Holger Barth Katharina Ernst Panagiotis Papatheodorou Toxikologie für Einsteiger Toxikologie für Einsteiger Holger Barth · Katharina Ernst · Panagiotis Papatheodorou Toxikologie für Einsteiger Holger Barth Katharina Ernst Institut für Experimentelle und Klinische Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Toxikologie und Pharmakologie, Toxikologie und Naturheilkunde, Universitätsklinikum Ulm Naturheilkunde, Universitätsklinikum Ulm Ulm, Baden-Württemberg, Deutschland Ulm, Baden-Württemberg, Deutschland Panagiotis Papatheodorou Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Toxikologie und Naturheilkunde, Universitätsklinikum Ulm Ulm, Baden-Württemberg, Deutschland ISBN 978-3-662-61539-3 ISBN 978-3-662-61540-9 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61540-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Sarah Koch Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Vorwort Dieses kurze Lehrbuch richtet sich vorwiegend an Studierende biowissenschaftlicher und chemischer Bachelor- und Masterstudiengänge, die Toxikologie als medizinisches Wahlfach belegen. In diesem Buch, das weitgehend auf unseren Vorlesungen an der Uni- versität Ulm beruht, werden grundlegende wissenschaftliche und klinische Aspekte der Toxikologie dargestellt und ihre wichtigsten Inhalte, Ziele und Aufgaben beschrieben. Im ersten Kapitel werden wichtige toxikologische Fachbegriffe definiert und es wird beschrieben, was ein „Gift“ ausmacht und wie Giftstoffe in den menschlichen Körper gelangen können. Das zweite Kapitel handelt von akuten Vergiftungen, ihren Ursachen und den wichtigsten Maßnahmen für ihre Therapie. Die Kap. 3 bis 7 beschreiben die Wirkungen ausgewählter, medizinisch relevanter Giftstoffe aus Natur und Umwelt, aus der häuslichen Umgebung und dem Arbeits- platz wie Toxine aus Tieren, Pflanzen, Pilzen und Bakterien, Giftgase, Stäube, Metalle, Pestizide, Lösungsmittel und Alkohol. Im letzten Kapitel werden die grundlegenden Prinzipien der chemischen Kanzero- genese zusammengefasst und die krebsauslösende Wirkung einiger toxikologisch wichtiger Substanzen exemplarisch vorgestellt sowie rechtliche Grundlagen im Umgang mit Giftstoffen zusammengefasst. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass neben den hier vorgestellten Substanzen natürlich zahlreiche weitere toxikologisch wichtige Stoffe existieren, wie Medikamente oder Drogen, auf die in diesem kurzen Lehrbuch bewusst nicht eingegangen wird. Diese Substanzen sind i. d. R. nicht Gegenstand der Basisvorlesung im Fach Toxikologie, die u. a. gezielt auf die Prüfung zur Erlangung der Sachkunde im Umgang mit Gefahrstoffen gemäß der Chemikalienverbotsverordnung vorbereiten soll, sondern werden in weiterführenden toxikologischen und pharmakologischen Lehrveranstaltungen behandelt. Hier sei auf die Vielzahl exzellenter umfangreicherer Bücher der Toxikologie und Pharmakologie verwiesen. Ulm Prof. Dr. Holger Barth im Jahr 2023 Dr. Katharina Ernst Prof. Dr. Panagiotis Papatheodorou V Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen der Toxikologie ........................................ 1 1.1 Einführung .................................................. 1 1.2 Wichtige Begriffe ............................................. 2 1.3 Beispiele für die Herkunft von Giftstoffen ......................... 3 1.4 Aufgaben, Inhalte und Ziele der Toxikologie ....................... 4 1.4.1 Experimentelle Toxikologie ............................... 4 1.4.2 Regulatorische Toxikologie ............................... 6 1.4.3 Klinische Toxikologie ................................... 7 Quellen und weiterführende Literatur .................................. 9 2 Akute Vergiftungen ............................................... 11 2.1 Häufigkeit, Ursachen und Symptome akuter Vergiftungen ............. 11 2.2 Allgemeine Maßnahmen zur Therapie von Vergiftungen .............. 12 2.2.1 Erste Hilfe bei akuten Vergiftungen (Laienhilfe) ............... 13 2.2.2 Primärversorgung akuter Vergiftungen ....................... 15 Quellen und weiterführende Literatur .................................. 19 3 Gifte aus der Natur ............................................... 21 3.1 Ausgewählte Toxine von Tieren .................................. 22 3.1.1 Saxitoxin (STX) und Tetrodotoxin (TTX) .................... 23 3.1.2 Conotoxine ............................................ 26 3.1.3 Neurotoxine als Bestandteile von Schlangengiften ............. 28 3.2 Ausgewählte Toxine von Pflanzen ................................ 31 3.2.1 Ausgewählte extrazellulär wirksame Pflanzentoxine ............ 32 3.2.2 Ausgewählte intrazellulär wirksame Pflanzentoxine ............ 36 3.3 Ausgewählte Toxine von Pilzen .................................. 38 3.3.1 Wichtige Toxine niederer Pilze ............................ 39 3.3.2 Wichtige Toxine höherer Pilze (Basidiomyceten) .............. 40 VII VIII Inhaltsverzeichnis 3.4 Ausgewählte Toxine von Bakterien ............................... 43 3.4.1 Porenbildende Bakterientoxine ............................ 43 3.4.2 Bakterielle AB-Toxine ................................... 44 Quellen und weiterführende Literatur .................................. 50 4 Toxikologie der Lunge ............................................ 53 4.1 Reizgase .................................................... 54 4.2 Systemisch wirksame Gase ..................................... 56 4.3 Partikel ..................................................... 60 4.3.1 Staub. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4.3.2 Asbest (Faserstaub) ..................................... 62 Quellen und weiterführende Literatur .................................. 63 5 Metalle ......................................................... 65 5.1 Blei (Pb) .................................................... 66 5.2 Quecksilber (Hg) ............................................. 69 5.3 Cadmium (Cd) ............................................... 72 5.4 Therapie von Metallvergiftungen ................................. 74 Quellen und weiterführende Literatur .................................. 76 6 Pestizide ........................................................ 77 6.1 Insektizide .................................................. 79 6.1.1 Organophosphate und Carbamate .......................... 80 6.1.2 Cyclische Chlorkohlenwasserstoffe ......................... 85 6.1.3 Neonicotinoide ......................................... 88 6.1.4 Pyrethroide ............................................ 89 6.2 Fungizide ................................................... 90 6.2.1 Strobilurine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.2.2 Benzimidazole ......................................... 90 6.3 Rodentizide ................................................. 91 6.3.1 Antikoagulantien ....................................... 91 6.4 Herbizide ................................................... 93 6.4.1 Paraquat .............................................. 94 6.4.2 Glyphosat ............................................. 94 Quellen und weiterführende Literatur .................................. 95 7 Toxikologie der Leber ............................................. 97 7.1 Aufbau und Funktion der Leber .................................. 98 7.2 Paracetamol ................................................. 102 7.3 Ethanol ..................................................... 106 7.4 Methanol ................................................... 111 Inhaltsverzeichnis IX 7.5 Ethylenglycol ................................................ 113 7.6 Tetrachlormethan CCl und Chloroform ........................... 114 4 7.7 Vinylchlorid ................................................. 115 Quellen und weiterführende Literatur .................................. 115 8 Chemische Kanzerogenese ......................................... 117 8.1 Mehrstufenmodell der chemischen Kanzerogenese ................... 118 8.2 Entstehung von Mutationen durch genotoxische Substanzen ........... 121 8.3 Onkogene und Tumorsuppressorgene ............................. 124 8.4 Kanzerogene Mechanismen ausgewählter Substanzklassen ............ 126 8.4.1 Tumorpromovierende Substanzen und Mechanismen ........... 126 8.4.2 Aflatoxin B1 ........................................... 130 8.4.3 Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs) ......... 131 8.4.4 N-Nitrosamine ......................................... 134 8.4.5 Alkohol ............................................... 135 Quellen und weiterführende Literatur .................................. 137 Grundlagen der Toxikologie 1 Inhaltsverzeichnis 1.1 Einführung .............................................................. 1 1.2 Wichtige Begriffe ......................................................... 2 1.3 Beispiele für die Herkunft von Giftstoffen ..................................... 3 1.4 Aufgaben, Inhalte und Ziele der Toxikologie ................................... 4 Quellen und weiterführende Literatur .............................................. 9 1.1 Einführung Die Toxikologie beschreibt die Wechselwirkungen körperfremder Substanzen mit körpereigenen Strukturen. Im Gegensatz zur Pharmakologie befasst sich die Toxiko- logie hierbei mit den schädigenden Wirkungen von Substanzen auf den Organismus, ist also die Lehre von den Giften. Der Begriff „Toxikologie“ leitet sich von toxikon (gr. Pfeilgift) ab, denn bereits in der Antike wurden Pfeilspitzen mit Giftstoffen aus der Natur (z. B. Pflanzengifte) präpariert, um Beutetiere bei der Jagd oder Feinde in Kriegs- handlungen zu schwächen bzw. zu töten. Noch heute präparieren Einwohner bestimmter Regionen Südamerikas ihre Jagdpfeile mit natürlich vorkommenden Giftstoffen, z. B. aus der Haut von Fröschen, um Beutetiere zu erlegen. Dies zeigt, dass den Menschen bereits in sehr früher Zeit die Wirkungen toxischer Substanzen bekannt waren. Es wurde ihnen deutlich, dass bestimmte Substanzen zu schweren Vergiftungen und eventuell zum Tod führen, wenn diese in bestimmten Mengen in den Körper aufgenommen werden. Andererseits hat man erkannt, dass die gleichen Substanzen in geringerer Menge eventuell sogar als Heilmittel gegen bestimmte Krankheiten eingesetzt werden können oder als Rauschmittel dienen. Giftstoffe stellen also unter bestimmten Voraussetzungen Pharmaka dar – und umgekehrt. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 1 H. Barth et al., Toxikologie für Einsteiger, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61540-9_1 2 1 Grundlagen der Toxikologie Was macht nun aber eine Substanz zum Gift? Zunächst natürlich der Mechanismus, über welchen diese Substanz im Körper wirkt. Dabei ist i. d. R. eine Schädigung der Zellen in einem bestimmten Organ oder Gewebe die Ursache für die meist charakteristischen Krankheitsanzeichen (Symptome). Diese Zellschädigung kann je nach Giftstoff entweder unspezifisch oder spezifisch sein, was durch den molekularen Wirkmechanismus der jeweiligen Substanz bestimmt wird. Detergenzien wirken beispielsweise unspezifisch, indem sie Zellmembranen schädigen. Wenn aber beispielsweise Kohlenstoffmonoxid die Bindungsstelle für Sauerstoff in den roten Blutzellen (Erythrozyten) blockiert und dadurch den Sauerstofftransport in die Organe vermindert oder der Giftstoff des grünen Knollenblätterpilzes sehr spezifisch ein essentielles Enzym der Proteinbiosynthese in Zellen hemmt, wodurch die Zelle wegen Proteinmangel stirbt, dann sind diese molekularen Wirkmechanismen sehr spezifisch und erklären eindeutig die daraus resultierenden klinischen Symptome der jeweiligen Ver- giftung. Hier wird sofort klar, dass es sich auf Grund der molekularen Wirkmechanismen um Giftstoffe handelt, die zu einer Vergiftung führen, sobald sie an ihren Wirkort im Körper gelangen. Damit dies geschieht, muss der Mensch gegenüber den Giftstoffen exponiert sein, d. h., er muss in einen solchen Kontakt mit ihnen kommen, der eine Wirkung ermöglicht. Dieses „Ausgesetztsein“ gegenüber Giftstoffen, das überhaupt erst zu einer Giftwirkung führen kann, bezeichnet man als Exposition. Schließlich bestimmt die in den Körper aufgenommene Menge (Dosis) neben weiteren Faktoren wie dem Wirkmechanismus und der Exposition, ob eine Substanz als Arznei- oder Giftstoff wirkt. Diese wichtige Erkenntnis wurde bereits im 16. Jahr- hundert von dem Arzt und Alchemisten Paracelsus formuliert: „Alle Ding sind Gift und nichts ohn’ Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Merke Wirkmechanismus, Dosis und Exposition bestimmen neben Grund- erkrankungen Alter etc. der Menschen, ob es durch eine bestimmte Substanz zu einer Vergiftung kommt und diese somit als ein „Gift“ wirkt. 1.2 Wichtige Begriffe Unter einer Dosis (D) versteht man in der Toxikologie und Pharmakologie die Menge einer Substanz, die in einem bestimmten Zeitraum auf den Körper einwirkt. Dies kann beispielsweise die aufgenommene Menge eines bestimmten Toxins nach einmaligem Verzehr eines Giftpilzes sein, oder die Menge eines Pflanzenschutzmittels, welches ein Gärtner oder Landwirt während seines Arbeitstages in seinen Körper aufnimmt. Merke Die Dimension der Dosis ist das Gramm (g), wobei die Dosis häufig auf das Körpergewicht (KG) bezogen und als g/kg KG angegeben wird. Die Dosis ist also stets eine quantitative Angabe.