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»Vernünftige Ärzte«: Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung PDF

244 Pages·2002·6.498 MB·German
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Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 19 Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Vernünftige Àrzte" Hallesche Psychomediziner und die Anfange der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung Herausgegeben von Carsten Zelle Max Niemeyer Verlag Tübingen Wissenschaftlicher Beirat: Karol Bai, Manfred Beetz, Jörn Garber, Notker Hammerstein, Hans-Hermann Hartwich, Andreas Kleinert, Gabriela Lehmann-Carli, Klaus Luig, François Moureau, Monika Neugebauer-Wölk, Alberto Postigliola, Paul Raabe, Hinrich Rüping, Richard Saage, Gerhard Sauder, Jochen Schlobach, Heiner Schnelling, Udo Sträter, Heinz Thoma Redaktion: Holger Zaunstöck, Hans-Joachim Kertscher Satz: Kornelia Grün Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme „ Vernünftige Ärzte" : Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung / hrsg. von Carsten Zelle. - Tübingen: Niemeyer, 2001 (Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung; 19) ISBN 3-484-81019-X ISSN 0948-6070 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer- tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektroni- schen Systemen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. Druck: ΑΖ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Geiger, Ammerbuch Inhalt CARSTEN ZELLE: Vorbemerkung 1 I. Hallesche Psychomedizin im Spannungsfeld von Tradition und Moderne CARSTEN ZELLE: Sinnlichkeit und Therapie. Zur Gleichursprünglichkeit von Ästhetik und Anthropologie um 1750 5 JOHANNA GEYER-KORDESCH: Psychomedizin - die Entwicklung von Medizin und Naturanschauung in der Frühaufklärung 25 WOLFRAM MAUSER: Johann Gottlob Krüger. Der Weltweise als Arzt - zur Anthropologie der Frühaufklärung in Deutschland 48 FRIEDRICH VOLLHARDT: Christliche und profane Anthropologie im 18. Jahrhundert: Beschreibung einer Problemkonstellation im Ausgang von Siegmund Jacob Baumgarten 68 ANDREAS KLEINERT: Christian Gottlieb Kratzensteins Schriften zur psychosomatischen Medizin 91 II. Die Welt der Einbildungskraft — zwischen Ästhetik und Therapie GABRIELE DÜRBECK: Physiologischer Mechanismus und ästhetische Therapie. Emst Anton Nicolais Schriften zur Psychopathologie 104 ALEXANDER KOSENINA: „Es leihe [...] Trost der männertollen Dirne". Beiträge über Nymphomanie aus dem Umkreis von Ernst Anton Nicolai 120 JUTTA HEINZ: .Gedanken' über Gott und die Welt. Die Erprobung der Anthropologie im Essay bei Meier, Krüger und Nicolai 141 VI HANS-WALTER SCHMIDT-HANNISA: Johann Gottlob Krügers geträumte Anthropologie 156 III. Die Ausstrahlung der Halleschen Psychomedizin in die Spätaufklärung CARSTEN ZELLE: Experimentalseelenlehre und Erfahrungsseelenkunde. Zur Unterscheidung von Erfahrung, Beobachtung und Experiment bei Johann Gottlob Krüger und Karl Philipp Moritz 173 MATTHIAS REIBER: Johann August Unzers Wochenschrift Der Arzt (1759-1764). Oder: Wie man das Wissen vom Menschen mit Erfolg verbreitet 186 HANS-UWE LAMMEL: Kinds-Mord und Historiographie. Ärztlich- forensische Praxis und Reformations-Deutung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts am Beispiel von Johann Carl Wilhelm Moehsen (1722-1795) 200 ELENA AGAZZI: Gibt es eine Rezeption der Halleschen Ästhetik und Anthropologie in Italien? Überlegungen zu einer Ethik der Medizin im 18. Jahrhundert 220 IV. Register 229 Vorbemerkung Der vorliegende Band dokumentiert ein Kolloquium, das vom 8. bis 10. Oktober 1997 am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Auf- klärung (IZEA) in Halle zum Thema „Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung" stattfand. Ausgangs- punkt war die Beobachtung, daß die wesentlichen Diskurselemente, die in der gegenwärtigen 18.-Jahrhundert-Forschung unter dem Stichwort einer .anthropolo- gischen Wende' der Aufklärung diskutiert werden, auf die epistemische Gemen- gelage in Halle rückführbar zu sein scheinen. Auf diese .anthropologische Wende' der Aufklärung, d.h. auf den Wechsel von frühaufklärerischem System- zu spätaufklärerischem Erfahrungsdenken, hat sich die Erforschung des 18. Jahrhunderts im letzten Jahrzehnt konzentriert und hier ihre wesentlichsten Einsichten gewonnen. Mit der Anthropologie und ihrer spätaufklärerischen Ausdifferenzierung in Pädagogik, Ethnologie, Kulturgeogra- phie, Menschheitsgeschichte, (Auto)Biographik und anthropologischen Roman etc. konnte ein ,verlorenes Paradigma' wieder zugänglich gemacht werden, das bis dahin durch Idealismus, Hermeneutik und Historismus des 19. Jahrhunderts völlig verstellt war. Der Wiedergewinn dieses anthropologischen Paradigmas gibt den Blick frei auf epistemische Umschichtungsprozesse, durch die die .anthropologi- sche Wende' ideengeschichtlich genauer kontextualisiert und zeitlich präziser datiert werden kann. Sie vollzieht sich um 1740/50 in Halle, und zwar im interdis- ziplinären Dreieck von Philosophie, Theologie und Medizin, d.h. namentlich im ideengeschichtlichen Spannungsfeld von Wolffianismus, Thomasianismus, Pietis- mus und Stahlianismus - Denkweisen, die in Halle in der bipolaren Dynamik von preußischer Reformuniversität (seit 1694) und pietistischem Reformzentrum (Franckesche Anstalten, seit 1695) in besonderem Maße ausgeprägt und institutio- nell getragen wurden. Durch die Hypothese, daß sich die entscheidende Umschaltung von Systemden- ken auf Empirie innerhalb dieser Halleschen Konstellation vollzog, treten neben der Ästhetik, die von Alexander Gottlieb Baumgarten (1714-1762) und Georg Friedrich Meier (1718-1777) als eine .Wissenschaft von der sinnlichen Erkennt- nis' inauguriert wurde, die .vernünftigen Ärzte', d.h. der psychomedizinische Kreis um Johann Gottlob Krüger (1715-1759), Johann August Unzer (1727- 1799), Ernst Anton Nicolai (1722-1802), Johann Christian Bolten (1727-1757) und andere, in den Focus des wissenschaftsgeschichtlichen Interesses. 2 Dieser Kreis ist äußerlich durch gemeinsame Generationskohorte, philoso- phisch-medizinisches Doppelstudium, korrespondierende Titelpolitik der Publika- tionen, gegenseitiges Widmungs- und Zitierkartell, affektaffmes Forschungspro- gramm (Affektenlehre, Lachen,Weinen, Seufzen, Schmerz) sowie eine Reihe von diskurskonstituierenden Isomorphismen (z.B. paradigmatische Frontstellung gegen den Mechanismus, homologe Dispositionsmuster u.a.) charakterisiert. Gegen den im ursprünglichen Tagungstitel akzentuierten Begriff,Hallesche Psychomediziner' wurde in der Diskussionen des hier dokumentierten Kolloquiums eingewendet, daß diese Bezeichnung die Frontstellung gegen die .mechanischen Ärzte', zumal unter der aktualisierenden Perspektive einer modernen Apparatemedizin, allzu stark forciere. Eklektische Anschlußpotentiale, konzeptionelle Heterogenität, Entwick- lungsdynamik und Suchbewegung der Vorstellungen Unzers, Nicolais, Krügers u.a. würden durch diesen Begriff unnötig homogenisiert und die ,Mischkonzep- tion' - ein Begriff, den Wolfram Mauser in die Debatte der versammelten Natur- wissenschafts-, Medizin- und Literaturhistoriker einbrachte - ihrer Auffassungen nivelliert. Im Unterschied zum Begriff,Hallesche Psychomediziner', der Personen und Gruppenbildungsprozesse hervorhebe, wurden auf der Tagung sowie im an- schließenden Briefgespräch im Blick auf die heterogenen diskursiven Formen und epistemischen Spuren unterschiedliche Umschreibungen für die Problematisierung des Wechselspiels von psychologisch-seelischen mit psychologisch-körperlichen Vorgängen diskutiert - im Blick auf den konzeptionellen Ausgangspunkt in der Frühaufklärung bei Thomasius z.B. die Bezeichnung .Wegbereiter der Anthropo- logie im 18. Jahrhundert', in Hinsicht auf die Zielvorgabe Platners in der Spätauf- klärung z.B. ,Hallescher Kreis philosophischer Ärzte', in Rücksicht auf epistemi- sche Affinitäten z.B. Begriffe wie .ästhetische Medizin' oder .medizinische Psy- chologie'. Auch der Vorschlag einer .nachpietistischen physiologischen Halle- schen Philosophie und Medizin' wurde debattiert, wobei gerade diese ,postisti- sche' Formulierung, die m.E. nun doch charakteristische Diskurselemente (u.a. antimechanistische Fronstellung, Eklektik als epistemologische Vorgabe, Com- mercium-Wissenschaft und daraus folgendes philosophisch-medizinisches Bünd- nis) allzusehr abschattet, dazu führte, mit dem Wort .vernünftige Ärzte' eine zeit- genössische Selbstbezeichung als - nicht zuletzt .griffige' - Titelformulierung aufzugreifen. Der verfolgte interdisziplinäre Ansatz und die seit der Tagung vor vier Jahren vorangebrachte Arbeit lassen erkennen, daß die weitere Erforschung der hier in den Blick genommenen Prozesse zur Aufsprengung der kurrenten, im Kern noch geistesgeschichtlichen Homogenisierungen (Systemdenken, Wolffianismus u.ä.) führen wird, damit nicht länger die Sicht auf das .Herauswachsen' der Erfah- rungswissenschaften aus der Philosophischen Fakultät (Krüger), das Anthropologie und Ästhetik konstituierende Bündnis von Philosophie und Medizin (Un- 3 zer/Nicolai, Baumgarten/Meier) sowie die ästhetikaffine Psychotherapie (Bolten) durch fachwissenschaftliche Sichtbeschränkungen verstellt bleiben. Herzlich danken möchte ich Heinz Thoma, dem damaligen Geschäftsfiihrenden Direktor des IZEA, daß er meinen Forschungsimpuls früh aufgegriffen und geför- dert sowie dem Projekt .vernünftige Ärzte' durch die Annäherung an die Forscher- gruppe „Selbstaufklärung der Aufklärung. Individual-, Gesellschafts- und Menschheitsentwürfe in der Anthropologischen Wende der Spätaufklärung" schär- fere Kontur und institutionelle Perspektive gegeben hat. Mein Dank geht zugleich an Monika Neugebauer-Wölk, die derzeitige Geschäftsfiihrende Direktorin des IZEA, für die Aufnahme des Bandes in die Reihe der Halleschen Beiträge zur europäischen Aufklärung. Ohne die kompetente Redaktion von Holger Zaunstöck und Hans-Joachim Kertscher sowie die sorgfaltige Satzgestaltung durch Kornelia Grün wäre dieser Band nicht in dieser Form erschienen. Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Tagung danke ich schließlich für die Überlassung ihrer Vorträge zum Druck, ihre engagierte Diskussion und für ihre Geduld, mit der sie die Bandherstellung begleitet haben. Bochum, im Juni 2001 Carsten Zelle I. Hallesche Psychomedizin im Spannungsfeld von Tradition und Moderne

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