persian Gulf in History, New York: Palgrave Macmillan, 2009, engagement promotes peace and stability is not unlike the S. 295–310, hier S. 299. Christian belief in the Second Coming – it provides the ulti- 2 »An attempt by any outside force to gain control of the mate rationale for the entire enterprise«, Bacevich, America’s Persian Gulf region will be regarded as an assault on the vital War for the Greater Middle East [wie Fn. 3], S. 211. interests of the United States of America, and such an assault 6 Vgl. beispielsweise Richard Cohen, »Thanks to No-drama will be repelled by any means necessary, including military Obama, American Leadership Is Gone«, Washington Post force«, Jimmy Carter, The State of the Union Address Delivered (online), 26.12.2016; Robert J. Samuelson, »The New World before a Joint Session of the Congress, 23.1.1980, <www.presidency. Order, 2017«, Washington Post (online), 2.1.2017; James Dob- ucsb.edu/ws/?pid=33079> (Zugriff am 29.8.2017). bins, »Is the U.S. Abandoning the World Order It Created?«, 3 Andrew J. Bacevich, America’s War for the Greater Middle East. The RAND Blog (online), 14.11.2016, <www.rand.org/blog/2016/ A Military History, New York: Random House, 2016, S. 30. 11/is-the-us-abandoning-the-world-order-it-created.html> 4 Vgl. Christopher Layne, »America’s Middle East Grand (Zugriff am 28.9.2017); Bret Stephens, »What Obama Gets Strategy after Iraq: The Moment for Offshore Balancing Has Wrong. No Retreat, No Surrender«, in: Foreign Affairs, 94 (Sep- Arrived«, in: Review of International Studies, 35 (2009) 1, S. 5–25. tember/Oktober 2015) 5, S. 13–16, hier S. 16. SWP Berlin US-Hegemonie am Persischen Golf Oktober 2017 7 Die hegemoniale Rolle der USA am Persischen Golf ihrer Regionalpolitik verfolgten.7 Dies wiederum laufe und den Vereinigten Arabischen Emiraten auch Ägyp- den amerikanischen Interessen zuwider und sei auch ten und Jordanien einschließen würde. Ziel eines der- der Sicherheitslage am Golf abträglich. artigen Sicherheitsbündnisses wäre nicht zuletzt, sich Wie der unterstellte Rückzug der USA aus der Golf- gemeinsam gegen den Einfluss Irans zu stellen. Dem- region bzw. ihr vermindertes Engagement dort konkret nach sollen die USA, gemeinsam mit Israel, eine solche zum Ausdruck kommt, darüber gehen die Einschät- Allianz unterstützen, ohne ihr aber selber anzugehö- zungen allerdings auseinander. Einige Beobachter ver- ren.8 Die enge Anlehnung Trumps an Saudi-Arabien weisen auf eine Verringerung der amerikanischen deutet zudem darauf hin, dass der US-Präsident sich Militärpräsenz am Golf, andere auf ein nachlassendes verstärkt auf Riad als regionale Ordnungsmacht stüt- Interesse der USA an der Region, zumindest in der sub- zen will. Diese Politik entspricht durchaus einem real- jektiven Wahrnehmung der Golfstaaten, und wieder politischen Verständnis amerikanischer Hegemonie, andere sprechen von einer abstrakten Entfremdung bei dem sicherheitspolitische Führung mit militäri- zwischen Washington und den arabischen Partnern. scher Lastenteilung verknüpft wird. Trump hat zudem Mit dem Einzug Donald Trumps in das Weiße Haus die Gültigkeit bestehender Sicherheitszusagen bekräf- ist der Anspruch Amerikas auf eine internationale tigt, die sich auf die fortdauernde Militärpräsenz der Führungs- und Vormachtrolle erneut in Frage gestellt USA am Golf stützen. Anders als in vielen europäischen worden. Unter der Devise »America First« kündigte Nato-Hauptstädten wurde in Riad, Abu Dhabi oder Trump während des Präsidentschaftswahlkampfs eine Manama mit dem Amtsantritt Trumps die Hoffnung Politik an, die den wirtschaftlichen Aufbau des Landes auf eine Renaissance der Partnerschaft mit den USA an erste Stelle setzt und zugleich nach außen hin einer verbunden.9 merkantilistischen und isolationistischen Linie folgt. Die einseitige Parteinahme Trumps für Saudi-Ara- Neun Monate nach seinem Amtsantritt gibt es noch bien hat indes dazu beigetragen, dass der lange be- keine klaren Hinweise darauf, dass der neue US-Präsi- stehende Konflikt zwischen dem saudischen König- dent den Führungsanspruch Amerikas am Persischen reich und Katar im Juni 2017 eskalierte. Saudi-Arabien, Golf aufgeben will. Trump hat wie Obama den Kampf die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain kapp- gegen den Terrorismus zu einer tragenden Säule ten in einer konzertierten Aktion die Verkehrsverbin- seiner Politik erklärt und will sich dabei ebenfalls auf dungen nach Katar und versuchten, das Land politisch die enge Zusammenarbeit mit den arabischen Part- und wirtschaftlich zu isolieren. Als Begründung für nern stützen. Er baut dabei unter anderem auf die diesen Schritt diente der Vorwurf, Katar unterstütze Globale Koalition gegen den »Islamischen Staat« (IS), terroristische Gruppen. Tatsächlich dürfte die aus die bereits sein Amtsvorgänger initiiert hatte. Sicht Riads zu iranfreundliche Politik des Emirats aus- Darüber hinaus hat Trump die Idee einer arabischen schlaggebend gewesen sein. Militärallianz aufgegriffen, die neben Saudi-Arabien Die Katar-Krise verdeutlichte, wie inkohärent und vielstimmig die Trump-Administration seit ihrem 7 Vgl. beispielsweise Ilan Goldenberg/Melissa G. Dalton, Amtsantritt am Persischen Golf agiert. Zunächst rühm- »Bridging the Gulf. How to Fix U.S. Relations with the GCC«, te sich der neue US-Präsident sogar damit, persönlich in: Foreign Affairs, 94 (November/Dezember 2015) 6, S. 59–66, die drei arabischen Partner zur Blockade Katars moti- hier S. 64–66; Hussein Ibish, Narrowing the Gulf: U.S. and GCC viert zu haben. Das Außen- und das Verteidigungs- Revamp Relations at Camp David Summit, Washington, D.C.: Arab ministerium betrieben dagegen Schadensbegrenzung Gulf States Institute, 2015, S. 3. Besonders deutlich äußerte Kenneth Pollack diese Kritik an der Obama-Administration: und drängten auf eine baldige Lösung des Streits. Die »The withdrawal of the United States has forced governments USA haben mit Al Udeid einen wichtigen Luftwaffen- there to interact in a novel way, without the hope that stützpunkt in Katar, der zudem das regionale Haupt- Washington will provide a cooperative path out of the secu- quartier des Central Command beherbergt. Darüber rity dilemmas that litter the region. U.S. disengagement has hinaus widerspricht die mit dem Konflikt einher- made many states fear that others will become more aggres- sive without the United States to restrain them«, Kenneth M. gehende tiefe Spaltung des Golfkooperationsrats (GKR) Pollack, »Fight or Flight. America’s Choice in the Middle East«, in: Foreign Affairs, 95 (März/April 2016) 2, S. 62–67, hier 8 Maria Abi-Habib, »U.S. Middle East Allies Explore Arab Mili- S. 66. Für eine Diskussion der Folgen eines (vermeintlichen) tary Coalition«, in: Wall Street Journal, 15.2.2017. amerikanischen Rückzugs für die Sicherheitslage am Persi- 9 Vgl. hierzu beispielsweise den Meinungsbeitrag des da- schen Golf vgl. auch »Chapter Seven: Middle East and North maligen saudischen Botschafters in Washington, Abdullah Africa«, in: International Institute for Strategic Studies (IISS), Al Saud, »Saudis Know that U.S. Power Can Bring Lasting The Military Balance, 117 (2017) 1, S. 351–416, hier S. 351. Peace«, in: Wall Street Journal, 19.4.2017. SWP Berlin US-Hegemonie am Persischen Golf Oktober 2017 8 Amerikanisches Selbstverständnis der langjährigen Politik Washingtons, auf eine engere gegenüber den Golfstaaten ein, um sie zu Beiträgen zu sicherheitspolitische Kooperation zwischen den GKR- der internationalen Koalition zu bewegen. Ländern hinzuarbeiten. Die Obama-Administration ließ sich ebenfalls von Anders als die Obama-Administration – und ins- dem Anspruch leiten, Koalitionen im Mittleren Osten besondere der frühere Außenministers John Kerry – bzw. am Persischen Golf zustande bringen zu können. zeigt Trump bislang zudem wenig Interesse daran, So rühmte sich Obama damit, dass Amerika eine inter- dass die USA in den diplomatischen Prozessen zur nationale Allianz aufgebaut habe, um sowohl das Sank- Beilegung der regionalen Konflikte an und um den tionsregime gegen den Iran als auch die diplomati- Persischen Golf, wie beispielsweise in Jemen, ein stär- schen Verhandlungen über dessen Atomprogramm keres Profil gewinnen. zum Erfolg zu führen.11 Die Frage, ob die USA eine hegemoniale Rolle am Sein letzter Verteidigungsminister, Ashton Carter, Persischen Golf spielen und welche Perspektiven die stellte fest, dass keine andere Nation als die USA fähig Präsidentschaft Trumps in dieser Hinsicht bietet, lässt gewesen wäre, die internationale Koalition gegen den sich nur dann sinnvoll beantworten, wenn die Bewer- IS zu organisieren und auszustatten. Das sicherheits- tungsmaßstäbe klar sind. Denn die amerikanische politische und militärische Engagement Washingtons Außenpolitik hat die Ausübung von »Hegemonie« in sei nicht nur wichtig für die amerikanischen Interes- der Vergangenheit sehr unterschiedlich interpretiert. sen, sondern auch für die Sicherheit der Länder in der So rechtfertigte Präsident George W. Bush die amerika- Region.12 nische Militärintervention im Irak 2003 mit einer Der Aufbau einer »Gegenkoalition« durch Russland »Freiheitsagenda«, also mit der Berufung der USA, und unter Einschluss des Irans, schiitischer Milizen liberale und demokratische Werte zu verbreiten. Er und des Assad-Regimes im syrischen Bürgerkrieg dien- verband diesen Ansatz mit einer imperialen Politik, te auch dem Ziel, den Einfluss Washingtons zurück- die darauf ausgerichtet war, die Herrschaftsverhält- zudrängen. Bislang ist allerdings nicht klar, ob sich nisse in den Staaten der Region, im Falle des Irak mit Russland – oder andere Staaten wie die Türkei oder militärischen Mitteln, zu verändern. China – längerfristig als konkurrierende Coalition Builder Auf längere Sicht, das heißt vor und nach George im Mittleren Osten etablieren werden. W. Bush, war die amerikanische Sicherheits- und Die zweite Annahme ist, dass die USA ihre sicher- Verteidigungspolitik am Persischen Golf jedoch eher heits- und verteidigungspolitischen Instrumente, ins- von einem realpolitischen Verständnis von Hegemonie besondere die Sicherheitszusagen und Militärhilfen, geprägt, das auch der vorliegenden Studie zugrunde im Sinne von Anreizen oder Sanktionen einsetzen liegt. Demnach ist es kein Kernanliegen Amerikas, können, um politischen Einfluss auf die Golfstaaten liberale Werte zu verbreiten oder die inneren Verhält- zu nehmen. nisse der Staaten in der Region zu verändern. Der Diese Einflussnahme zielt entweder darauf ab, die realpolitische Ansatz basiert stattdessen auf drei zen- arabischen Partner dazu zu bewegen, einen aus Sicht tralen Grundannahmen: der USA angemessenen Beitrag zur Sicherheit am Die erste dieser Annahmen lautet, dass (nur) die Persischen Golf zu leisten oder zumindest Politiken zu USA dazu in der Lage sind, kollektives Handeln als unterlassen, die der regionalen Sicherheit abträglich Reaktion auf die Bedrohung der regionalen Sicherheit sind. Welche Art von politischen Handlungen dies gemeinsam mit ihren Partnern und Verbündeten am sind, definiert freilich der Hegemon selbst. Bereits vor Persischen Golf zu organisieren. Ausrufung der Carter-Doktrin verfolgten die USA das Als Musterbeispiel dafür gilt die Operation Desert Ziel, ihren Interessen mittels einer intensiven Rüs- Storm von 1991, als die USA mit Rückendeckung der tungskooperation gegenüber den Partnerstaaten am Vereinten Nationen eine breite internationale Koali- Golf Gewicht zu verleihen.13 So sah die »Zwei-Säulen- tion schmiedeten, um der Invasion Kuwaits durch den Irak entgegenzutreten. Der damalige US-Außenminis- 11 Barack Obama, Remarks by the President on the Iran Nuclear ter James Baker setzte »persönliche Diplomatie, Über- Deal, Washington, D.C.: The White House, 5.8.2015. redungskunst und verdeckte Drohungen«10 auch 12 Ashton Carter, Remarks by Secretary Carter at the 2016 IISS Manama Dialogue, Manama, Bahrain, Washington, D.C.: Depart- ment of Defense, 10.12.2016. 10 Joel S. Migdal, Shifting Sands. The United States in the Middle 13 Bacevich, America’s War for the Greater Middle East [wie Fn. 3], East, New York: Columbia University Press, 2014, S. 120 S. 15; Sick, »The United States and the Persian Gulf« [wie Fn. 1], (eigene Übersetzung). S. 296–297. SWP Berlin US-Hegemonie am Persischen Golf Oktober 2017 9 Die hegemoniale Rolle der USA am Persischen Golf Politik« der USA bis 1979 vor, den Iran (damals noch gerkurs damit, dass er dem Schutz der anderen Golf- unter dem Schah) und Saudi-Arabien zu »stellvertre- staaten, einschließlich Saudi-Arabiens, diene.16 tenden Regionalpolizisten« (deputized policemen) unter Als nach der Irak-Intervention der USA 2003 immer US-Führung zu machen.14 Auch wenn sich dieses Ziel klarer wurde, dass der Iran durch den Wegfall des schon damals schnell als Illusion erwies, spielt die Gegenspielers Saddam Hussein stark an Einfluss am Annahme, die USA könnten Rüstungskooperation und Persischen Golf gewann, intensivierte die Bush-Admi- Militärhilfe in politischen Einfluss auf die Partner nistration ab 2007 die Sicherheits- und Verteidigungs- übersetzen, bis heute eine wichtige Rolle in der kooperation mit den arabischen Golfstaaten.17 Und Golfpolitik Washingtons. als diese ihren zunehmenden Unmut über die Atom- Die Befürworter einer engen Militärkooperation vereinbarung mit dem Iran, die 2015 abgeschlossen zwischen den USA und Saudi-Arabien sowie den an- wurde, zum Ausdruck brachten, reagierte die Obama- deren Golfstaaten argumentieren, dass sich so eine Administration darauf ebenfalls mit einer Vertiefung engere Zusammenarbeit bei der Bewältigung regio- der Verteidigungskooperation, beispielsweise im Be- naler Sicherheitsprobleme, wie der Herausforderung reich der Raketenabwehr und durch die Erleichterung durch den IS, erreichen lasse.15 In umgekehrter Logik von Rüstungstransfers.18 vertreten die Gegner einer engen verteidigungs- politischen Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien die Auffassung, nur die Androhung einer Beschränkung Regionalpolitische Herausforderungen derselben könne Riad dazu bewegen, die Menschen- für die USA rechte besser zu achten oder die Militärintervention im Jemen zu beenden. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat Gemäß der dritten Annahme schließlich bieten die Washington verstärkt den internationalen Terrorismus USA ihren Partnern eine sicherheitspolitische Rück- ins Visier genommen und seine sicherheitspolitische, versicherung (reassurance) und können dadurch eben- geheimdienstliche und auch militärische Zusammen- falls Einfluss auf das außenpolitische Verhalten dieser arbeit mit den Golfstaaten entsprechend ausgerichtet. Länder ausüben. Durch amerikanische Sicherheits- Zudem nehmen »hybride« bzw. »asymmetrische« Bedro- zusagen, untermauert durch eine entsprechende mili- hungen, die die Grenze zwischen Innen und Außen tärische Präsenz, könne Washington sowohl dem Miss- durchbrechen, zumindest auf deklaratorischer Ebene trauen der Golfstaaten untereinander als auch der einen immer höheren Stellenwert in der Zusammen- Bedrohung dieser Länder durch den Iran entgegen- arbeit zwischen den USA und den GKR-Staaten ein. wirken. Die USA, so die Annahme, tragen damit Dessen ungeachtet stützt sich, worauf im folgenden wesentlich zur »Mäßigung« der Sicherheitspolitik der Kapitel näher eingegangen wird, die Sicherheits- und Golfstaaten bei. Verteidigungspolitik der USA am Persischen Golf wei- Auch dieses Verständnis einer hegemonialen Rolle terhin auf Instrumente, die in erster Linie auf zwischen- zieht sich durch die Geschichte des US-Engagements staatliche Konfliktszenarien ausgerichtet sind. Dies am Persischen Golf, wenngleich der mäßigende Effekt zeigt sich etwa an der Aufrechterhaltung von mili- dieses Einflusses, den sich Washington von seinen tärischen Stützpunkten und der unveränderten Prä- Sicherheitszusagen erhoffte, oft fragwürdig blieb. Wäh- senz des US-Flottenverbands sowie an der Ausrichtung rend des Iran-Irak-Krieges von 1980 bis 1988 verfolgten der Rüstungskooperation auf »Big-Ticket«-Güter wie die USA einen wechselvollen Kurs zwischen Neutrali- Panzer, Kampflugzeuge oder Waffen zur Abwehr bal- tät, einer verdeckten Unterstützung des Irans und listischer Raketen. Andrew J. Bacevich kommt mit einer zunehmend offenen Unterstützung für den Irak. Blick auf die Geschichte der Sicherheitspolitik der USA Die Reagan-Administration begründete diesen Schlin- im Mittleren Osten zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Es sei nahezu ein Konsens unter amerikanischen Poli- 14 Jeffrey R. Macris, The Politics and the Security of the Gulf. Anglo- tikern und ihren Militärberatern gewesen, dass die American Hegemony and the Shaping of a Region, Abingdon: Rout- ledge, 2010, S. 207. 16 Sick, »The United States and the Persian Gulf« [wie Fn. 1], 15 Für eine Darstellung der innenpolitischen Diskussion in S. 302–303. den USA zu diesem Thema vgl. Christopher M. Blanchard, 17 Migdal, Shifting Sands [wie Fn. 10], S. 281. Saudi Arabia: Background and U.S. Relations, Washington, D.C.: 18 Julie Hirschfeld Davis/David E. Sanger, »Obama Pledges Congressional Research Service (CRS), 20.9.2016 (CRS Report More Military Aid to Reassure Persian Gulf Allies on Iran RL33533), S. 18. Deal«, in: New York Times, 14.5.2015. SWP Berlin US-Hegemonie am Persischen Golf Oktober 2017 10