Vektorrechnung, Analytische Geometrie 7. VEKTORRECHNUNG, ANALYTISCHE GEOMETRIE 7.1. Vektoren (a) Definition Schiebt man einen Punkt P im Koordinatensystem in eine andere Lage P , so ist diese Schiebung durch 1 2 Angabe des Urpunktes P und des Bildpunktes P eindeutig festgelegt. Dieses geordnete Punktepaar 1 2 bestimmt die orientierte (gerichtete) Strecke P P , einen Pfeil von P nach P . Pfeile, die durch dieselbe 1 2 1 2 Schiebung entstehen, sind gleich lang, zueinander parallel und gleich orientiert. Eine Klasse gleich langer, paralleler und gleich orientierter Pfeile des Raumes heißt ein Vektor des Raumes. Ein Vektor des Raumes ist die Klasse aller zu einem gegebenen Pfeil parallelgleicher Pfeile. Vektoren sind gleich, wenn sie dieselbe Klasse von Pfeilen darstellen. Vektoren werden mit deutschen r r r Kleinbuchstaben bezeichnet, oder es wird das Pfeilsymbol über den Buchstaben geschrieben (a,b,c,...). Wählt man im Raum (oder in der Ebene) einen festen Punkt O (Ursprung), so ist jeder von O verschiedene Punkt P des Raumes (der Ebene) durch den Pfeil OP eindeutig festgelegt. Der Pfeil OP wird als Ortsvektor des Punktes P bezüglich des Ursprunges O bezeichnet. Interpretiert man die Änderung der Koordinaten vom Punkt P zum Punkt P als die Koordinaten des 1 2 Vektors, so lassen sich diese als Differenz der Koordinaten der Punkte angeben. Die Koordinaten eines Vektors sind: ar = PP→ = x2 − x1 = ax 1 2 y − y a 2 1 y Es gilt also die Merkregel: „Spitze minus Schaft“. Die Koordinaten eines Ortsvektors sind somit die Koordinaten der Spitze des Vektors. - 23 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie Den Abstand der Punkte P und P bezeichnet man als den Betrag des Vektors. 1 2 a Der Betrag eines Vektors ar = x ist: ar = a2 +a2 a x y y Durch Ergänzen der Koordinate a sind die obigen Aussagen über Vektoren der Ebene auf den Raum z erweiterbar. x − x a r → 2 1 x r Vektoren im Raum: a =PP = y − y = a a = a2 + a2 + a2 1 2 2 1 y x y z z − z a 2 1 z (b) Rechenoperationen mit Vektoren Vektoren werden addiert bzw. subtrahiert, indem die jeweiligen Koordinaten addiert bzw. subtrahiert werden. ar = ax, br = bx ar +br = ax +bx ar −br = ax −bx a b a +b a −b y y y y y y Graphisch ist die Addition von Vektoren als eine aufeinanderfolgende Verschiebung eines Punktes zu verstehen. Die Subtraktion ist dann eine Verschiebung in die entgegengesetzte Richtung des Vektors. Das Ergebnis der Addition bzw. der Subtraktion ist wieder ein Vektor. Vektoren werden mit einer reellen Zahl multipliziert, indem die jeweiligen Koordinaten mit dieser Zahl multipliziert werden. a t⋅a ar = x t⋅ar = x t ∈ R a t⋅a y y Die Multiplikation ist graphisch als wiederholte Verschiebung eines Punktes zu verstehen. Ein negativer Faktor bewirkt eine Richtungsänderung des Vektors in die entgegengesetzte Richtung. Das Ergebnis der Multiplikation mit einer Zahl ist wieder ein Vektor. - 24 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie r 3 r 2 Beispiel: Bestimmen Sie die Summe und die Differenz von a = und b = . 4 −1 r r 3+2 5 r r 3−2 1 a+ b = = , a− b = = 4 −1 3 4 +1 5 r −3 Beispiel: Bestimmen Sie das fünfache des Vektors c = . 5 r −3 5⋅(−3) −15 5⋅c = 5⋅ = = 5 5⋅5 25 Die graphische Addition erfolgt nach der Parallelogrammregel. Man verschiebt den Schaft des einen Vektors in die Spitze des anderen Vektors; die Summe der beiden Vektoren ist dann die Diagonale des entstehenden Parallelogramms vom Schaft des ersten zur Spitze des zweiten Vektors. Auch die Subtraktion ist so durchführbar; schiebt man die Spitze des einen Vektors in die Spitze des anderen, so ist der Differenzvektor die Diagonale des entstehenden Parallelogramms von Schaft des ersten zum Schaft des zweiten Vektors. Vektoren und deren Vielfaches sind zueinander parallel, abhängig vom Vorzeichen haben sie gleiche oder entgegengesetzte Richtung (Orientierung). - 25 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie (c) Spezielle Vektoren 0 r Der Vektor o = heißt Nullvektor. 0 Der Nullvektor ist das neutrale Element bezüglich der Addition von Vektoren. r Ein Vektor mit dem Betrag 1 heißt Einheitsvektor. Einen zu a gehörenden Einheitsvektor r a erhält man, indem man die Koordinaten des Vektors durch seinen Betrag dividiert: 0 1 r r a = ⋅a r 0 a 3 r Beispiel: Berechnen Sie den zu a = gehörenden Einheitsvektor. 4 r a = 32 +42 = 5 r 1 r 3 a = ⋅a = 5 0 5 4 5 1 0 0 r 1 r 0 r r r Die Einheitsvektoren i = , j = in der Ebene bzw. i = 0, j = 1,k = 0 im Raum 0 1 0 0 1 heißen Basisvektoren des kartesischen Koordinatensystems. Die Basisvektoren führen - vom Ursprung aus aufgetragen - zu den Einheitspunkten auf den Koordinatnenachsen. r r r r Sind a ,a ,a ,...,a Vektoren und t ,t ,t ,...,t reelle Zahlen, dann heißt ein Vektor der 1 2 3 n 1 2 3 n r r r r r Form t a + t a + t a +...+t a eine Linearkombination der Vektoren a (1≤ i≤ n). 1 1 2 2 3 3 n n i Jeder Vektor läßt sich daher als Linearkombination der Basisvektoren darstellen. - 26 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie Beispiel: Der Vektor von P (2|1) nach P (6|3) ist durch Basisvektoren darzustellen. 1 2 r → 6−2 4 a = P P = = 1 2 3 −1 2 r 1 0 r r a = 4⋅ +2⋅ = 4i +2j 0 1 (d) Lineare Abhängigkeit von Vektoren r r r r Ein System von Vektoren a ,a ,a ,...,a heißt linear abhängig, wenn sich mindestens 1 2 3 n einer von ihnen als Linearkombination der übrigen Vektoren darstellen läßt. Vektoren, die nicht linear abhängig sind, heißen linear unabhängig. r r r r r Vektoren sind also linear abhängig, wenn gilt: a = ta +t a +t a +...+t a n 1 1 2 2 3 3 n−1 n−1 r Vektoren (≠ o) heißen kollinear, wenn jeder Vektor ein reelles Vielfaches eines beliebigen anderen Vektors des System ist. r r r r Vektoren sind also kollinear, wenn für je zwei Vektoren gilt: b= t ⋅a, c= t ⋅a, ... 1 2 r 2 r 5 Beispiel: Untersuchen Sie, ob die Vektoren a = und b = kollinear sind. 6 15 r r 5 2 b = t ⋅a, = t ⋅ 15 6 5 = 2⋅t,t = 2,5 15 = 6⋅t,t = 2,5 Die Vektoren sind also kollinear. Zwei oder mehrere Vektoren heißen also kollinear, wenn sie zu ein und derselben Geraden parallel sind. - 27 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie r Vektoren (≠ o) heißen komplanar, wenn sich jeder Vektor eindeutig als Linear- kombination zweier Vektoren des Systems darstellen läßt. r r r Vektoren sind komplanar, wenn für je drei Vektoren gilt: c= t⋅a+s⋅b, ... 2 −3 1 r r r Beispiel: Untersuchen Sie, ob die Vektoren a = 2 , b = −5 und c = −1 −1 1 −1 komplanar sind. 1 2 −3 r r r c = t ⋅a+s⋅b, −1 = t ⋅ 2 +s⋅ −5 −1 −1 1 I:1= 2t −3s,II: −1= 2t −5s,III: −1= −t +s t = 2,s =1 −1= −2+1w.A. Die Vektoren sind komplanar. Die oben genannten Sätze lassen sich auch folgendermaßen formulieren: Zwei Vektoren sind genau dann kollinear, wenn sie linear abhängig sind. Drei oder mehr als drei Vektoren heißen komplanar, wenn sie zu ein und derselben Ebene im Raum parallel sind. Der Nullvektor ist zu jedem Vektor kollinear und zu jedem Paar von Vektoren komplanar. - 28 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie 7.2. Multiplikation von Vektoren (a) Das skalare Produkt r r Das skalare Produkt der Vektoren a und b ist definiert durch: a b ar⋅br = ax ⋅bx = a ⋅b + a ⋅b ar⋅br = ax ⋅bx = a ⋅b + a ⋅b + a ⋅a a b x x y y y y x x y y z y y y a b z z Das skalare Produkt zweier Vektoren liefert also eine reelle Zahl als Ergebnis, ein sogenanntes Skalar. Sonderfälle: ar⋅ar = ar2 = ar 2 ar⋅or = 0 r r r r Betrachtet man zwei Vektoren a und b und die vektorielle Projektion von b auf a, so kann man folgende Zusammenhänge feststellen: A(a |a ), B(b |b ), S(s |s ) x y x y x y ar =ax, br =bx, sr =sx ar2 = a2+a2, br2 = b2+b2, s2 = s2+s2 ay by sy x y x y x y SB2 = b2− s2 = b2+b2−s2−s2 x y x y SB2 = AB2−SA2 =(b −a )2+(b −a )2−(a −s )2−(a −s )2 x x y y x x y y Setzt man die Ausdrücke gleich, so folgt: b2+b2−s2−s2 = b2−2a b +a2+b2−2a b +a2−a2+2a s −s2−a2+2a s −s2 x y x y x x y x y y y y x x x x y y y y Nach dem Zusammenfassen ergibt sich: a b +a b = a s +a s x x y y x x y y Das skalare Produkt zweier Vektoren ist gleich dem skalaren Produkt eines Vektors und der vektoriellen Projektion des anderen Vektors auf diesen Vektor. - 29 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie r r r r r Haben zwei Vektoren b und b die gleiche Projektion auf einen Vektor a, so ist das skalare Produkt a⋅b 1 2 1 r r gleich dem skalaren Produkt a⋅b . 2 r r Führt man die vorige Berechnung für die Projektion von a auf b durch, so ergibt sich: r r r r r r r r Das skalare Produkt ist: a⋅b= a⋅s = b⋅s s ,s vektorielle Projektionen a b a b Ergibt sich bei der Berechnung des skalaren Produkts ein negativer Wert, so ist die Projektion mit dem Vektor, auf den projiziert wird, entgegengesetzt orientiert. Berechnet man das Produkt der Längen eines Vektors und der Projektion auf ihn, ergibt sich: ar ⋅ sr = ± a2+a2 ⋅ s2+s2 = ± a2s2+a2s2+a2s2+a2s2 = ± (a s +a s )2+(a s −a s )2 x y x y x x x y y x y y x x y y y x x y r r Da a und s auf einer Geraden liegen, gilt für die Koordinaten der Strahlensatz: a s x = x und a s −a s =0 a s x y y x y y Damit ergibt sich für das oben errechnete Produkt der Längen: ar ⋅ sr = ± (a s +a s )2 = a s +a s = ar⋅br x x y y x x y y Das skalare Produkt zweier Vektoren ist das Produkt der Längen eines Vektors und der Länge der vektoriellen Projektion des anderen Vektors auf diesen Vektor, versehen mit einem Vorzeichen abhängig von der Richtung der Projektion. Das skalare Produkt ist genau dann Null, wenn einer der Vektoren der Nullvektor ist, oder wenn die Länge der Projektion gleich Null ist. Das ist aber nur dann der Fall, wenn die beiden Vektoren aufeinander normal stehen. Orthogonalitätsbedingung: Das skalare Produkt zweier Vektoren ist genau dann gleich r r Null, wenn die beiden Vektoren aufeinander normal stehen: a⊥b ⇔ a b + a b = 0 x x y y - 30 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie (b) Das vektorielle Produkt r r r r r Sind a und b zwei Vektoren des Raumes, so heißt der Vektor c = a× b das vektorielle a b a b − b a r r r r r x x y z y z Produkt (das Kreuzprodukt) von a und b: c = a× b= a ×b = −(a b − b a ) y y x z x z a b a b − b a z z x y x y Man spricht daher auch „a kreuz b“. Das Ergebnis dieser vektoriellen Multiplikation ist wieder ein Vektor. Das vektorielle Produkt ist auch in der Determinantenschreibweise darstellbar: a b cr = ar×br =aayx×bbyx =aayz bbyz,− aazx bbzx,aayx bbyx z z Die Berechung ist daher in der Praxis einfach; man streicht jeweils eine Koordinatenzeile der beiden Vektoren und bildet die Differenz der Kreuzprodukte der verbleibenden Koordinaten, die zweite Differenz ist mit einem Minus zu versehen. Wie leicht zu überprüfen ist, gilt für das vektorielle Produkt: r r r r Alternatives Gesetz: a× b= −(b× a) Sind zwei Vektoren parallel, so ist das vektorielle Produkt der Nullvektor: r r r a = t⋅b , a = t⋅b , a = t⋅b a×b=o x x y y z z r r r r r Bildet man das skalare Produkt eines der Vektoren a, b mit dem vektoriellen Produkt c= a×b dieser Vektoren, so ist das Ergebnis gleich Null: r r r r r r r r r r a⋅c= a⋅(a×b)=0 b⋅c= b⋅(a×b)=0 r r r r r r r r r Das vektorielle Produkt c = a× b steht normal auf die Vektoren a und b. c⊥a, c⊥b r r r Die Vektoren a, b, und c bilden dabei ein sogenanntes Rechtssystem. - 31 - Vektorrechnung, Analytische Geometrie Der Betrag des vektoriellen Produkts beträgt: cr = ar×br = (a b −b a )2+(a b −b a )2+(a b −b a )2 y z y z x z x z x y x y r r Betrachtet man den Flächeninhalt eines Parallelogramms, das durch zwei Vektoren a, b aufgespannt wird, so gilt: A = a⋅h = b⋅h bzw. A2 =a2⋅h2 a b a Die Höhe h ist nach dem pythagoräischen Lehrsatz mit rs als Projektion von br auf ar : h2 =b2−s2 a a a a Somit gilt für den Flächeninhalt: A2 =a2⋅(b2−s2)=a2b2−a2s2 =a2b2−(a⋅s )2 a a a In der vektoriellen Schreibweise ergibt sich also: A2 =ar2br2−(ar⋅br)2 Berechnet man diesen Flächeninhalt mit den entsprechenden Koordinaten im Raum, so folgt: A2 =(a2+a2+a2)(b2+b2+b2)−(a b +a b +a b )2 = ... = (a b −a b )2+(a b −a b )2+(a b −a b )2 x y z x y z x x y y z z y z z y x z z x x y y x r r Der Flächeninhalt des durch die Vektoren a und b aufgespannten Parallelogramms ist r r r r r gleich dem Betrag des vektoriellen Produkts c = a×b: A = a×b (c) Normalvektoren r r r r Ein Vektor n≠ o, der auf einen gegebenen Vektor a ≠ o normal steht, heißt Normal- r vektor zu a. r r r r Für die Vektoren a und n gilt die Orthogonalitätsbedingung: a⋅n=0 a −a a Der Normalvektor zu ar = x in der Ebene lautet: nr = y und nr = y a 1 a 2 −a y x x Im Raum können jedem Vektor unendlich viele Normalvektoren zugeordnet werden. Legt man diese Normalvektoren in eine Ebene, so ergibt sich eine sogenannte Normalebene. Jedem Vektorpaar läßt sich im r r r Raum ein Normalvektor zuordnen. Es ist dies der Vektor n=a×b. r r r r r Der Normalvektor im Raum zu einem Vektorpaar a und b lautet: n= a×b - 32 -
Description: