PSZ-Drucke Schriftenreihe des Psychosozialen Zentrums (PSZ) UniversitiU Ulm Herausgegeben von H. KAchele P. Novak H. C. Traue Marianne Leuzinger-8ohleber Veranderung kognitiver Prozesse in Psychoanalysen 1 Eine hypothesengenerierende Einzelfallstudie Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo Reihenherausgeber: Prof. Dr. Horst !<Achele Prof. Dr. Dr. Peter Novak Priv.-Doz.Or.Harald C.Traue Sonderforschungsbereich 129 Am HochstrAB 8, 0-7900 Ulm Autorin: Dr. phil. Marianne leuzinger-Bohleber Sektion Psychoanalytische Methodik Sonderforschungsbereich 129 Am HochstraB 8, 0-7900 Ulm ISBN-13: 978-3-540-17327-4 e-ISBN-13: 978-3-642-71736-9 001: 10.1007/978-3-642-71736-9 Das Werk isl urfleberrechllich geschOlzl. Die dadurch begrOndelen Rechle, insbesondere die der Uberselzung, des Nachdrucks, der Enlnahme von Abbildungen, der Funksendung, die Wledergabe auf pholomechanischem oder 4hnlichem Wege und der Spreicherung in Dalenverarbeilungsanlagen bleiben, auch bel nur auszugswelser Verwertung, vorbehallen. Die VergOlungsansprOche des § 54, Aba. 2 UrflG werden durch die .. Verwertungsgesellschaft Wort", MOnchen, wahrganommen. C> Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1987 2119/3140-543210 Marianne Leuzinger - Bohleber VERXNDERUNG INNERER PROZESSE IN PSYCHOANALYSEN - I - Vorwort Die Diskussion urn ein adaquates Forschen in der Psychoana lyse hat noch nichts an Aktualitat und Brisanz eingebUBt, obwohl besonders seit Anfang der siebziger Jahre die Zahl der wissenschaftstheoretischen Publikationen zu diesem Thema wieder sprunghaft gestiegen ist. Dies steht u.a. in Zusammenhang mit dem Faktum, daB sich die Psychoanalyse jeder eindeutigen Zuschreibung zu einer wissenschaftlichen Disziplin mit deren wertenden und methodologischen Konnota tionen widersetzt - sie ist eine Wissenschaft z w i s c hen den Wissenschaften, zwischen Natur und Geisteswissenschaft, zwischen Biologie und Sozialwissenschaft, zwischen Medizin und Kulturtheorie, zwischen Hermeneutik und nomologischer Wissenschaft. Dieser Schwebecharakter der Psychoanalyse (Lorenzer 1985) mit seinen klinischen und wissenschafts theoretischen Implikationen ist eine Ursache vieler ideo logischer und berufspolitischer Kontroversen und deren Manifestationen in Spaltungsphanomenen innerhalb der psy choanalytischen Geschichte. Vor diesem Horizont sehe ich zwischenzeitlich auch die Spaltungen, die sich Mitte der siebziger Jahre am ZUrcher Psychoanalytischen Seminar vollzogen und mit deren Vor geschichte und Auswirkungen ich mich immer wieder kritisch auseinandersetze. Als damalige Assistentin an der Abtei lung fUr Klinische Psychologie der Universitat ZUrich und als Mitglied des Psychoanalytischen Seminars wurde es mir zum Anliegen, in meiner Auffassung von Psychoanalyse eine empirisch-klinische Psychoanalyse-Forschung und ein kul turtheoretisch bestimmtes Verstandnis von Psychoanalyse zusammenzubringen, was sich u.a. in komplexen methodolo gischen Reflexionen in meiner Dissertation manifestierte. - II - Auch aus der nun gro6eren zeitlichen Distanz betrachtet, war fUr mich personlich eine der positivsten Auswirkungen der Vorgange am Psychoanalytischen Seminar, da6 sie mich sensibilisierten fUr die Bedeutung einer klaren politi schen, wissenschaftstheoretischen und klinischen 1dentitat als Psychoanalytikerin. Und doch beschaftigen mich in letzter Zeit vermehrt auch die Schattenseiten solcher Spaltungsprozesse fUr aIle Beteiligten, etwa die Gefahr damit verbundener Mythologisierungsprozesse oder von Sko tomisierungen fUr bestimmte Realitatsbereiche u.a.m. - Sicher werden solche Gefahren auch dadurch begUnstigt, da6 sich viele Kollegen auf relativ eng umgrenzte Sub gruppen innerhalb der Psychoanalyse zurUckziehen und ihren Wissens- und 1nformationsaustausch wie auch ihre person lichen Beziehungen zu Fachkollegen auf solche relativ homogene Gruppen beschranken. - 1ch frage mich z.Zt., ob nicht - neben relevanteren 0 b j e k t i ve n GrUnden - in solchen horizonteinschrankenden Gruppenprozessen und dem damit verbundenen Abbruch der realen Kommunikation zwi schen Vertretern kontradiktorischer Positionen innerhalb der Psychoanalyse einer der sub j e k t i v e n GrUnde zu suchen ist fUr ein gewisses Erlahmen der wissenschaftlich innovativen Produktivitat der Psychoanalyse, das heute oft beklagt wird. Deshalb wUrde ich mich gerne, auch wenn dies etwas zu hoch gegriffen ist, als "Grenzgangerin" zwischen den Gruppen identitaten sehen. So stellt auch die Untersuchung, von der ich im folgenden berichte, fUr mich einen Ve r s u c h dar, bei den forschenden Psychoanalytikern bestehende wis senschaftstheoretische Fronten - etwa hie Tiefenhermeneu tik, da positivistische Empirie - aufzuweichen und abge brochene Dialoge wieder anzuregen. Dabei geht es etwa um folgende, fUr mich wissenschaftstheoretisch und methodolo gisch relevante Fragen: 1st es moglich, einen im psycho- - III - analytischen Setting stattgefundenen einmaligen Verstan digungs- und SinngebungsprozeB zwischen Analytiker und Analysand nachtraglich unbeteiligten Dritten teilweise nachvollziehbar und verstandlich zu machen, ohne dabei einer reduktionistischen, denaturierenden und verzer renden Optik anheimzufallen? - Welchen Erkenntnisgewinn erzielen wir bei einer solchen em p i r i s c hen Annahe rung an Dokumente aus Psychoanalysen (TagebUcher, Ton bander etc.), verglichen mit der traditionellen Kommuni kationsform psychoanalytischen Wissens durch novellisti sche Falldarstellungen? Um solche Fragen exemplarisch zu verfolgen, wird in die sem Band eine psychoanalytische Falldarstellung einer fUnfjahrigen Psychoanalyse eines transvestitischen Pa tienten einer nachtraglichen detaillierten inhaltsana lytischen Untersuchung seines Tagebuchs gegenUbergestellt - eines Tagebuchs, das er wahrend der Zeit seiner Psycho analyse geschrieben hat. - An diesem konkreten Beispiel empirisch-psychoanalytischer ProzeBforschung werden damit verbundene Probleme aufgezeigt und kurz diskutiert, wobei in diesem ersten Band Methode und Ergebnisse vorwiegend fUr sich selbst sprechen sollen. 1m zweiten Band, in dem ich Uber das empirische Weiterverfolgen der in dieser Einzelfallstudie generierten Verlaufshypothesen anhand von Material aus mehreren Psychoanalysen berichte, werden einige grundlegende methodologische und wissenschafts theoretische Fragen eingehender reflektiert und disku tiert. Diese vertiefenden theoretischen Uberlegungen sind Teil der Evaluation des meth6dischen Vorgehens, in dem ich in einer theoriegeleiteten, computerunterstUtzten Inhalts analyse als empirisch arbeitende Psychoanalytikerin ver suche, "Uber den Zaun zu blicken" und eine BrUcke zu schlagen zu einem neuen Gebiet der kognitiven Psychologie, - IV - der Cognitive Science. Dieser "Blick tiber den Zaun" scheint schon deshalb lohnenswert, weil sich die Cognitive Science z.~. mit ahnlichen Forschungsinhalten beschaftigt wie wir Psychoanalytiker - mit Erinnerungsprozessen, Ge dachtnisstrukturen, ProblemlBsungsprozessen u.a. Der interdisziplinare Dialog mit diesen Spezialisten psycho logischer Theoriebildung konnte uns Psychoanalytikern gerade in einer Zeit der "Krise der Metapsychologie" neue Perspektiven erBffnen. Die empirische Studie wurde als Teilprojekt des Sonder forschungsbereichs 129 "Psychotherapeutische Prozesse", unterstUtzt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an der Sektion Psychoanalytische Methodik der Universitat Ulm unter der Projektleitung von Prof. Dr. med. H. Kachele durchgefUhrt. Unsere fruchtbare Zusammenarbeit manife stiert sich auch in einer Reihe gemeinsamer Publikationen zum Thema dieses Forschungsprojektes. Das Projekt wurde von Mitarbeitern des Teilprojektes B 2, Herrn Dr. E. Mergenthaler, Frau U. Kemmer und Frau I. HB8Ie, in der DurchfUhrung der EDV-Analysen unterstUtzt. Herr lic. phil. F. Steiner und Herr lic. phil. R. Drewek, Uni versitat ZUrich, waren bei der Bearbeitung der Texte mit dem LDVLIB behilflich. Herr lic. phil. Chaim Guitar Amsterdamer, Psychologisches Institut der Universitat ZUrich, beriet mich in statistischen Fragen. Die beiden Linguistinnen, Frau M.A. J. Hartog, SFB Ulm, und Frau lic. phil. Ch. Weyerke, Universitat ZUrich, stellten sich fUr einen brain-storm Uber linguistische Fragen zur Ver fUgung. Ihnen allen danke ich herzlich, wie auch den drei medizinischen Dissertanten K. BUrkle, G. Merkle und A. Abutalebi fUr ihre aufwendige und anspruchsvolle Ratingarbeit. Frau B. Gebhardt danke ich fUr die zuver lassige und genaue Gestaltung des Manuskripts. - v - Den beiden Gutachtern der DFG, Herrn Prof. Dr.Dr. A. Meyer, Hamburg, und Herrn Prof. Dr. W. H. Tack, SaarbrUcken, danke ich fUr ihre konstruktive und hilfreiche Kritik unseres Berichtes der ersten Forschungsphase, die in die Uberarbeitung des Manuskriptes fUr diesen Band eingegangen ist. Gedanklich ist diese Studie eine Fortsetzung meiner Dis sertation zu den kognitiven Prozessen des Klinikers bei der Indikation psychotherapeutischer Verfahren, die ohne den interdisziplinaren Austausch mit einem Spezialisten der KUnstlichen Intelligenzforschung, Herrn Dr. Rolf Pfei fer, Institut fUr Informatik der Universitat ZUrich, und unserem gemeinsamen frUheren Institutsleiter, Prof. Dr. U. Moser, Abteilung fUr Klinische Psychologie der Univer sitat ZUrich, nicht moglich gewesen ware. Ich danke beiden fUr den regen fachlichen und freundschaftlichen Austausch. FUr Gesprache im Zusammenhang mit den erwahnten, fUr mich so zentralen wissenschaftstheoretischen Fragen danke ich Herrn Dr. med. Dr. phil. W. Tress, Zentralinstitut fUr Seelische Gesun?heit, Mannheim, sowie meinen Freunden Regula Schiess, Gisela Leyting, Michaela GrUntzig, Lilian Berna und Martin Kuster in ZUrich, Birgit Kothe und Adrian Gaertner in Kassel und Paul Arweiler in Singen. Besonders froh bin ich urn die vielen intensiven Gesprache mit Werner Bohleber, dem kritlschen Leser meiner Manuskripte. Schlie8lich mochte ich vor allem meinem Analysanden fUr sein einmaliges, interessantes Geschenk danken, fUr das Uberlassen des "Analyse-Tagebuchs". Inhaltsverzeichnis Seite I. Einleitungsteil 1. Einfiihrung 1.1 Einleitung und Problemstellung 1.2 Die "Hexe Metapsychologie" und ihr Einflu8 auf die empirisch psychoanalytische Forschung 15 1.3 Gesichtspunkte bei der Verwendung neuerer Methoden der Kognitionspsychologie (vor allem von Computer-Simulationsmodellen der Kiinstlichen Intelligenzforschung) in der psychoanalytischen Forschung 41 II. Forschungsdesign 2. Formulierung und zusammenfassende Begriindung der Fragestellung 63 3. Das Material der Untersuchung 67 3.1 Falldarstellung: Transvestitische Symptom bildung. Klinischer Beitrag zur Xtiologie, Psychodynamik und Analysierbarkeit trans- vestitischer Patienten 70 3.1. 1 Vorbemerkung 70 3.1.2 AbkUirung 76 3.1.3 Anamnese 77 3.1.4 Behandlung 81 3.1.5 Katamnesegesprache 102 3.1.6 Zusammenfassende Uberlegungen zur Psychodynamik 103 3.1.7 Schlu8bemerkungen 109 3.2 Ubersicht iiber das Datenmaterial Frequenzdiagramm der Traume nach den Auf zeichnungen des Analysanden 1 von seiner Psychoanalyse (624 std.) 113