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Urbanität: Ein Mythos und sein Potential PDF

178 Pages·2004·12.835 MB·German
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Thomas WOst Urbanitat Thomas WOst Urbanitat Ein Mythos und sein Potential I VS VERLAG FUR SOZIALWISSENSCHAFTEN + VS VERLAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEN VS Verlag fOr Sozialwissenschaften Entstanden mit Beginn des Jahres 2004 aus den beiden Hausern Leske+Budrich und Westdeutscher Verlag. Die breite Basis fOr sozialwissenschaftliches Publizieren Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Uber <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2003 an der Universitat Dortmund als Dissertation angenommen. 1. Auflage Mai 2004 Aile Rechte vorbehalten © VS Verlag fOr Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2004 Der VS Verlag fOr Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschlieBlich alier seiner Teile ist urheberrechtlich geschUtzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fOr Vervieltaltigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei cherung und verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dUrften. Umschlaggestaltung: KUnkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN -13:978-3-8100-4119-7 e-ISBN-13:978-3-322-80994-0 DOl: 10.10071978 -3 -322-80994-0 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ................................................................................... 7 2. Mythos als Instrument symbolischer Politik .................... 11 2.1. Zorn Begriff des Mythos ................................................................ 12 2.1.1. Mythos und Wissenschaft: Kontinuorn von Erkenntnisweisen...... 12 2.1.2. Elemente und Funktionen des Mythos............................................ 14 2.1.3. Mythos als Kons.trukt semiologischer Systeme............................... 19 2.2. Mythos und Politik ......................................................................... 25 2.2.1. Die Gestalt des Mythos................................................................... 28 2.2.2. Innere Bilder als Konstituens der Wahrnehmung ........................... 29 2.2.3. Mechanismen politischer Symbolik................................................ 33 2.3. Symbolische Politik ........................................................................ 36 2.4. Fazit................................................................................................ 40 3. "Zeit(loses)thema Urbanitat"................................................. 43 3.1. Anlage der Untersuchung ............................................................... 46 3.2. Analyse von Beitr~gen zum Diskurs Ober Urbanimt....................... 49 3.2.1. Defmiendum Urbanimt................................................................... 50 3.2.2. Die Deformation des Begriffes Urbanimt....................................... 57 3.2.3. Die Doppeldeutigkeit des Begriffes Urbanimt................................ 64 3.2.4. Weitere Elemente von Mythos des Begriffes Urbanimt ................. 67 3.3. Urbanimt als Stadtentwicklungsziel-FOr und Wider .................... 71 3.4. Fazit ............................................................................................... 83 5 4. Stadtkultur und aktuelle Stadtentwicklung........................ 87 4.1. Zum Verhiiltnis von Urbanitiit und Stadtkultur .............................. 87 4.2. Determinanten aktueller Stadtentwicklung ..................................... 89 4.3. Welches Stadtmodell? .................................................................... 100 4.4. Fazit ............................................................................................... 103 5. Stadtentwicklung in Zukunft: Ohne Leitbild? .................. 105 5.1. Leitbilder in der Stadtentwicklung ................................................. 107 5.2. Drei Leitbilder konkret .................................................................. III 5.2.1. "Urbanitiit durch Dichte": missverstandener Schrecken ............... 112 5.2.2. Nacbhaltige Entwicklung: trtlgerische Hoffnung .......................... 123 5.2.3. New Urbanism: zurtlck in die Zukunft? ........................................ 129 5.3. Konstitutive Elemente fUr Leitbilder ............................................. 134 5.4. Pliidoyer fUr perspektivische Orientierungsrahmen ....................... 138 5.5. Fazit................................................................................................ 144 6. Resfunee und Ausblick .......................................................... 147 Literaturverzeichnis ........ ................... ...................... ..... ...................... 151 Anhang ................................................................................................... 169 6 1. Einleitung Wer Texte zu Stadtforsehung und Stadtplanung liest, stoBt bald und Mufig auf das Wort Urbanitat. Wer Veranstaltungen zum Thema Stadt besueht, be kommt das Wort Urbanitat zu hOren. Die meisten werden dieses Wort tiberle sen oder tiberhOren und es doeh ungefiibr so registrieren: ah! - Urbanitat! - gut! Doeh wer sieh in der Stadt bewegt, wird Urbanitat nieht sehen. Wieso? "Urbanitat ist in der Wertskala der Planer ein hoehgradig positiver Quali Uitsbegriff - was immer man unter ihr verstehen mag." "Es gibt einen Wert begriff, den aIle Sutdtebauer anstreben, er ist ihr Ziel, die ErfiiIlung ihres Berufs, er ist das Zauberwort, das aIle im Munde fiihren, aber keiner erreieht, es ist die von allen so gesuehte und nie gefundene ,Urbaniutt'. Urbanitat ist tausend Mal bemtiht worden, hundert Mal besehrieben worden, aber noeh immer nieht so, daB sie handhabbar geworden ware." Zwischen diesen tref fenden Einsehatzungen von Heil (1971: 6) und Leipprand (2000: 113) liegen dreiBig Jahre. Wahrend dieser Zeit hat sich Stadt in vielerlei Hinsieht und erheblieh verlindert. Urbaniutt blieb davon unbehelligt. Weshalb? "Es ist eigentlieh unverstlindlieh, daB es, wenn sich der gesamte Berufs stand im Ziel einig ist, keinem gelingt, dieses anseheinend immer we iter fort ruekende Phlinomen zu fassen oder aueh nur zu besehreiben; vielleieht ware es dann zu realisieren, ja ganz sieher sogar. Wenn man genau wUBte, woraus sieh Urbanitat zusammensetzt, wenn man wUBte, wie sie funktioniert, wie sie entsteht und wie nieht, mtiBte es wohl moglieh sein, sie zu erzeugen. Aber sie entzieht sieh bis heute beharrlieh dem Zugriff professioneller Suehe" (Leipprand 2000: 113). Warum? Die drei skizzierten Aspekte und die sieh daran kntipfenden Fragen sind Gegenstand dieser Arbeit. Es solI untersueht werden, was den Begriff Urba nitat so verfiihreriseh und ziihlebig maeht. Denn wohl kein anderer Begriffhat die zahlreiehen Moden der Stadtplanung und Umbruehe der Stadtentwieklung so unbesehadet tiberstanden und wird trotz oder gerade wegen all dieser Ver werfungen unverandert hoehgehalten. DaB dies aber nieht etwa daran liegt, daB sein diskutierter Gehalt laufend und flexibel dem Zeitgeist angepaBt wird, zeigt schon eine oberflaehliehe Anniiherung an den Begriff. 7 Deshalb ist es mtiBig, die Serie der bis heute zahlreich untemommenen Versuche fortzusetzen, Urbanitiit im Sinne einer Definition zu begreifen. An Definitionen aller Art herrscht kein Mangel, und auch wenn diese jeweils im Rahmen der Betrachtung unterschiedlicher Zusammenhiinge gegeben werden und nur einzelne Aspekte erfassen, ergeben sie in der Summe ein komplettes Mosaik. Davon auszugehen ist jedenfalls plausibler, als die Annahme, im Laufe der langjiibrigen Beschiiftigung mit dem Phiinomen seien entscheidende Teile Ubersehen worden. DaB Urbanitiit sich aufgrund unzureichender Be schreibungen dem Zugriff entzieht, ist also wenig wahrscheinlich. Die Ursa che Iiegt woanders. Urn sie zu ergrilnden, bedarf es eines Wechsels der Per spektive, einer AuBensicht auf die Auseinandersetzung mit Urbanitiit. Das wird hier erprobt, niimlich mit der These, daB Urbanitiit ein Mythos ist. Zur Untersuchung dieser These wird in Kapitel 2 zuniichst ein Instrumen tarium entwickelt. Dazu werden nach einer koappen wissenschaftstheo retischen Einordnung des Mythos als Erkenntnisweise aus Beitriigen unter schiedlicher Disziplinen Elemente und Funktionen des Mythos extrahiert und versammelt. Sie dienen im Rahmen der Untersuchung von Urbanitiit als Prilf kriterien. Insbesondere aber werden Kriterien angelegt, die sich aus dem von Barthes entworfenen Modell des Mythos als sekundiires semiologisches Sys tem ergeben. Der Mythos ist jedoch nicht nur Erkenntnisweise und semio logisches Konstrukt, sondem auch zentrales Instrument fUr symbolische Po Ii tik. Urn diesen Zusammenhang zu beleuchten und entsprechende Wirk mechanismen darzustellen, wird auf politik- und kommunikationswissen schaftliche Forschungsergebnisse zurilckgegriffen. Insgesamt bilden die in diesem Kapitel angestellten Uberlegungen einen transdiszipliniiren theore tischen Hintergrund fUr die anzustellende Untersuchung. Dem Iiegt die Uber zeugung zugrunde, daB eine Bewertung von Urbanitiit weder aus einer Positi on innerhalb des Diskurses tiber Urbanitiit noch anhand von aus dies em Dis kurs abgeleiteten Kriterien moglich ist. Zur Vermeidung einer selbstreferen tiellen Betrachtung wird dieser Diskurs deshalb anhand von aus anderen Zu sammenhiingen entwickelten Kriterien und aus einer extemen Perspektive untersucht. In Kapitel 3 wird die Methodik dieser Untersuchung erliiutert. Urbanitiit ist nicht dinglich greifbar und somit nicht unmittelbar zu untersuchen. Des halb wird als mittelbares Untersuchungsobjekt der Diskurs tiber Urbanitiit analysiert. Weil dieser Diskurs offen ist und zudem seit tiber vierzig Jahren wiihrt, ist dies allerdings nur ausschnitthaft zu bewiiltigen. Insofem wird hier auf schriftliche Diskursbeitriige abgestellt und zwar soIche, deren Betitelung das nahelegt. Als konkrete Untersuchungsmethode wird ein inhaltsanalyti sches Verfahren entwickelt, dem zwar auf Basis der zuvor zusammengetrage nen Kriterien zur Identifikation des Mythos ein Kategorienschema zugrunde Iiegt, das aber als heuristisch zu verstehen ist. Es sei betont, daB das Untersu chungsinteresse auf manifeste, nicht aber auf latente Gehalte der ausgewiihl- 8 ten Beitrage gerichtet ist. Wer diese Texte zum Diskurs fiber Urbanitat liefert, ist also hier ohne Bedeutung. 1m Ergebnis zeigt sich, daB siimtliche Cha rakteristika des Mythos im untersuchten Diskursausschnitt nachzuweisen sind. Die Vennutung, daB es sich bei Urbanitat urn einen Mythos handelt, ist dem nach plausibel. Angesichts der Bestandigkeit des Begriffes Urbanitat wurden die Beitrage auch daraufhin untersucht, inwieweit Urbanitat als stadtentwick lungspolitisches Ziel in Betracht gezogen wird. DiesbezOglich gehen die An sichten zwar -auseinander, mehrheitlich werden aber bejahende Stellungnah men abgegeben. Deshalb scheint es angebracht, den Begriff Urbanitat trotz seiner Eigenschaft als Mythos nicht rundweg abzulehnen, sondern durch eine Systematisierung des Diskurses fiber Urbanitat stadtplanerisch nutzbar zu machen. Der beharrliche Rekurs auf Urbanitat spricht jedenfalls filr ein ent sprechendes BedOrfnis. DaB auch der Bedarf besteht, die immer wieder mit Urbanitat zum Aus druck gebrachten Vorstellungen zu realisieren, legt die in Kapitel 4 ange stellte Betrachtung von Einflfissen nahe, denen die Stadt aktuell ausgesetzt ist. Es werden Entwieklungen skizziert, die einen rasanten und eklatanten Wandel der Stadtkultur bewirken. Insbesondere gehen diese Entwieklungen mit der Ausbreitung einer okonomistischen Ideologie bis hinein in das politische Regulationssystem einher. Stadt wird als Unternehmen begriffen, das es be triebswirtschaftlicher Logik gemiiB zu steuern gilt. Die Konsequenzen dieser umfassenden Okonomisierung von Stadtpolitik und Stadtkultur sind hinsicht lich ihrer Tragweite kaurn abzuschatzen, sicher ist jedoch, daB der zuneh menden sozial-raurnlichen und sozio-okonomischen Polarisierung damit nicht entgegengewirkt werden kann. Diese Lage verlangt nach Besinnung, insbe sondere auf die mit dem Modell der Europaischen Stadt verbundenen Ideale. Diese sind nach wie vor nicht obsolet, sondern wirkmachtig, werden aller dings zur Verschleierung symbolischer Politik millbraucht, nicht zuletzt unter Berufung auf Urbanitat. Es bedarf deshalb einer transparenten und offenen Diskussion darilber, woraufhin Stadt entwickelt werden solI. In Kapitel 5 wird deshalb das Instrument des Leitbildes, welches regel miiBig zur Ausrichtung von Stadtentwicklung zum Einsatz kommt, einer Be wertung unterzogen. Auf der Grundlage einer abstrakten Betrachtung sowie der Untersuchung dreier konkreter Leitbilder werden Elemente benannt, tiber die ein Leitbild verfilgen muS, wenn es als stadtentwieklungspolitisches In strument taugen solI. Da eine Alternative zu diesem Instrument nicht in Sieht ist und weil eine Stadtgesellschaft tiber viele implizite und explizite hand lungsleitende Vorstellungen verfilgt, wird ein perspektivischer Orientierungs rahmen vorgeschlagen. Dieser solI dazu beitragen, vorhandene handlungs leitende Vorstellungen und Leitbilder einander gegeniiberzustellen, sie zu veranschaulichen, zu ordnen, zu btindeln und so Widerspriiche und Uberein stimmungen offenzulegen, urn auf dieser Basis Ziele zu fonnulieren, Priorita ten zu setzen und schlieBlich Projekte zu initiieren, die nachpriitbar der dann 9 bestimmten Entwicklungsrichtung entsprechen. Nach diesen handlungsleiten den VorstelIungen muG dabei nicht gesucht werden, sie sind im Diskurs Uber Urbanitlit dokumentiert. Insofem dient der perspektivische Orientierungsrah men insbesondere auch dazu, das Dickicht dieses Diskurses zu lichten, urn die darin zahlreich vorgetragenen Ideen, Wiinsche, Vorschlage und Konzepte in ihrer ganzen FUlIe flir die Ausrichtung der Stadtentwicklungjenseits symboli scher Politik nutzbar zu machen. 10 2. Mythos als Instrument symbolischer Politik Mythos hat Konjunktur. GegenUber wissenschaftlicher Rationalitiit und darauf gegrUndetem Fortschritt entwickelt sich zunehmend Skepsis. Und mit diesem "ZerfaU der groBen Erz!ihlungen" (Lyotard 1986: 54)1 ist Orientierung ge fragt, doch sind akzeptable Leitlinien zukUnftiger geseUschaftlicher Entwick lung ebenso schwierig zu finden wie zu vermitteln. In Reaktion darauf bedie nen sich deren Strategen mit Erfolg eines probaten Mittels: Mythos. Die Vor aussetzungen daftir sind gUnstig, denn, wie Bolz (1983: 475) feststellt, "die asthetische Sensibilitiitscheint heute [ ... ] wieder auf den Mythos der Grund worte, die Magie des Nennens anzusprechen". Der Mythos dieser Grundworte, der Worte mit unhinterfragter Bedeu tungsschwere, der vermeintlich selbstverstandlichen Begriffe, ist fiir meine Auseinandersetzung mit dem Phiinomen Urbanitat zentral. Er soU die analyti sche Basis dieser Auseinandersetzung sein. Dabei geht es urn mehr als eine Begriffskliirung, denn es soil gezeigt werden, daB Mythos als Instrument stra tegisch eingesetzt wird, urn Politik zu betreiben. Eine Politik, die sich haufig in der "Magie des Nennens" erschOpft, die nicht halt, was sie verspricht, die symbolische Politik ist. Urn diese Basis zu schaffe n, wird zunachst der hier zugrunde gelegte Begriff von Mythos dargestellt. AnschlieBend werden Wirk mechanismen des Mythos konkretisiert und deren Beziehung zu Konstanten politischer Motivation erlautert, urn die Konstellation von Mythos und Politik zu fassen. 1m dritten Schritt wird auf die daraus resultierende Charakteristik symbolischer Politik eingegangen. "Damit soli nieht gesagt sein, daB sie gar nieht mehr vorhanden wllren und nieht filr man chen weiterhin Orientierung geben und Engagement freisetzen k!)nnten [ ... ], sondern es geht aussehlieBlieh darum, daB diese Meta-ErzlIhlungen keine allgemeine Verbindliehkeit und Legitimationskraft mehr besitzen. Und das wird sehwerlieh zu bestreiten sein" (Welsch 1997: 172). II

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