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Vernunft und Vernichtung: Zur Philosophie und Soziologie der Moderne PDF

315 Pages·1993·14.435 MB·German
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Johannes WeiB Vernunft und Vernichtung La derniere demarche de La raison est de reconnaitre qu 'iL y a une infinite de choses qui La surpassent. Blaise Pascal Wer hub es an? wer brachte den FLuch? von heut Ists nicht und nicht von gestern, und die zuerst Das Mafl verLoren, unsre Vater Wuflten es nicht, und es trieb ihr Geist sie. Friedrich Holderlin Johannes WeiB Vernunft und Vernichtung Zur Philosophie und Soziologie der M oderne Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Weiss, Johannes: Vernunft und Vernichtung: zur Philosophie und Soziologie der Moderne / Johannes Weiss. - Opladen: Westdt. VerI., 1993 ISBN 978-3-531-12475-9 ISBN 978-3-322-94241-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-94241-8 Aile Rechte vorbehalten © 1993 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtiich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzuHissig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir VervieWiltigungen, Ubersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Biirkle, Darmstadt Umschlagbild: Alfons Holtgreve: "professore" (1973) Gedruckt auf saurefreiem Papier ISBN 978-3-531-12475-9 INHALT ZurEinfiihrung 7 ERSTERTEIL I Die Entzauberung der Welt 16 II Die Soziologie und die Aufhebung der Philosophie 46 ill Kant und die Kritik der soziologischen Vemunft 57 ZWEITER TEIL IV AufkUirung uber Arbeit. Bemer~n und Refiexidnen uber Christian Jacob aus 72 V Wider den Universaldespotismus des Qeldes: Adam Milllers Kritik der Politischen Okonomie 83 VI Wiederverzauberung der Welt? 96 VII Instrumentelle Vemunft und romantisches BewuBtsein. Eine These 113 vm Gedankliche Radikalitat und gesellschaftliche Macht 120 IX Ober die Irreversibilitat des okzidentalen Rationalisierungsprozesses 138 X Antinomien der Modeme 148 XI Die modeme europiiische Kultur und die Grenzen der Globalisierung 160 XII K.ulturelle Kristallisation, post-histoire und Postmodeme 169 xm Der Fortschritt und der Tod 180 Exkurs Beisichselbstsein. Uber die deutsche Gemutlichkeit iSS 5 DRI'ITER TElL XIV Rationalitat als Kommunikabilitat 198 XV Verstandigun~orientierun!c und Kritik. Zur 'Theorie des kommu ativen Han elns' von Jiirgen Habermas 223 XVI Probleme einer Verwissenschaftlichung der sozialen Lebenswelt 238 XVII Die Soziologie und die Krise der westlichen Kultur 251 XVIII Die Normalitat als Krise 263 XIX Der ostliche Marxismus und die Soziologie 273 Literatur 285 Veroffentlichungsnachweise 305 Index 307 6 Zur Einfiihrung Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus hat vieles mit sich gerissen: eine komplette Herrschafts-, Sozial-und Wirtschaftsordnung, die in einer bis dahin unbekannten Weise das Leben bis an die Grenzen der Intimitat (und dariiber binaus) geregelt und bestimmt hatte; Institutionen und Lebensformen al ler Art, die nur unter diesen Rahmenbedingungen entstehen und bestehen konn ten; auf diese, und nur auf diese, Verhaltnisse eingestellte Mentalitaten, Habi tualisierungen, Wertmuster und Bediirfnislagen; Selbstwahrnehmungen, Identi taten und Lebensgeschichten, die sich von den Moglichkeiten und Grenzen dieses Systems her definierten; eine iibergreifende "Weltanschauung" schlieBlich, deren - hochwissenschaftlicher -Wahrheitsanspruch am Ende selbst diejenigen immer we niger iiberzeugt hatte, die dieser groBen Legitimation so dringend bedurften. Ob diese "Furie des Verschwindens" mit dem real existierenden auch die Realisierungschancen aller idealen Sozialismen vernichtet hat, hat, ist eine Frage, die ganz dazu angetan ist, noch viele Universitatsseminare, Podiumsdiskussionen und Feuilletons zu beschiiftigen, und zwar nicht zuletzt deswegen, well sich hier moralische Wiinschbarkeiten oder Unabweisbarkeiten aufs engste mit be grifflichen Unklarheiten und empirischen Unwagbarkeiten verbinden. Mit Sicher heit aber laBt sich behaupten, daB eine Idee endgiiltig zu verabschieden ist, ohne welche es unter anderem den Sozialismus/Kommunismus nicht gegeben hatte, auch und insbesondere nicht in seiner sowjetischen, yom Marxismus-Leninismus und yom Stalinismus gepragten Gestalt. Es handelt sich urn die Idee, daB die Menschheitsgeschichte einen objektiven Fortschritts-und Vollendungssinn in sich trage, daB dieser ganz und gar innerwelt lichen Charakters und deshalb von der WlSsenschaft aufzudecken sei und daB er sich in einer bestimmten, auf streng wissenschaftlicher Basis zu vollziehenden Ge staltung der "Welt des Menschen" (K. Marx) erfiillen werde. Dieses Vorstel lungssyndrom blldet sich im engsten Zusammenbang mit der Entstehung der em pirischen (oder besser: empirisch seinwollenden) Gesellschaftswissenschaften im 19. Jahrhundert heraus. Es ist der Kern der von Theoretikern wie Saint-Simon, A Comte und eben Karl Marx vertretenen Fortschritts-und Modernisierungstheorie. Deren differentia specifica liegt ja in der Annahme, daB der Fortschritts-und Mo dernisierungsprozeB zwar in seinem Verlauf mancherlei Schwierigkeiten iiberwin den und auch mancherlei -verdientes wie unverdientes -Leid iiber die Menschen bringen roiisse, daB er im Ergebnis aber ganz unvermeidlich VerhaItnisse hervor bringen werde, die in jeder nur denkbaren Hinsicht als unbezweifelbar gut, ja voll- 7 kommen zu gelten hatten. Eben dies werde, so nahm man an, durch die Wissenschaft, und zwar in letzter Instanz durch die Wissenschaft von der Geschichte und der Gesellschaft, gewahrleistet, wenn man dieser nur, und dieser allein, das ProzeBregime fibertrage. Auch werde die - noch einige Uner freulichkeiten mit sich fiihrende -Ubergangsphase sich nicht sehr lange (wohl nur einige Jahrzehnte) hinziehen, wenn und sofem man sich an die so zuverUissig er kannten Wahrheiten halte. Es ist wichtig zu beachten, daB man es hier mit einer sehr speziellen Aus pragung des die europaische Neuzeit, insbesondere seit der Aufldarung, be stimmenden Fortschrittsdenkens zu tun hat. Es erscheint im nachhinein eigenartig, ist aber doch unbezweifelbar, daB sie erst hervortrat und dominant wurde, nach dem dieses Fortschrittsdenken die Wende zu einer dezidiert antitheologischen, antimetaphysischen, antiutopischen und dann auch antiphilosophischen, also zu einer dezidiert "empirischen" Orientierung vollzogen hatte. Wo imIner diese Wende bewuBt und radikal vollzogen wurde, verknfipfte sich mit ihr namlich re gelmaBig die Erwartung, daB der vergesellschaftete Mensch nunmehr erst wirklich in den Stand gesetzt werde, sich seiner selbst und seiner Lebensverhaltnisse im voUen Umfange zu bemachtigen, das regnum hominis aufzurichten, "das Schicksal an die Kette zu legen" (Saint-Simon). Es genfigt der Hinweis auf A Smith, A Ferguson, I. Kant und J. J. Rousseau, um deutlich zu machen, daB die Idee einer -in einer fiberschaubaren Zukunft zu bewerkstelligenden - Vollendung der Geschichte, die Erwartung also eines Zu stands leidlosen Gliicks, absoluter und zwangloser Gerechtigkeit, herrschaftsfreier Harmonie und allgegenwartiger SchOnheit, kein konstitutives Merkmal der neu zeitlichen Fortschritts- und Modernitatskonzeptionen ist. Dem standen nicht nur Zweifel an der Giite resp. der moralischen Perfektibilitat des Menschen, sondem mehr noch die Einsicht entgegen, daB die beobachteten und auch geforderten Verbesserungen der menschlichen Verhaltnisse sehr haufig, und zwar unvermeid lich, mit fragwiirdigen, wenn nicht geradezu negativen Voraussetzungen und (Neben-)Folgen verkniipft waren, daB den Fortschrittsgewinnen regelmaBig auch betrachtliche Fortschrittsverluste korrespondierten und daB deshalb iiberhaupt nicht in einem einfachen und eindeutigen Sinne von dem Fortschritt gesprochen werden kanne. Eine scharfsichtige und radikale Kritik der vorherrschenden Machbarkeits-und Perfektionierungsvorstellungen findet sich vor aHem im Umkreis der europai schen, insbesondere deutschen Romantik. Diese Kritik richtet sich des naheren gegen die Annahme, jene paradiesische Welt des vollkommenen Gliicks lasse sich wie ein groBer 'Mechanismus' entwerfen und herstellen, und dies mit den Mitteln 8 derjenigen zergliedemden, berechnenden und konstruierenden Vemunft, die sich in den Wissenschaften, aber auch in der Okonomie und Politik, durchgesetzt hatte. Weder die Fortschritts- noch die Perfektibilitatsidee als solche, auch nicht der Glaube an die Vemunft, wird von den Romantikem (und bier ist vor allem, wenn auch nicht ausschlieBlich, die sogenannte Friihromantik gemeint) aufgegeben. Sie waren jedoch iiberzeugt, daB geradezu alles, was wahrhaft ''wissenswiirdig, was schOn, ... was schiitzbar und gut" (E. Burke) ist, sich jener rationalen Bere chenbarkeit und Machbarkeit entziehe. Aus dieser Oberzeugung entsprang ihre - hOchst geistvolle, aber angesichts der Unwahrscheinlichkeit eines Erfolgs immer schon ironisch gebrochene - Suche nach einer neuen Verhilltnisbestimmung von Kunst, Religion, Wissenschaft und Politik. Zu der Zeit, als die Oktoberrevolution die Chance zu bieten schien, mit der planvollen Herstellung des - ohne jede !ronie - als irdisches Paradies be schriebenen regnum hominis endlich Ernst zu machen, konnten die Zweifel an der Vemiinftigkeit und Realisierbarkeit dieses groBen Projekts keineswegs als wider legt gelten, ganz im Gegenteil. Man hat, sehr zu Recht, behauptet, diese Revolution sei, aus der Perspektive der Marxschen Revolutionstheorie betrachtet, zu friih und zu iiberstiirzt vollzogen worden. Noch richtiger und in der Sache ge wichtiger aber ist die Behauptung, daB sie, ideen- und wissenschaftsgescbichtlich betrachtet, auf obsoleten, intellektuell Hingst unhaltbar gewordenen Denkvor aussetzungen beruhte. Vor allem Friedrich Nietzsche hatte -auch im Blick auf die Einsichten und lliusionen der Romantik -die fraglichen Zweifel mittlerweile noch weiter radikalisiert, und zwar bis zu dem Punkt, an dem das revolutionare Projekt als hOchstes und letztes Resultat des europaischen Nihilismus erscheinen muBte. In dieses Verdikt wird von Nietzsche auch die neue Wissenschaft der So ziologie, in ihrer von Spencer, Mill und Comte reprasentierten Gestalt, ein bezogen. Bei der bald darauf auf den Plan tretenden, heute als "klassisch" gel tenden Soziologie ware solches schon nicht mehr moglich gewesen. Deren unter scheidendes Merkmal niimlich -das Merkmal zugleich, das die Soziologie allererst zu einer entwicklungsfiihigen wissenschaftlichen Disziplin machte -liegt darin, den (am entscbiedensten von Comte vertretenen) Anspruch aufgegeben zu haben, die Fiihrungswissenschaft des groBen, zur letztgilltigen Ordnung aller Dinge fiihrenden Umbaus der Gesellschaft zu sein. Relikte dieses Anspruchs finden sich allerdings noch bei E. Durkheim, wogegen Georg Simmel und Max Weber ibm offensiv entgegentreten. Bei ihnen erhillt, und zwar unter dem starken EinfluB Nietzsches, die Soziologie geradezu die Aufgabe darzutun, daB und warum jene weitrei chenden Hoffnungen und Pditentionen der gescbichtlichen Situation un angemessen, wissenschaftlich (d.h. erfahrungswissenschaftlich und pbilosophisch) 9 unbegrtindbar, dariiber hinaus hOchst unrealistisch und im Ergebnis selbst zerstorerisch seien. Georg Lukacs hat das Werk dieser soziologischen Klassiker, und zwar an prominenter Stelle, eingeordnet in einen ProzeB der "Zerstorung der Vemunft", der (nach dem Vorgang Schellings) vor allem durch Nietzsche auf die Bahn ge bracht worden und schlieBlich mit innerer Notwendigkeit auf die natio nalsozialistische Ideologie zugelaufen sei. In diesem Kontext zitiert Luk~cs (1962, 389) u.a. die folgende Passage aus Simmels letzter Schrift (Lebensanschauung, 1918, 104 ff.): "Verzichtet man erst einmal auf die Idee des "absolut Wahren", die gleicbfalls nur ein historisches Gebilde ist, so konnte man auf die paradoxe Idee kommen, daB in dem kontinuierlichen ProzeB des Erkennens das MaB der eben adoptierten Wahrheiten von dem MaB der abgetanen Irrtiimer gerade nur aufgehoben wird, daB, wie in einem nie stillstehenden Zuge, ebensoviel 'wahre' Erkenntnisse die Vordertreppe heraufsteigen, wie 'Tauschungen' die Hintertreppe hinuntergeworfen werdenus". Hier kommt nach Luk~cs der "modeme rela tivistische Skeptizismus" der Lebenspbilosophie zum Ausdruck, mit seiner radikalen Absage an die wissenschaftIiche, und das heiSt fUr Lukacs: dialektisch materialistische, Weltanschauung und Erkenntnistheorie. Nicht anders sei es auch zu deuten, wenn Simmel der Religion und der Metaphysik eine "autonome Selbstherrlichkeit" (a.a.C., 390) zugestehe. In Verbindung mit der Lehre von der TragOdie resp. "Antinomik" (Luk~cs) der Kultur gilt dieser "zersetzende Skeptizis mus" ihm als "Ideologie des imperialistischen Rentnerparasitismus" (a.a.C., 400). Diese bedarf als solche einer inhaltIichen, argumentativen Auseinandersetzung ebensowenig wie die "Perspektivenlosigkeit", der "extreme Relativismus" und die "endgiiltige Etablierung des Irrationalismus in der Weltanschauung" (a.a.O., 536 f.) bei Max Weber. Die als Signum der Zeit von Weber diagnostizierte "entzaubemde GottIosigkeit und Gottverlassenheit des Lebens" sei nichts anderes als die der "imperialistischen Periode" der Weltgeschichte gemiiBe Ideologie. Zu solcher Einsicht und Kritik ist man berufen, wenn man, wie Luk~cs, nichts Geringeres als die "konkrete Totalitat" der Geschichte und der Gesellschaft erfas sen zu k6nnen glaubt. Die Methodologie dieses hOchst pratentiosen Erkennt nisverfahrens hatte Luk~cs schon in Geschichte und KlassenbewujJtsein, und zwar in einer mehr oder minder ausdriicklichen Auseinandersetzung mit Webers Wissen schaftslehre, zu explizieren versucht. Es ist an anderer Stelle (WeiS 1981, 78 ff., passim) mit der gebotenen Aus fiihrlichkeit gezeigt worden, daB es sich bei diesem aufs Ganze der Geschichte und der Gesellschaft (und damit - mittelbar - aller Wirklichkeit) gehenden Erkennt nisanspruch um eine nicht begriindbare, in intellektueller wie politischer Hinsicht 10

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