Vesna Kondrič Horvat Hg. Transkulturalität der Deutschschweizer Literatur Entgrenzung durch Kulturtransfer und Migration Transkulturalität der Deutschschweizer Literatur Vesna Kondrič Horvat (Hrsg.) Transkulturalität der Deutschschweizer Literatur Entgrenzung durch Kulturtransfer und Migration Herausgeberin Vesna Kondricˇ Horvat Maribor, Slowenien ISBN 978-3-658-18075-1 ISBN 978-3-658-18076-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-18076-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. J.B. Metzler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier J.B. Metzler ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Transkulturalität der Deutschschweizer Literatur. Entgrenzung durch Kulturtransfer und Migration Herausgegeben von Vesna Kondrič Horvat Rezensentinnen: Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt Prof. Dr. Darja Pavlič Lektorin: Käthe Grah Satz: Aleš Cimprič Gedruckt mit finanzieller Unterstützung von Präsenz Schweiz Die slowenischen Beiträge entstanden im Rahmen des Forschungsprogramms Nr. P6-0265, das von der Slowenischen Forschungsagentur gefördert wird. Inhaltsverzeichnis Vesna Kondrič HorVat Zur Einführung ....................................................................................................................1 Peter Utz »Die größte Weite für Schweizeraugen«: literarische Entgrenzungsstrategien in Peter Webers Die melodielosen Jahre ......................................9 dariUsz KomorowsKi An der Grenze der Entgrenzung. Betrachtungen zum Kulturtransfer in der Idee von der Schweiz als geistiger Mittlerin von Fritz Ernst ...............................21 dominiK müller »Willkommenskultur«? Literarische Empathie und die Debatte um die »Schwarzenbach-Initiative«: Max Frisch, Raffael Ganz und Anna Felder ................33 teresa martins de oliVeira Der Mord an Arthur Bloch als Motiv in der Schweizer Literatur ..............................47 anna Fattori »Seit ich Dickens las, zittere, bebe, schlottere und schwanke ich«. Robert Walser und die englischsprachige Literatur ......................................................59 isabel Hernández Topographien der Erinnerung: Auf den Spuren des magischen Realismus in Hugo Loetschers Roman Die Augen des Mandarin ..................................73 Jonny JoHnston Reisen ins Herz der Finsternis: zur Intertextualität als transkulturelles Medium in Urs Widmers Im Kongo ......................................................85 margrit zinggeler Der Roman Seltsame Schleife von Rolf Niederhauser als transkulturelle Vernetzung von Stimmen .................................................................95 daniel annen Das verstörend leuchtende Geheimnis der fremden Welt. Zum Zwielicht bei Gertrud Leutenegger .....................................................................109 VIII Inhaltsverzeichnis neVa Šlibar Das Mittelmeer als Ermöglichungs- und Negationsort multikultureller Erfahrungen in Christoph Kellers Roman Übers Meer ...............................................129 malcolm Pender Grenzen in den Romanen von Dorothee Elmiger .....................................................141 Peter rUsterHolz Literatur und Politik aus verschiedenen Perspektiven ................................................155 beatrice sandberg Meral Kureyshis Roman Elefanten im Garten – Migrationsliteratur oder deutsche Literatur? Plädoyer für ein erweitertes Verständnis ..........................167 renata corneJo Identitätskonzepte im Prosawerk von Katja Fusek im Hinblick auf die Konstruktion von eigen und fremd ................................................................179 corinna Jäger-trees »Ich bin in meiner Heimat auch fremd geworden, also muss der Süden hier stattfinden.« Francesco Micielis Auseinandersetzung mit zwei Kulturen ...............189 Ján Jambor Von der »Grenze zwischen den zwei Welten«, die »so verschieden wie Luft und Erde« sind. Zur Transkulturalität und Interkulturalität in Yusuf Yeşilöz’ Hochzeitsflug .........................................................................................203 siobHán donoVan Zuckermelonen und Heimatsuche. Der Heimkehrer als Märchenheld? Zu Yusuf Yeşilöz’ Roman Soraja ...................................................................................215 dorota sośnicKa Wir alle sind Transmigranten: Transkulturelle Aspekte im Werk Zsuzsanna Gahses ...........................................................................................227 tanJa Žigon Das Trans- und Interkulturelle im Roman Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit von Dana Grigorcea ...........................................................................243 gonçalo Vilas-boas Das Fremde und das Eigene in Martin R. Deans Verbeugung vor Spiegeln .......................................................................................................255 Inhaltsverzeichnis IX Vesna Kondrič HorVat Wenn Träume Wirklichkeit werden. Reisen im Roman Der Gesang der Blinden von Franco Supino ....................................................................269 Literatur (Auswahl) ..........................................................................................................279 Sachregister .......................................................................................................................287 Personenregister ...............................................................................................................293 Zu den Autorinnen und Autoren ..................................................................................299 Zur Einführung Der vorliegende Band versammelt Studien zur Deutschschweizer Literatur, die zu veranschaulichen suchen, dass sie schon längst transkulturell geworden ist, also Ele- mente vieler Kulturen in sich trägt, die nicht nur nebeneinander bestehen, sondern ineinander übergehen und sich verflechten. Homi K. Bhabha zitiert in seinem Buch The Location of Culture einen afro-amerika- nischen Künstler, der sich fragt: »What is a community anyway? What is a black com- munity? What is a Latino community? I have trouble with thinking of all these things as monolithic fixed categories«.1 Sowohl Wolfgang Welsch, der wesentliche Begründer des Begriffs Transkulturalität,2 als auch Bhabha, der von Hybridität spricht, problemati- sieren Herders Kulturbegriff, der auf Homogenität nach Innen und Abgrenzung gegen Außen gründet, und gehen von der These aus, dass es keine einheitlichen Kulturen gibt. Zugleich machen beide auf die Gefahr der Homogenisierung der Kulturen aufmerk- sam und auf die Folgen, die eine solche Denkweise nach sich zieht. Beide verweisen auf ein interaktives Potenzial zwischen zwei oder mehreren Kulturen, das einen »dritten Raum« bzw. Transkulturalität ermöglicht, wobei Bhabha und Welsch Kultur als eine Verflechtung auffassen, die man auch auf der individuellen Ebene finden kann. Das Hauptproblem der heutigen mobilen Kultur entsteht, wie Bhabha angedeutet hat, nicht nur aus einem traditionell verstandenen Kulturbegriff, sondern auch aus dem darin gründenden polarisierenden Denken in den Kategorien des Eigenen und des Fremden. Dabei hat sich bereits Goethe für eine »Weltliteratur« ausgesprochen, in der er die Verbindung von Kulturen, die Verbindung vom Eigenen und Fremden, voraussetzt. Goethe machte darauf aufmerksam, so Bhabha, dass die fruchtbare Ver- bindung von Kulturen oft aus furchtbaren Kriegen und Konflikten hervorgegangen sei, denn verschiedene Völker hätten dabei fremde Ideen und Modalitäten unbewusst adoptiert.3 Trotz Goethes Hinweis und trotz Nietzsches Einsatz für eine kulturelle Mischung, trotz Wittgensteins Überzeugung, dass die Kultur eine Struktur ist, die für »new connexions and to further feats of integration« offen ist,4 begann man erst in 1 Homi K. Bhabha: The Location of Culture. London/New York 1994, S. 3. 2 Vgl. Wolfgang Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität? In: Lucyna Darowska u. Claudia Machold (Hg.) Hochschule als transkultureller Raum? Beiträge zu Kultur, Bildung und Differenz. Bielefeld 2010, S. 39-66. 3 Vgl. Bhabha: The Location of Culture, S. 11. 4 Wolfgang Welsch: Transculturality: the Puzzling Form of Culture Today. In: Mike Featherstone & Scott Lash, Spaces of Culture. City – Nation – World. London/Thousand Oaks/New Delhi 1999, S. 194–213, hier S. 203. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 V. Kondrič Horvat (Hrsg.), Transkulturalität der Deutschschweizer Literatur, DOI 10.1007/978-3-658-18076-8_1 2 Zur Einführung den letzten Jahrzehnten das Eigene und das Fremde als relationale Kategorien aufzu- fassen und die Bedeutung der Transkulturalität zu betonen. Homi K. Bhabha spricht sich für eine kulturelle Hybridität aus, in der die Diffe- renz zwar aufrechterhalten bleibt, jedoch ohne vorausgesetzte Hierarchie. Zu Recht sieht Bhabha, dass gerade die Perspektive der MigrantInnen das Problem sehr ad- äquat erfasst und verweist auf Rushdies Midnight Children sowie auf Nadine Gordi- mer, John Coetzee, Toni Morrison, etc. Und wenn er sagt, »the truest eye may now belong to the migrant’s double vision«,5 dann können wir in diesem Sinn auch die Per- spektive von vielen SchweizerInnen sehen, sei es den eigentlichen MigrantInnen oder den sogenannten »Secondos«, zu denen z.B. die in der Schweiz geborenen Franco Supino und Martin R. Dean oder der mit 9 Jahren in die Schweiz gekommene Fran- cesco Micieli zählen. Zweifelsohne kann man sie in jene Gruppe einordnen, für die Bhabha feststellt: » ›National‹ Cultures are beeing produced from the perspective of disenfranchised minorities«.6 Doch nicht nur AutorInnen mit Migrationshintergrund, sondern auch andere Schweizer AutorInnen haben sich längst aus den engen natio- nalen Rahmen befreit. Die Entgrenzung und eine massive Mobilität sorgen dafür, dass der Blick immer weiter schweift. In diesem Sinne bringt der vorliegende Band eine Reihe von Fallbeispielen aus der Deutschschweizer Literatur, die die europäische Mentalität nicht nur spiegeln, sondern wesentlich zu ihr beitragen. Steht die Entgrenzung für die Aufhebung und Auflösung von Grenzen, so kann dies auf unterschiedliche Weise stattfinden. Eine Möglichkeit zeigt Peter Utz in sei- nem Aufsatz über Entgrenzungsstrategien in Peter Webers Roman Die melodielosen Jahre, der den Band eröffnet. Weber konfrontiere und überlagere Perspektiven und Blickrichtungen, überblende das konkret Nahe mit dem imaginär Fernen. Dabei leh- ne er sich an filmische Verfahren an, an die Dynamisierung durch Schnitt und Über- blendung, und an musikalisch gleitende Sprachtöne und Rhythmen. Das sind eigene literarische Verfahren zum Verflüssigen der Grenzen. Mit diesen Strategien beziehe sich Weber auf eine untergründige Tradition der Literatur aus der Schweiz, deren Erweiterungspalette er nochmals erweitert. Von Entgrenzung spricht auch Dariusz Komorowski indem er zwei Texte Fritz Ernsts – Die Schweiz als geistige Mittlerin und Helvetia Mediatrix – mit Bezug auf das »Nichtnationale am Nationalen« betrachtet. In der Zeit einer intensiven Debatte über das Nationale gehe Ernst der Frage nach, welche und inwiefern die fremden Elemente die schweizerische Kultur mitprägten und es weiterhin tun. Es komme zu einem Spannungsfeld besonderer Art, das durch die Zusammenführung der Zielsetzung der Kulturtransferforschung und dem Anlie- gen, das Schweizerisch-Nationale hervorzuheben, entstehe. In der Bereitschaft, sich 5 Vgl. Bhabha: The Location of Culture, S. 11. 6 Ebd, S. 6.