Fridtjof Toenniessen Topologie Ein Lesebuch von den elementaren Grundlagen bis zur Homologie und Kohomologie Topologie Fridtjof Toenniessen Topologie Ein Lesebuch von den elementaren Grundlagen bis zur Homologie und Kohomologie Fridtjof Toenniessen Stuttgart, Deutschland ISBN 978-3-662-54963-6 ISBN 978-3-662-54964-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-54964-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Z uordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung: Dr. Andreas Rüdinger Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Spektrum ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Deutschland Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Vorwort Nach einer kurzen Einleitung über die Grundbegriffe der elementaren Topologie wird in dieser Einführung hauptsächlich die algebraische Topologie behandelt, mit einer Betonung auf Mannigfaltigkeiten. Vom Inhalt her ähnelt das Werk den klassischen Lehrbüchern über diese Gebiete, die Präsentation und der Schreibstil unterscheiden sich aber zum Teil erheblich davon. Ich möchte das erklären und kurz über die Entstehung des Buches berichten. ZunächstwaresalseineArtLesebuchgeplant,indemmehrereGebietederreinen Mathematikaufje40–50Seitenvorgestelltwerden,umanschließendeinigeMeilen- steinezumotivierenundWechselwirkungenzwischendenDisziplinenaufzuzeigen. Klaus Jänich hat dafür einmal den Begriff einer „Stufe des orientierenden Kennenlernens“erwähnt,[58],inderNeulingenichtnurersteGehversucheunter- nehmen, sondern auch ein wenig über den Tellerrand hinausschauen können. Es stellte sich aber bald heraus, dass für eine substantielle Darstellung zu wenig Platz zur Verfügung stand und das Buch entweder in den einfachsten Grund- lagen steckenbleiben oder zu einer unerquicklichen Aufzählung von Definitionen und Sätzen verkommen würde. Also wurden die Inhalte immer weiter reduziert, bis zuletzt die vorliegende Einführung in die Topologie herauskam – mit einem ungewöhnlichweitenBogenvondenelementarenGrundlagen(„Wasisteineoffene Menge?“) über klassische Resultate (Überlagerungen, Euler-Charakteristik von kompakten Flächen, Wirtinger-Darstellung von Knotengruppen) bis zu fortge- schrittenen Themen und bedeutenden Höhepunkten der algebraischen Topologie (TheoremvonHurewicz,singulärePoincaré-Dualität,Homologiesphärenoder verschiedene Versionen der Hopf-Invariante). Bei all diesen Mutationen wurde die Idee eines Lesebuches aber konsequent am Leben erhalten, sie schimmert immer wieder durch. So stehen vor allem die späteren Kapitel im Zeichen eines großen Ziels, das eine Art „Handlungsstrang“ oder roten Faden durch das gesamte Buch herzustellen versucht (wer schon jetzt neugierig ist: Es geht um die spannende Frage, ob Mannigfaltigkeiten, die sich in gewisserWeiseähnlichwieSphärenverhalten,tatsächlich„äquivalent“zuSphären sind–dasisteineabgeschwächteFormdergeneralisiertenPoincaré-Vermutung). Auch werden längere technische Abschnitte so gut es geht vermieden und statt- dessen anschauliche Worte verwendet, um den Lesefluss zu vereinfachen. Wenn möglich sind größere Sätze durch einleitende Beispiele und historische Informa- tionen motiviert, keine Definition und kein Hilfssatz soll einfach vom Himmel fallen, sondern alles so erklärt sein, wie es sich aus einer konkreten Fragestellung entwickelt hat. Dazu gehört natürlich auch, einmal einen Holzweg zu beschreiten und hinterher umso besser zu verstehen, warum diese Definition oder jener Hilfs- satz gerade so und nicht anders formuliert werden musste, um einem gegebenen Problem gerecht zu werden. vi Vorwort NebenvielenexplizitenBeispielenwerdendieLeserauchhieunddaaufgefordert, einen (meist einfachen) Gedanken selbst zu Ende zu führen, sich aktiv am Inhalt zu beteiligen oder einige Experimente zu probieren, um frei mit den Gedanken zu spielen – ähnlich wie das Mathematiker auf dem Weg zu neuen Erkenntnissen auch tun. Diese Form der kritischen Auseinandersetzung mit dem Stoff tritt an die Stelle von Übungsaufgaben, die nicht explizit vorgesehen sind. Der Text ist wegen seines Lesebuch-Charakters auch (und insbesondere) für das Selbststudiumgedacht.DieausführlichenBeschreibungenzwischendenehertech- nischenPassagensollenNeulingendabeieineHilfesein,umsichschonbeimersten Lesen besser zurechtzufinden. In diesem Sinne wäre es mir Anliegen und Freude zugleich,dieNeugieraufeinwahrlichfaszinierendes,vielseitigverwendbaresTeil- gebiet der Mathematik zu wecken und zum Weiterlesen zu ermuntern. Mein Dank gilt Bianca Alton für das Lektorat, Andreas Rüdinger für die genaue inhaltliche Durchsicht aller Kapitel und ganz besonders meiner Familie, die mich all die Jahre des Suchens, Findens und Gestaltens geduldig unterstützt hat. Stuttgart, im Juni 2017 Fridtjof Toenniessen Inhaltsverzeichnis 1 Logische Grundlagen für die Topologie .................. 1 1.1 Ordinalzahlen ......................................... 1 1.2 Das Auswahlaxiom und seine äquivalenten Formen......... 6 2 Elementare Topologie ................................... 11 2.1 Elementare Grundbegriffe.............................. 12 2.2 Einfache Folgerungen.................................. 22 2.3 Der Satz von Tychonoff ............................. 25 2.4 Das Lemma von Urysohn ............................. 32 2.5 Die Quotiententopologie ............................... 38 2.6 Topologische Mannigfaltigkeiten ........................ 45 2.7 Die Klassifikation kompakter Flächen.................... 48 2.8 Die Euler-Charakteristik ............................. 57 3 Algebraische Grundlagen – Teil I........................ 63 3.1 Elemente der Gruppentheorie........................... 63 3.2 Die Quaternionen und Drehungen im R3................. 76 4 Einstieg in die algebraische Topologie ................... 81 4.1 Die Fundamentalgruppe ............................... 81 4.2 Überlagerungen....................................... 91 4.3 Decktransformationen ................................. 96 4.4 Der Satz von Seifert-van Kampen .................... 110 4.5 Der Satz von Nielsen-Schreier über freie Gruppen...... 117 4.6 Die Wirtinger-Darstellung von Knotengruppen ......... 122 4.7 Die Fundamentalgruppe der SO(3) ...................... 128 4.8 Höhere Homotopiegruppen ............................. 133 4.9 Die lange exakte Homotopiesequenz ..................... 140 4.10 Faserbündel und die Berechnung von π (S2,1) ............ 146 3 4.11 Weitere Resultate zu Homotopiegruppen................. 155 viii Inhaltsverzeichnis 5 Simpliziale Komplexe ................................... 159 5.1 Grundbegriffe ........................................ 159 5.2 Simpliziale Approximation ............................. 163 5.3 Euklidische Umgebungsretrakte......................... 166 5.4 Abbildungszylinder und -teleskope ...................... 176 5.5 PL-Mannigfaltigkeiten und die Hauptvermutung .......... 183 6 Algebraische Grundlagen – Teil II....................... 199 6.1 Kettenkomplexe und Homologiegruppen ................. 199 6.2 Tensorprodukte, freie Auflösungen und Tor-Gruppen ...... 200 6.3 Das universelle Koeffiziententheorem für die Homologie .... 209 6.4 Berechnungsformeln für Tor-Gruppen.................... 213 6.5 Die Künneth-Formel ................................. 216 7 Elemente der Homologietheorie ......................... 221 7.1 Ursprünge der Homologietheorie ........................ 221 7.2 Simpliziale Homologiegruppen .......................... 227 7.3 Singuläre Homologiegruppen ........................... 240 7.4 Der Homotopiesatz – Teil I............................. 247 7.5 Intermezzo: Singuläre Homologie mit n-Würfeln .......... 248 7.6 Der Homotopiesatz – Teil II ............................ 260 7.7 Die lange exakte Homologiesequenz ..................... 262 7.8 Der Ausschneidungssatz und einige seiner Anwendungen ... 264 7.9 Die Äquivalenz von simplizialer und singulärer Homologie.. 280 7.10 Die Euler-Charakteristik als homologische Invariante..... 284 7.11 Die Homologie kompakter Flächen ...................... 290 7.12 Die Mayer-Vietoris-Sequenz ......................... 297 7.13 Die Homologie von Produkträumen ..................... 306 8 CW-Komplexe und einige ihrer Anwendungen .......... 315 8.1 Grundlegende Definitionen und erste Beispiele ............ 317 8.2 Sind CW-Komplexe allgemeiner als Simplizialkomplexe? ... 323 8.3 Teilkomplexe und Kompakta in CW-Komplexen .......... 327 8.4 Kanonische (cid:3)-Umgebungen und Umgebungsretrakte ....... 331 Inhaltsverzeichnis ix 8.5 Zelluläre Abbildungen und zelluläre Approximation ....... 339 8.6 Der Satz von Whitehead ............................. 345 8.7 Zelluläre Homologie ................................... 350 8.8 CW-Approximationen und CW-Modelle ................. 366 8.9 Brücken zwischen Homotopie- und Homologietheorie ...... 374 8.10 Das Theorem von Hurewicz........................... 377 9 Algebraische Grundlagen – Teil III...................... 397 9.1 Permutationen........................................ 397 9.2 Kohomologie und die Ext-Gruppen...................... 399 9.3 Das universelle Koeffiziententheorem der Kohomologie ..... 403 10 Kohomologie und die Poincaré-Dualität ................. 407 10.1 Duale Triangulierungen und duale Teilräume ............. 408 10.2 Der duale Kettenkomplex .............................. 417 10.3 Die Kohomologie simplizialer Komplexe.................. 422 10.4 Lange exakte Sequenzen in der Kohomologie ............. 428 10.5 Das Cap-Produkt und die simpliziale Poincaré-Dualität .. 432 (cid:2) 10.6 Die Poincarésche Homologiesphäre H3 =SO(3) I ..... 450 P 60 10.7 Homologische Charakterisierung von Orientierbarkeit...... 462 10.8 Singuläre Kohomologie und die Poincaré-Dualität ....... 478 10.9 Der Kohomologiering topologischer Räume ............... 495 10.10 Eine Anwendung auf Divisionsalgebren .................. 502 10.11 Schnittzahlen und Verschlingungszahlen ................. 511 10.12 Die Hopf-Invariante .................................. 522 Literaturverzeichnis ......................................... 537 Index........................................................ 545 1 Logische Grundlagen für die Topologie Das Buch fängt etwas ungewöhlich an. Sie lernen auf den ersten Seiten nichts über topologische Grundbegriffe, zum Beispiel was eine offene Menge ist, oder wann der Abschluss einer Menge kompakt ist. Nein, es geht um fortgeschrittene Mengenlehre und um mathematische Logik. Ich konnte nicht umhin, auf diesen Seiten eine kleine Hommage an das Auswahlaxiom und das Lemma von Zorn zu schreiben, denn diese Grundfesten der Mathematik werden in der Topologie häufiger (unbewusst) eingesetzt als man vermutet. Das wäre zumindest ein Grund für diesen Einstieg. Ein anderer kommt von dem Wunsch, hier etwas vorzubereiten, was Sie später überraschen wird und aufzeigt, dass viele mathematische Sätze (aus anderen Gebieten) mit Topologie zusam- menhängen und topologische Beweise haben (Seite 31, 117 f). Sie können dieses Kapitel gerne überspringen, wenn Sie gleich mit Topologie beginnen wollen. 1.1 Ordinalzahlen Die Ordinalzahlen sind ein wichtiges Fundament der transfiniten Mengenlehre, vielleicht sogar deren zentrales Konzept überhaupt. Die Idee besteht zunächst darin, die natürlichen Zahlen nicht über diePeano-Axiome, sondern konsequent über endliche Mengen und deren Elementzahl zu definieren. Damit gewinnt man sehrviel,unteranderemeineWohlordnungaufR(Seite3)odermitdemAuswahl- axiom sogar ein konkretes Modell für eine wohlgeordnete Gesamtheit aller nur denkbaren Mengen (was dann allerdings keine Menge mehr ist, Seite 4). WillmandienatürlichenZahlenüberdieElementzahlendlicherMengenerfassen, liegt eine Identifikation der 0 mit der leeren Menge ∅ nahe. Für die 1 brauchen wir dann eine einelementige Menge, und im Rahmen der Zermelo-Fraenkel- Mengenlehre gibt es dafür als einfachste Möglichkeit {∅}. Es ist ∅ ⊂ {∅} und zugleich ∅ ∈ {∅}, was eine Ordnungsrelation (analog zu ≤ bei N) in Form der Teilmengenrelation ⊆ nahelegt (die Relation < wäre gegeben durch ⊂ oder äqui- valent auch durch ∈). Mit diesen Definitionen ist die von N bekannte Relation 0<1erfüllt,unddiefolgendennatürlichenZahlenergebensichbeikonsequenter Fortführung der Konstruktion als endliche Ordinalzahlen der Gestalt 2 = {∅, {∅}} 3 = {∅, {∅}, {∅,{∅}}} 4 = {∅, {∅}, {∅,{∅}}, {∅, {∅}, {∅, {∅}}}} ··· x+1 = x∪{x}. DieseskonkreteModellfürOrdinalzahlengehtübrigensauf JohnvonNeumann zurück, der die Idee 1923 in einem Brief an Ernst Zermelo mitteilte, [79]. © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017 F. Toenniessen, Topologie, DOI 10.1007/978-3-662-54964-3_1
Description: