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Uni-Angst und Uni-Bluff PDF

88 Pages·1977·0.65 MB·German
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URFASSUNG VON: Wolf Wagner Uni-Angst und Uni-Bluff Wie Studieren und sich nicht verlieren Dieser Text ist gegenwärtig nicht im Buchhandel erhältlich. Er ist erstmals 1977 erschienen. Das Copyright liegt beim Rotbuch-Verlag. Der Text kann zu nicht-kommerziellen Zwecken heruntergeladen und eingesetzt werden. Es gibt das Buch seit 2007 mit einem völlig überarbeiten und aktualisierten Text unter einem neuen Titel Bei Rotbuch zu kaufen: „Uni-Angst und Uni-Bluff heute. Wie studieren und sich nicht verlieren.“. Es unterscheidet sich grundsätzlich von der Urfassung. In der Urfassung war ich noch der Auffassung, es gehe auch ohne Bluff. Jetzt denke ich, es geht gar nicht ohne und versuche Wege aufzuzeigen: Wie bluffen, ohne sich selbst zu bluffen.. 12. Auflage 1977 Rotbuch Verlag, Potsdamer Straße 98, 1000 Berlin 30 Umschlaggrafik von Gerhard Seyfried Druck und Bindung: Wagner GmbH, Nördlingen Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten ISBN 3 88022 172 3 Inhalt Warum ich dieses Buch geschrieben habe 7 Vorweg: Einige Hinweise für Erstsemester und solche, die es werden wollen 9 1. Kapitel: Das Problem 13 Die Außenseite 13 Die Innenseite 14 2. Kapitel: Die Uni-Angst 19 Erste Ursache: die Institution 19 Die Hauptursache: die Angst vor dem »klugen Gesicht« 20 Die Situation der Erstsemester 21 Die Uni-Kommunikation und ihre Folgen 22 Der gesellschaftliche Hintergrund für die Uni-Angst 23 3. Kapitel: Der Uni-Bluff 27 Was ist ein Akademiker? 30 Der »heimliche Lehrplan« 31 Gilt das für alle Fächer? 33 Die Situation der Frauen an der Uni 35 Die Situation der Arbeiterkinder 40 Die Situation der ausländischen Studierenden 42 Wer den Erfolg erwartet, erlebt ihn auch! 43 Die Prüfung: Was wird da eigentlich geprüft? 44 Erfolg und Mißerfolg: Was bedeutet das? 46 Die gesellschaftliche Funktion des Uni-Bluffs 49 ... und wie ist das an der Massenuniversität? 51 4. Kapitel: Wie sich wehren? 53 Das Ziel: die Angst überwinden 53 Gesellschaftliche Ursachen - oder: wo es lang gehen soll 57 Gebrauchswert des Studiums: eigene Probleme lösen! 60 Noch einmal Gebrauchswert des Studiums: Praxisbezug und Befreiung 63 Über Schwierigkeiten beim Sichwehren 65 5. Kapitel: Hochschuldidaktik auch für Lehrende 74 6. Kapitel: Wie wissenschaftliches Arbeiten Spaß machen kann 84 Drei Grundprinzipien: Erstens - den Respekt vor der Wissenschaft verlieren 85 Zweitens - die geistige Arbeit in Handarbeit verwandeln 87 Drittens - sich Erfolgserlebnisse verschaffen 89 Wie lesen? 89 Die Arbeit an einem größeren Thema 93 Die Literatursuche 94 Wie lesen, ohne zu lesen 96 Das Schreiben 98 Wie Prüfungen überstehen 100 7. Kapitel: Chaos als Prinzip 103 (Nachtrag zur 8. Auflage) Verzeichnis der angeführten Literatur 111 Nachtrag 115 Warum ich dieses Buch geschrieben habe Ich habe sieben Jahre lang an verschiedenen Universitäten und in einer ganzen Latte von Fächern herumstudiert. Anfangs als CDU-Mitglied und in deprimierender Einsamkeit. Damals trugen auch noch beinahe alle Studenten Krawatten an der Uni. In Bonn z. B. habe ich manchmal wochenlang mit niemandem geredet außer vielleicht mal in der Mensa: »Kann ich bitte das Salz haben?« Dann 1967 und danach habe ich in Berlin die Studentenbewegung mitgemacht, bin links geworden und habe dabei viele Verkrampfungen verloren und Anschluß an solidarisch arbeitende Gruppen gewonnen. In der Auseinandersetzung mit den autoritären Profs, dem ganzen Wissenschaftsbetrieb, unter dem ich zuvor so sehr gelitten hatte, und in dem Bemühen etwas zu finden, was wir dem entgegensetzen könnten, lernte ich am wissenschaftlichen Arbeiten Spaß haben und hatte dann auch prompt noch das Glück, 1970 nach meinem Diplom eine Assistentenstelle am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin zu ergattern. Dort bin ich seither Dozent und arbeite in einer Gruppe linker Dozenten und Dozentinnen. Wir stehen dabei ständig vor den Problemen, die hier behandelt werden sollen. Unsere Lehrveranstaltungen mißlingen immer wieder, die Teilnehmer sind frustriert, bleiben weg, die Gruppen brechen auseinander, die Papiere sind lustlos und ohne das Interesse am Stoff, das wir erwecken wollten, zusammengekloppt. Wir reagieren darauf meist mit einer Mischung von Ärger über »die Studenten« und einem Verantwortungstaumel, der uns glauben macht, wir könnten es das nächste Mal durch vermehrte eigene Anstrengung schaffen. Zugleich erfahren wir bei Gesprächen mit Studentinnen und Studenten, wie sehr sie selbst unter der Situation leiden, wie ihnen der ganze Studienbetrieb immer unerträglicher wird und immer sinnloser erscheint trotz aller ursprünglichen Freude über den Beginn des Studiums und aller Mühe, die sie zu Beginn eines jeden Semesters immer wieder aufs neue aufwenden. Viele von ihnen machen einen ganz verlorenen Eindruck: sie haben nicht nur die Orientierung auf ein Ziel hin, sie haben sich oft tatsächlich selbst verloren. Sie rennen überall gegen eine Wand der Sinnlosigkeit und des Mißerfolges und sind sich ihrer selbst völlig unsicher, spielen aber gleichzeitig sich selbst und anderen die sichere, lockere Überlegenheit vor. Mit der Arbeit an diesem Buch will ich auch mir selbst klarzumachen versuchen, warum das so ist und was dagegen getan werden kann. Wie man das möglich machen kann: studieren und sich nicht verlieren. 7 Dieses Buch kann aber nicht eine Einführung in die Arbeitsmethoden deines Faches sein. Dazu mußt du ein Buch lesen oder eine Veranstaltung besuchen, wo die speziellen Probleme und Erfahrungen mit dem Fach auch vom Anspruch her behandelt werden. Ich habe versucht, so weit wie möglich die allgemeinen Probleme anzusprechen, die in allen Fächern und an allen Universitäten auftreten. Ich bin aber sicher, daß vieles durch meine speziellen Erfahrungen und meine sozialwissenschaftliche Sichtweise geprägt ist. An diesen Stellen vertraue ich darauf, daß du meine Erfahrungen auf die Verhältnisse deiner Uni und deines Faches übertragen kannst. Inzwischen ist dieses Buch einige Zeit im Verkauf. Dabei habe ich aus einer Reihe von kritischen Anmerkungen gemerkt, wo der Text zu Mißverständnissen Anlaß gibt und wo grobe Fehler stecken. Deshalb habe ich an einigen Stellen, wo das drucktechnisch möglich war, den Text verändert (größere Veränderungen hätten bedeutet, daß der ganze Text neu hergestellt werden müßte). Ein besonders schwerwiegendes Mißverständnis, das durch den vorliegenden Text tat sächlich leicht produziert werden kann, war durch solche kleine Änderungen aber nicht auszuschließen. Ich möchte deshalb gleich vorweg davor warnen: Wenn der Eindruck entsteht, ich wollte behaupten, die ganzen Schwierigkeiten an der Uni entstünden alleine dadurch, daß die Leute nicht ehrlich genug oder gar nicht »nett« genug miteinander umgehen, dann ist das selbstverständlich Quatsch! Die Konkurrenz um den Erfolg an dieser Institution erzeugt die Verhaltensweisen, die für sie typisch sind. Diese Konkurrenz wird noch vielfach angeheizt durch die drohende Akademikerarbeitslosigkeit und die Studienreform von oben mit Regelstudienzeit, Kurzstudium, Verschulung und Ordnungsrecht samt drohendem Berufsverbot für alle, die sich konsequent wehren. Das wird in den Flugblättern und Denkschriften zur aktuellen Hochschulentwicklung zu Recht hervorgehoben und auch oft sehr gut und detailliert dargestellt. Mir kommt es hier aber darauf an, nicht nur eine weitere Analyse zu liefern, die bloß zeigt, wie wir von allen Seiten umstellt sind, daß wir sowieso nichts mehr machen können. Mir kommt es darauf an zu fragen: Wie können wir uns im Unialltag wehren und nicht nur bei den großen hochschulpolitischen Aktionen. Berlin, Oktober 1978 P. S.: Die Klammerausdrücke im Text (Autorenname, Jahreszahl, Seitenzahl) verweisen auf die Buch- bzw. Aufsatz-Titel im alphabetisch geordneten »Verzeichnis der angeführten Literatur« (S. 103-106). 8 Vorweg: Einige Hinweise für Erstsemester und solche, die es werden wollen Dieses Buch soll eigentlich helfen, sich durch die Universität nicht mehr einschüchtern zu lassen. Die Gefahr ist aber, daß bei allen, die noch keine längere Zeit an der Uni waren, genau das Gegenteil erreicht wird. Die ersten drei Kapitel müssen dann fremd und bedrohlich wirken. Die Situation in der Schule, sowohl im ersten wie im zweiten Bildungsweg, ist ganz anders als in der Uni. In der Schule kennen sich alle gegenseitig und wissen, was sie voneinander zu halten und zu erwarten haben. Die Anforderungen sind einigermaßen überschaubar. Es ist ganz klar, wofür gelernt wird, nämlich für die Schule, für die Noten und die Numerus-clausus-Hürde. In der Uni ist das in den meisten Studienfächern überhaupt nicht mehr so klar: In jeder Veranstaltung triffst du auf andere Leute, und kaum hast du dich an sie gewöhnt, ist das Semester vorbei, und im nächsten sind es wieder ganz andere. Der Stoff und die Anforderungen sind unüberschaubar und scheinen unendlich. Die Noten und Abschlußprüfungen sind zwar wichtig, aber stehen lange nicht so im Zentrum, denn du hast dir ja ein besonderes Fach gewählt, weil du da hoffentlich einen besonderen Sinn drin sahst und weil du damit später einen Beruf ausfüllen willst. Da wird dann das Gefühl wichtig, wirklich etwas Sinnvolles zu lernen. Dabei weißt du aber nicht so richtig, was nun sinnvoll ist und was nicht. All das bringt eine Menge Schwierigkeiten mit sich, die in den ersten drei Kapiteln beschrieben und in ihren Folgen ausführlich dargestellt werden. Für Leute, die das alles schon selbst längere Zeit erlebt haben, ist das nicht erschreckend. Im Gegenteil, es zeigt ihnen, daß sie nicht allein sind mit ihren Schwierigkeiten, daß es nicht an ihrem individuellen Versagen liegt. Für Studienanfänger kann das ganz anders sein: Das ist nichts Bekanntes, in dem du dich verstanden fühlst, sondern erscheint als Drohung mit den Schwierigkeiten, die du vielleicht auch haben wirst. Laß dich beim Lesen aber nicht einschüchtern, denn diese Schwierigkeiten sind nicht unabwendbar wie das Wetter vom morgigen Tag. Du kannst selbst etwas dagegen tun, schon vom ersten Tag des Studiums an. Das wichtigste ist: Du mußt dich mit anderen zusammentun! Am besten gleich zu zweit oder zu dritt von der Schule aus oder vom Heimatort aus an das Studium rangehen. Wenn das nicht geht, quatsch jemanden an, der genauso verloren rumsteht wie du, und zusammen sucht euch weitere Leute. Wenn du das auch nicht bringst, dann geh in die Studienberatung aller politischen Gruppen und aller offiziellen Stellen an deinem Institut -solange, bis du zu 9 sammen mit anderen Studierenden beraten wirst, mit denen du ins Gespräch kommst. Das ist auch schon das nächstwichtigste: Besuch alle Studienberatungen, die es überhaupt gibt. Und wenn in einer etwas anderes gesagt wird als in anderen, dann frag nach: Anderswo hat man mir aber gesagt ... ! Das Ziel dabei muß sein, herauszufinden: Was sind die offiziellen Minimalvoraussetzungen an Scheinen und Leistungen im Grundstudium (erste 4 Semester) und für die Gewährung des Bafög? Um das Hauptstudium und erst recht die Prüfungsordnungen solltest du dich überhaupt noch nicht kümmern. Es gibt keinen schnelleren Weg zur Depression als das Lesen von Examensanforderungen (die sind purer Bluff, und es gibt niemanden, der sie je erfüllt hat - also vorerst nicht lesen!). Weiter ist wichtig: Wenn du herausgefunden hast, was die Minimalanforderungen in deinem Fach (oder in deinen Fächern) für das erste Semester sind, dann beleg und besuch nur die. Frag andere aus höheren Semestern, und sie werden dir alle erzählen, daß sie im ersten Semester viel zuviel belegt und besucht haben und bald gemerkt haben, was für ein Quatsch das ist. Du verzettelst dich da nur und lernst nirgendwo was Richtiges. Also nur das absolut vorgeschriebene Minimum besuchen und belegen - das ist in vielen Fächern schon mehr als du wirklich schaffen kannst. Denn es ist entscheidend, daß du in den Veranstaltungen auch wirklich von der ersten Sitzung an intensiv mitarbeitest und dazwischen die Sitzungen gründlich vorbereitest. Nimm dir also auf jeden Fall die Zeit, das zu lesen, was von einer Sitzung zur anderen zur Lektüre empfohlen wird. Es ist sehr schwierig, in den Plenarsitzungen etwas zu sagen vor all den Leuten, die du nicht kennst und die alle so klug gucken. Laß dich da aber nicht einschüchtern und unter Leistungsdruck setzen mit: »Was ich sage, muß aber einschlagen und Niveau haben!« Wenn du so anfängst, blockierst du dich von Anfang an selbst. Du kannst dann vor Anstrengung gar nicht mehr denken. Dabei weiß auch noch niemand, was nun eigentlich Niveau ist, außer daß es heißt, besser zu sein als die anderen. Diese Art Konkurrenz macht aber alles gründlich kaputt. Es ist wirklich sehr schwierig, im Plenum ehrlich und ohne das Gefühl zu reden, sich anders darstellen zu müssen als man sich fühlt. Es ist deshalb auch keine Katastrophe, wenn du im ersten Semester kaum jemals was im Plenum sagst. Wichtiger ist es, daß du in der Arbeitsgruppe mitdiskutierst. Vielleicht könnt ihr da vereinbaren, euch gegenseitig beim Gruppenbericht fürs Plenum abzulösen. Wenn du nicht mehr weiter weißt, kann ein anderes Mitglied der Arbeitsgruppe einspringen, so wie vorher vereinbart. Das passiert jetzt auch immer öfter bei Vollversammlungen, wo es noch viel schwieriger ist, vor all den Leuten zu reden: Da gehen eben zwei hoch ans 10 Mikrofon und helfen sich gegenseitig. Auf diese Weise wird die Angstschwelle abgebaut, und mit der Zeit wird es zur gewohnten Sache. Ein guter Anfang ist es auch, das erste Mal (wenn möglich schon in der ersten Sitzung) irgend etwas Technisches zu fragen, etwa: »Wieviel Seiten muß denn so ein Referat haben?« Dann ist es das nächste Mal schon viel leichter, eine Frage zum Stoff zu stellen. Wenn es in der Veranstaltung Arbeitsgruppen gibt, dann ist das zuerst einmal gut. Wie es dann läuft, hängt ganz wesentlich auch von dir ab! Sorg dafür, daß die Gruppe sich jede Woche regelmäßig trifft, daß ihr mehrere Stunden Zeit habt sowohl für die Arbeit am Fach, aber auch für persönliches und allgemeines Ausquatschen. Besprich mit den anderen in der Arbeitsgruppe schon am Anfang, was sie sich von der Arbeit erwarten. Mach dir selbst und den anderen deine eigene Zielsetzung ganz klar, und wenn es da erhebliche Unterschiede gibt und wenn ihr mehr als fünf seid, dann teilt die Gruppe lieber auf. Vereinbart einen festen Termin und besteht darauf, daß von Anfang an alle pünktlich kommen. Nichts ist so ärgerlich und auf die Dauer sprengend wie die ewige Warterei der einigermaßen Pünktlichen auf die anderen. Und bei der Arbeit am Stoff vergeßt in der Gruppe nicht: Ihr seid keine Akkordgruppe zur Erlangung eines Scheines, sondern ihr wollt zusammen ein Problem lösen, das euch interessiert. Dazu müßt ihr aber auch über euch selbst reden und dürft euch nicht voreinander hinter dem Stoff verstecken. Schon in der ersten Sitzung solltet ihr in einer Kneipe reihum über euch selbst erzählen. Im weiteren Verlauf müßt ihr mit Vorrang über Schwierigkeiten in der Gruppe, Aggressionen, Konkurrenzgefühle etc. reden (in den drei letzten Kapiteln des Buches könnt ihr darüber Näheres lesen). Wenn ihr so vorgeht und euch einigermaßen dabei leiden könnt, dann wird aus euch vielleicht sogar ein Studienkollektiv. Das heißt: Ihr lauft nicht nach erfüllter Scheinanforderung auseinander, sondern ihr überlegt euch, welche Veranstaltung ihr gemeinsam im folgenden Semester besuchen könntet und bearbeitet eure Studienprobleme und politischen Aktivitäten über längere Zeit gemeinsam. Wenn du nun wirklich dem Rat gefolgt bist und tatsächlich das Minimum dessen belegt hast und besuchst, was von dir im ersten Semester verlangt wird, dann hast du - im Gegensatz zu den meisten anderen Erstsemestern -genügend Zeit gewonnen, um die Uni im Laufe des ersten Semesters wirklich kennenzulernen: Du kannst deiner Neugier vollen Lauf lassen. Du kannst die meisten politischen Veranstaltungen besuchen (möglichst zusammen mit anderen, vielleicht sogar mit deiner Arbeitsgruppe, damit ihr hinterher darüber diskutieren könnt) und dir ein Bild davon machen, was sich hinter all den Abkürzungen und großen Sprüchen verbirgt. Du kannst die verschiedenen Veranstaltungen an deinem Institut, die dir vom Titel her interessant erscheinen, einfach einmal besuchen (eben nur mal 11 für eine Sitzung mit hineinsitzen und zuhören - da hat niemand was dagegen) und sehen, ob der Dozent oder die Dozentin so ist, daß du Lust hast, da mal irgendwann etwas zu machen. Und du kannst - was sehr wichtig ist - die Bibliotheksführungen und Informationsveranstaltungen für Erstsemester mitmachen. Da erhältst du gute und wichtige technische Hinweise für dein Studium, die in aller Regel in den Erstsemesterübungen trotz aller Versprechungen nicht gegeben werden. Z. B. wie du ein Buch ausleihst, wie du selbständig wichtige Literaturtitel zu einem Thema finden kannst, das dich interessiert, wo du fotokopieren kannst und wo im Lesesaal die wichtigen Nachschlagwerke stehen. (Informier dich dabei auch über die zentrale Universitätsbibliothek, also nicht nur über die Einrichtungen an deinem Institut.) Ohne diese - auf den ersten Blick oberflächlichen und bloß technischen - Informationen geht das Studieren nicht, das ist das wichtigste Handwerkszeug. 12 Erstes Kapitel Das Problem Die Außenseite Von der Erscheinung her, von außen gesehen, sieht die Universität eigentlich ganz idyllisch aus. Wenn ich versuchen würde, typische Aufnahmen von der Uni zu machen, kämen wahrscheinlich solche Bilder zustande: Ein grüner Rasen mit jungen Leuten, die herumliegen und sich unterhalten oder lesen. Dazwischen auf den Wegen gehen andere zielstrebig, aber ohne besondere Eile zu den verschiedenen Gebäuden, wahrscheinlich zu irgendwelchen Hörsälen oder Bibliotheken. Oder aber: In einem etwas kahlen Raum sitzen dieselbe Art selbstbewußt und überlegen aussehender junger Leute entspannt an einem Kreis von Tischen. Sie hören zu, wie einige diskutieren, notieren sich gelegentlich etwas, und je nach Lust und Laune stehen sie auf und gehen. Dann das andere Bild: Der eng gezogene, rauchige Lichtkreis einer Schreibtischlampe irgendwann lange nach Mitternacht, darin der überquellende Aschenbecher, die Kaffeetasse mit den unzähligen eingetrockneten Kaffeekreisen auf der Untertasse und dazwischen ein Chaos von aufgeschlagenen Büchern, Karteikarten und Notizzetteln. Und dazu das Bild vom Aufstehen am nächsten Tag nach zwölf. Selbst das immer wieder gezeigte Schreckensbild vom völlig überfüllten Riesenhörsaal, wo die Zuhörer und Zuhörerinnen sogar auf Treppen und auf dem Boden dicht gedrängt sitzen, sieht von außen gar nicht so schrecklich aus: Eigentlich machen die Leute einen ganz lockeren und sicheren Eindruck, schauen interessiert oder skeptisch drein, und schließlich weiß man ja, daß sie da freiwillig sitzen in der Erwartung, etwas Interessantes zu lernen. Bei diesen Bildern stellt sich die Frage: Weshalb das Gerede von »Uni-Angst«? Erst recht idyllisch sieht die Universität aus, wenn sie aus der Perspektive Gleichaltriger gesehen wird, die nicht studieren, sondern ein »normales« Leben führen. Ob sie ihren Lebensunterhalt am Fließband, in einer Werkstatt, im Laden oder am Schreibtisch verdienen, sie müssen morgens raus und ihre acht oder mehr Stunden runterreißen, nach fremden Anweisungen und unter ständiger Kontrolle. Sie können sich glücklich schätzen, wenn wenigstens Teile ihrer Arbeit interessant sind und sie selbst entscheiden können, wann und wie sie die festgesetzten Aufgaben erledigen. Da gibt es kein morgens-liegen-bleiben-bis-zwölf und kein: »Ich hab' heut keinen Bock«. Und wenn einem die Arbeit, die Kollegen und der Chef noch so stinken, wenn die ganze Situation voller Angst steckt, da muß 13 man doch jeden Morgen ran und es durchstehen oder eine andere Arbeit suchen - die dann vielleicht noch schlimmer ist. Sicher: Sie haben mehr Geld und einen besseren Lebensstandard als die meisten Studierenden. Aber selbst wenn diese nach dem Examen einige Zeit arbeitslos sind und danach nicht einmal ihrer Ausbildung entsprechend beschäftigt werden, selbst unter diesen schlechtesten Umständen ist zu erwarten, daß sie in der Pyramide der Jobs wegen ihrer höheren Allgemeinqualifikation die obere Hälfte besetzen werden. In diesen Jobs haben sie dann eine ganz andere Lebensperspektive als die Gleichaltrigen mit industriellen Arbeitsplätzen. Industriearbeiterinnen und Arbeiter können ab dem vierzigsten Lebensjahr nur noch einem Abstieg entgegensehen, und zwar einem Abstieg in jeder Hinsicht, gesundheitlich, finanziell und auch in bezug auf Inhalt und Prestige der Arbeit. Dagegen ist es bis jetzt bei Akademikern genau umgekehrt: Mit wenigen Ausnahmen wächst ihr Einkommen, das Prestige ihrer Tätigkeit mit der Zeit. Je älter sie werden, desto mehr steigen sie auf und desto gesicherter wird ihre Position. Sie leben denn auch im Durchschnitt um zehn Jahre länger als gleichaltrige Industriearbeiter (Angaben der Lebensversicherungen). So gesehen erscheinen die Studierenden eindeutig privilegiert. Die Innenseite Das ist aber nur die eine Seite. Die einzige, die von außen und aus der Entfernung zu sehen ist. Sie ist der Grund für die vielen erbitterten Kommentare, die uns vom Straßenrand bei Demonstrationen zugerufen werden. Schaut man näher hin, dann zeigt sich die andere, die innere Seite der Studiensituation: »Von hunderttausend Studenten begehen jährlich durchschnittlich 25 Studenten Selbstmord, aber vergleichsweise nur 19 Personen der Altersgruppe 18-30 Jahre« (Morgenstern, 1972, S. 28). Bei Studentinnen ist das sogar noch krasser (Lungershausen, 1969, S. 105). Die Anzahl der Selbstmorde und Selbstmordversuche nimmt dabei noch ständig zu. Eine Untersuchung über die Selbstmordmotive zeigt, daß Studienschwierigkeiten und Kontaktarmut meist die entscheidende Ursache waren (Friedrich, 1974, S. 220 f.). Viele andere, die nicht diesen selbstzerstörerischen Ausweg nehmen, leiden dennoch schwer unter dem Studium. Sie haben Depressionen, Minderwertigkeitsgefühle, sehen keinen Sinn mehr und sind völlig arbeitsunfähig. So berichtet eine psychotherapeutische Beratungsstelle einer Universität: »Geklagt wird z. B. über Verstimmbarkeit und Erschöpfbarkeit bei Konzentrationsaufgaben; über Kopfschmerzen, Schwindel und Schweißausbruch bei der Lektüre von Lehrbüchern, über Unrast, Merkfähigkeitseinbuße, Lust 14 losigkeit, allgemeine Mattigkeit und Schlafbeeinträchtigung. Man könne es allein in seiner Bude nicht mehr aushalten, die Decke stürze ein, man brauche Menschen um sich oder Radiomusik. Andere spüren keinen Antrieb mehr, erwachen morgens bleischwer, bleiben lange liegen und ziehen sich am Abend bald wieder mit schlechtem Gewissen ins Bett zurück, weil sie den Tag hindurch nichts hinter sich bringen konnten. Die Zukunft bedrückt sie wie ein Berg. Häufig ist das Gefühl der Sinnlosigkeit, der allgemeinen tiefen Skepsis über den Zweck und die Verwendungsmöglichkeiten des aufgespeicherten Wissensstoffes, dessen gesellschaftliche Nutzanwendung dunkel blieb. Der Einstieg in komplexere Fachprobleme gelingt dann immer schwerer und unwilliger; die innere Distanz zum Studienobjekt wächst und lähmt dann das Engagement, sich mit innerer Anteilnahme einem mühsamen Lernprozeß hinzugeben, der in die Irre zu führen droht« (Böker, 1969, S. 140). Keil (1973, S. 56) berichtet, daß jeder zweite Studierende im Studium Kontakt oder Klarheit vermißt. Und immer mehr geben freiwillig die äußerlich gesehen so privilegierte Situation auf und brechen das Studium ab, weil sie es nicht mehr aushalten (Saterdag/Apenburg, 1972, S. 5). Für die meisten Studierenden sehen denn auch die Bilder, die ich vorhin beschrieben habe, ganz anders aus: Die da geschäftig auf den Wegen herumwuseln, wissen nicht, was sie in der Veranstaltung oder in der Bibliothek eigentlich sollen, was ihnen das bringt, und fühlen sich so isoliert, daß sie neidisch sind auf diejenigen, die sich auf dem Rasen so locker zu unterhalten scheinen, trauen sich aber nicht, sich dazuzusetzen. Die auf dem Rasen sind aber gar nicht so locker wie sie scheinen, sondern spielen das nur, während sie sich voller Konkurrenz entweder »geistreich« unterhalten oder »auf hohem Niveau« diskutieren. Eine Studentin im ersten Semester fragte mich deshalb einmal ganz erstaunt: »Warum können sich die Studenten eigentlich nicht einmal im Erfrischungsraum wie normale Menschen unterhalten? Warum müssen sie selbst da noch über Einschätzungen, Politik und Großes reden?« Einige Zeit später sagte sie: »Die Uni macht mich ganz anders als ich auf der Schule war. Sie macht mich traurig und verkrampft. Ich war mir noch nie so fremd!« Kurz danach hat sie das Studium abgebrochen. Dann das Bild mit den Leuten, die so locker an den Tischen sitzen und zuhören, wie andere diskutieren: Es wird oft genug nicht über den Stoff diskutiert, sondern der Stoff ist nur ein Mittel, um herauszufinden, wer akzeptiert ist, wer »Bescheid weiß«, wer sich durchsetzen kann. Die scheinbar interessiert zuhören und mitschreiben, überlegen sich in Wirklichkeit angespannt und voller Angst, was sie selbst sagen könnten. Vor lauter Anstrengung, etwas wirklich Bedeutendes zu sagen, kriegen sie überhaupt nichts mehr heraus, werden immer stiller oder hauen - je nach Durchhaltevermögen 15 frustriert ab. Dabei geben sie sich aber den Anschein, als ob sie darüber stünden, als ob sie keine Lust mehr hätten, weil »es sowieso nichts bringt«. Von innen sieht das so aus: »Ich fange an, mir meine Gedanken vorzuformulieren. Ich kann gar nicht mehr zuhören vor lauter Aufregung. ( ... ) Ich denke, so, jetzt, jetzt, jetzt. Ich sage es nicht. Jetzt - ich kann es nicht sagen. ( ... ) Ich ärgere mich. Ich will mich in den Griff kriegen. Mein Gott, ich bin doch kein blutiger Anfänger. Ich möchte wissen, was sie über mich denken, so wie ich hier herumsitze. Ob die mich für doof halten. Mir fallen Situationen ein, in denen ich mitgearbeitet habe. Situationen in kleineren Arbeitsgruppen, in denen ich teilweise sogar dominiert habe. Da ist mir eine Idee gekommen und ich habe sie gesagt, ganz impulsiv. Vielleicht habe ich das Referat nicht verstanden, denke ich noch, und wenn ich jetzt was sage, stöhnen alle, und ihre Blicke sagen mir, das hat der doch in seinem Vortrag schon erklärt. Ich überlege hin und her. Kann ich das überhaupt vertreten? Da gibt's ja 1000 Gegenargumente. Mir wird immer heißer. ( ... ) Das Belächeln, fällt mir ein, das mache ich auch manchmal. Einer sagt was, ich finde es doof und grins mir einen ab. Aber vielleicht ist das genau die Reaktion, die man als Legitimation dafür braucht. Daß man selbst in einer solchen Situation nichts sagt, was nicht hieb- und stichfest ist. ( ... ) Ich bin nur noch vier Stunden in der Woche als Studentin in der Uni. Das ist wirklich so, als würdest du ab und zu mal zum Zahnarzt gehen. Gleich unangenehm« (aus: Klöckner, 1977). Auch das Bild vom nächtlichen Referat-Schreiben, auf den ersten Blick beinahe symbolhaft für völliges Versunkensein in der Arbeit, sieht von innen ganz anders aus. Da wird so spät nachts noch gearbeitet, weil den ganzen Tag über ungeheuer »wichtige« andere Sachen wie Aufräumen, Briefe schreiben, Einkaufen etc. dazu benutzt wurden, sich vor der Arbeit zu drücken. Und erst wenn es wirklich nicht mehr anders ging und eigentlich auch schon viel zu spät war, hat sie oder er sich an die Arbeit gesetzt. Jetzt aber schon mit ungemein schlechtem Gewissen, und zum Ausgleich hat sie oder er sich vorgenommen, jetzt aber besonders viel wegzuarbeiten. Das ist aber schon wieder so viel, daß es in einer Nacht überhaupt nicht zu schaffen ist. Oft genug kommt dann noch Bier oder Wein mit auf den Schreibtisch, weil sonst der Frust überhaupt nicht auszuhalten wäre. Mit dem Frust wird aber auch gleich der Rest an Arbeitsfähigkeit weggeschwemmt. Wenn dann die Müdigkeit die Zeilen endgültig verschwimmen läßt, dann werden die nicht erfüllten Vorsätze mit noch gewaltigeren Vorsätzen für den folgenden Tag ausgeglichen. Und deshalb kommt sie oder er am nächsten Tag auch nicht aus dem Bett: Der Berg der guten Vorsätze lastet jetzt erst recht, macht das Aufstehen und nachher das Anfangen beinahe unmöglich - wieder die Flucht in alle möglichen »wichtigen« anderen Aufgaben. Dieser 16 Teufelskreis von schlechtem Gewissen und entlastenden »guten« Vorsätzen macht für viele den Berg immer lastender und größer, die Ausweichstrategien immer raffinierter, bis sie nur noch auf eine mehr oder weniger schlimme Art ausflippen können. Dazu ein Beispiel aus der psychotherapeutischen Beratungsstelle der Universität Göttingen: »Ein Student der Germanistik und einer alten Sprache (Griechisch) kommt wegen akuter Angstzustände und Arbeitsstörungen in die Beratungsstelle. Die Angstzustände, unter denen er seit Wochen andauernd leidet und die schon einmal vor einem Jahr kurzfristig bestanden, gleichen einer Verkrampfung, gegen die man sich intellektuell nicht wehren könne. Wenn im Seminar allgemeine Fragen gestellt würden, verspüre er den Drang, wegzulaufen, immer getrieben von dem Gefühl, daß sein Wissen auf keinem Gebiet ausreiche. Nur bei reinen Fachfragen sei das anders. ( ... ) Er könne sich nicht mehr konzentrieren und müsse sich ständig zwingen, etwas für sein Studium zu tun. Er schweife aber dauernd ab, wenn er ein Fachbuch lese. Bei jedem Tun habe er mit dem Gefühl zu kämpfen, eigentlich etwas anderes vordringlich machen zu müssen« (Sperling, Jahnke, 1974, S. 128). Ein anderes Beispiel: »Ein 22jähriger Zahnmediziner, der kurz vor dem Physikum wegen schwerer Konzentrationsstörungen und >innerer Müdigkeit< mit zur Panik gesteigerter Angst vor der Prüfung in die Sprechstunde kommt und sich auch mit Suizidgedanken trägt. Seine Überzeugung, das Einfachste nicht mehr leisten zu können, da er z. B. beim Lernen zwanghaft jedem Nebengedanken nachgehen muß und ihm bald die Buchstaben vor den Augen verschwimmen, kontrastiert mit höchsten Ansprüchen. Alles bisher Geleistete scheint ihm wertlos. Eine unproduktive zerstreute Unruhe treibt ihn durch Kaufhäuser und Straßen, immer >auf der Suche nach dem großen Los<. Abends sitzt er mit schlechtem Gewissen vor einer großen Zahl von Tonbändern, Aufnahmen ganzer Vorlesungen, die er in sinnlosem Perfektionismus immer wieder abspielt« (Böker, 1969, S. 146). Und dann das Bild dieser überfüllten, weil »großen« Vorlesung: Zwar gehen alle freiwillig hin (auch wenn es eine Pflichtveranstaltung ist, denn wer sollte das kontrollieren), aber meistens nicht so sehr, weil sie wirklich interessiert sind an der Problematik des Stoffes oder weil sie die Veranstaltung selbst spannend finden, sondern weil »man etwas versäumen könnte«, weil »alle« da hingehen (obwohl >alle< ganz isoliert von >allen< herumsitzen) und weil es da um den »neuesten Stand der Diskussion« geht (obwohl niemand das versteht, was die wenigen sagen, die da mitreden) - kurz: es ist ein Albtraum, und es ist nicht verwunderlich, daß solche Bilder nur zu Semesteranfang entstehen können, denn dann bleiben die Leute weg. Viele - wenn nicht gar die meisten - Studierenden sind also gar

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