ARBEITSGEMEI NSCHAFT FUR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN 24. Sitzung am 8. September 1952 in Diisseldorf ARBEITSGEMEINSCHAFT FOR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN·WESTFALEN HEFT 24 Raii Danneel Uher die Wirkungsweise der Erhfak<toren Kurt Herzog Bewegungshedarf ,der menschlichen Glied maBengelenke bei der Arheit SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-322-98146-2 ISBN 978-3-322-98811-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-98811-9 Copyright 1953 by Springer Fachmeruen Wiesbaden Urspriinglich erschienen bei Westdeutscher Verlag . Koln und Opladen 1953 INHALT Praf. Dr. Ralf Danneel, Bann Dber die Wirkungsweise der Erbfaktaren . . . . . . . 7 Diskussiansbeitrăge van Praf. Dr. W. Groth, Praf. Dr. R. Danneel, Praf. Dr. S. Strugger, Ministerialdirektar Praf. L. Brandt, Praf. Dr. B. Helferich, Praf. Dr. G. Lehmann, Praf. Dr. W. Weizel, Praf. Dr. B. v. Borries, Leitender Regierungs direktar Dr. W. Bischof, Praf. Dr. W. Schulemann . . . 20 Prof. Dr. Kurt Herzog, Krefeld Der Bewegungsbedarf der menschlichen Gliedma6en- gelenke bei der Arbeit .27 Diskussiansbeitrăge van Ministerialdirektar Praf. L. Brandt, Praf. Dr. H. W. Knipping, Praf. Dr. K. Herzog, Praf. Dr. F. Wever, Praf. Dr. G. Lehmann, Praf. Dr. E. Flegler, Praf. Dr. L. Raisser, Praf. Dr. W. Weizel, Praf Dr. B. Helferich, Dr. K. R. Jacobi ..................... 49 Ober die Wirkungsweise der Erbfaktoren Professor Dr. Rol! Danneel, Bonn Erbmerkmale, wie etwa die Augenfarbe, die KorpergroBe oder irgend welche Erbkrankheiten werden bekanntlich bei der Fortpflanzung nicht als solche vererbt, sondern durch die in den Keimzellen enthaltenen "Erban lagen", "Erbfaktoren" oder "Gene", die erst im Laufe der Entwicklung des neuen lndividuums wirksam werden und zur Entstehung der ihnen zuge ordneten Erbmerkmale flihren. Flir die Vererbungsforschung ergeben sich aus dieser Erkenntnis zwei ent scheidende Fragen, namlich erstens die nach der Natur der Erbfaktoren und zweitens die nach ihrer Wirkungsweise. Die Erbfaktoren liegen, von den noch wenig bekannten Plasmagenen ab gesehen, linear angeordnet in bestimmten Strukturen des Zellkernes, den Chromosomen, die sich vor jeder Zellteilung verdoppeln und dann durch einen besonderen Mechanismus, die Mitose, so verteilt werden, daB die Toch terzellen, also letzten Endes alle Zellen des Organismus, den gleichen Chro mosomenbestand, d. h. samtliche Erbanlagen mitbekommen. J edes einzelne Gen ist ein selbstandiges, chemisch einheitliches, hochmolekulares Gebilde mit spezifischer Wirkung, das Izwar relativ stabil ist, unter Umstanden aber durch eine Umlagerung oder "Mutation" in einen anderen stabilen Zustand libergehen kann, in dem es eine veranderte Wirkung zeigt. Von vie1en Genen kennen wir mehrere solche Zustandsformen oder "Alle1e". Genauere Vorstellungen liber die Struktur der Gene und deren Verande rungen bei der Mutation haben wir noch nicht, da die Forschung auf diesem Gebiet verstandlicherweise auBergewohnlich schwierig ist. Ais leichter zu ganglich erwies sich die Frage nach der Wirkungsweise der Gene. Erste, flir die Analyse der Genwirkungen richtungweisende Versuche ver danken wir den Arbeiten von Kiihn und seinen Mitarbeitern (1929 ff) liber den Einf1uB bestimmter Gene auf die Ausfarbung der Augen von Mehlmotten. Diese Untersuchungen sind spater von amerikanischen Forschern (Beadle, E phrussi, Chevais u. a. 1935 ff) sowie in Deutschland vor allem von Butenandt 8 Rolf Danneel A v + cn-Exfrakt vcn + -Exlrakt Abb.l Atb.2 und seiner Sehule (1940 ff) an Taufliegen fortgefiihrt und bedeutend er weitert worden. Von der Taufliege Drosophila, deren Wildform braunrote Augen besitzt, kennen wir u. a. zwei durch Gen-Mutation entstandene Rassen, die beide heIlrote Augen haben, weil sie die braune Farbkomponente des Augen pigments nieht bilden konnen. Die beiden verănderten Gene liegen in ver schiedenen Chromosomen und haben die Bezeichnung v (vermilion) und en (einnabar) erhalten; die ihnen entsprechenden dominanten Erbfaktoren der Wildrasse werden v+ und en+ genannt. Die Wildrasse besitzt also die Gene v+ en +, die Rasse vermilion die Gene v en + und die Rasse cinnabar die Gene v+en. Zur Kennzeichnung der drei Rassen geniigen im aIlgemeinen die Symbole +, v und en. Von den Erbfaktoren v+ und en+ werden naehweislich irgendwelehe, fiir die Bildung des Augenpigmentes unentbehrliche Stoffe produziert, die den rotăugigen Tieren fehlen. Spritzt man nămlieh vermilion- oder cinnabar Puppen einen Extrakt aus Wildfliegen ein, so fărben sich ihre Augen normal d.h. ,,+-gemă6" aus (Abb.1). Der v+en+-Extrakt enthălt also die den beiden Mutanten zur vollen Augenausfărbung fehlenden Komponenten, die wir vorlăufig v+ -Stoff und en+ -Stoff nennen woIIen. Diese Stoffe sind nicht miteinander identiseh. Wenn dies nămlieh der FaII wăre, so diirften wechselseitige Extraktinjektionen zwischen den rot ăugigen Rassen keinerlei Wirkung haben, da ja beiden derselbe Stoff fehlen wiirde. In Wirklichkeit lassen sich aber dieAugen von v-Tieren sehl:' wohl mit Extrakten aus v+en-Tieren ausfărben (Abb. 2 A). Die beiden Stoffe sind also versehieden, und die v+ en-Tiere enthalten erbformelgemă6 den v+ -Stoff. Oberrasehenderweise hatten dagegen injizierte ven+-Extrakte auf die Ausfărbung von en -Tieren keinen Einflu6 (Abb. 2 B). Dieser scheinbare Widerspruch konnte aber durch weitere Transplantationsversuehe geklărt Uber die Wirkungsweise der Erbfaktoren 9 ./ /'/ ~l""" ~ y= 1 Abb.3 0,5 1,5 2.5 T KynurenÎn werden, aus denen hervorging, da6 der en+ -Stoff aus dem v+ -Stoff entsteht: - v+ -Stoff - en + -Stoff - Da die ven+-Tiere keinen v+-Stoff bilden, konnen sie auch keinen en+ Stoff produzieren, obwohl sie das Gen en+ besitzen. Mit diesen Befunden waren nunmehr die Voraussetzungen fur die biochemische Untersuchung gegeben, die durch die Feststellung erleichtert wurde, da6 +-Extrakte auch bei der Verfiitterung an Maden von v- bzw. cn-Tieren wirksam waren. Butenandt und Weidel (1940) fanden bei der Aufarbeitung von Wildf1iegenextrakten zunachst einen v+ -wirksamenStoff, der seinem chemischen Verhalten nach eine Aminosaure sein mu6te, und dessen Eigenschaften auf ein smon 1935 von Kotake beschriebenes Tryp tophanderivat hinwiesen, das sogenannte Kynurenin, das nam Tryptophan fiitterung im Harn von Kaninchen auftritt. Das aus solchem Harn dar gestel1te Kynurenin erwies sich in der Tat im Fliegentest als v+ -wirksam r und zwar bereits in Mengen von weniger als 1 pro Auge (Danneel, 1941). Danam konnte kaum mehr ein Zweifel dar an bestehen, da6 der v+ -Stoff mit Kynurenin identisch war, eine Annahme, die auch alsbald durch die Iso lierung von kristallisiertem Kynurenin aus Insekteneiern durch Kikkawa (1941) bestatigt wurde. Ein Jahr spater gelang dann Butenandt und seinen Mitarbeitern eine erste, T/ ota lsynthese des Kynurenins und damit die Siche o rung der schon vorher angenommenen Konstitutionsformel: Co - CHi - C1H - COOH ~ ~ NH2 NH 2 Quantitative Untersuchungen ergaben weiterhin, da6 die Menge des ge bildeten braunen Augenpigments bei rotaugigen Insekten (hier Mehlmotten) der einverleibten Kynureninmenge entspricht und ihr direkt proportional 10 Rolf Danneel ist (Abb. 3; Kiihn, 1941). Daraus foIgt, daB das Kynurenin nicht aIs KataIysator wirkt, sondern ein Baustein des Pigmentes selber ist. Aus den Befunden geht ferner hervor, daB unter der Wirkung des Genes v+ Tryp tophan in Kynurenin iibergefiihrt wird. WahrscheinIich wird durch das Gen v+ ein Ferment bereitgestellt, das diese Umsetzung kataIysiert. Im Săugetierorganismus erfoIgt jedenfalls der Abbau des Tryptophans zu Kynurenin mit Hilfe einer TryptophanpyrroIase, die zuerst von Kotake und Mitarbeitern (1936) in der Leber von Săugetieren gefunden wurde. Die erste, durch das Gen v+ ausgeloste Reaktion verlăuft also nach dem foIgenden Schema: Gen v+ 1 v+-Ferment 1 Tryptophan ---+ Kynurenin ---+ cn +-Stolf ---+ braunes Augenpigment ( = v + -Stoff) Der năchste Schritt zur PigmentbiIdung besteht, wie wir bereits sahen, in der UmwandIung des Kynurenins in den cn+ -Stoff, eine Reaktion, die, wie gesagt, nur bei Gegenwart des Erbfaktors cn+ ablăuft. Die Aufklărung dieses Reaktionsschrittes ging von Beobachtungen aus, die wir 1941 bei Ver suchen mit iiberlebenden v- und cn-Augen machten. Zur Priifung der bei der Extraktaufarbeitung durch Butenandt und Weidel anfallenden Fraktionen hatten wir einen einfachen Test entwickelt, cler in kiirzester Zeit eine qualitative und quantitative Auswertung der zu priifen den Substanzen auf ihre v+ - bzw. cn+ -Wirksamkeit ermoglichte und im Gegensatz zu den Injektions- bzw. Fiitterungsversuchen eine genauere Untersuchung der Reaktionsbedingungen ermoglichte. Dazu wurden die iso Iierten iiberlebenden Augen junger Puppen in Losungen der betreffenden Stoffe eingelegt, wo sie sich bei positiver Wirkung innerhalb weniger Stun den +-gemăB ausfărbten. Der Versuch gelang z. B. mit v-Augen in ver diinnten KynureninIosungen, wie Abb.4 zeigt, ohne weiteres. Die vcn+ Tiere vermogen aIso zwar selbst kein Kynurenin zu biIden, konnen aher sehr wohI zugefiihrtes Kynurenin iiber den cn +- Stoff in Pigment iiber fiihren. Sie besitzen ja auch das hierzu erforderliche Gen cn+. Die Reaktion Kynurenin -+ cn +- Stoff ist, wie die Versuche mit iiberlebenden Augen wei terhin zeigten, temperatur- und pH- abhăngig, bedarf der 02-Zufuhr und wird durch Spuren von BIausăure gehemmt. Daraus foIgt erstens, daB der cn +- Stoff ein Oxydationsprodukt des Kynurenins ist und zweitens, daB das Uber clie Wirkungsweise cler Erbfaktoren 11 Gen cn+ ein fUr diese Umwandlung erforderliches Ferment (cn+ -Ferment) zur VerfUgung stellt, das zu den schwermetallhaltigen Enzymen gehort: Gen v+ Gen cn+ I 1 + v+-Ferment cn + -Ferment I 1 + Tryptophan Kynurenin ----+ cn+-Stoff --+ Pigment Im Verlauf dieser Untersuchungen fanden wir femer in einem aus Ham gewonnenen Kynurenin-Rohkristallisat kleine Mengen eines cn+ wirksamen Begleitstoffes, der sich durch Umkristallisieren nur sehr schwer entfemen lieB, also offenbar mit dem Kynurenin Mischkristalle bildete. Alle diese Befunde wiesen darauf hin, daB der cn+-Stoff mit dem Kynu renin sehr nahe verwandt ist und aus ihm durch fermentative Oxydation entsteht. Auf Grund dieser Beobachtungen schlugen Butenandt, Weidel und Schlofi berger (1942) nach vergeblichen Versuchen, eine ZUr Analyse ausreichende Menge von cn + -Stoff aus Extrakten ·zu isolieren, den Weg der Synthese ein. Hierfiir bot sich in erster Linie das 3-0xykynurenin an, da inzwischen be kannt geworden war, daB beim Tryptophanabbau auBer Kynurensaure auch Xanthurensaure auftritt, die nur aus 3-0xykynurenin entstehen kann: OH I I~"Î(C 0"'iH2 /~ i -->- I II I V"'NH2 H. COOH '\/'" r COOH N NH2 Kynurenin Kynurensăure OH #,,,,/CO,,, I I II i #''''/~ H2 -->- I,,\)l ). V"'NH CH·COOH COOH I 2 I I N OH NH2 OH 3·0xy-kynurenin Xanthurensăure 12 Rolf Danneel Das synthetisch gewonnene 3-0xykynurenin erwies sich in der Tat als sehr en +- wirksam. Das Studium seiner Eigenschaften ermoglichte nun auch seine Isolierung aus Puppenextrakten und den Nachweis, da~ die beiden er haltenen Stoffe miteinander identisch waren (Butenandt, Weidel und Schlof5- berger, 1949). Die letzte Phase der Pigmentbildung, der Obergang des en+ -Stoffes in das braune Augenpigment durfte in Analogie zu der spăter zu besprechenden Entstehung der Melanine aus Tyrosin uber ein o-Chinon fuhren. Bisher wissen wir daruber aber nur, da~ es sich wiederum um eine Oxydation han delt (Darmeel, 1941) und da~ sich dabei wahrscheinlich aus je 2 Molekulen Oxykynurenin Derivate des Phenyl-chinonimins bilden (Butenandt, ScMet u. Keck, 1952). Das Pigment selbst ist in den Augenzellen nicht diffus verteilt, sondern erscheint in Form von Kornchen, die auch nach der Beseitigung des Pigments noch als farblose Granula im Mikroskop sichtbar sind und nach Caspari und Richards (1948) Nucleoproteide enthalten. Die letzte Phase der Pigment bildung ist nachweislich an das V orhandensein dieser T răgergranula ge bunden, denn es gibt Rassen, wie z. B. die Rasse w (white) bei Drosophila, die zwar den v+ -Stoff und den cn +- Stoff bilden, die aber trotzdem farblose Augen besitzen, weil ihnen die Granula fehlen (Ranser, 1948). Die Reaktion kette kann somit noch um ein weiteres genabhăngigesGlied erweitert werden~ Pigmrl!lnl Eiwei6trager _ Oxy.\cynurenin t v -tS1ofl t Tryplophon Das Erbmerkmal "braunes Augenpigment" entsteht also als Endergebnis einer Reaktionsfolge, in die verschiedene Erbfaktoren an verschiedenen Stellen steuernd eingreifen. Bei Kenntnis der Wirkungsweise dieser Erb faktoren kann man daher erbliche Fehlleitungen dadurch ausgleichen, daB man im richtigen Stadium der Entwicklung den fehlenden Gcnwirkstoff,