Toolbox für die Stromnetze Für die künftige Integration von Erneuerbaren Energien und für das Engpassmanagement STUDIE Toolbox für die Stromnetze IMPRESSUM STUDIE DURCHFÜHRUNG DER STUDIE Toolbox für die Stromnetze Verfasser Kapitel 2 und 3 Energynautics GmbH Für die künftige Integration von Robert-Bosch-Straße 7 | 64293 Darmstadt Erneuerbaren Energien und für das Dr. Nis Martensen, Sabrina Hempel, Engpassmanagement Daniel Masendorf ERSTELLT IM AUFTRAG VON Verfasser Kapitel 1 und 4 Agora Energiewende Agora Energiewende Dr. Stephanie Ropenus, Philipp Godron, Anna-Louisa-Karsch-Straße 2 | 10178 Berlin Frank Peter, Dr. Matthias Deutsch T +49 (0)30 700 14 35-000 F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-energiewende.de [email protected] PROJEKTLEITUNG Dr. Stephanie Ropenus [email protected] CO-PROJEKTLEITUNG Philipp Godron Dr. Matthias Deutsch Satz: UKEX GRAPHICr Titelbild: photocase/maspi Bitte zitieren als: Agora Energiewende und Energynautics (2018): Toolbox für die Stromnetze – Für die künftige Integration von Erneuerbaren Energien und für das Engpassmanagement. 123/01-S-2018/DE Studie im Auftrag von Agora Energiewende. Veröffentlichung: Januar 2018 Gedruckt auf 100 % Recycling Naturpapier www.agora-energiewende.de Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, der Übertragungsnetzausbau ist ein wesentlicher besseren Auslastung der Netze stellen, um nach 2030 Baustein der Energiewende, da nur so die stetig nicht in eine ähnliche Situation zu geraten wie heute. steigenden Windstrommengen von Nord- nach Süddeutschland transportiert werden können. Die Diese Kurzstudie stellt fünf Maßnahmen für eine beschlossenen Netzausbaumaßnahmen werden optimale Ausnutzung der bestehenden Stromnetze und jedoch erst nach 2025 vollständig realisiert sein. Bis die künftige Integration Erneuerbarer Energien vor. dahin sind insofern Netzengpässe vorprogrammiert – Hierzu gehören netzseitige Maßnahmen, die bereits mit der Folge, dass Windstrom abgeregelt wird und Stand der Technik sind und kurzfristig umgesetzt die Netzbetreiber Redispatch-Maßnahmen ergrei- werden können. Außerdem öffnet die Studie den Blick fen, um die einheitliche Preiszone in Deutschland für 2030, wenn die großen Stromautobahnen realisiert zu stützen. Dies verursacht Kosten: Im Jahr 2016 sind und die fortschreitende Digitalisierung innova- betrugen sie etwa 600 Millionen Euro, im Jahr zuvor tive Möglichkeiten bei der Netzsteuerung bietet. 900 Millionen Euro. Die Frage ist daher, wie man kurzfristig auf den bestehenden Stromtrassen mehr Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! Strom transportieren kann – und so die Kosten sen- ken. Auch langfristig, wenn einmal die Gleichstrom- Dr. Patrick Graichen trassen gebaut sind, wird sich die Frage nach einer Direktor Agora Energiewende Ergebnisse auf einen Blick: Mit einem „Sofortprogramm Bestandsnetze“ können die Kosten für Redispatch und für die Abre- gelung von Erneuerbare-Energien-Strom deutlich gesenkt werden, bis der Ausbau der Stromauto- 1 bahnen realisiert ist. So kann eine höhere Auslastung der Bestandsnetze mit einem Vorlauf von zwei bis vier Jahren technisch problemlos umgesetzt werden. Zur optimierten Auslastung der Netze gehört ein Bündel an Maßnahmen, das kurzfristig den flächen - deckenden Rollout von Freileitungsmonitoring und Hochtemperaturleiterseilen sowie den gezielten 2 Bau von Phasenschiebern zur Lastflusssteuerung umfasst. Zudem kann der netzdienliche Einsatz von Speichern die Effizienz bei der Netzengpassbewirtschaftung erhöhen. Bundesnetzagentur und Netzbetreiber sollten Roadmaps für die flächendeckende Einführung der Maßnahmen vereinbaren, verbunden mit klaren Zeitzielen. Etwaige regulatorische und organisatori- 3 sche Hemmnisse können zügig abgebaut werden. Bislang genießen Maßnahmen zur Steigerung der Kapazitäten im Bestandsnetz weder in Genehmigungsprozessen noch in der Umsetzung eine hohe Priorität. Bei entsprechender Fokussierung kann jedoch bis 2021 und 2023 viel realisiert werden. Längerfristig ermöglicht die Einführung einer innovativen, automatisierten Systemführung eine höhere Auslastung der Stromnetze. Kurze Reaktionszeiten durch automatisierte, schnelle Steuerungs- zugriffe kombiniert mit Online-Dynamic Security Assessment erlauben einen reaktiven, fehlerbasierten 4 Redispatch. Um das hohe Sicherheitsniveau des deutschen Stromsystems aufrechtzuerhalten, sind jedoch noch eine Vielzahl von Fragen zu analysieren und Prozesse zu definieren. Unter Federführung der Bundesnetzagentur sollte schon jetzt eine Roadmap zur Strukturierung und Umsetzung ent- worfen werden, damit diese im Laufe der 2020er Jahre nach und nach umgesetzt werden können. 3 Agora Energiewende | Toolbox für die Stromnetze - Für die künftige Integration von Erneuerbaren Energien DANKSAGUNG AN DEN BEGLEITKREIS DANKSAGUNG AN GUTACHTER Wir danken den Mitgliedern des Begleitkreises Wir danken den Gutachtern Prof. Dr.-Ing. M atthias für ihren Beitrag zu den Diskussionen. Die Ergeb- Luther und Prof. Dr.-Ing. Albert Moser für ihre nisse und Schlussfolgerungen stellen jedoch nicht wertvollen Anregungen und Kommentare. notwendigerweise die Meinung der Mitglieder des Begleitkreises dar. Die Verantwortung hierfür Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen stellen liegt ausschließlich bei Agora E nergiewende und jedoch nicht notwendigerweise ihre Meinung dar. den beteiligten Instituten (Energynautics GmbH). Die Verantwortung hierfür liegt ausschließlich bei Im Begleitkreis waren vertreten: Agora Energiewende und Energynautics. - Wilhelm Appler, Dr. Dirk Biermann – 50Hertz Transmission GmbH - R aphael Görner, Prof. Dr. Jochen Kreusel – ABB AG - Dr. Gerd Rosenkranz – Agora Energiewende - Peter Barth – Amprion GmbH - Julia Rufin – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) - Thorsten Falk, Dr. Arne Genz, Fabian Kliche – Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) - Dr. Markus Doll – Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) - Sebastian Winter – Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) - Holger Loew – Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) - Dr. Christoph Maurer – Consentec GmbH - Prof. Dr.-Ing. Albert Moser – Institut und Lehrstuhl für Elektrische Anlagen und Energie- wirtschaft (IAEW) der RWTH Aachen - Prof. Dr.-Ing. Matthias Luther – Lehrstuhl für Elektrische Energiesysteme (EES), Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) - Antina Sander – Renewables Grid Initiative (RGI) - Prof. Dr. Rainer Krebs – Siemens Energy Management, Digital Grid und Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg (OvGU) - Carsten Siebels – TenneT TSO GmbH - Dr. Reinhold Buttgereit, Jens Langbecker – TransnetBW GmbH 4 Inhalt Vorwort 3 Zusammenfassung 7 Zielsetzung der Kurzstudie 7 Herausforderungen für den Netzbetrieb 7 Toolbox: Fünf Maßnahmen für eine optimale Ausnutzung der bestehenden Stromnetze 8 Handlungsempfehlungen 10 1. Was bedeutet die Energiewende für die Stromnetze – Trends, Treiber und regulatorischer Rahmen 13 1.1. Einleitung 13 1.2. Zielsetzung und Aufbau der Kurzstudie 16 1.3. Schwerpunkt und Abgrenzung der Kurzstudie 16 1.4. Aufbau der Kurzstudie 18 1.5. Trends und Treiber der Entwicklungen im Stromsektor und in den Stromnetzen 19 1.6. Netzausbau und Netzbetrieb: der regulatorische Rahmen 23 1.6.1. Netzausbau 23 1.6.2. Netzbetrieb 26 1.6.3. Einordnung von EinsMan und Redispatch 29 2.1. B edingungen des sicheren N etzb etriebs 31 2. Netzbetrieb in Gegenwart und Zukunft 31 2.2. Fehlerfälle und ihre Auswirkungen 32 2.2.1. Fehlerfälle 33 2.2.2. Auswirkungen 33 2.3. Thermische Grenzen 34 2.4. Stabilitätsgrenzen 35 3.1. Auswahl der Werkzeuge und Bewertungskriterien 37 3. Toolbox für Stromnetze der Zukunft 37 3.2. H ochtemperaturleiterseile und F reileitungsmonitoring 38 3.2.1. Beschreibung und Abgrenzung 38 3.2.2. Anwendungsfälle 40 3.2.3. Bewertung, Anwendungsgrenzen und Hemmnisse 41 3.3. N etzdienlicher Einsatz von Speichern 43 3.3.1. Beschreibung und Abgrenzung 43 3.3.2. Anwendungsfälle 45 3.3.3. Bewertung, Anwendungsgrenzen und Hemmnisse 46 5 Agora Energiewende | Toolbox für die Stromnetze - Für die künftige Integration von Erneuerbaren Energien 3.4. Lastflusssteuerung im Über tragungsnetz 49 3.4.1. Beschreibung und Abgrenzung 49 3.4.2. Anwendungsfälle 51 3.4.3. Bewertung, Anwendungsgrenzen und Hemmnisse 52 3.5. O nline-Assistenzsysteme (Online-DSA) für die Netzleitstelle 53 3.5.1. Beschreibung und Abgrenzung 53 3.5.2. Anwendungsbeispiele 55 3.5.3. Bewertung, Anwendungsgrenzen und Hemmnisse 57 3.6. W eiterentwicklung des (n-1)-Kriteriums 58 3.6.1. Beschreibung und Abgrenzung 58 3.6.2. W eitere aktuelle Forschungsprojekte und Studien 60 3.6.3. Bewertung, Anwendungsgrenzen und Hemmnisse 61 4. Handlungsempfehlungen 63 4.1. Kurzfristige Maßnahmen (Zeitraum: 2020 bis 2025) 63 4.1.1. Hochtemperaturleiterseile und Frei leitungsmonitoring 63 4.1.2. Lastflusssteuerung im Übertragungsnetz 64 4.1.3. Weiterentwicklung des Regelwerks zur Integration kurzfristiger Ad-hoc-Maßnahmen im Netzentwicklungsplan 64 4.2. M ittel- und langfristige Maßnahmen (Zeitraum: bis 2030) 65 4.2.1. Einführung von Online-Assistenzsystemen (Online-DSA) für die Netzleitstelle 65 4.2.2. Weitere Automatisierung der System führung 66 4.2.3. Weiterentwicklung des (n-1)-Kriteriums mithilfe eines probabilistischen Ansatzes der Versorgungssicherheit 67 6 STUDIE | Toolbox für die Stromnetze - Für die künftige Integration von Erneuerbaren Energien Zusammenfassung Im früheren deutschen Stromversorgungssystem Obgleich 2016 ein Rückgang zu verzeichnen war, sind speisten Großkraftwerke in das Übertragungsnetz die Zahlen im ersten Quartal 2017 mit 5.548 GWh ein. Von dort aus wurde die elektrische Energie über Redispatch-Volumen wieder gestiegen. Die steigen- das Verteilnetz zum Verbraucher transportiert. Die den Redispatch- und Einspeisemanagement-Men- Energiewende und die zunehmende europäische gen können zur Akzeptanz- und Kostenfrage für die Marktintegration führen zu neuen Anforderungen Energiewende werden, da sie sich in den Netzentgel- an Netzplanung und Netzbetrieb. Es kommt zu einer ten niederschlagen, welche von den Endkunden zu Verlagerung von den Erzeugungsschwerpunkten der zahlen sind. Großkraftwerke zu einem eher flächigen Zubau von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Mit einer Zunahme an Onshore-Windenergie- und Photovoltaikanlagen Zielsetzung der Kurzstudie wird mehr Strom direkt in die Verteilnetze einge- speist. Offshore-Windparks produzieren hingegen Vor dem Hintergrund der Verzögerungen beim Strom vor den Küsten Deutschlands, der über die Netz ausbau und der damit verbundenen Heraus- Netzverknüpfungspunkte an Land in das Übertra- forderungen ist es das Ziel dieser Kurzstudie, netz gungsnetz gelangt und zu den Verbrauchszentren seitige Maßnahmen für eine optimale Ausnutzung transportiert werden muss. Das Übertragungsnetz ist der bestehenden Stromnetze und für die Integration somit eine wichtige Voraussetzung für den groß- Erneuerbarer Energien darzustellen. Die Maßnah- räumigen Austausch zwischen Erzeugungs- und men werden im Rahmen einer Toolbox vorgestellt, Laststandorten und die Integration von Erneuerba- es werden ihre Anwendungsfälle beschrieben und ren Energien (EE). Der Ausbau des innerdeutschen regulatorische Handlungsempfehlungen gegeben. Der Stromnetzes ist zudem für den grenzüberschreiten- Fokus dieser Studie liegt auf dem Übertragungsnetz. den Stromtransport und die europäische Marktinteg- Die vorgestellten kurzfristigen Maßnahmen (Zeit- ration notwendig. horizont: 2020) können Stromleitungen kurzfristig entlasten und dadurch Redispatch sowie Einspeise- Traditionell folgt der Netzausbau den geografi- management reduzieren. Die langfristigen Maß schen als auch den strukturellen Veränderungen in nahmen (Zeithorizont: 2030) können, insbesondere Strom erzeugung und -verbrauch. Es besteht großer verbunden mit den Möglichkeiten der Digitalisierung Netzausbaubedarf: Auf Übertragungsnetzebene (Sensorik und Aktorik), zu einer besseren Auslastung sind bislang rund 850 Kilometer der vorgesehenen der Bestandsnetze führen – und damit künftigen 7.700 Kilometer an Netzausbau- und Netzverstär- Netzausbau reduzieren oder teilweise sogar vermei- kungsmaßnahmen aus dem Bundesbedarfsplange- den. Die Notwendigkeit des vorgesehenen Netzaus- setz und dem Energieleitungsausbaugesetz realisiert baus gemäß Bundesbedarfsplangesetz wird dabei (Stand: 2. Quartal 2017). Wenn die Übertragungs- nicht infrage gestellt. kapazität für den Stromtransport nicht ausreicht, entstehen Netzengpässe. In diesem Fall müssen die Netzbetreiber Maßnahmen wie Redispatch und Herausforderungen für den Netzbetrieb Einspeisemanagement (Abregelung von EE-Anlagen) ergreifen. Im Vergleich zu 2014 hat sich im Jahr 2015 Die Einspeisung aus Wind- und Solarenergie das Redispatch-Volumen mehr als verdreifacht, schwankt innerhalb kurzer Zeiträume um nahezu auf 16.000 Gigawattstunden (GWh) im Jahr 2015. die gesamte in der betroffenen Region installierte 7 Agora Energiewende | Toolbox für die Stromnetze - Für die künftige Integration von Erneuerbaren Energien Erzeugungskapazität. Auch der Strombedarf unter- Toolbox: Fünf Maßnahmen für eine liegt zeitlichen Schwankungen. Hinzu kommen optimale Ausnutzung der bestehenden grenzüberschreitende Lastflüsse an den Kuppel- Stromnetze stellen des Übertragungsnetzes. Die Betreiber des Übertragungsnetzes müssen eine größere Vielfalt an Die fünf Maßnahmen – oder „Tools“ – für eine opti- Betriebssituationen als bisher sicher beherrschen male Ausnutzung der Stromnetze haben verschie- können. Netzengpässe entstehen, wenn ein elektri- dene Anwendungsfälle. Es gibt daher keine Univer- sches Betriebsmittel (zum Beispiel eine Leitung oder sallösung, sondern es geht vielmehr darum, je nach ein Transformator) den notwendigen Leistungsbedarf Anwendungsfall die Tools komplementär einzusetzen. nicht übertragen kann. Gegenwärtig sind hierbei die thermischen Grenzen im Netzbetrieb ausschlagge- → Freileitungsmonitoring und Hochtemperatur bend. Mit steigendem Stromfluss in einer Stromlei- leiterseile: Bei der Netzausbauplanung gilt das tung steigt deren Temperatur. Die aus der Erwärmung sogenannte NOVA-Prinzip: Netz-Optimierung vor resultierende Längenänderung der Leiter führt zu -Verstärkung vor -Ausbau. Freileitungsmonitoring einem erhöhten Durchhang der Leiterseile. Damit der (FLM) und Hochtemperaturleiterseile (HTLS) sind Leiterseildurchhang bei Freileitungen nicht zu groß klassische NOVA-Maßnahmen, um das bestehende wird, muss die Leitertemperatur begrenzt werden. Netz besser auszunutzen oder zu ertüchtigen. Die Bei Erdkabeln ist im Gegensatz zu Freileitungen die Berechnung der maximalen Strombelastbarkeit Erwärmung des Isolationsmaterials der ausschlag- von Leitungen erfolgt nach einer DIN-Norm, die gebende limitierende Faktor. In der Zukunft werden von statischen Annahmen bei Umgebungstempe- netzdynamisches Verhalten und Stabilitätsgrenzen ratur, Globalstrahlung und Windgeschwindigkeit bei dem Engpassmanagement eine zunehmende ausgeht. Hierdurch wird die eigentlich verfügbare Rolle spielen. Beim Betrieb von Freileitungen betrifft Übertragungskapazität von Freileitungen zu einem dies insbesondere die Spannungsstabilität sowie Großteil der Zeit nicht voll ausgenutzt (beispiels- die transiente Stabilität und damit verbunden die weise, wenn viel Wind weht, dadurch die Leiter- verfügbare Blindleistungskompensation. Bisher ist seile besser gekühlt werden und mehr durchgeleitet die Grenze der Spannungsstabilität im deutschen werden könnte). Beim FLM werden mittels Senso- Übertragungsnetz noch weitgehend unproblematisch, rik die Temperatur oder der Durchhang der Leitung da die maximalen thermischen Betriebsströme der (direkte Methoden) oder die Wetterbedingungen Leitungen meist deutlich unter dieser Grenze liegen. an der Leitung (indirekte Methode) beobachtet, Dies kann sich durch Netzoptimierung und Netzver- und der maximal zulässige Strom wird dynamisch stärkung aber ändern: Wird bei ansonsten ähnlichen angepasst. Der Einsatz von HTLS stellt eine Form Leitungsparametern die Stromtragfähigkeit von der Netzverstärkung dar: Es erfolgt eine Umbe- Leitungen erhöht (zum Beispiel durch den Einsatz seilung auf bereits bestehenden Trassen durch von Freileitungsmonitoring oder Hochtemperaturlei- Leiterseile, die vor allem im Kern aus innovativen terseilen), gewinnt automatisch die Stabilitätsgrenze Materialien bestehen, die bei steigenden Tempe- an Bedeutung, da sie durch diese Maßnahmen nicht raturen eine geringere Längenänderung aufweisen wesentlich verändert wird. Anstelle des (angehobe- als die herkömmlichen ACSR-Leiter (Aluminium nen) thermischen Limits wirkt dann das Stabilitäts- Conductor Steel Reinforced). Der Einsatz von HTLS limit als begrenzender Faktor für den Betrieb eines ermöglicht etwa 50 bis 100 Prozent mehr Über- Stromnetzes. tragungskapazität als herkömmliche Leiter. Durch FLM und HTLS wird die thermische Grenze der Leitungen angehoben. Neben zusätzlichem Netz- ausbau lassen sich durch den Einsatz von FLM und 8 STUDIE | Toolbox für die Stromnetze - Für die künftige Integration von Erneuerbaren Energien HTLS auch Redispatch und Einspeisemanagement matoren (auch Querregeltransformatoren genannt), verringern. Zu beachten sind bei ihrem Einsatz FACTS (Flexible AC Transmission Systems) sonstige Grenzen (zum Beispiel Stabilitätsgrenzen), und HGÜ-Systeme (Hochspannungs-Gleich- die Einhaltung der Grenzwerte für elektrische und strom-Übertragung). Mittels Lastflusssteuerung magnetische Felder sowie Wechselwirkungen der kann Strom von einer überlasteten Leitung auf erhöhten elektromagnetischen Feldstärken mit eine nicht ausgelastete Leitung verlagert werden. kreuzenden Rohrleitungen anderer Netze wie dem Es handelt sich um eine Maßnahme, die kurz- bis Gasnetz. mittelfristig umgesetzt werden kann. Die Quer- regler können innerhalb eines bereits bestehenden → Netzdienlicher Einsatz von Speichern: Die Umspannwerks oder an einem neuen Standort Mehrfachnutzung von Speichern wird auch als errichtet werden, der netztechnisch geeignet ist. Multi-Use bezeichnet. Am Höchstspannungsnetz sind heute vor allem Pumpspeicherkraftwerke → Online Dynamic Security Assessment für die angeschlossen, die im Rahmen des Redispatch Netzleitstelle: Die Änderungen im Stromversor- regelmäßig reaktiv genutzt werden, wenn eine gungssystem und die Einführung neuer Betriebs- Anpassung ihrer Leistung für das Engpassma- mittel führen zu einer steigenden Komplexität nagement im Übertragungsnetz sinnvoll ist. Die im Netzbetrieb. Die verlässliche Beurteilung von Errichtung neuer Speicher am Übertragungsnetz Netzzuständen ist für die Wahrung des hohen für den Ausgleich der variablen EE-Einspeisung Niveaus der Versorgungssicherheit von ent- ist aufgrund hoher Speicherkosten und niedriger scheidender Bedeutung. Durch die Erhöhung der Spreads aus volkswirtschaftlicher und betriebs- thermischen Grenzen (beispielsweise durch die wirtschaftlicher Perspektive derzeit nicht sinn- Einführung von FLM und HTLS) gewinnen die voll. Jedoch kann für die proaktive Vermeidung Stabilitätsgrenzen zunehmend an Relevanz. Dyna- von Netzengpässen die Nutzung von bestehenden mic Security Assessment (DSA) ist ein Tool, das Speichern sinnvoll sein. Auf Verteilnetzebene insbesondere in der Netzplanung angewandt wird, bestehen hingegen ökonomische Anreize für die um die dynamische Netzsicherheit zu beurteilen Installation neuer Speicher, beispielsweise im (Bewertung der Systemstabilität und Netzsicher- Rahmen der Befreiung von Entgelten und Umla- heit im Verlauf einer Störung). Im Gegensatz zum gen (Eigenstromprivileg) und der KfW-Förderung bisherigen konventionellen Offline-DSA beinhaltet von Photovoltaik-Speicher-Systemen. Hier ergibt Online-DSA als OnlineAssistenzsystem einen sich ein Zusammenspiel zwischen Verteilnetz schnellen Screeningprozess des aktuellen Netzzu- und dem Übertragungsnetz: Sofern netzkritische standes. Dadurch wird eine Echtzeitanalyse der Zeitpunkte für das Verteilnetz nicht mit den kriti- Netzstabilität möglich, die den aktuellen Zustand schen Betriebssituationen des Übertragungsnet- berücksichtigt und keine langfristigen Vorhersagen zes zusammenfallen, kann die Flexibilität aus den benötigt. Dies hat den Vorteil, dass weniger als bis- Verteilnetzen auch in hohem Maße für das Über- her zur Bestimmung der Übertragungsgrenzen auf tragungsnetz nutzbar gemacht werden. Abschätzungen mit „Sicherheitspuffer“ zurückge- griffen werden muss. Da gegenwärtig im Netzbe- → Lastflusssteuerung im Übertragungsnetz: Durch trieb die thermischen Grenzen maßgeblich sind, den koordinierten Einsatz lastflusssteuernder Ele- kann kurzfristig keine Einsparung von Netzausbau mente wird eine Vergleichmäßigung der Lastflüsse oder Engpassmanagement erreicht werden. Wenn im Netz bewirkt und damit die Übertragungs- die Stabilitätsgrenzen mittelfristig im Netzbetrieb kapazität besser ausgelastet. Lastflusssteuernde bei der Begrenzung der Übertragungsleistung Netzbetriebsmittel sind Phasenschiebertransfor- relevanter werden, ist der Einsatz von Online-DSA 9 Agora Energiewende | Toolbox für die Stromnetze - Für die künftige Integration von Erneuerbaren Energien eine Grundvoraussetzung für die Beurteilung der nahme). Ein weiterer Ansatz ist die p robabilistische Auslastung der Leitungen. Ob dies aber in einem Bewertung der Versorgungssicherheit: Dabei wird Maße geschieht, dass sich mit Online-DSA eine das (n-1)-Kriterium so erweitert, dass in Form signifikante Steigerung der effizienten Netzaus- deterministischer und probabilistischer Methoden lastung erzielen lässt, ist zum jetzigen Zeitpunkt die genannten Eintrittswahrscheinlichkeiten der schwer absehbar. prognostizierten Betriebssituationen und Betriebs- mittelausfälle sowie deren Folgen in die Bewer- → Weiterentwicklung des (n1)Kriteriums und tung einbezogen werden. Die hier ausgeführten weitere Automatisierung der Systemführung: Das Maßnahmen werden im mittel- bis langfristigen (n-1)-Kriterium findet als Sicherheitsstandard bei Zeitraum bis 2030 relevant. Als technische Vor- der Netzbetriebsführung Anwendung. Es besagt, aussetzungen müssen Betriebsmittel zur Lastfluss- dass bei Ausfall oder Abschaltung eines Betriebs- steuerung sowie die zuverlässige Steuerung einer mittels im Übertragungsnetz die Netz sicherheit ausreichend großen Anzahl flexibler Erzeuger und ohne weitere Gegenmaßnahmen gewährleis- Lasten verfügbar sein. tet bleibt. Um einen (n1)sicheren Betrieb zu gewährleisten, müssen im Übertragungsnetz also redundante Betriebsmittel (zum Beispiel Leitungen Handlungsempfehlungen und Transformatoren) vorgehalten werden, die im Normalfall nicht voll ausgelastet sind und im Feh- Für die Umsetzung der fünf Maßnahmen der Netze- lerfall den Strom des ausgefallenen Betriebsmittels Toolbox bedarf es regulatorischer Anreize und des übernehmen können. Unter dem Begriff „Weiter- Abbaus von Hemmnissen. Zudem müssen bestimmte entwicklung des konventionellen (n-1)-Krite- technische Voraussetzungen für die Umsetzung riums“ werden Konzepte verstanden, die eine erfüllt sein. höhere Auslastung der Betriebsmittel des Netzes erlauben und zugleich sicherstellen, dass trotzdem Kurzfristige Maßnahmen (2020 bis 2025) bei einem Ausfall von Betriebsmitteln weiterhin → Sofortprogramm „Schneller und flächendeckender keine Grenzwertverletzungen oder Versorgungs- Rollout von Freileitungsmonitoring und Hochtem- unterbrechungen auftreten. Ein Ansatz ist der peraturleiterseilen“: sogenannte reaktive Redispatch: Anstelle – wie • Verpflichtung der Netzbetreiber, bis Ende 2021 gegenwärtig – präventiv bei Netzengpässen in den den Rollout von Sensorik und Kommunikations- Netzbetrieb einzugreifen, bietet eine weitergehende technologie für ein flächendeckendes Freilei- Automatisierung der Systemführung die Möglich- tungs- und Kabelmonitoring abzuschließen: keit von automatisierten Eingriffen mit schnellen Roadmap mit Zeitplan für die Umsetzung bis Juni Reaktionszeiten. Im fehlerfreien Normalbetrieb 2018. wird damit die volle Auslastung der Betriebsmittel • Erstellung eines Plans „Rollout Hochtempe- zugelassen; die (n-1)-Sicherheit wird durch erst raturleiterseile 2023“ mit Identifizierung und im Fehlerfall erfolgende, kurative automatische Konkretisierung der Umsetzung auf geeigneten Eingriffe sichergestellt. Der schnelle, fehlerba- Trassen innerhalb der nächsten fünf Jahre (dazu: sierte Redispatch umfasst sowohl die Steuerung bis Juli 2018 Gutachten zur Umsetzung eines von Erzeugungseinheiten als auch von zu- und breiten Einsatzes von HTLS). abschaltbaren Lasten (marktbezogene Maßnahme). • Schaffung einer Transparenzplattform für den Des Weiteren kann er mit Lastflusssteuerung Netzausbau als öffentlich zugängliche Datenbank kombiniert werden, um durch den Fehler überlas- für einen Überblick, welche NOVA-Maßnahmen tete Leitungen zu entlasten (netzbezogene Maß- 10
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