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Trimmel hat Angst vor dem Mond PDF

149 Pages·2010·0.53 MB·German
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Friedhelm Werremeier Trimmel hat Angst vor dem Mond Kriminalstories Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, August 1977 Redaktion: K. Schelf Umschlagentwurf: Ulrich Mack Umschlagtypographie: Manfred Waller © Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1977 Satz Aldus (Linotron 505 C) Was ist das eigentlich für einer, dieser Trimmel? Paul Trimmel, Hauptkommissar bei der Hamburger Kripo, unaufdringlicher Held in zahlreichen Kriminalromanen und Fernsehspielen der ARD-Serie ‹Tatort›? Paul Trimmel sieht aus wie der Schauspieler Walter Richter (der ihn im Fernsehen verkörpert); er ist ein grantiger Bulle, der das StGB nicht dauernd unter dem Arm trägt, der unkonventionelle, manchmal fragwürdige Wege geht und doch, unkorrumpierbar wie ein Bleiklotz, im besten Sinn des Wortes recht tut und niemand scheut – kein gescheiter, aber ein kluger Mann; keine Intelligenzbestie, aber einer mit Instinkt und unerwartetem Herzenstakt; ein Leuteschinder, für den seine Leute durchs Teuer gehen, ein Zyniker mit Herz… Vor allem: er ist ein Polizist, der seine Fälle löst – Punkt. So hat ihn sein ‹Vater› Friedhelm Werremeier angelegt; so kennen wir ihn. Aber auch ein Mensch und Polizist wie Trimmel hat seine Grenzen: sie liegen da, wo das Kriminelle in das Psychopathologische übergeht, in der Grauzone zwischen Verbrechen und seelischer Krankheit. Und da kommt ihm in den drei Stories dieses Bandes der Psychiater Dr. Walter Lorff zu Hilfe. Es war wohl ziemlich zwangsläufig, daß mein Hamburger Krimmalhauptkommissar Paul Trimmel seine heimliche Liebe zur Psychiatrie eines Tages beruflich zu nutzen versuchte – mit einem Erfolg, der ihn dann mehrfach veranlaßte, bei der Aufklärung kapitaler Verbrechen den ihm und anderen auch menschlich sehr sympathischen Facharzt für Psychiatrie Dr. Walter Lorff um Hilfe zu bitten. Drei dieser Begegnungen zwischen dem Polizisten und dem Seelenarzt werden hier, jeweils in Form abgeschlossener Kurzromane, mitgeteilt. Selbstverständlich handelt es sich auch hier, wie bei sämtlichen bisherigen Erlebnissen Trimmels, um fiktive Geschichten, und jede Ähnlichkeit der auftretenden Figuren mit lebenden oder toten Personen, jede Übereinstimmung einer Romanszene mit einem tatsächlichen Ereignis wäre deshalb rein zufällig. Sehr real dagegen war die fachkundige Beratung, die ich durch namhafte deutsche Psychiater erhielt. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. F. W. Ein Psychiater auf dem Kriegspfad Die Sache fängt für Dr. Walter Lorff ganz harmlos an, mit einem Telefonanruf in der Praxis, freitags gegen achtzehn Uhr. Der Kriminalhauptkommissar Paul Trimmel meldet sich, dieser Typ mit der haarigen Stimme, die er nun auch noch zu glätten versucht und erkennbar aus der untersten Etage herausheben möchte: »Herr Doktor Lorff«, knarrt er, »ich halt’s ja für möglich, daß Sie sich noch an mich erinnern…« »Herr Trimmel, ja«, sagt Lorff. »Wieso so kokett?« »Na, hätt ja sein können«, sagt Trimmel, um gut Wetter bemüht, »ist ja wirklich erstaunlich, daß Sie um die Zeit noch arbeiten…« »Sie ja wohl auch«, meint Lorff. »Oder haben Sie… persönliche Schwierigkeiten?« »Ach, wissen Sie«, sagt er heuchlerisch, »die hab ich zwar mal öfter. Ich bin im Moment auch ‘n bißchen heiser, aber das ist natürlich nicht der Grund, warum ich mich an Sie als Psychiater wende…« »Sondern?« »Dienstlich«, sagt Trimmel, »wie Sie schon vermuteten…« »Immer noch Mord und Totschlag?« »Diesmal Mord«, sagt er, was ihm als Polizist, als rechtliche Würdigung gar nicht zusteht. Aber die Worte kommen wie vom Grunde eines frisch ausgehobenen Grabes. »Schlimme Geschichte… schlimmer als alle, die wir gemeinsam erlebt haben…« Lorff sagt langsam, um Zeit zu gewinnen: »Daß Sie glauben konnten, ich könnte jemanden vergessen, mit dem ich mal länger als eine Stunde zu tun hatte… Aber mir fällt auf, daß Sie im Gegensatz zu sonst Ihre Sätze zu Ende sprechen. Mal direkt gefragt, Herr Trimmel: Was verschafft mir das Vergnügen Ihres Anrufs? Was steckt dahinter, wenn Sie sich sprachlich solche Mühe geben? Was soll ich für Sie tun?« »Uns helfen!« sagt Trimmel schlicht. »Es geht darum, daß wir’s für sinnvoll halten würden, wenn Sie einen Menschen für uns hypnotisieren könnten…« »Ach du Schreck!« sagt Lorff, ehrlich betroffen. »Da kommen Sie ausgerechnet auf mich?« »Ja, wieso?« sagt Trimmel scheinheilig. »Kommt die Hypnose nicht aus der Psychiatrie?« »Passen Sie mal auf«, sagt Lorff bedächtig, »früher hab’ ich tatsächlich öfter mal hypnotisiert – als rationelle zeitsparende Therapie, simpel gesagt; heute mach ich’s nur noch ganz gelegentlich – Hypnose sozusagen statt zeitraubender Analyse… Aber Ihnen kommt’s ja sicher nicht auf eine therapeutische Hypnose an?« »Das nicht«, gibt Trimmel zu. »Sondern? Soll ich Ihnen eine Hypnose als Superlügendetektortest veranstalten?« »Nee, so auch wieder nicht«, sagt Trimmel, »‘n bißchen anders schon…« »Ja, wie denn, zum Henker?« Da sagt Trimmel sehr direkt: »Am Telefon kann man das kaum erklären. Kann ich’s Ihnen nicht mal in Ruhe persönlich auseinanderpusseln?« Lorff seufzt herzergreifend, quer durch die halbe Stadt Hamburg. »Hypnose ist vor allem juristisch eine sehr umstrittene Methode zur Wahrheitsfindung, würde ich immer sagen. Außerdem wollte ich gerade Feierabend machen… morgen ist mein erster freier Tag seit sechs Wochen…« »Bitte«, sagt Trimmel, »morgen um neun?« »Nein – auf keinen Fall vor zehn!« Lorff hört ein Aufatmen von der anderen Seite, und darüber ärgert er sich mehr, als die Sache wert ist. »Ich seh gerade – es geht erst um zehn Uhr dreißig!« sagt er entschlossen. Denn bei aller dummen Gutmütigkeit, allem Nicht-nein-sagen-Können – irgendwann muß man diesen naßforschen Typen doch mal die Zähne zeigen! Diesen Trimmel kennt er noch aus der Zeit, in der er, als quasi amtierender Privatdozent, noch Oberarzt bei Professor Kemm in der Hamburger Nervenklinik Rietbrook war. Kemm, eine der glänzendsten, aber auch flackerndsten, sprich umstrittensten Leuchten der deutschen psychiatrischen Wissenschaft, hatte sich damals mehr und mehr auf die gerichtliche Psychiatrie geworfen und trat als Gutachter in zahlreichen spektakulären Kriminalprozessen in Erscheinung – und da war, landauf und landab, lange keiner, der das Wort des Meisters anzuzweifeln wagte. Aber dann gab’s den Fall Brigitta Beerenberg, jener Gattin eines Chefarztes, die ihren Mann erschossen hatte: mit seinem ganzen Gewicht hatte Kemm der Frau eine Schuldunfähigkeit attestiert und sie damit vor einer lebenslangen Verurteilung bewahrt. Und schuldunfähig war sie tatsächlich; davon war die ganze Klinik überzeugt. Die Sache war nur die: Zunächst hatte der Stargutachter Kemm die angeklagte Dame als uneingeschränkt zurechnungsfähig bezeichnet – und er war erst umgekippt, als sie während ihres Schwurgerichtsprozesses durch Trimmels Aussagen mehr und mehr auf ihr Lebenslänglich zusteuerte… Damals hatte der Privatdozent Dr. Walter Lorff seinen bis dahin so verehrten Chef gehaßt wie eine Kröte, denn Kemm hatte ihn gezwungen, das ›Beerenberg- Theater‹ mitzuspielen. Und das war sogar, wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, der eigentliche Grund dafür gewesen, daß er seine erfolgversprechende akademische Laufbahn aufgegeben und sich als Facharzt für Psychiatrie niedergelassen hatte. So gesehen ein Mordstyp, dieser Trimmel: der einzige, der Kemm jemals in die Ecke gestellt hatte. Etwas sehr selbstherrlich für einen Beamten… Gott ja, Lorff sieht ihn noch vor sich wie auf einer Fotografie, wie er da während des Beerenberg-Prozesses ständig mit vorgeschobener Unterlippe im Gerichtsflur stand und sein Gott-helfe-mir-ich-kann-nicht-anders-Gesicht machte. Und ein Jahr später hatte Lorff dann noch ein Gutachten in einem anderen von Trimmel bearbeiteten Fall zu liefern, der, aus heutiger Sicht, einer seiner interessantesten Fälle überhaupt war… Lorff verriegelt die Türen seiner Praxis, die nahtlos in die Wohnung übergeht, holt sich seinen zwölfjährigen Whisky für besondere und besonderste Gelegenheiten, trinkt ihn, die Beine auf dem Schreibtisch, im runden Licht der Tischlampe pur und denkt dabei einen Gedanken zu Ende, vor dem er sich bisher immer gescheut hat: Er ist diesem Trimmel, den er nach normalen Maßstäben allenfalls als flüchtigen Bekannten einstufen müßte, zu Dank verpflichtet wie kaum einem anderen Menschen. Denn ohne ihn wäre er immer noch bei Kemm – und er wäre sein Lebtag ein Feigling geblieben! »Scheiße!« sagt er halblaut, wie so mancher Mann, der sich selbst in die Seele guckt. Auch Seelenärzte benutzen da nicht unbedingt ein gehobenes Vokabular. Aber andererseits: erstens ahnt Trimmel gar nicht, was er da als Weichensteller geleistet hat – er kann’s nicht ahnen. Und zweitens ist das alles noch längst kein zwingender Grund, sich jetzt um jeden Preis – gar um den einer Hypnose – erkenntlich zu zeigen! Noch ein Whisky, und noch ein dritter; das schärft die Gedanken. Vor allem dann, wenn man, wie jetzt Lorff, endlich auch mal früh ins Bett geht und die teuren Fachzeitschriften auf dem Nachttisch gar nicht erst aufschlägt… Trimmel, sagt er sich, verwechselt hier offensichtlich die Hypnose mit der Zauberkunst oder Wahrsagerei. Und dafür muß sich ein Psychiater, der auf sich hält, letztlich einfach zu schade sein. Trimmel steht dann am nächsten Morgen wirklich mit dem Glockenschlag halb elf auf der Matte. Und hat noch einen Menschen mitgebracht, den er als Petersen vorstellt, Johannes Petersen, Kriminalhauptmeister. War der nicht schon in der Sache Beerenberg dabei? »Doch, war ich!« sagt der farblose Petersen. Trimmel sagt, nun doch wie zu einem alten Bekannten: »Ich freu mich, Sie wiederzusehen, Doktor! Sind Sie gegenüber Ihrem alten Chef immer noch so zwiespältig?« »Treten Sie ein«, sagt Lorff, »nehmen Sie Platz… Sie reden von Kemm, nehme ich an? Der weiß bestimmt kaum noch, wie ich heiße…« »Das weiß ich besser«, behauptet Trimmel. »Ich war neulich mal in einer Hauptverhandlung als Zeuge, da trat er auf seine alten Tage noch mal als Gutachter auf… Kommt er doch in der Pause tatsächlich auf mich zu und begrüßt mich! Und redet dabei auch von Ihnen: Es sei ‘ne Schande, daß Sie der Wissenschaft verloren gegangen sind!« »Nächsten Monat hat er Geburtstag«, sagt Lorff, betont uninteressiert. »Ich werde ihm Blumen schicken.« »Nette Idee«, sagt Trimmel, »gerade weil er ja gar nicht mal so ganz unrecht hat. Deswegen bin ich ja auch hier; ich mein’, wir sollten in unserem verrückten Job wenigstens nicht total auf Sie verzichten…« »Auf mich als Zauberkünstler und Wahrsager?« Aber Trimmel überhört den Sarkasmus. »Ich bin ja nun öfter mal bei Gericht, meistens beim Schwurgericht, und meistens sind da ja auch Leute Ihres Standes…« »Aha…!« »Ja, sicher«, fährt er fort, »und ich will in der Beziehung auch mal ganz offen reden. Wenn ich mir anhöre, was da an psychiatrischen Gutachten verzapft wird – also, da krieg ich meistens spontan die Gänsehaut! Und daß da das Gericht den Psychiater von Fall zu Fall quasi als Pflichtübung eingebaut hat, ist oft das Mindeste, was ich denke…« »Wie reden Sie eigentlich?« fragt Lorff. »Sie meinen unverschämt?« fragt Trimmel zurück, scheinbar bestürzt.

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