UNTERSUCHUNGEN ZUM PROBLEM DES FEHLERHAFTEN STAATSAKTS BEITRAG ZUR METHODE EINER TELEOLOGISOHEN REOHTSAUSLEGUNG VON DR. ERNST VON RIPPEL· PRIVATDOZENT AN -PER UNIVERSITAT HEIDELBERG BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1924 ISBN-13: 978-3-642-98566-9 e-ISBN-13: 978-3-642-99381-7 DOl: 10.1007/978-3-642-99381-7 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER UBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. MEINER FRAU Vorwort. Gegenstand vorliegender Arbeit ist das Problem des fehler haften Staatsakts. Dementsprechend besteht ihre eigentliche Auf gabe darin, jene Schwierigkeiten darzulegen und zu iiberwinden, welche eine Theorie des fehlerhaften Staatsakts bietet. Die Ge winnung grundsatzlicher Klarheit iiber Ziel und Weg schien dabei um so mehr gefordert, als die bisherigen Versuche einer wissen schaftlichen Behandlung des Gegenstandes zwar unbestreitbar wert volle Einzelausfiihrungen, keineswegs aber methodische Sicherheit gebracht haben. Insoweit dieser Mangel nach hier vertretener Ansicht an der Haltlosigkeit des angewandten formalistischen Ver fahrens liegt, bilden nachfolgende Untersuchungen einen Beitrag zu einer teleologischen Methode der Rechtsauslegung iiberhaupt. Herr Dr. med. hon. c. Ferdinand Springer iibernahm hoch herzigerweise auch unter den gegenwartigen Verhaltnissen die Drucklegung meiner Arbeit. Wieviel ich ihm damit verdanke, kann nur ganz ermessen, wer in heutiger Zeit seine wissenschaft liche Laufbahn erst beginnt. Berlin, Dezember 1923. Ernst von Hippel. Inhaltsverzeichnis. Seite Erster Teil. Einfiihrung. § 1. Der Begriff des fehlerhaften Staatsakts im Sinne vorliegender Arbeit. . . • . . . . . . . 3 a) Der Begriff des Staatsakts 1 b) Der Begriff des Fehlers . 1 Zweiter Teil. Die formalistische Behandlung des fehlerhaften Staatsakts. § 2. Begriff und Formen der Unwirksamkeit . . . . . . . .' 4 a) Der Begriff der Unwirksamkeit . . . . . . . . . . " 4 b) Die a priorischen Unwirksamkeitsformen der logisch-dog- matischen Richtung • . . . . 4 a) Die Zivilisten ...... 6 aa) Der franziisische Zweig 7 ~~) Der deutsche Zweig . . 10 ~) Die Publizisten • . _ . . . 17 § 3. Die Versuche der Gegenstandsbegrenzung durch die Kate- gorien des Rechtsgeschafts und der Rechtshandlung . 22 a) Die Bedeutung dieser Kategorien fUr die Theorie des fehler haften Staatsakts ..•. . . . _ . . . • . • • • •. 22 b) Die privatrechtlichen Versuche, bestimmte Tatbestande als Rechtsgeschafte oder Recht~handlungen festzustellen. 25 a) Das Willens- oder ErkUirungsziel als Unterscheidungs- kriterium .•.•..•..•.......... 25 fi) Die Notwendigkeit eines Rechtserfolgswillens als Kenn zeichen des Rechtsgeschafts • . . . • • . . . . •. 30 y) Die teleologische Unterscheidung von Rechtsgeschaft und Rechtshandlung als eigentlich verwandte Methode der privatrechtlichen Theorie .•...• . • • •. 33 c) Haltlosigkeit der publizistischen Versuche, Staatsakte recht licher Eigentiimlichkeit mittels derprivatrechtlichen De finitionen des Rechtsgeschafts und der Rechtshandlung zu gewinnen 34 Inhaltsverzeichnis. VII Seitc 4. Versuch einer psychologischen Verbindung von Fehler und Unwirksamkeitsform . . . . . .. . ..... " 35 § 5. Versuche einer logischen Verbindung von Fehler und Un- wirksamkeitsform . . . . . . . . 41 a) Das Verfahren logischer Deduktion 41 b) Die petitio principii als Verbindungsbriicke 46 c) Die Aufgabe des formalistischen Verfahrens zugunsten eines teleologischen . . . • . . . . . . . .• 52 Dritter Teil. N otwendigkeit und Verfahren teleologischer Rechtsaus- legung. I § 6. Die Methode der Rechtsauslegung und der fehlerhafte Staatsakt. 54 a) Unzulanglichkeit der herrschenden Lehre von ~er Rechts- auslegung ...•............ 54 b) Unmoglichkeit deduktiver Rechtsauslegung. . . . . . . 57 c) Grundlosigkeit induktiver Rechtsauslegung . . . . . . . 59 d) Notwendigkeit und Verfahren teleologischer Rechtsaus- legung • . . . . . . • . . . . . . . ..... 62 e) Bedeutung des Ergebnisses fUr die Lehre vom fehler- haften Staatsakt • . • . . . . 64 Vierter Teil. Versuch elner teleologischen Behandlung des fehlerhaften Staatsakts. § 7. Abhangigkeit der Bedeutung eines Fehlers von der konkreten Wertlage 66 a) Unzulanglichkeit der franzosischen teleologischen Richtung 66 b) Beispiele fiir verschiedene Wertlagen 7l a) Wirksamkeit eines fehlerhaften Staatsakts im Interesse . der Privaten 71 fJ) Wesentliche und unwesentliche Fehler 76 r) Wesen und soziale Funktion des Akts 78 0) Abhangigkeit der Fehlerfolge von der Moglichkeit, den' Fehler geltend zu machen 79 E) Abhangigkeit der Fehlerfolge von der Rechtskraft der verletzten Norm 82 C) Grenzen der Zulassigkeit privatrechtlicher Analogie fiir . teleologische Rechtsauslegling 83 c) Behandlung des fehlerhaften Staatsakts de lege ferenda. 83 § 8. Die Feststellung des Fehlers 84 § 9. Fehlergriinde und Fehlerfolgen 91 VIII Inhaltsverzeichnis. Seite a) Der rechtslogische Ort des Fehlers im allgemeinen 91 b) Der fehlerhafte belastende Akt . . . . . . . . 95 a) Das Reoht des Untertanen zum Widerstand . 96 fJ) Der nichtige Akt . . 104 y) Der anfechtbare Akt .• . . . . . . . . . 106 0) Der begiinstigende Akt. . . . . . . . . . . . 114 a) Die Begiinstigung duroh unzustandige Stellen 114 jj) Die irrtiimliche Erteilung einer Begiinstigung 120 y) Die durch unlautere Mittel erlangte Begiinstigung 123 § 10. Das Verfahren teleologisoher Reohtsauslegung im Sinne vor liegender Arbeit und der Methodenstreit der Rechtswissen- sohaft ..... ...............•. 130 Druckfehlerverzeichnis. S. 13 ff. v. Tuhr statt v. Thur. S. 18, Anm. 79, 2. Aufl. statt 3. Aun. S. 37, Anm. 138a, J ellinek sche statt Tellinek ache S. 54, Anm. 221, Koellreuther statt Kellreuther Erster Teil. Einilihrung. § 1. Der Begriff des fehlerhaften Staatsakts im Sinne vorliegender Arbeit. a) Der Begriff des Staatsakts. Eine Arbeit, welche Unter suchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts zu liefern verspricht, beginnt fiiglich mit einer Bestimmung ihres Gegen standes. Was also ist zunachst unter einem Staatsakt zu ver stehen 1 - Zur Beantwortung dieser Frage muB offenbar aus gegangen werden yom Kreise derjenigen Handlungen, welche sich juristischer Betrachtung als offentlich-rechtliche darstellen. Denn kann auch formell einmal ein St,aatsakt nach privatrechtlichen Normen zu beurteilen sein, so bleibt doch materiell der Staatsakt die publizistische Handlung schlechthin. Die heute meist anerkannte Unmoglichkeit selbst materieller apriorischer Abgrenzung des privaten und offentlichen Rechts 1) 1) SieheKaufmann, Erich: Das Verwaltungsrecht und seineSchei dungvom btirgerlichenRecht,Stengel-Fleischmann, Bd. III,S. 701 ff. Zahlreiche Versuche der Albgrenzung bei Holliger: Das Kriterium des Gegensatzes zwischen dem offentlichen Recht und dem Privatrecht, Ztiricher Diss. 19(»4. - Vom Standpunkt der Rechtslogik aus beseitigen den Dualismus von privatem und offentlichem Recht We yr: Zum Pro blem eines einheitlichen Reohtssystems, Arch. Off. R. 1908, S. 529 ff., und Kelsen in seinen Schriften, insbesondere: Zur Lehre yom offentlichen Rechtsgeschaft, Arch. Off. R. 31, S. 53 ff., 191 (f. Verwandte Gedanken gange lassen bereits frtiher John Aus.,tin: Lectures on Jurisprudence or The Philosophy of Positive Law, 3. AufI . 1909, S. 69 ff., 770f£. den Gegen satz von privatem und offentlichem Recht leugnen. Siehe ferner Kr a b be: Die Lehre von der Rechtssouveranitat, Groningen 1906. Auf Grund der Rechtspraxis verwirft den Rechtsdualismus Frhr. v. Schenk: Die Ab grenzung des offentlichen und privaten Rechtes, Osterr. Zeitschr. f. offent!. Recht, Bd. I, S. 62ff., 1914. Dagegen kommt Tezner: System der obrig keitlichen Verwaltungsakte, S. 1 ff., 361 ff. ebendort in § 6 zu einer "Koin zidenz von Verwaltung und offentlichem Recht, von Rechtsprechung und Privatrecht". Uber den Unterschied von privatem und offentlichem Hippel, Staatsakt. 1 2 Einfiihrung. macht aber notwendig auch den Versuch, bestimmte Hand lungen von vornherein als Staatsakte festzulegen, utopisch. Da gegen wird weder hierdurch noch durch die Annahme formaler Gleichheit alIer Rechtssubjekte die rechtliche Eigentiimlichkeit, welche eine Handlung als Staatsakt bietet, iiberhaupt aufgehoben. Denn auch die Anerkennung formaler Gleichheit aIler Rechts subjekte beseitigt nicht die Notwendigkeit, wegen del' inhal t lichen Verschiedenheit del' Normen festzusteIlen, ob eine Hand lung als publizistische odeI' privatrechtliche beziiglich ihrer Unter ordnung unter gewisse Normengruppen betrachtet werden muB. Unrichtig ist es daher, wenn etwa Alexander Katz unter Be rufung auf Kelsen letzten Endes die "subsidiare Geltung del' im allgemeinen Teile des Biirgerlichen Gesetzbuchs gegebenen all gemeinen Vorschriften iiber die Anfechtung von Willenserkla rungen auf rechtsgeschaftliche Verwaltungsakte" mit del' Einheit des Rechtssystems begriindet2). Denn selbst wenn formell die als Staatsakte bezeichneten Handlungen sonstigen Handlungen von rechtlicher Bedeutung gleichstehen mogen, folgt doch aus diesel' formalen Gleichheit mit anderen Akten fiir die Art ihrer materiell-rechtlichen Behandlung nicht das geringste. Eine Tat sache, welche von den Vertretern rein formaler Rechtsgleichheit und ·einheit mit einer gewissen psychologischen Notwendigkeit selbst dort haufig verkannt wird, wo man angeblich von einer nul' formalen Gleichheit del' Rechtsverhaltnisse ausging3). Besteht daher keine Veranlassung, mit Alexander Katz Wesen und Begriff des Staatsaktes letzten Endes aufzugeben, so ist es, wie gesagt, aIlerdings unmoglich, apriorisch materieIl die als Staatsakte anzusehenden Gegenstandlichkeiten zu bestimmen. Wann eine Handlung im EinzelfaIl sich als Staatsakt darstellt, Recht handelt neuestens Baumgarten: Die Wissenschaft vom Recht und ihre Methode, Bd. I, S.344ff., 1920, Bd.lI, S. 1 ff., 1922. Auf soziologischer Grundlage unterscheidet Jung: Uber die Abgrenzung des Privatrechts vom offentlichen Recht und tiber die Gliederung des ge samt en Rechtsstoffs, in Zeitschr. f. Rechtsphilosophie, Bd. II, S. 331, 4 Gruppen: Privatrecht; Verbands(Sozial-)recht; Offentliches Recht i. e. S. und Volkerrecht. 2) Del' Widerruf von Verwaltungsakten hei vorgefallener Bestechung, Verwaltungsarch. Bd.24, S.497ff. 3) V gl. dazu v. Rippel: Zur Kritik einiger Grundbegriffe in del' reinen Rechtslehre Kelsens, Arch. Off. R. 1923, S.327ff.