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Unscharfe Einsätze: (Re-)Produktion von Heterogenität im schulischen Feld PDF

307 Pages·2013·4.181 MB·German
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Studien zur Schul- und Bildungsforschung Band 42 Herausgegeben vom Zentrum für Schul- und Bildungsforschung (ZSB) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland Jürgen Budde( Hrsg.) Unscharfe Einsätze: (Re-) Produktion von Heterogenität im schulischen Feld Herausgeber Prof. Dr. Jürgen Budde Universität Flensburg, Deutschland ISBN 978-3-531-18415-9 ISBN 978-3-531-19039-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19039-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhaltsverzeichnis Jürgen Budde Einleitung .................................... .......................................................................... 7 I. Theoretische Perspektiven Isabell Diehm, Melanie Kuhn & Claudia Machold Ethnomethodologie und Ungleichheit? Methodologische Herausforderungen einer ethnographischen Differenzforschung ........................ 29 Mechtild Gomolla Barrieren auflösen und Teilhabe gestalten: Ein normativer Reflexionsrahmen für eine heterogenitätsbewusste Organisations- entwicklung in (vor)schulischen Bildungseinrichtungen ..................................... 53 Kerstin Rabenstein & Julia Steinwand Heterogenisierung: Subjektkonstruktionen im Heterogenitätsdiskurs in Deutschland ...................................................................................................... 81 Beate Wischer Konstruktionsbedingungen von Heterogenität im Kontext organisierter Lernprozesse. Eine schul- und organisationstheoretische Problemskizze .................................. 99 Norbert Wenning Die Rede von der Heterogenität – Mode oder Symptom?. ................................ 127 II. Empirische Perspektiven Georg Breidenstein, Christin Menzel & Sandra Rademacher Legitime und illegitime Differenzen im individualisierten Unterricht. Beobachtungen aus einer Montessori-Schule. ................................. 153 Jürgen Budde Didaktische Regime - Zettelwirtschaft zwischen Differenzstrukturen, Homogenisierung und Individualisierung .......................................................... 169 Torsten Eckermann & Friederike Heinzel Etablierte und Außenseiter - Wie Kinder beim kooperativen Lernen mit Heterogenität umgehen. ............................................................................... 187 Uwe Gellert Heterogen oder hierarchisch? Zur Konstruktion von Leistung im Unterricht ................................................... 211 Kerstin Jergus, Jens Oliver Krüger & Sabrina Schenk Heterogenität als Leitbild – Heterogenität in Leitbildern .................................. 229 Marita Kampshoff Doing difference im Unterricht als Unterricht ................................................... 249 Tanja Sturm Orientierungsrahmen unterrichtlicher Praktiken: lerntheoretische Vorstellungen und schulischer Kontext ............................................................. 275 III. Exkurs: Internationale Perspektive Gjert Langfeldt The lost yield of education ................................................................................. 297 Autorinnen und Autoren. .................................................................................... 313 Einleitung: Unscharfe Einsätze – (Re-)Produktion von Heterogenität im schulischen Feld Jürgen Budde Heterogenität im schulischen Feld Ein zentrales – und seit der Herausbildung einer modernen Konzeption von Schule wiederholt diskutiertes – schulpädagogisches Spannungsfeld ist im Ver- hältnis zwischen Differenz und Gleichheit geronnen. Welchen Stellenwert Diffe- renz und Gleichheit im Schulsystem haben ist bereits seit der klassischen Formu- lierung von Ernst Christian Trapp, „den Unterricht auf die Mittelköpfe zu kalku- lieren“ als eine der zentralen Fragen und Herausforderungen der Schulpädagogik markiert. Diese Herausforderung bezieht sich nicht nur auf die – im Trapp‘schen Zitat thematisierte – Dimension des Unterrichtens, sondern beispielsweise auch auf die schulorganisatorische Ebene. So ist ein Gleichheitsanspruch kennzeich- nend für die Etablierung eines modernen Schulsystems im Laufe des 19. Jahr- hunderts. Die Einführung der allgemeinen, für alle gleichermaßen geltenden Schulpflicht lässt sich als ein wesentliches Merkmal einer modernen Schule charakterisieren – wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass die Bildungsbeteili- gung zu jener Zeit nach familiärer Herkunft und Geschlecht wiederum erheblich differenziert war. Auch in der aktuellen schulpädagogischen Diskussion ist die Frage nach dem Verhältnis von Gleichheit und Differenz in vielfacher Weise aufgerufen. Besonders pointiert wird die Frage aktuell unter dem Stichwort Heterogeni- tät diskutiert. Der Begriff Heterogenität wird zunehmend als zentrales Thema für Schule und Unterricht benannt und in diesem Kontext sowohl auf soziale Kate- gorien als auch auf unterschiedliche Leistungsstände von Schülerinnen bezogen (Budde 2012a). In Forschung, theoretischem Diskurs und Praxis wird Heteroge- nität auf unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Konzeptionierungen verwendet. Dabei lassen sich höchst unterschiedliche Einsätze des Begriffes feststellen, die eher zu Unschärfen führen (Budde 2012b). So ist beispielsweise zu fragen, was theoretisch unter Heterogenität gefasst wird oder in welchem Verhältnis Heterogenität und Homogenität im schulischen Feld zueinander ste- hen? Weiter wäre beispielsweise zu klären, inwieweit Heterogenität nicht nur J. Budde (Hrsg.), Unscharfe Einsätze: (Re-)Produktion von Heterogenität im schulischen Feld, Studien zur Schul- und Bildungsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-19039-6_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 8 Jürgen Budde bearbeitet, sondern im Feld selbst hervorgebracht wird? Welche empirischen Befunde liegen vor, welche methodologischen Herausforderungen sind zu be- denken? Noch wenig im Blick der Schul- und Unterrichtsforschung ist bislang die Überlegung, dass Heterogenität/Differenz und Homogenität/Gleichheit nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern relationale und aufeinander verwei- sende Konzepte sind (Wenning 2004). Beide entstehen in Prozessen des Wahr- nehmens und Vergleichens, denen implizite oder explizite Maßstäbe oder Bezü- ge zu Grunde gelegt sind. Während mit Heterogenität Differenzen zwischen zwei Eigenschaften, Personen oder Artefakten im Hinblick auf ein Kriterium be- schrieben werden, beschreibt Homogenität die Gleichheit von Aspekten im Ver- gleich. Im Prozess des Vergleichens entstehen Gleichheit und Differenz, die dabei jeweils mit spezifischen Bedeutungen und Wertungen aufgeladen werden (Lang et al. 2010). Die im schulischen Feld verhandelten Konzepte von Differenz bzw. Hete- rogenität und Gleichheit bzw. Homogenität können höchst widersprüchlich ge- handhabt werden. Dabei ist keineswegs auszumachen, ob die Schule nun eher zu Heterogenisierungen oder aber zu Homogenisierungen tendiert. Ein Blick auf verschiedene Ebene verdeutlicht, dass die Tendenzen unklar, widersprüchlich, aber auch sich gegenseitig bedingend sein können. So dominieren auf der Ebene institutioneller Regelungen zwar historisch Verfahren, die auf leistungshomoge- ne Lerngruppen durch ein mehrgliedriges (sprich heteorgenes) Schulsystem abzielen, andererseits nehmen in den letzten Jahren die Initiativen für die Schaf- fung heterogener Lerngruppen zu (vgl. Wischer 2007). Initiativen wie die Ein- führung von altersgemischten oder Integrationsklassen sollen die so genannte ‚Vielfalt der SchülerInnen‘ begünstigen (vgl. Graumann 2002), nicht selten in Verbindung mit der Reduktion (Homogenisieurng) von Schulformen. Homoge- nisierungen werden ebenfalls sichtbar in der Formulierung allgemeingültiger (mittels Vergleichsarbeiten überprüfbarer) Kompetenzen (vgl. Fürstenau 2007). Auch in der Anforderungsstruktur an LehrerInnenhandeln wird das komple- xe Gefüge von Differenz und Gleichheit deutlich. So sind Lehrpersonen zum einen verpflichtet, sich an Gleichheitsvorstellungen in Absehung vom Einzelfall zu orientieren, besonders im Falle der Leistungsbewertung ist dieses Prinzip zentrale Basis für die Legitimation von Schule (vgl. Schröder 1995). Zum ande- ren sollen sie die Individualität der SchülerInnen nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern zum Ausgangspunkt pädagogischer Prozesse machen, wie dies bei- spielsweise in den KMK-Standards zur Lehrerbildung gefordert wird. So ist an dieser Stelle definiert, dass Unscharfe Einätze – (Re-)Produktion von Heterogenität im schulischen Feld 9(cid:1) „Lehrerinnen und Lehrer […] die sozialen und kulturellen Lebensbedingungen von Schülerin- nen und Schülern [kennen] und […] im Rahmen der Schule Einfluss auf deren individuelle Entwicklung [nehmen]“ (Kultusministerkonferenz 2004). Auf der Ebene des Unterrichts ist das Verhältnis von Gleichheit und Differenz ebenfalls spannungsreich und keineswegs geklärt. So dominierten lange Homo- genisierungen, etwa in Form des lehrerzentrierten Unterrichtsgespräch oder in vereinheitlichenden Lehr-Lernarrangements (vgl. z.B. Sturm 2009), die zuneh- mend durch pädagogisch-didaktische Alternativen ersetzt (vgl. Baumert et al. 1997; Häcker/Rihm 2005) und mit der Hoffnung verbunden werden, mit Hetero- genität anders – gelingend – umzugehen. Im Zuge der Forderung nach Individua- lisierung, selbsttätigem Lernen und Binnendifferenzierung im Kontext von Leis- tungsheterogenität sind unterschiedlichste Varianten geöffneten Unterrichts überaus populär (vgl. Bohl/Kucharz 2010). In der Grundschule ist beispielsweise nicht mehr Klassenunterricht sondern Einzelarbeit die zeitlich dominierende Arbeitsform (vgl. Institut für Qualitätsentwicklung 2008). Wischer (2007) aller- dings warnt, dass nicht nur die Effekte geöffneten Unterrichts bislang empirisch unterbelichtet sind, sondern auch die Annahme, dass dieser positiv für Heteroge- nität sei (was immer positiv jeweils überhaupt heißen mag) kaum überprüft ist (vgl. Budde 2011). Darüber hinaus ist noch eine offene Frage, inwieweit diese Individualisierung durch die Vertiefung von Differenzen zwischen den Schüle- rInnen nicht zu einer Verstärkung sozialer Ungleichheit beitragen kann. Gerade Leistungsdifferenzen stellen für die Schule eine besondere Diffe- renzkategorie dar. Die zentrale Stellung von Leistung ist dabei in doppelter Hin- sicht augenfällig. Denn erstens gelten Leistungsdifferenzen – im Gegensatz zu vielen anderen Differenzen – als natürlich und legitim zugleich. Während eine Ungleichbewertung aufgrund von Milieu, Geschlecht oder Ethnizität zumeist illegitim erscheint, sind Leistungsdifferenzen nicht nur akzeptiert. Im Gegenteil, die Hervorbringung von Leistungsunterschieden und deren differentielle Bewer- tung ist geradezu eine wichtige Funktion von Schule, unabhängig davon, ob sie sich im Einzelfalle der individuellen Förderung oder der größtmöglichen Gleich- heit verschrieben hat (vgl. Sacher 2009; Sacher/Grunder 2011; Schrader/Helmke 2001). Gerade an diesem Punkt lassen sich Übereinstimmungen zwischen re- formpädagogischen Orientierungen mit traditionelleren Unterrichtskonzepten feststellen. Während in traditionelleren Konzepten Leistungsunterschiede als zentrales Klassifikationsmerkmal für die Zuordnung zu bestimmten Leistungs- gruppen herangezogen werden, und so soziale Differenz durch Leistung manifes- tiert wird, richten reformpädagogische Ansätze zwar ihre Kritik scharf auf eben jene Funktionsweise, tragen durch eine Akzentuierung individueller Leistungs- potentiale aber ebenso dazu bei, Leistung als zentrales Differenzkriterium zu etablieren. Eine Schule, die sich – in reformpädagogischer Tradition – den indi- 10 Jürgen Budde viduellen Leistungsvermögen und den individuellen Leistungspotentialen der Kinder verschreibt, steigert durch diesen Ansatz gleichsam notwendigerweise die Unterscheide zwischen den SchülerInnen. Zweitens ist Leistung die Währung, um die in der Schule ‚gespielt‘ wird, sie ist der Wert, den Schule zu messen zumindest vorgibt, selbst wenn immer wieder begründet in Zweifel gezogen wird, inwieweit tatsächlich Leistung gemessen wird oder nicht die Bewertungspraxis ein Eigenleben entfaltet (vgl. Breidenstein 2006; Zaborowski et al. 2011). Legitimiert wird die Messung und Bewertung von Leistung auf der Grundlage des meritokratischen Prinzips, welches als nor- mativer Ausgangspunkt der Frage von Bildungsungleichheit zugrunde liegt. Denn angenommen wird mit dem meritokratischen Prinzip, das Alle, unabhängig von sozialen Klassifikationskategorien für gleiche Leistung in gleichem Maße bewertet werden sollen. Sowohl für Ethnizität als auch für Geschlecht und noch stärker für Milieuzugehörigkeit verweisen internationale wie nationale Ver- gleichsstudien aber darauf, dass das meriokratische Prinzip durch eben diese sozialen Kategorien unterlaufen und durchkreuzt wird und sie bedeutsame Effek- te sowohl in der Vorerwartung als auch in der Beurteilungspraxis zeigen (vgl. Schrader/Helmke 2001). Nachteile stellen sich für Kinder aus sozial schlecht gestellten Milieus nicht nur aufgrund ihrer durchschnittlich geringeren Leistung, sondern auch bei gleicher Leistung (vgl. Ludwig 1995). Als weiterer Einwand lässt sich formulieren, dass die Konzepte von Leis- tung in der Schule nicht gleichsam neutral sind, sondern schon immer durch gesellschaftliche Konstruktionen und Vorstellungen von wertiger und unwertiger Leistung zustande kommen (vgl. Gellert/Hümmer 2008). Leistung selbst also ist kein ‚neutrales’ Konstrukt, sondern eben ein relationales, weil bestimmte Set- zungen wie Orientierung auf kognitive Leistung, Orientierung an bürgerlichen Wissenskomplexen und Verhaltensnormen, zugrunde liegen. Die spezifische ‚Doppelakzentuierung‘ von Leistung sowohl als Differenzkategorie als auch als Beurteilungsmaßstab unterstreicht die Ambivalenz, die dieser Kategorie zugrun- de liegt. Felder des Heterogenitätsdiskurses Diese kurzen Schlaglichter auf das Thema Gleichheit und Differenz skizzieren erstens die Komplexität des Feldes und machen gleichzeitig deutlich, dass beide Konstrukte in einem unauflöslichen und dauerhaft aufeinander verweisenden Spannungsverhältnis zu einander stehen. Innerhalb des Diskurses lassen sich unterschiedliche Felder identifizieren, in denen spezifische Aspekte von Diffe- renz thematisiert, verhandelt, verfestigt und hierarchisiert werden. Systematisiert

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