FORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN Nr. 2401 Herausgegeben im Auftrage des Ministerprasidenten Heinz KUhn yom Minister fUr Wissenschaft und Forschung Johannes Rau Prof. Dr. -Ing. Dres. h. c. Herwart Opitz Prof. Dr. -Ing. Wilfried Konig Dr. -Ing. Gerd Sulzer Dipl. -Ing. Konstantin Bouzakis Laboratorium fUr Werkzeugmaschinen und Betriebslehre der Rhein. -Westf. Techn. Hochschule Aachen Verschlei{3untersuchungen beim Walzsto{3en von Geradverzahnungen Westdeutscher Verlag 1974 © 1974 by Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag ISBN-13: 978-3-531-02401-1 e-ISBN-13: 978-3-322-88253-0 DOl: 10.1007/978-3-322-88253-0 INHALT Seite 1. EINLEITUNG 1 2. ANALYSE DER ZERSPANKINEMATIK BEIM WALZ STOaEN 3 2. 1 Bestimmung der Spanungsquerschnitte 6 2.2 Kollisionsberechnung fUr den Ruckhub 14 3. VERSCHLEWUNTERSUCHUNGEN 23 3.1 Prinzipielles VerschleWverhalten 24 3.2 Standzeituntersuchungen bei Auaenverzahnungen 28 3.2. 1 Einflua des Walzvorschubs 29 3.2.2 Einflua der Zweischnittbearbeitung 31 3.2.3 Einflua der Schnittgeschwindigkeit 36 3.3 Standzeituntersuchungen bei Innenverzahnungen 39 3.3. 1 Einflua des Walzvorschubs 41 3.3.2 Einflua der Schnittgeschwindigkeit 45 3.3.3 Einflua der Zweischnittbearbeitung 47 3.4 Ubertragbarkeit der gefundenen Ergebnisse 52 3.4.1 Radbreite 54 3.4. 2 Zahnezahl 55 4. WALZSTOaEN MIT HARTMETALL 57 4.1 Schneidrad mit HM-Wendeplatten 58 4.2 Versuchsergebnisse 59 5. ZUSAMMENFASSUNG 63 6. SCHRIFTTUM 65 VERWENDETE KURZZEICHEN A auslaufende Flanke (Werkzeugflanke, die eine Zahn lucke yom FuJ3 zum Kopf ausarbeitet) AB Abhebebetrag beim Ruckhub AV seitlicher Achsversatz DH Doppelhub E einlaufende Flanke (Werkzeugflanke, die eine Zahn lUcke yom Kopf zum FuJ3 ausarbeitet) K Kopf VB maxim ale VerschleiJ3m arkenbreite W Verdrehwinkel fUr Koordinatensystem e a Tauchtiefe b Radbreite m Normalmodul n Doppel:1.ubzahl s WiHzvorschub v Schnittgeschwindigkeit z Ziihnezahl a Normaleingriffswinkel Schriigungswinkel Verdrehwinkel Indices 1 Schneidrad 2 Werkrad r radial - 1 - 1. EINLEITUNG In der industriellen Fertigung besteht eine stiindige Forderung nach er h6hter Wirtschaftlichkeit Q.er eingesetzten Fertigungsverfahren. Im Be reich der spanenden Fertigung fiihrte dies zu einer fortlaufenden Verbes serung der verwendeten Werkzeugmaschinen und Schneidstoffe. Dabei ist eine deutliche Wechselwirkung zu beobachten: verbesserte Schneidstoffe verlangten leistungsfiihigere Werkzeugmaschinen, verbesserte Werk zeugmaschinen erlaubten wiederum die Anwendung leistungsfiihigerer Schneidstoffe. In den vergangenen Jahren wurden auf dem M aschinensektor bedeutende Fortschritte erzielt. Es stehen heute Wiilzstoamaschinen zur Verfiigung, die Hubzahlen bis zu 2500/min aufweisen. Auf Grund der hohen Steifig keit erlauben sie auch den Einsatz von Hartmetall. Gleichzeitig erm6g lichen diese M as chinen eine gezielte Schnittaufteilung, wobei die M ehr schnittbearbeitung und das Wiilzstoaen mit Differential zu nennen sind [1,3] . Von der Werkzeugseite her stehen hochleistungsfahige Schnellarbeitsstiih le und Hartmetalle zur Verfiigung, die erh6hten Bearbeitungsbedingungen gerecht werden. Die Zerspankinematik iibt einen erheblichen, jedoch schwer erfaabaren Einflua auf die Schneidenbelastung aus. Daher kommt solchen Untersu chungen besondere Bedeutung zu, die die Zerspankinematik beim Wiilz stoaen und deren Auswirkungen auf den Zerspanprozea erfassen. Ziel dieses Berichts ist daher zum einen die analytische Beschreibung der Zerspankinematik und zum anderen die Erfassung der wichhgsten geometrischen und kinematischen Einfluagr6aen auf das Verschleiaver halten von HSS- und HM-Schneidriidern. - 3 - 2. ANALYSE DER ZERSPANKINEMAT1K BElM WALZSTOSSEN Zum besseren Verstandnis der im folgenden verwendeten Begriffe sind in Bild 1 die Bezeichnungen an der Paarung Stoarad - Werkrad erklart. Der Walzstoavorgang laat sich im wesentlichen in 4 Bewegungen unter teilen: Oz I i.o-___ ________ A _ ___________- l Bild 1: Bezeichnungen an der Paarung Stoarad - Werkrad a) Die S c h nit t b eWe gun g Sie wird vom Stoarad ausgefUhrt und erfolgt mit der uber dem Arbeits hub veranderlichen Schnittgeschwindigkeit v. Die Richtung ist durch den Schragungswinkel der Verzahnung gegeben und wird durch eine Fuh rungsbuchse mit der entsprechenden Steigung verwirklicht. b) Die Walzbewegung Zur Ausbildung des Zahnprofils walzen Schneidrad und Werkrad mitein ander ab, wobei als Walzvorschub s der je Doppelhub (=Arbeits- + Ruck hub) am Teilkreis zuruckgelegte Weg bezeichnet wird. Er ist vergleich bar mit dem durch die Axialteilung am Walzfraser bedingten Vorschub von Fraserzahn zu Fraserzahn. 1m Gegensatz zum Walzfrasen laat sich der Walzvorschub hier jedoch durch einen eigenen Getriebezug beliebig verandern. Dem Walzvorschub s des Schneidrads uberlagert sich bei Schragverzahnungen eine zusatzliche, uber dem Hub periodische Dreh bewegung. Zwischen Schneidrad - Walzwinkel. rp und Werkrad - Walz winkel1J! besteht folgender Zusammenhang: - 4 - Hierbei bedeuten: Zi:ihnezahlen von Schneidrad und Werk rad (bei Innenverzahnungen ist z2 ne gativ) , zusi:itzliche Verdrehung des Stoarades zur Erzielung des Schri:igungswinkels p, zusatzliche Verdrehung des Schneidrads zur Schnittaufteilung (z. B. durch Dif ferential) . Die zusi:itzliche Verdrehung cP d kann theoretisch beliebig eingeleitet wer den und zwar einm alig zusammen mit dem Radialvorschub zum seitlichen Versatz der vorgeformten Lucke gegenuber der fertigen Zahn Wc ke (Schnitt auft eil ung), kont i n u i e rl i c h zur Herstellung von Primzahlri:idern, per i 0 dis c h jeD 0 p pel hub zur Herstellung von konischen und balligen Zi:ihnen. c) Der Radialvorschub s r Zu Beginn des Stoavorgangs stehen Werkrad und Schneidrad auaer Ein griff. Uber den Radialvorschub sr werden Stoarad und Werkrad urn die Tauchtiefe A A auf den erforderlichen Achsabstand A gebracht. A A li:iat sich einmalig oder in mehreren Schritten (Rundgangen) zustellen, dem entsprechend gilt die Bezeichnung Ein- oder M ehrschnittverfahren. Es ist auch ein kontinuierlicher Radialvorschub uber den gesamten Verzahnvor gang und anschlieaendes Schlicht en m6glich (spiralige Zustellung). d) Der Ruckhub Da der Wi:ilzvorschub unabhangig von der Hublage des Schneidrads konti nuierlich erfolgt, ist es erforderlich, wi:ihrend des Ruckhubs das Schneid rad auaer Eingriff zu bringen. Bei den neueren Maschinen geschieht dies durch geringfilgiges Zuruckschwenken der Stoaspindel. In Bild 2 sind die wichtigsten Einfluagr6aen auf die Spanungsgeometrie und den Verschleia beim Walzstoaen aufgefilhrt. Die auftretenden Belastungen der Schneidradzi:ihne werden zum einen durch die Spanungsquerschnitte, zum andern durch technologische Fak toren bestimmt. Die Spanungsquerschnitte ergeben sich aus den Ver zahnungsdaten wie Modul, Zahnezahlen usw. sowie aus den verwirklich ten Vorschuben s, sr und sd' Bei Schragverzahnungen andert sich der Spanungsquerschnitt in Zahnlangsrichtung in Abhangigkeit von Radbrei- - 5 - te und Schriigungswinkel. StoBrad Werkrad Bearbeitung I Eingriffswinkel a( Zahnezahl z2 wa Izvorschub s I Modul m Profilv. Faktor x2 zusatzl. Verdrehung Zahnezahl zl I ZahnhOhentaktor Y2 I des StoBrads sd Profilv. Faktor xl Schragungs- Radialvorschub sr I Zahnhahentaktor YI I winkel flo Schnlttaufteilung I I I I I I JLs panungsqUerSchnitt~ I Schnlttgeschw. Schneldengeometrle Radbreite Maschine Werkstoff Werkstoff I Autsp,annung I KOh mittel I I I 1 lJ Schnlttkr3fte + . l VerschlelB J Bild 2: Einflu~gr0J3en beim Wiilzsto~en Die Radbreite beeinflu~t direkt die Schnittliinge und damit - zusammen mit dem Werkradmaterial und der Schnittgeschwindigkeit - den Ver schlei~_ Die Schneidengeom etrie, d. h. Freiwinkel, Spanwinkel und Kantenabrundung sowie der Werkstoff des Schneidrads, wirken sich ebenfalls auf Schnittkriifte und Verschlei~ aus. Weitere Einflu~gro~en sind die Steifigkeit der M aschine und der Aufspannung sowie das verwen dete Kiihlschmiermittel. Die Spanungsquerschnitte beeinflussen in starkem Ma~e die Schneiden belastung und damit den Verschlei~. Die Auswirkung der geometrischen Parameter auf die Spanungsquerschnitte konnte bisher nicht exakt er- fa~t werden, so da~ eine Optimierung der Einsatzbedingungen nur in Ein zelfiillen durch Verschlei~- und Standzeitversuche moglich War. In vie len Verzahnungsfiillen werden die erreichbaren Bearbeitungsbedingungen durch die Kollisionsgefahr des Schneidrads beim Riickhub eingeschriinkt. Dies gilt vor allem fUr Innenverzahnungen, wo mangels genauer Berech nungsmoglichkeit aus Sicherheitsgriinden nur geringe Wiilzvorschiibe ver wirklicht werden. 1m folgenden wird zuniichst iiber die Ermittlung der Spanungsquerschnitte berichtet. Daran schlie~t sich ein Abschnitt an, der sich mit der Kolli sionsgefahr beim Riickhub des Schneidrads beschiiftigt. 1m Anschlu~ da ran wird dann, aufbauend auf diesen theoretischen Erkenntnissen, in prak tischen Untersuchungen an Au~en- und Innenverzahnungen dem Einflu~ der wichtigsten, oben genannten Parameter auf den Verschlei~ nachge gangen. - 6 - 2.1 Bestimmung der Spanungsquerschnitte beim Walzstol3en Die exakte Bestimmung der Spanungsquerschnitte beim Walzstol3en war bisher wegen der gekriimmten Schneidkante des Werkzeugs und wegen des komplizierten Eindringvorgangs der Schneide in das Werkrad mit grol3en Schwierigkeiten verbunden. Es sind Naherungswerte bekannt, die jedoch zum Teil nur die mittleren und maximalen Spanungsdicken beriicksichti gen, wahrend der genaue Verlauf der Spanungsquerschnitte sowie die auf tretenden kleinsten Spanungsdicken weitgehend unbekannt sind [1, 2, 7J . Es wurde daher ein Digitalrechner-Programm entwickelt, das die genaue Ermittlung der beim Walzstol3en auftretenden Spanungsquerschnitte er laubt [6,7]. Samtliche Bewegungen von Schneidrad und Werkrad werden durch Rotatio nen und Verschiebungen geeigneter Koordinatensysteme beschrieben. Bild 3 zeigt die verwendeten Koordinatensysteme. Bild 3 : Verwendete Koordinatensysteme zur Bestimmung der Spanungsquerschnitte CD In System wird die hergestellte Zahnliickenkontur in einer oder in ® mehreren Schnittebenen erfal3t. System kennzeichnet die Lage der ® Zahnliicke auf dem Werkrad. Durch die Verdrehung von System ® gegeniiber System wird die Werkraddrehung simuliert. Die Ver ® CD schiebung von System gegeniiber System kennzeichnet den Achs abstand sowie den seitlichen Tischversatz. Eine Veranderung des Ab standes C34x pro Doppelhub entspricht der Radialvorschubbewegung. ® Das Werkzeug wird durch einen Schneidzahn in System beschrieben, 0 das sich gegeniiber dem raumfesten System urn den Walzwinkel rp = W 45 dreht. Die Schnittbewegung wird durch die periodische Veran de rung des Abstandes C34z verwirklicht. Bei Schragverzahnungen iiber- - 7 - lagert sich eine zusatzliche Drehbewegung des Schneidrads. Mit diesem Berechnungsverfahren werden samtliche Verzahnungs- und Bearbeitungsbedingungen, wie sie im oberen Teil von Bild 2 aufgefUhrt sind, berticksichtigt. Die Bestimmung der Spanungsquerschnitte geschieht wie folgt: Ein Zahn des Schneidrads, der ein beliebig korrigiertes Profil aufweisen kann, beschreibt einen Arbeitshub. Dabei durchdringt er eine oder meh rere Schnittebenen, in denen die Spanungsquerschnitte bestimmt weraen sollen. Die Durchdringung in einer Schnittebene liefert die wirksame Schneidenkontur in dieser Schnittebene. Sie wird anschlieaend mit der momentanen Zahnltickenkontur zum Schnitt gebracht. Daraus resultieren zum einen die in dieser Schnittebene und bei diesem Arbeitshub auftre tenden Spanungsquerschnitte, zum andern ergibt sich die neue momenta ne Zahnltickenkontur, wie sie fUr den nachsten Arbeitshub vorliegt. Der Zahn des Schneidrads wird entlang der Schneidkante in n Abschnitte aufgeteilt und durch einen Polygonzug ersetzt. Die erforderliche Zahl von Abschnitten hangt von den Krtimmungsverhaltnissen an der Schneide und der geforderten Genauigkeit abo Der Spanungsquerschnitt einer Schnittebene und eines Arbeitshubs wird entsprechend den Schneidenabschnitten in Segmente aufgeteilt, deren Hohe die tatsachlichen Spanungsdicken bilden. Die anschlieaende Abwick lung der Schneidkante samt Spanungsquerschnitten liefert ein anschauli ches und quantitativ auswertbares Bild. In Bild 4 sind verschiedene Arbeitshtibe (=Walzstellungen) mit den dazu gehorigen Spanungsquerschnitten dargestellt. Es handelt sich dabei urn einen praxistiblichen Verzahnungsfall mit folgenden Daten: Einschnittbe arbeitung; m = 1 mm; B = 00; zl = 100; z2 = 40; Walzvorschub s = 0,35 mm/DH, d. h. 900 Doppelhtibe je Schneidradumdrehung. Der gesamte Schnittvorgang teilt sich dabei in 30 Doppelhtibe je Zahnlilcke auf, von denen 10 im Bild dargestellt sind. Zur besseren Verdeutlichung sind die Spanungsdicken in der Abwicklung zehnfach vergroaert darge stellt. Die maximalen Spanungsdicken treten - wie bekannt [7] - am Zahnkopf auf, wahrend sich am Ubergang zur auslaufenden Flanke sehr dtinne Spane bilden. Insgesamt rallt auf, daa im Laufe der Ausbildung einer Zahnlilcke sehr unterschiedliche Spanungsquerschnitte an dem gleichen Schneidradzahn auftreten. Bild 5 gibt den Verlauf samtlicher Spanungsquerschnitte bei der Her stellung einer Zahnlilcke wieder. Dabei sind Spanungsquerschnitte maa stabsgetreu tiber der Schneidkantenabwicklung aufgetragen. Mit Hilfe der eingezeichneten Spanbegrenzungslinie lassen sich die Lange des im Eingriff befindlichen Teils der Schneidkante sowie die Spanform bestim men: von Walzstellung 3 bis 17 entstehen U-fCirmige Spane, die sich tiber einlaufende Flanke, Kopf und auslaufende Flanke erstrecken. Von Walz stellung 18 bis 26 teilt sich der Span in einen L-fCirmigen an einlaufender Flanke und Kopf und einen kommafOrmigen an der auslaufenden Flanke.