BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG HERAUSGEGEBEN VON KURT BALDINGER II. HEFT 4 Manfred Höfler Untersuchungen zur Tuch- und Stoffbenennung in der französischen Urkundensprache MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1967 Untersuchungen zur Tuch- und Stofibenennung in der französischen Urkundensprache Vom Ortsnamen zum Appellativum von Manfred Höfler MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1967 Die vorliegende Arbeit wurde 1965 von der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1967 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Satz und Druck von Poppe Sc Neumann, Graph. Betrieb, Konstanz Einband von Heinr. Kodi» Tübingen Vorwort Die vorliegende Untersuchung verdankt ihr Entstehen einer Anregung meines verehrten Lehrers, Herrn Prof. Kurt Baldinger, der schon vor Jahren meine Aufmerksamkeit auf das noch weitgehend unerforschte Gebiet der franzö- sischen Textilterminologie lenkte. Wertvolle Hinweise steuerte auch Herr Prof. Bodo Müller bei. Ihm und allen meinen akademischen Lehrern sei an dieser Stelle mein aufrichtiger Dank ausgesprochen. Besonders verpflichtet bin ich Herrn Prof. Walther von Wartburg für die Bereitstellung der noch unveröffentlichten Materialien des Französischen Etymologischen Wörter- buchs sowie Herrn Robert Harsch-Niemeyer für die verständnisvolle ver- legerische Betreuung. Danken möchte ich auch Frau Gisela Möller-Pantleon für die mühsame Arbeit des Korrekturenlesens. Vielfältigen Dank schulde ich Herrn Prof. Kurt Baldinger. Er hat mir die umfangreichen Materialien seines in Vorbereitung befindlichen onomasio- logischen Wörterbuchs der altgaskognisdien Urkundensprache zur Verfügung gestellt und meine Arbeit in die Reihe der von ihm herausgegebenen Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie aufgenommen. Vor allem aber hat er in mir das Verständnis für linguistische Fragestellungen geweckt, mich stets mit seiner nie versagenden Hilfe begleitet und so das Zustandekommen dieser Arbeit überhaupt erst ermöglicht. Heidelberg, im Juli 1967 Manfred Höfler Inhaltsverzeichnis EINLEITUNG i ERSTER TEIL FRANZÖSISCHE STOFFBEZEICHNUNGEN 1. Flandern und Niederlande 4 2. England 33 3. Nordfrankreich 48 4. Bretagne 67 5. Südfrankreich 79 6. Pyrenäenhalbinsel 83 7. Orient 87 8. Italien 105 9. Deutschland 110 ZWEITER TEIL VOM ORTSNAMEN ZUM APPELLATIVUM EIN PROBLEM DER WORTBILD UNG S LE HR E 1.Die Entwicklung vom Ortsnamen zum Appellativum . . . . 116 2. Der periphrastische Typus 121 3. Entlehnung oder eigenständige Bildung? 124 4. Die Verkürzung des periphrastischen Typus 127 5. Das Problem der Lexikalisierung 128 6. Lexikalisierung des periphrastischen Typus 133 7. Zusammenfassung 136 LITERATURVERZEICHNIS 137 ORTSNAMENREGISTER 151 WORTREGISTER 152 Einleitung Die Textilindustrie ist einer der bedeutendsten Zweige der Wirtschafts- geschichte des Mittelalters. Inventare und Testamente, Rechnungsbücher und Zolltarife sowie die zahlreichen uns überlieferten Statuten zeugen in gleicher Weise von der besonderen Beachtung, die diesem zentralen Lebensbereich zu allen Zeiten geschenkt wurde. So ist auch die Literatur zu diesem Fragen- komplex reich an Arbeiten kulturgeschichtlicher wie sprachhistorischer Art. Schon früh entwickelte sich in Frankreich und den daran anschließenden Gebieten Flanderns eine Textilindustrie, die sehr rasch über die Grenzen hinaus zu internationaler Bedeutung gelangte. Der grundlegende sprach- geschichtliche Beitrag zur flandrischen Tuchfabrikation ist das dreibändige Werk von GUY DE POERCK, La draperie médiévale en Flandre et en Artois. Technique et terminologie, Brugge 19$ i, in dem de Poerck das gesamte fach- sprachliche Vokabular der flandrischen Textilindustrie des Mittelalters unter- sucht, wobei neben dem Altfranzösischen auch das Flämische Berücksich- tigung findet. Im Gegensatz dazu beschränkt sich KURT ZANGGER in seiner 1945 erschienenen Zürcher Dissertation Contribution à la terminologie des tissus en ancien français, Bienne 1945 auf die Behandlung einer Reihe alt- französischer Stoff- (meist Tuch-)bezeichnungen, wobei er den geographi- schen Rahmen weiter als de Poerck spannt, indem er neben altfranzösischen und altprovenzalischen Stoffbezeichnungen auch die italienischen, spanischen, deutschen und mittellateinischen Entsprechungen untersucht. Doch abgesehen von der oft recht zufälligen Auswahl der behandelten Termini geht auch seine Darstellung im wesentlichen nicht über eine reich dokumentierte Ma- terialsammlung hinaus1. Daneben bestehen zahlreiche vorwiegend etymo- logisch orientierte kleinere Arbeiten über einzelne Stoffbezeichnungen, von denen vor allem die Untersuchung von WECKERLIN ZU fr. écarlate durch die geschickte Verbindung von Sach- und Wortgeschichte besondere Beachtung verdient2. Doch beschränkt sich die mittelalterliche Textilindustrie keineswegs auf die gewiß im Vordergrund stehende Tuchfabrikation Flanderns. Ohne des- 1 Cf. auch die Kritik von Carlo Consiglio in RFE 30,171-176. - Nicht eingesehen wurde die noch unveröffentlichte Dissertation vonNANNY v. SCHULTHESS-ULRICH, Romanische und orientalische Gewebebezeichnungen, Diss. Zürich 1957. 2 J.-B. Weckerlin, Le drap 'escaríate' au moyen âge. Essai sur l'étymologie et la signification du mot écarlate et notes techniques sur la fabrication de ce drap de laine au moyen âge, Lyon 1905. I sen Bedeutung zu erreichen, ist auch Paris ein wichtiges Zentrum der Tuch- industrie und zählt zu den villes drapantes, die in der Hanse von London zusammengeschlossen sind3. Ein Blick auf die Rôles de la Taille von 1292 und 1300 genügt, um ihre hervorragende Stellung innerhalb der gesamten Industrie und des Handels jener Zeit aufzuzeigen. 1292 finden wir in Paris unter den bedeutendsten Berufsgruppen nicht weniger als 14 brodeeurs und broderesses, 19 drapiers (marchands de draps), 8 fileresses de soie, 24 fou- lons, ij teinturiers, 11 teliers (tisserands de toiles), 82 tisserands und tisse- randes sowie 20 tondeurs. In der Steuerrolle von 1300 erhöhen sich diese Zahlen auf 23 brodeurs, 56 drapiers, 36 fileresses de soie, 83 foulons, 33 teinturiers, 9 tisserands de toiles, 360 tisserands und 3 6 tondeurs. Neu hinzu kommen im Jahr 1300 noch 46 ouvriers und ouvrières de soie4. Das gleiche Bild ergibt sich 1313, wo die Textilarbeiter gleichfalls den größten Anteil aller Berufsgruppen stellen5. Die tisserands und drapiers beschränken sich nicht auf die Herstellung der Stoffe, in ihren Händen liegt auch der Handel auf den großen Märkten Europas. So werden Tuche aus Paris im Dit du Lendit rimé6 aus dem 14. Jh. ebenso wie auf den Märkten der Champagne erwähnt7. Im Gegensatz dazu ist der Handel mit Seidenstoffen ein Privileg der merciers. Nach ihren ersten Statuten aus dem Jahr 1324 scheint ihre Aufgabe zunächst nur im Handel mit Seide und Seidenstoffen zu liegen, doch kommen bald auch Woll- und Baumwollstoffe hinzu, die sie in Paris verkaufen8. Während die Tuche zu jener Zeit vorwiegend aus Flandern kamen, wurden die Seidenstoffe vor allem aus Italien und dem Orient im- portiert9. Zum Teil wurde die Seide aber auch in Ballen aus dem Orient geliefert und erst in Frankreich zu Stoffen verarbeitet10. Doch konnte sich dieser Zweig der Textilherstellung erst sehr viel später gegen das starke Obergewicht des direkten Imports behaupten. In der vorliegenden Untersuchung soll nur ein kleiner Ausschnitt aus dem weiten Gebiet der französischen Stoffbezeichnungen11 dargestellt werden. Bei der Auswahl des zu berücksichtigenden Wortmaterials haben wir uns von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen. Zum einen beschränken wir uns ebenso wie Zangger und de Poerck auf nichtliterarische Texte12, zum 3 FagniezEt i;jf.; allerdings fehlt Paris in der Liste der 22 villes drapieres der Hanse von London aus der Mitte des 13. Jhs., abgedruckt bei FagniezDoc i,20jf. 4 Nach FagniezEt jfl. 5 Ib. 20. 6 FagniezDoc 2,i73ff. 7 FagniezEt 20. 8 S. dazu die Statuten der merciers in LespMet 2,232-285. 9 S. dazu besonders MichEt passim. 10 S. dazu EBoileau 66S.; LespMet 2,289s. 11 Unter der Bezeichnung 'Stoff' werden im folgenden ausschließlich Gewebe ver- standen, während Wirkwaren ebenso wie Spitzen unberücksichtigt bleiben. 12 Doch werden die uns aus Wörterbüchern und der Sekundärliteratur zugäng- lichen Belege aus der Literatursprache, soweit sie unserer Fragestellung förderlich sind, stets herangezogen werden. Auf eine systematische Exzerption literarischer Texte wurde jedodi bewußt verzichtet. 2