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Unfall und Verbrechen: Konfigurationen zwischen juristischem und literarischem Diskurs um 1900 PDF

165 Pages·1996·9.428 MB·German
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HAMBURGER STUDIEN ZUR KRIMINOLOGIE Herausgegeben von Lieselatte Pongratz, Fritz Sack, Sebastian Scheerer, Klaus Sessar und Bernhard Villmow Band 21 Stefan Andriopoulos Unfall und Verbrechen Konfigurationen zwischen juristischem und literarischem Diskurs um 1900 Centaurus Verlag & Media UG 1996 Zum Autor: Stefan Andriopoulos studierte Germanistik, Amerikanistik und Philosophie in Regensburg, Berkeley, Irvine und Hamburg. Gegenwärtig arbeitet er an seiner Dissertation zum Thema Körper und Körperschaften. Behandelt wird die Beziehung zwischen Recht, Medizin und Literatur. Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme Andriopoulos, Stefan: Unfall und Verbrechen: Konfigurationen zwischen juristischem und literarischem Diskurs um 1900 /Stefan Andriopoulos. - Pfaffenweiler: Centaurus Verl.-Ges., 1996 (Hamburger Studien zur Kriminologie; Bd. 21) ISBN 978-3-8255-0026-9 ISBN 978-3-658-14544-6 ISBN 978-3-658-14545-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-14545-3 NE:GT ISSN 0930-9454 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. © CENTAURUS-verlagsgesellschaft mit beschränkter Haftung, Pfaffenweiler 1996 Satz: Vorlage des Autors für cjb Es gibt den Gewohnheitsverbrecher, auch wenn wir keine gute Definition von ihm haben. Franz von Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht The Count is a criminal and of criminal type. Lombroso and Nordau would so classify him. Bram Stoker, Dracula Danksagung Ich danke allen, die mir während der Arbeit an diesem Buch Anregungen und Hinweise gegeben haben, besonders denen, die das ganze Manuskript oder einzelne Kapitel gelesen und Vorschläge zu seiner Verbesserung gemacht haben -Heinrich Knepper, Kai Lorentzen, Nikolaus Müller-Schöll, Wilhelm Sehemus und Steffen Schulz-Lorenz. Ich danke Monika Fromme! für das richtungsweisende Gespräch über das erste Expose. Mein besonderer Dank gilt Jörg Schönen, der die Arbeit durch alle Phasen ihrer Entstehung mit Interesse begleitet und hervorragend betreut hat, sowie Sebastian Scheerer, ohne dessen Offenheit und weit über das übliche Maß hinausgehende Förderung dieses Buch nicht entstanden wäre. Stefan Andriopoulos Vorwort Die Kriminologie versteht sich seit einiger Zeit nicht mehr als Magd des Straf rechts, die ihre Aufgaben aus den Händen der Justizpraxis entgegennimmt, sondern als selbständige und interdisziplinäre Wissenschaft. Doch zumindest unter Einge weihten ist es kein Geheimnis, daß ihr die Einlösung der mit diesem Selbstbild verbundenen Ansprüche noch auf längere Zeit gewisse Schwierigkeiten bereiten dürfte. Zu schwer trägt die Kriminologie nicht nur an der theoretischen Sprachlo sigkeit, der methodischen Naivität und der politischen Servilität ihrer Geschichte, sondern auch an der aktuellen Last der Differenz zwischen postulierter Autonomie und eingewobenen Abhängigkeiten, an institutionalisierten Rivalitäten zwischen Juristen und Soziologen und an der Vernächlässigung der Beziehungen zu den Kultur- und Textwissenschaften. Denn die Literatur- und die Geschichtswissen schaft wie auch die Kulturanthropologie verfügen über vieles von dem, was in der Kriminologie noch immer Mangelware ist: über reflexionsfördernde Verfrem dungseffekte durch die Distanz zu historischen Epochen und fremden Kulturen, über Erfahrungen mit Ambiguität und Ironie und über das Bewußtsein der unhin tergehbaren Figuralität, Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheitjeglicher Sprache. Die "Erkenntnisgegenstände" der Literaturwissenschaft enthüllen ihren rhetorischen Status und sind daher nur scheinbar stärker, tatsächlich aber aufgrund ihrer höchst durchsichtigen Verkleidung weniger auf Täuschung ausgerichtet als die im Her melinmänteleben der Wahrheit daherkommende polizeiliche "Erkenntnis", die ge richtlich festgestellte "materielle Wahrheit" oder auch der "empirische Befund" der Kriminologie. Die Kriminologie sollte deshalb versuchen, gerade von den Kultur und Textwissenschaften zu lernen, wenn sie sich des Status ihrer Arbeitsgrund lagen und der Reichweite ihrer Erklärungsansätze gründlicher als bisher vergewis sem will. Ob der Kriminologie das gelingt, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit sie sich Gemeinsamkeiten mit und fruchtbare Differenzen zur Literaturtheorie bewußt macht. Dazu ist die Gelegenheit heutzutage günstiger als früher. Denn seit 1968, dem Jahr, das nicht nur in der Politik, sondern auch in der Literaturwissenschaft und der Kriminologie einen deutlichen Bruch zu den traditionellen Paradigmen markierte, haben Parallelen in der theoretischen Neuorientierung die Kommunika tionsbereitschaft zwischen diesen Disziplinen deutlich erhöht. Vor allem der über greifende Einfluß Michel Foucaults hat dazu beigetragen, die Grenzen zwischen den Interessen und Disziplinen auf aufregende Weise durchlässig zu machen. Standen in der Kriminologie bis 1968 die Tat und der Täter, in der Literaturtheo rie hingegen der Autor und sein Werk im Mittelpunkt, so wurden sie nunmehr als Schimären entlarvt. Diese einst so ehernen Zentren beider Disziplinen wurden förmlich hinwegdefiniert: "La mort de l'auteur" (Roland Barthes) bedeutete das Ende der autorzentrierten, intentionalistischen und essentialistischen Literaturtheo rie und die Bewegung vom geschlossenen "Werk" zum offenen, vieldeutigen "Text"; die Abkehr von der "täterorientierten Kriminologie" entkleidete den Täter ebenso radikal jeder Individualität, Intentionalität und Relevanz; nicht er war es, der eine Straftat beging, sondern die Instanzen sozialer Kontrolle verteilten das "negative Gut Kriminalität" (Fritz Sack) nach Kriterien des Status, der Klassenzu gehörigkeit usw. und schrieben die Eigenschaft "kriminell" den so Benachteiligten zu. Der Täter, einst Autor seiner Tat, war zumindest in der Theorie "verschwunden" und "gestorben"; die einst als konstant und bloß reagierend vor gestellten Statisten der Kriminologie (Polizei, Staatsanwälte, Gerichte, Strafvoll zug) wurden zu den eigentlichen Tätern, die zwar vorgaben, wie bloße Subsum tionsautomaten nur "Mund des Gesetzes" zu sein, in Wirklichkeit aber selbst in komplexen Aushandlungs- und Zuschreibungsprozessen die "Kriminalität" und ihre "Täter" konstitutierten. In der Literaturwissenschaft wie in der Kriminologie war das weniger ein klassischer Regizid als das Umlegen eines Schalters von zen tripetaler auf zentrifugale Kraftentfaltung: Das Zentrum, der Platz des Königs, war auf einmal leer. Es wäre eine schöne Aufgabe, die Übereinstimmung nachzuver folgen, in der in der Literaturtheorie wie in den Kriminalwissenschaften die "Metaphysik", die "Realität" und alle traditionellen Begriffe verschwanden, denen man nun vorwarf, daß sie auf einer naiven Repräsentationstheorie fußten. Der zu nächst vor Fortschritts-Optimismus strotzende "Abschied von Kant und Regel" (Ulrich Klug 1968) verfing sich dann jedoch in teil bourgeois-realistischen, teils irrlichternd-politisierenden oder intellektualisierend-desengagierten Aporien. Es war Michel Foucaults Annahme eines historischen apriori, die sowohl die Krimino logie wie die Literaturtheorie vor einem tieferen Sturz in eine lähmende, dogmati sche Dekonstruktion bewahrte. In einer Situation, in der kaum ein Labeling-Theo retiker, literaturtheoretischer Dekonstruktivist oder "fortschrittlicher" Historiker es noch wagte, eine Validität seiner Beobachtungen und Interpretationen zu beanspru chen, rückte Foucault Historiographie und philosophische Reflexion in unmittel bare Nähe, ohne der Versuchung einer harmonisierenden Vermittlung zu erliegen. Als Historiker beanspruchte er Gültigkeit seiner Beobachtungen - und bewahrte sich zur Geschichte gleichwohl eine philosophische Einstellung. Das war bezie hungsweise ist keine letzte Lösung und heißt auch nicht, daß Foucaults "Werk" über jede Kritik erhaben wäre (man denke nur an die bekannten Quellen- und In an terpretationsprobleme in "Der Fall Riviere" oder die verschiedenen Kritiken, die gegen Foucaults Machtbegriff, seine Max-Weber-Ignoranz und seine Vernachläs sigung historischer Alternativen in "Überwachen und Strafen" vorgebracht wur den). Aber eine solche Entrückung würde Foucault auch nicht gerecht. Im Au- genblick geht es vielmehr darum, die zahlreichen Fährten, die von Foucault gelegt wurden, auszuprobieren und zu elaborieren - wie Foucaults in diesem Buch wei terentwickelte These der Erfindung des "gefährlichen Individuums" im 19. Jahr hundert. Die Konstruktion des "gefährlichen Individuums" implizierte eine Reor ganisation klassischer zivil- und strafrechtlicher Zurechnungsprinzipien. Die "reale Basis" (im Sinne der industriellen Massenrisiken) dieser Reorganisation lag zwar offen zutage. Sie war aber in ihrer Projektion auf Individuen nur unter Rückgriff auf Literatur, also auf offensichtliche Fiktionalität, möglich und ist heute nur auf diese Weise rekonstruierbar. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Kriminologie von Stefan Andriopoulos' Arbeit in mehrfacher Hinsicht profitieren kann: -erstens lernt sie einen in der deutschsprachigen Kriminologie bisher völlig über sehenen und doch eminent wichtigen Text Foucaults aus dem Jahre 1978 (also nach "Überwachen und Strafen") kennen, der bislang unentzifferte Zusammen hänge zwischen der Figur des "gefährlichen Kriminellen" und 'der "Gefährdungs(haftung)" im Zivilrecht thematisiert; - zweitens belegt und diffenziert Andriopoulos die Foucaldische These beein druckend, bringt sie mit der entstehenden Zweispurigkeit des strafrechtlichen Re aktionssystems in Verbindung und deckt bisher übersehene Austauschbeziehungen zwischen Recht und Literatur auf; - drittens wird deutlich, wie sich nicht nur in der Kriminologie (z.B. im Rahmen der Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie, GIWK) eine neue Historisierung anbahnt, sondern mit der jüngsten Bewegung des "new histo ricism" auch in der Literaturwissenschaft; -viertens müssen wir an vielen Stellen dieses Buches erkennen, daß wir der Reali tät des Rechts nicht etwa entfliehen, sondern in einem ernsten Sinne sehr viel näher kommen, wenn wir den rhetorischen Charakter der Rechtssprache ernstnehmen, wenn wir beginnen, "law as literature" -rechtliche Texte als Literatur-zu lesen. Hamburg, im Januar 1995 Sebastian Scheerer

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