Theorie und Praxis der Diskursforschung Herausgegeben von R. Keller, Augsburg, Deutschland Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich im deutschsprachigen Raum quer durch die verschiedenen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen eine lebendige Szene der diskurstheoretisch begründeten empirischen Diskurs- und Dispositiv- forschung entwickelt. Vor diesem Hintergrund zielt die interdisziplinär angelegte Reihe durch die Veröffentlichung von Studien und Diskussionsbeiträgen auf eine weitere Profilschärfung der Diskursforschung. Die aufgenommenen und aufzuneh- menden Veröffentlichungen sind im gesamten Spektrum sozialwissenschaftlicher Diskursforschung und angrenzenden Disziplinen verortet. Die einzelnen Bände beschäftigen sich mit theoretischen und methodologischen Grundlagen, metho- dischen Umsetzungen und empirischen Ergebnissen der Diskurs- und Dispositiv- forschung. Zudem kommt deren Verhältnis zu anderen Theorieprogrammen und Vorgehensweisen in den Blick. Veröffentlicht werden sowohl empirische Studien wie theoretisch oder methodologisch ausgerichtete Monographien wie auch Dis- kussionsbände zu spezifischen Themen. Herausgegeben von Reiner Keller, Universität Augsburg Joannah Caborn Wengler • Britta Hoffarth ę Łukasz Kumi ga (Hrsg.) Verortungen des Dispositiv-Begriffs Analytische Einsätze zu Raum, Bildung, Politik Herausgeber Joannah Caborn Wengler Britta Hoff arth Duisburger Institut f. Sprach- und Universität Halle-Wittenberg Sozialforschung (DISS) Deutschland Duisburg, Deutschland Łukasz Kumięga Universität Warschau, Polen Herausgegeben mit fi nanzieller Unterstützung der Stift ung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Wydano z fi nansowym wsparciem Fundacji Współpracy Polsko-Niemieckiej. Gutachter: Dr. habil. Waldemar Czachur (Universität Warschau) ISBN 978-3-531-17920-9 ISBN 978-3-531-94260-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-94260-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Zur Poetik des ‚dispositif turns’? ......... 37 II Forschend-erkundende Perspektiven.......................................................... 55 David Eugster Mikrodispositive: Die kurze Geschichte eines Automatenladens ................. 57 Annette Silvia Gille Die Ökonomisierung von Bildung und Bildungsprozessen aus dispositivanalytischer Sicht ........................................................................... 73 Britta Hoffarth Schmutzige Witze. Erkundung eines Bildungsereignisses im Geschlechter-Dispositiv ................................................................................ 91 Nadine Rose Gebildete Körper – Verkörperte Ordnungen. Subjektivierungen im Ausländer-Dispositiv .................................................................................. 111 6 (cid:44)(cid:81)(cid:75)(cid:68)(cid:79)(cid:87) Brigitte Kratzwald Die dispositive Konstruktion von Markt und Wettbewerb – Implementierungsstrategien neoliberaler Sozialpolitik ............................... 129 (cid:224)ukasz Kumi(cid:266)ga Das Dispositiv des Politischen am Beispiel des Rechtsextremismus in Deutschland ............................................................................................. 145 Georg Winkel ‚Dispositif turn’ und Foucaultsche Politikanalyse – Reflektionen zur Dispositivanalyse am Beispiel des Politikfeldes Wald ............................... 167 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ......................................................... 199 Einführung: Zum Potenzial des Foucaultschen Dispositivkonzepts 7 Einführung: Zum Potenzial des Foucaultschen Dispositivkonzepts Joannah Caborn Wengler, Britta Hoffarth, (cid:224)ukasz Kumi(cid:266)ga 1 Dispositivanalyse und Transdisziplinarität Die Wissenschaftlerinnen verschiedenster Disziplinen, die sich während der 19. Internationalen Jahrestagung der Gesellschaft für Sprache und Sprachen in Frei- burg in der Sektionssitzung "Dispositive Turn in den Sprach- und Sozialwissen- schaften?" zusammenfanden und im vorliegenden Band publizieren, wurden motiviert vom gemeinsamen Interesse an einer methodologischen, empirischen und konzeptionellen Diskussion des Dispositivkonzepts. Die Erziehungswissen- schaftler_innen, Soziolog_innen, Sprachwissenschaftler_innen, Forstwissen- schaftler_innen, Bildungsexpert_innen und Politolog_innen, kurz: Vertrete- r_innen aus verschiedenen Bereichen der Sozial- und Gesellschaftswissenschaf- ten einte das Anliegen, das in der letzen Zeit in der deutschsprachigen post- foucaultschen Diskursforschung verhandelte Konzept des Dispositivs auf seine empirischen, theoretischen und machtanalytischen Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinär oder besser gesagt: transdisziplinär zu überprüfen. Den Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes bildet die Beobachtung, dass der Foucaultsche Diskursbegriff und die ihm zugrunde liegenden Vorstellungen der (sozialen) Welt inzwischen als etablierter Theorie- und Analyserahmen für diverse wissenschaftliche Disziplinen zur Geltung kommen. Dies ist vor allem für die Sprach- und Sozialwissenschaften, aber inzwischen auch für Literatur-, Politik-, Geschichts- und Erziehungswissenschaften festzustellen. In diesem Sinne kann man von einer gewissen Institutionalisierung der postfoucaultschen Diskursforschung sprechen, die sich in der Zahl der wissenschaftlichen Publika- tionen, Lehrbücher, Bücherreihen, Fachzeitschriften sowie in dem Angebot uni- versitärer Seminare manifestiert. Dieser Umstand gibt zugleich Anlass zur kriti- schen Betrachtung des relativ breiten Feldes der deutschsprachigen Diskursfor- schung, die sich im Anschluss an die Arbeiten Foucaults entwickelt hat. Auch im Kontext einer Würdigung bisher erzielter Forschungsergebnisse lässt sich die Frage formulieren, in welcher Weise die vom foucaultschen Werk ausgehenden Impulse bis dato für die Zwecke der Analysen der sozialen Wirklichkeit in ihren Möglichkeiten genutzt, weiterentwickelt und präzisiert wurden. J. Caborn Wengler et al. (Hrsg.), Verortungen des Dispositiv-Begriffs, Theorie und Praxis der Diskursforschung, DOI 10.1007/978-3-531-94260-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 8 Joannah Caborn Wengler, Britta Hoffarth, (cid:224)ukasz Kumi(cid:266)ga Vor diesem Hintergrund sowie im Kontext aktueller methodologischer und methodischer Diskussionen des Diskurskonzepts (vgl. z.B. Diaz-Bone 2010, Jäger 2005, Spitzmüller/Warnke 2011, Wodak et al. 2010) geht es wesentlich um die Frage, worin der Mehrwert der an Foucault anknüpfenden Perspektive zu finden ist, wenn sich diese nicht allein in einer Analyse des Sprachlichen er- schöpft. Fragen, welche in diesem Zusammenhang formuliert werden, sind z.B.: • Wie verhält es sich mit der Tragfähigkeit der Trennung von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken und wie ließe sich Gegenständliches jenseits oder diesseits dieser Trennung diskursanalytisch angemessen erfassen (vgl. etwa Bauriedl 2007)? • Inwiefern ermöglicht die Trennung zwischen Diskursivem und nicht Diskursivem bzw. das sie jeweils verbindende dispositivspezifische Netz die Entwicklung einer machtanalytischen Perspektive? • Welche synergetischen Effekte ergeben sich, sofern die Diskursanalyse mit anderen methodischen Vorgehen kurzgeschlossen wird (vgl. etwa. Keller 2007, Tuider 2007)? Gewissermaßen im Stil dieser Überlegungen, die sich einem angesprochenen Mehrwert sowie einer methodologischen Präzisierung und Öffnung einer dis- kurstheoretisch interessierten Empirie erkundend zu nähern versuchen, operiert der vorliegende Band. Die Frage nach dem „Mehr“ der Diskursforschung wird im Folgenden unter der Perspektive des Foucaultschen Dispositivkonzepts adres- siert. Ganz unterschiedliche Konzeptionen der Integration des Dispositivbegrif- fes in die wissenschaftliche Debatte liegen bereits vor, die sich in wenigstens drei Gruppen unterscheiden ließen. Einige Versuche, die innerhalb der sozialwis- senschaftlichen und der kritischen Variante der Diskursforschung formuliert wurden, gehen von der Annahme aus, dass der Dispositivbegriff als eine weitere analytische Kategorie angesehen werden kann, mit der die bisher entwickelten Überlegungen zum Diskursbegriff ergänzt werden (wie beispielsweise um die Aspekte der materiellen und ideellen Infrastruktur des Diskurses, der nicht- diskursiven Praxen, Subjektivitäten oder Vergegenständlichungen/Sichtbarkeiten und ihrer Machtwirkungen und –verschränkungen; vgl. dazu z.B. Keller 2005, Jäger 2001, Link 2007). Eine weitergehende Konzeption postuliert die Möglich- keit der Etablierung einer neuen Forschungsperspektive und spricht sogar von der „dispositiven Konstruktion der Wirklichkeit“ (vgl. Bührmann/Schneider in diesem Band), worunter die „Konstruktion von Wirklichkeit über diskursive und nichtdiskursive Praktiken in ihren sowohl symbolischen wie auch materiellen Äußerungsformen“ (Bührmann/Schneider 2008: 85) verstanden wird. Überdies gibt es außerhalb der Diskursforschung im Kontext interdisziplinärer und er- kenntnistheoretisch divers angelegter kritischer Ansätze, wie beispielsweise Einführung: Zum Potenzial des Foucaultschen Dispositivkonzepts 9 innerhalb der Gender Studies, der Gouvernmentality Studies oder der Medien- wissenschaften, das Bestreben, mit dem Foucaultschen Dispositivkonzept die je eigenen Gegenstände zu erarbeiten (vgl. dazu die Einleitung bei Bührmann und Schneider in diesem Band). Abgesehen von den Unterschieden, die zwischen den einzelnen Integrati- onsversuchen des Dispositivbegriffs in aktuellen diskurstheoretischen sowie außerdisziplinären Debatten vorliegen, ist ihnen die Auffassung gemeinsam, dass sich mit dem Dispositiv konzeptuell die Möglichkeit bietet, neue, spezifisch machttheoretisch sensibilisierte Akzentuierungen bei der Erforschung sozialer Wirklichkeiten zu setzen sowie neue Dimensionierungen des begrifflichen Werkzeugs vorzunehmen. Es stellen sich in dem Kontext einige Fragen, die bisher nicht präzise beantwortet wurden, welche die im vorliegenden Band heu- ristisch präsentierten Zugänge begleiten werden. Eine generelle Frage, die ge- stellt werden kann und die zum Teil auch in den folgenden Beiträgen eine Rolle spielen wird, lautet: In welchem Verhältnis sind Diskurs- und Dispositivfor- schung theoretisch wie empirisch zueinander zu sehen und welchen Mehrwert einer machtanalytischen Perspektive verspricht ihre Synthese? Daraus ergeben sich weitere Fragen, deren Implikationen im Folgenden kurz umrissen werden: • Welche metawissenschaftlichen Konzepte sind unabdingbar beim Arbeiten mit dem Dispositivkonzept? Reicht diesbezüglich das Prinzip der Interdisziplinarität aus? (1) • Welche Aspekte sozialer Wirklichkeiten ist man in der Lage mit dem Dispositivbegriff abzudecken und welche bleiben eher unberück- sichtigt? (2) • Verbindet sich mit der stärkeren Berücksichtigung des Dispositiv- konzepts ein paradigmatischer Wechsel in Theorie und Methodologie? (3) (1) Zum einen stellt sich also die Frage nach der praktisch-empirischen Umset- zung des Dispositivkonzepts, sofern es in seiner Angelegenheit als analytische und nicht allein als theoretische Kategorie ernst genommen wird. Die zunächst unspezifische Breite dieses Konzepts macht es erforderlich, über die jeweiligen disziplinären Grenzen hinauszuschauen, um das Potenzial des Dispositivs zu- mindest ansatzweise erfassen zu können. Die bis heute stark praktizierende Trennung der Wissenschaften in verschie- dene Disziplinen entsteht aus der Notwendigkeit der Spezialisierung, welche es der Wissenschaft erlaubt, ihre Erkenntnisse zu vertiefen und die Welt in ihren Details zu analysieren. Riskant sind aber diese Bewegungen der Spezialisierung insofern, wenn sie Verbindungen zwischen in der sozialen Wirklichkeit eng
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