Marina Liakova Verhindert, verdeckt, unsichtbar – Migration und Mobilität von Bulgarien nach Deutschland Verhindert, verdeckt, unsichtbar – Migration und Mobilität von Bulgarien nach Deutschland Marina Liakova Verhindert, verdeckt, unsichtbar – Migration und Mobilität von Bulgarien nach Deutschland Marina Liakova Pädagogische Hochschule Karlsruhe Karlsruhe, Deutschland ISBN 978-3-658-30456-0 ISBN 978-3-658-30457-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30457-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Cori Antonia Mackrodt Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Vorwort Die Herausgabe dieses Buches wurde in einer ereignisreichen Zeit vorbereitet. Seit Anfang 2020 ist die Welt aufgrund der Covid-19-Pandemie in einem Aus- nahmezustand. Dieser wirkt sich stark auf Migration und Mobilität aus. In vielen Ländern wurde eine Ausgangssperre verhängt, Fluggesellschaften haben bis zu 90 % ihrer Flüge abgesagt, Zug- und Busverbindungen wurden gestrichen, Grenzübergänge geschlossen. Migranten und Mobile – die Menschen, die in mehreren Ländern zuhause sind – sind zu Verlierern dieser Krise geworden: Sie müssen auf ihre zur Selbstverständlichkeit gewordenen Mobilität verzichten und in einer nie da gewesenen Art und Weise sesshaft werden. Zugleich nimmt aber die virtuelle Mobilität zu. Die neuen Medien ermöglichen die Durchführung von dienstlichen Besprechungen, Tagungen, Konferenzen und Seminaren sowie von privaten Begegnungen zwischen Menschen, die sich in verschiedenen Ländern, ja auf verschiedenen Kontinenten aufhalten. Lehrer*innen und Schüler*innen, Dozent*innen und Studierende, Familien und Freund*innen treffen sich virtuell. Die physische Migration und Mobilität mögen in dieser Zeit abnehmen, die trans- nationale Verflechtung wird aber auch nach der Corona-Krise nicht geringer. Denn die Covid-19-Pandemie verdeutlicht: Die Prozesse der Globalisierung beziehen sich nicht mehr lediglich auf eine „Elite“ hochgebildeter Führungs- kräfte. Die Globalisierung und die daraus resultierenden Prozesse der Trans- nationalisierung umfassen in ihren Folgen alle Schichten und Staaten dieser Welt. Dennoch wird durch die pandemische Krise die Frage nach den Grenzen der globalen Welt laut. Die Zunahme der wirtschaftlichen Verflechtung und die Migration ganzer Branchen und Produktionen führen zur Unterbrechung der regionalen Versorgungsketten – eine Unterbrechung, die in einer Krise besonders schmerzvoll zu verspüren ist. Die Pandemie zeigt deutlich auch die Grenzen der Mobilität auf. Große Verlierer der pandemischen Krise werden die Unternehmen V VI Vorwort der Logistik, der Tourismus-, sowie der Eventbranche sein. Die Mobilität, die in den letzten 20 Jahren so stark forciert und gelobt wurde, die zum Statussymbol sowohl auf unternehmerischer als auch auf persönlicher Ebene geworden ist, wird zunehmend relativiert. In der Zeit der Aufarbeitung der Pandemie werden wir uns mit Fragen nach der Notwendigkeit und der Zweckmäßigkeit der Mobilität aus- einandersetzen müssen. Obwohl die Nationalstaaten als symbolische Gewinner dieser Krise bezeichnet werden können, ist die Rückkehr in eine nicht mobile Welt nicht denkbar. Auch nach dem Ende der Pandemie wird die Welt global und mobil sein. Die Globali- tät und Mobilität sind viel mehr als der Habitus und Lifestyle einer privilegierten Schicht, sie sind eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Notwendigkeit. Die Herausforderung wird sein, nicht auf Globalität und Mobilität zu verzichten, sondern sie gerechter und ökologischer zu gestalten. Gerade in der Zeit der Pandemie wird deutlich, wie gewaltig die sozialen Ungleichheiten unserer Zeit geworden sind. Für manche Berufsgruppen bieten sich die Möglichkeiten der Heimarbeit (Home Office) an, andere Berufs- gruppen, z. B. die Verkäufer*innen im Lebensmittelhandel, die Apotheker*innen, die Pflegefachkräfte, die Reinigungskräfte, die Lokführer*innen oder die Ärzt*innen können sich selbst nicht schützen, indem sie „zuhause bleiben“. Einem besonderen Risiko ausgesetzt werden sowohl die Geflüchteten, die in den griechischen Aufnahmezentren auf die Möglichkeit warten, einen Asylantrag zu stellen, als auch die Erntehelfer*innen, die aus Osteuropa mit Sonderflügen nach Westeuropa befördert werden, um dort als Saisonarbeiter*innen tätig zu werden. Sie werden viel häufiger mit der Gefahr konfrontiert, an Covid-19 zu erkranken. Auf die Armen, auf die Menschen, die in Ländern mit einem schwächeren Gesundheitssystem leben, auf die Milliarden Menschen, die über kein sauberes Wasser verfügen, wird sich diese Krise viel dramatischer auswirken. Die Verflechtung von Migration, Mobilität und sozialer Ungleichheit ist Gegenstand der klassischen Soziologie und zentrales Thema meines Buches. Dieses ist zugleich meine Habilitationsschrift, die im Jahr 2019 an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe vorgelegt wurde. An dieser Stelle möchte ich herzlich meiner Betreuerin und Erstgutachterin Prof. Dr. Annette Treibel für ihre Unterstützung sowie für die zahlreichen inspirierenden Gespräche danken. Desgleichen bin ich den weiteren Gutachterinnen Prof. Dr. Sabine Liebig (Pädagogische Hochschule Karlsruhe) und Prof. Dr. Almut Zwengel (Hochschule Fulda) zu Dank verpflichtet. Ich danke auch den Kolleg*innen vom Institut für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule, mit denen ich mich auch über den akademischen Alltag hinaus verbunden fühle. Vorwort VII Der Austausch mit den Studierenden, die meine Seminare zum Thema Migration besucht haben, war für mich wichtig und anregend. Insbesondere danke ich Madeleine Kumbartzki, Elena Link und Magdalena Beer, den Mitarbeiterinnen in der Soziologie, für die regen Diskussionen sowie für die kritische Lektüre der einzelnen Kapitel. Dr. Jana Fingarova bin ich für die Unterstützung in der empirischen Testphase meines Projekts und für die zahlreichen Diskussionen über den Alltag der bulgarischen Migrant*innen in Deutschland zu Dank verpflichtet. Danken möchte ich den Kolleg*innen von den Lehrstühlen für Soziologie der „St. Kliment Ochridski“ Universität in Sofia und „Paisij Hilendarski“ Universität in Plovdiv und insbesondere Prof. Dr. Maya Grekova, Prof. Dr. Milena Iakimova und Prof. Dr. Svetlana Sabeva für die intensiven Fachgespräche und für die gelebte Transnationalität. In dieser Arbeit fließen nicht nur meine wissenschaftliche Analyse, sondern auch meine emotionale Verbundenheit mit dem Thema Migration ein, das Teil meiner Familiengeschichte ist. Beim Verfassen dieses Buches habe ich das Leben meiner Großeltern väterlicherseits mitgedacht, die in der Zeit der Balkankriege (1912–1913) aus dem Osmanischen Reich geflüchtet sind und ihre Heimat in Bulgarien gefunden haben. Inspiriert haben mich die Lebensgeschichte meines Großvaters mütterlicherseits, der aus Deutschland ausgewandert ist und seine Familie in Bulgarien gegründet hat, sowie die Biografie meiner Großmutter, die nach dem Abschluss ihres Studiums in München im Jahr 1923 als Bildungsrück- kehrerin in Bulgarien gelebt hat. Motiviert haben mich die Lebensgeschichten meiner Verwandten und Freund*innen, die Bulgarien verlassen haben und in der Fremde – in Europa, Amerika oder Asien – ihre neue Heimat gefunden haben. Mein Dank gilt allen Migrant*innen und Mobilen, die mir ihre Lebens- geschichten anvertraut haben und als Interviewpartner*innen zur Verfügung standen. Ohne die menschliche Nähe und großzügige Unterstützung meiner Freund*innen hätte sich dieses Projekt nicht realisieren lassen. Mein besonderer Dank gilt Victoria Aleksieva, Svetlina Koeva, Elitza Stanoeva, Sandra Atseva, Dobrinka Schwacke, Yordan Terziev, Milena Paskowska, Ludmila Koleva-Banide und Svetla Encheva. Das Buch widme ich meinen Eltern, meiner Mutter Elsa Blank – Liakova und meinem Vater Nedialko Liakov. Marina Liakova Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................ 1 2 Begriffsbestimmungen und Forschungskontext ................. 7 2.1 Definitionen des Begriffs „Migration“ ..................... 8 2.2 Theorien der Migration: Ein Überblick .................... 11 2.3 Mobilität ............................................ 15 2.4 Transnationale Migration und transnationale soziale Räume ....................................... 17 2.5 Diaspora oder Gemeinschaft? ........................... 20 2.6 Mobilitäts- und Migrationsfähigkeit als Kapital ............. 22 2.7 Mehrdimensionale Migrationspfade ...................... 24 2.8 Die drei Perioden der Analyse: Sozialismus, Post-Sozialismus, EU-Mitgliedschaft ..................... 24 Literatur .................................................. 26 3 Methoden ................................................ 33 3.1 Auswertung der Archivmaterialien ....................... 35 3.2 Durchführung von leitfadengestützten, biografischen Tiefeninterviews .......................... 36 Literatur .................................................. 43 4 Emigrationsbewegungen aus Bulgarien in der Zeit des Sozialismus (1945–1989) ............................ 45 4.1 Besonderheiten der sozialistischen Gesellschaftsform in Bulgarien: Strukturelle Merkmale ...................... 46 4.2 Politische, ideologische und rechtliche Regelungen der Wanderungsbewegungen im sozialistischen Bulgarien ........ 51 IX X Inhaltsverzeichnis 4.2.1 Einschränkungen der Migrationsbewegungen nach 1945 .................................... 52 4.2.2 Schrittweise Öffnung des Migrationsregimes im Kontext des Helsinki Agreement ............... 60 4.2.3 Exkurs: Die Politik bezüglich der ethnischen Gruppen in Bulgarien in der sozialistischen Zeit und ihre Auswirkung auf die Migration ......... 66 4.3 Überblick ........................................... 71 4.4 Migration und Mobilität im sozialistischen Bulgarien: Alltagspraxis ........................................ 73 4.4.1 Klassifizierung der Möglichkeiten zur Ausreise aus der Volksrepublik Bulgarien (1945–1989) ........ 74 4.4.2 Systematische Typologie der Ergebnisse ............ 94 4.5 Migration und Transnationalität vor dem Jahr 1989: Möglichkeiten und Einschränkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4.5.1 Die exklusive Migration: Die bulgarischen Migrant*innen in der DDR ...................... 99 4.5.2 „Kein Weg zurück“ – die in die BRD emigrierten Bulgar*innen vor dem Jahr 1989 ........ 102 4.6 Zusammenfassung .................................... 109 Literatur .................................................. 111 5 Die gesellschaftliche und politische Wende nach dem Jahr 1989 ....................................... 117 5.1 Migrationspolitik und Migrationspraxis in Bulgarien nach 1989 ................................ 121 5.1.1 Institutionalisierung der bulgarischen Migrationspolitik .............................. 123 5.1.2 Migration und Bildung: Die Schulen der Auslandsbulgar*innen .......................... 125 5.1.3 Die gesetzliche Verankerung der Migrationsproblematik .......................... 126 5.2 Die öffentlichen Debatten über „Migration“ ................ 129 5.2.1 Die Parlamentsdebatten 1990–2015 ................ 130 5.2.2 Die politischen Parteien und ihre Stellung zur Migration .................................... 136 5.2.3 Die Gewerkschaften und ihre Positionen zur Migration ........................ 144 Inhaltsverzeichnis XI 5.2.4 Die Religionsgemeinschaften und ihre Stellungnahmen zur Migration .................... 148 5.2.5 Die Wirtschaftsorganisationen und die Migration ..... 152 5.3 Die öffentlichen Debatten über Migration: Zusammenfassung .................................... 153 5.3.1 Immigration .................................. 153 5.3.2 Emigration ................................... 159 5.3.3 Typologisierung der diskursiven Stränge ............ 167 Literatur .................................................. 170 6 Die bulgarische Migration nach Deutschland: Empirische Befunde und biografische Reflexionen .............. 183 6.1 Migration und Migrationspolitik als Gegenstand der Wissenschaft ..................................... 184 6.1.1 „Migration“ im wissenschaftlichen Diskurs der 1980er Jahre ............................... 185 6.1.2 Wendepunkte im wissenschaftlichen Migrationsdiskurs der 1990er Jahre ................ 186 6.1.3 „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ in der Migrationsforschung der 2000er Jahre ........ 188 6.2 Die migrationspolitische Entwicklung der Bundesrepublik in der Zeit nach 1945 .................. 190 6.3 Auswirkungen der Migrationspolitik Deutschlands auf die Migration bulgarischstämmiger Personen in der Zeit 1990–2017 ................................. 197 6.4 Methodik und Datenlage ............................... 199 6.5 Zur Anzahl der bulgarischen Staatsbürger*innen in Deutschland ....................................... 203 6.6 Soziologische Typologisierung der bulgarischen Migration nach Deutschland ............................ 205 6.6.1 Chronologische Typologisierung .................. 205 6.6.2 Soziodemografisches Profil ...................... 222 6.7 Verdeckte Migration: Die bulgarischen Migrant*innen in Deutschland in der Zeit 1990–2007 ..................... 224 6.8 Typologie der Motive der bulgarischen Migrant*innen ........ 239 6.9 Zusammenfassung .................................... 251 Literatur .................................................. 255